Alternative Modelle

Der Digital Roll-Out in der Kinobranche ist nicht mehr aufzuhalten. Allein in Deutschland sind von rund 4.800 Kinosälen inzwischen knapp 2.000 Leinwände digital umgerüstet. Europaweit verfügt mittlerweile jeder zweite Kinosaal über eine digitale Projektionsanlage. Damit sind vielerorts die Third Parties als Zwischenglied in die Auswertungskette zwischen Verleih und Kino eingezogen und bestimmen dabei die Spielregeln. Doch es regt sich Widerstand. In verschiedenen Ländern haben unabhängige Kinobetreiber und Verleiher alternative VPF-Modelle entwickelt, um die teure Digitalisierung auf gerechte Weise zu finanzieren.

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Alternative Modelle

„Die Third Parties haben inzwischen in fast jedem Land Fuß gefasst, weil sie zunächst Verträge mit den Kinos abschließen“, berichtet Laurent Dutoit, Chef des unabhängigen Schweizer Verleihs Agora Films. „Diese Vereinbarungen legen sie den Verleihern vor und erklären, dass diese einen Vertrag mit ihnen abschließen müssen, wenn sie die Leinwände dieser Kinos weiterhin bespielen wollen. Die Verleiher haben dann keine Wahl mehr.“
Bisher bestand ein direktes Verhältnis zwischen Verleih und Kino, doch im digitalen Zeitalter gibt es in dieser Auswertungskette ein Zwischenglied in Form der Third Parties.

In Europa sind vor allem XDC, Arts Alliance Media (AAM), Ymagis und Sony auf dem Kinomarkt aktiv. Die britische Firma AAM hat bereits 2007 in Großbritannien im Auftrag der Förderinstitution UK Film Council 240 Leinwände mit digitaler Projektion ausgestattet. Das Unternehmen hat auch die digitale Umrüstung und Betreuung für das britische Multiplex Odeon Surrey Quays sowie verschiedene Kinos in Norwegen übernommen, wo seit dem Sommer 2011 sämtliche Kinos komplett digitalisiert sind. Um seine Marktposition zu stärken, besiegelte AAM frühzeitig langfristige Verträge mit Hollywoodstudios wie Twentieth Century Fox, Universal Pictures International, Paramount Pictures International, Sony Pictures Releasing International oder Walt Disney Studios International, die sich auf die digitale Umrüstung von bis zu 7.000 Leinwänden in Großbritannien und Irland, Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien, Skandinavien sowie den Benelux-Ländern beziehen.

Als erste Kinokette in Europa unterzeichnete 2007 CGR Cinemas in Frankreich mit AAM einen Deal über die Konvertierung von 400 Leinwänden, der die Ausstattung mit digitalen Projektoren, Servern, Datenspeichern sowie einem Theatre-Management-System beinhaltet. Der Pakt mit den Integrators hat allerdings seinen Preis. Denn den Kinos wird regelrecht verboten, Filme von Verleihern einzusetzen, die keinen Vertrag mit dem jeweiligen Integrator unterzeichnet haben.

Teuerere Filmauswertung für die Independents

Die Virtual Print Fee (VPF) wird als Buchungsgebühr für den Einsatz eines Films in einem Kinosaal erhoben. Mit diesem Beitrag soll die digitale Kinoumrüstung finanziert werden. Während den Hollywoodmajors attraktive Konditionen dafür angeboten werden, legen die Independents kräftig drauf, sofern sie sich auf die Bedingungen der Third Parties einlassen. „In den Verträgen der Third Parties gibt es eine Klausel, die besagt, dass sie unabhängigen Verleihern keine anderen Konditionen als den Studios anbieten dürfen“, weiß Dutoit. „Daher verlangen die Third Parties auch beim Kinoeinsatz kleiner Filme die volle VPF.“ Setzt ein unabhängiger Verleiher eine digitale Filmkopie jede Woche in einem anderen Kinos ein, so wie es im Arthouse-Bereich üblich ist, muss er in den ersten sechs Wochen bei jedem Saalwechsel erneut eine VPF-Gebühr zahlen. Dadurch sind die Kosten im Endeffekt wesentlich höher als bei der analogen Kinoauswertung, bei der rund 800 bis 1.000 Euro pro Kopie anfallen.

