Völlig neues Hörerlebnis

Mit dem Dolby Atmos-Soundsystem sorgt Dolby Laboratories für ein völlig neues Hörerlebnis im Kino. Einigen europäischen Journalisten wurde das System erstmals im Vorschaukino der neuen Dolby-Europa-Zentrale am Londoner Soho Square mit beeindruckenden Hörproben vorgestellt.

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Völlig neues Hörerlebnis

Dolby Atmos macht das Hörerlebnis im Kino noch authentischer. Die neue Soundtechnologie ermöglicht, neben der kanalbasierten Tonmischung und -ausspielung auch die objektorientierte. Das heißt, jedes Geräusch, jeder Ton lässt sich beliebig im dreidimensionalen Raum platzieren. Um die neue Technik nutzen zu können, ist im Kino die Installation entsprechend vieler Lautsprecher nötig, nicht nur an den Seitenwänden, der Rückwand und der Frontseite, sondern auch unter der Decke. Mit Atmos können gegenwärtig 128 Soundobjekte über bis zu 64 Lautsprecher-Positionen verteilt werden. Theoretisch wäre auch mehr möglich. „Aus rein wirtschaftlicher Sicht macht das heute allerdings keinen Sinn. Wir haben versucht eine gute Ballance zwischen Kosten und Nutzen zu finden“, meint Hubert Henle, Senior Director Content Services, ein Dolby-Geschäftsbereich, der Produktions- und Postproduktionsfirmen in Sachen Filmton unterstützt, wenn Dolby-Technik involviert ist.

Das neue Sound-System hat Dolby schon seit einem Jahr mit Filmemachern, Tonmeistern und Vertretern von Postproduktionshäusern diskutiert. Die Reaktion war bislang sehr positiv. Henle: „Das hat uns auch nicht weiter überrascht. Wir wussten, dass da ein Bedarf da ist. Im Tonbereich hat sich ja seit Anfang der 90er Jahre, seit dem 5.1 mit Dolby Digital eingeführt worden ist, nicht viel getan. Auch der Übergang zum digitalen Kino hat da keine Veränderung gebracht, sieht man mal davon ab, dass der Ton auf dem DCI unkomprimiert ist. Auf einer 35mm-Kopie ist er komprimiert. Inwieweit das dem Kinobesucher auffällt sei mal dahin gestellt.“

Viele bewerten das neue System als Paradigmenwechsel im Sounddesign. Dolby selbst geht das zu weit. „Wir betrachten Atmos mehr als ein Hybrid-System” sagt Henle. Nach wie vor würde auch bei Atmos schließlich der Großteil einer Tonmischung kanalbasiert realisiert. Nur habe man hier die zusätzliche Möglichkeit der objektorientierten Tongestaltung. Henle: „Der hybride Ansatz für die Filmtonmischung erlaubt es, Töne sowohl frei um den Zuhörer herum zu positionieren als auch nach wie vor kanalbezogen wiederzugegeben. Der Sound wird als dynamisches Objekt geleitet, das den Zuhörer bei der Wiedergabe von allen Seiten umgibt. Dolby Atmos ermöglicht eine adaptive Wiedergabe. So entsteht ein realitätsnahes Hörerlebnis – unabhängig von Umgebung und spezifischen Lautsprecherkonfigurationen in der Wiedergabeumgebung – das der ursprünglichen Vision des Regisseurs entspricht.“

„Dolby Atmos ist bis heute unsere größte Sound-Innovation und die erste Reaktion der Branche war überwältigend. Wir sind gespannt, wie die Filmemacher und Kinobetreiber in Europa auf Dolby Atmos reagieren werden“, erklärt auch Andreas Spechtler, EMEA Regional Vice President bei Dolby Laboratories. „Die Dolby Atmos Plattform bietet Filmemachern neue kreative Freiheiten, um ihre Geschichten zu erzählen“, sagt er. „Gleichzeitig demonstriert die Technologie Dolbys Engagement, die Kino- und Unterhaltungsindustrie mit neuen Technologien zu unterstützen. So können Künstler ihre kreative Vision realisieren und bestmögliche Unterhaltungserlebnisse für die Konsumenten bieten.“

Dolby Atmos sei eine End-to-End Lösung, die den gesamten Prozess der Inhaltsgestaltung berücksichtige und Mischtonmeister, Studios und Verleihe für die Verbesserung des Audioerlebnisses zusammenbringen