Hinzu kommt, dass dabei keine Transparenz gegeben ist. Die Verleiher müssen sich verpflichten, die Höhe ihrer vertraglich vereinbarten Zahlungen geheim zu halten. Dieses System hat den Argwohn in der Branche geschürt. „Die Schweizer sind immer sehr misstrauisch, wenn nicht alles in gewohnten Bahnen verläuft“, sagt Dutoit. Da die Schweiz ein sehr kleines Land sei, bestehe dort eine enge Kommunikation zwischen den Kinos und Verleihern. „Wir haben die Kinobetreiber von Anfang an gewarnt, dass wir unsere unabhängigen Filme nicht mehr auswerten können, wenn sie Verträge mit den Third Parties unterzeichnen“, berichtet der Independent-Verleiher. „Sie haben erkannt, dass das VPF-Modell der Third Parties primär auf die Bedürfnisse der Hollywoodstudios zugeschnitten ist.“

Alternatives VPF-Modell in der Schweiz

Die unabhängigen Schweizer Verleiher haben auch Gespräche mit den Third Parties XDC und Ymagis geführt. „Bei unseren Verhandlungen waren einige Third Parties bemüht, andere Lösungen zu finden, doch sie konnten uns keine Vorschläge unterbreiten, die akzeptabel gewesen wären“, verrät Dutoit. „Deshalb mussten wir unser eigenes Modell kreieren.“
Dabei wird die Höhe der VPF an die Anzahl der Kinovorstellungen eines Films geknüpft. Erst bei 63 Vorführungen wird die volle VPF in Höhe von 600 Schweizer Franken fällig. „Wird ein Film 42- bis 62mal eingesetzt, erhalten die Kinos eine VPF in Höhe von 400 Schweizer Franken und bei 21 bis 41 Vorführungen beläuft sich die VPF auf 200 Schweizer Franken.“ Spielt ein Kino einen Film nur zwanzig Mal oder weniger, bekommt es gar keine VPF.

Dieses alternative VPF-Modell sieht vor, dass 80 Prozent der Kosten für die digitale Konvertierung über die VPF finanziert werden, so dass für die Kinobetreiber ein Eigenanteil von 20 Prozent verbleibt. „Die meisten Kinos können die digitale Umrüstung über Bankkredite oder aus eigener Kraft finanzieren.“ Für Kinos, die dazu finanziell nicht in der Lage sind, hat Procinema, der Schweizer Dachverband des Kino- und Verleiherverbandes, einen Nothilfefonds mit günstigen Krediten aufgelegt.

Direktverträge mit den Hollywoodstudios

Einige Third Parties locken die Kinos mit dem Angebot, die komplette Zwischenfinanzierung für die Digitalisierung der Häuser zu übernehmen, was oftmals großen Kinoketten attraktiv erscheint.
Doch diese Leistungen der Third Parties müssen auch entsprechend bezahlt werden, so dass neben den reinen Anschaffungskosten zudem die Finanzierungskosten sowie die Overheadkosten und Gewinnmargen von den Third Parties zu Buche schlagen. Das bedeutet, dass die Verleiher dabei über die Gesamtlaufzeit einen Refinanzierungsbetrag von rund 75.000 bis 80.000 Euro pro Leinwand aufbringen müssen.
Doch auch für die Multiplex-Betreiber gibt es Alternativen. Die größte europäische Kinokette Odeon & UCI-Kinogruppe setzt auf Privatfinanzierung und hat darüber hinaus 2010 mit sechs Hollywoodstudios Direktverträge abgeschlossen, um ihre 65 Häuser mit 661 Sälen in Deutschland, Österreich und Italien digital umrüsten zu können. Inzwischen verfügen bereits 475 dieser Leinwände über ein digitales Projektionssystem.

Nach den Angaben der europäischen Filmtheaterorganisation MEDIA Salles verzeichnete Deutschland im jüngsten Erhebungszeitraum zwischen dem 1. Januar und Oktober 2011 mit 61,4 Prozent die höchste Zuwachsrate bei der Kinodigitalisierung. Die Anzahl der digitalen ausgestatteten Kinosäle hat sich in dieser Zeit von 1.239 auf 2.000 erhöht. Das statistische Schlusslicht bildet Italien, wo die Digitalisierung der Kinos mit einem Zuwachs von 18,4 Prozent nur noch schleppend erfolgt. Nach dem 3D-Boom im Jahr 2010, der ein rasantes Wachstum um 110 Prozent von 434 auf 912 digital konvertierte Leinwände zur Folge hatten, sind dort im vergangenen Jahr nur noch etwa160 Leinwände umgerüstet worden. Zurückzuführen ist dies auf die gestrichene Kinoförderung sowie den Besucherrückgang bei 3D-Filmen, der wiederum aus den höheren Eintrittspreisen für 3D-Filme und der Wirtschaftskrise resultiert.

Österreich: Freiwillige VPF an Zuschauerzahlen gekoppelt

In keinem anderen EU-Mitgliedsstaat ist die Kinodigitalisierung so stark voran geschritten wie in Österreich, wo bereits 71 Prozent der insgesamt 543 Leinwände über digitale Projektionssysteme verfügen. Während die digitale Umrüstung im Multiplex-Sektor flächendeckend abgeschlossen ist, werden die Filme in den 140 Sälen der Programmkinos und kleinen regionalen Kinos nach wie vor auf 35mm vorgeführt. Wie in anderen europäischen Ländern lehnen es auch die Programmkinobetreiber in Österreich ab, sich dem monopolistischen Integrator-Modell anzuschließen. Während dessen sind die regionalen Kinos, die nur wenig Erstaufführungen spielen, keine attraktiven Partner für die Third Parties und erhalten daher erst gar keinen Vertrag.

Auf Initiative der in der IG Programmkino organisierten Kinobetreiber wurde zwischen der Verleihern und den Kinobetreibern nunmehr ein Modell entwickelt, um alle verbleibenden 140 Leinwände in die digitale Welt mitzunehmen. „Das Modell basiert auf drei Säulen“, erläutert der unabhängige Wiener Programmkinobetreiber und Arthouse-Verleiher Michael Stejskal. „Die erste Säule ist die Fördersäule. Sie besteht aus einer Basisförderung des Kulturministeriums, einer Investitionsprämie des Wirtschaftsministeriums sowie regionalen Förderungen in unterschiedlicher Höhe. Für Programmkinos gibt es darüber hinaus eine Sonderförderung des Kulturministeriums. Die beiden anderen Säulen werden – wie international üblich – aus einer VPF der Verleiher sowie den Eigenleistungen der Kinos gebildet.“

Förderung für Klein- und Regionalkinos

Das Kulturministerium hat die Programmkinos 2011 mit 500.000 Euro unterstützt und fördert 2012 ebenfalls die Klein- und Regionalkinos mit weiteren 500.000 Euro „Der Bund zahlt diese Mittel allerdings nur, wenn sich auch die regionale Förderung beteiligt.“ Die regionale Digitalkinoförderung differiert in Österreich je nach Bundesland zwischen 10.000 und 25.000 Euro.
Zur Teilnahme an dem freiwilligen VPF-Modell hatten sich zunächst nur die Programmkinoverleiher verpflichtet. Inzwischen ist in Österreich ein VPF-Modell zum Greifen nahe, an dem sich alle Verleiher verbindlich beteiligen wollen.
„Die VPF wird an die Zuschauerzahlen gekoppelt und mit einem Euro pro Zuschauer berechnet“ erläutert Stejskal das Modell. „Sie soll pro Filmeinsatz maximal 550 Euro betragen, wovon 500 EUR an das jeweilige Kino gehen und 50 für den Verwaltungsaufwand einbehalten werden.“ Bei 300 Besuchern muss der Verleih dem Kino demzufolge 300 Euro zahlen.

Die Grundidee, dass sich die Verleiher an den Investitionen der Kinos beteiligen, hat in Österreich seit dem vor knapp 40 Jahren gestarteten Investabzugsabkommen Tradition. Die ARGE Film und Kino genießt als gemeinsame Interessenvertretung vom österreichischen Kino- und Verleiherverband das Vertrauen der Branche. Die Zahlungen der Verleiher werden zentral über diese Abwicklungsstelle eingesammelt und an die Kinos weitergegeben.
Die Laufzeit dieses Finanzierungsmodells ist auf maximal sieben Jahre angelegt. „Damit haben auch jene Kinos eine Chance, ihre Investitionen zu refinanzieren, die nur geringe Förderbeträge lukrieren konnten“, erklärt Stejskal. Bei den Programmkinos wird die Amortisierung wesentlich schneller – in schätzungsweise knapp vier Jahren – erfolgen. „Kinos mit hohen Förderungen und vielen Erstaufführungen sind vergleichsweise schnell refinanziert, wobei die Verleiher optimale Transparenz und Nachvollziehbarkeit haben, was mit ihrem Geld geschieht. Denn es gibt keine Pool-Lösung wie bei den Integratoren. Jedes Kino wird separat abgerechnet.“

VPF Hub-Modell für deutsche Marktkinos

Auch in Deutschland gibt es mittlerweile Alternativen zu den Third Parties, mit denen viele große Kinoketten Deals vereinbart haben. Für Kriterienkinos mit nicht mehr als sechs Leinwänden ist ein umfangreiches Förderpaket entwickelt worden, das neben Mitteln vom Bund, BKM und den Ländern eine Beteiligung der Verleiher in Höhe von 500 Euro pro Filmeinsatz beinhaltet. „Die Independents sowie einige mittelständische Verleiher haben bereits unterschrieben“, bestätigt Eva Matlok, Projektleiterin für digitales Kino bei der Filmförderungsanstalt (FFA). „Mit den ganz Großen gibt es erste Anfänge.“
Ein knappes Drittel der deutschen Kinoleinwände fällt allerdings nicht in diese beiden Kategorien. Für diese Marktkinos hat der deutsche Kinobetreiber und Verleiher Sven Andresen zusammen mit der niederländischen Softwarefirma MACCS International das VPF Hub Modell entwickelt. Dieses sieht vor, VPF-Beiträge von den Verleihern einzusammeln und die Gelder mit jeder Startkopie an die Kinos auszuschütten.
„Unser VPF-Modell ist wesentlich schlanker, als das der Third Parties, die auf eine erweiterte Geschäftsphilosophie setzen“, versichert Sven Andresen, Geschäftsführer von VPF Hub. „Neben der Kofinanzierung der digitalen Anlagen kommen bei ihnen Service-Dienstleistungen hinzu, die mit in Anspruch genommen werden müssen. Auch hinsichtlich der Hardware muss eine teilweise Bindung erfolgen. Wir sind hingegen rein darauf reduziert, eine Kofinanzierung von den Verleihern einzuwerben, die wir an die Kinos weitergeben.“

Solidarprinzip statt Strafen

VPF Hub übernimmt keine Vorfinanzierung, sondern die Kofinanzierung wird Stück für Stück mit jeder Startkopie erarbeitet. „Der Kinobetreiber muss die Finanzierung selbst zustande bringen und erhält nachträglich von den Verleihern für jede Startkopie entsprechende finanzielle Ausgleichszahlungen. Damit trägt der Kinobetreiber selbst das Finanzierungsrisiko, wie es auch bei einigen Third Party-Modellen der Fall ist.“
Durch den Vertrag, den das Kino mit VPF Hub abschließt, besitzt es einen Anspruch darauf, die von den Verleihern gezahlten VPF-Beträge zu bekommen. „Ein solcher Vertrag kann im Einzelfall bei der Finanzierung bei der Bank hilfreich sein, weil damit die Zusage vorliegt, Beteiligungen von den Verleihern zu erhalten.“ Wird ein Film ab dem Start drei Wochen gespielt, kann ein Kino damit eine VPF in Höhe von 500 Euro generieren. „Der VPF-Calculator errechnet anhand der Buchungslisten, welche uns die Verleiher schicken, ihren Beitrag“, erklärt der Geschäftsführer von VPF Hub. „Bei der Kalkulation müssen immer gewisse Parameter berücksichtigt werden, denn das Kino muss den Film gespielt haben. Wenn ein Film nicht drei Wochen im Einsatz war, fließt auch nicht die volle VPF.“
Zahlt ein Verleih nicht, kann der Kinobetreiber selbst entscheiden, ob er dennoch dessen Filme spielen will. „VPF Hub wird es den Verleihern nicht wie die Third Parties verbieten, auf den Leinwänden zu laufen, sofern sie keine Vereinbarung geschlossen haben. Es sollte im Interesse des Kinobetreibers sein, daran zu arbeiten, dass nicht teilnehmende Verleiher mitmachen, damit er VPFs generieren kann“, resümiert Andresen.
„Unser Ansatz sieht vor, ein einfaches pragmatisches Modell zu schaffen, das nicht von Einschränkungen, Auflagen, Restriktionen und Strafen getragen wird, sondern entfernt an ein Solidarprinzip erinnert, bei dem alle einen Beitrag leisten.“
Birgit Heidsiek
(MB 02/12)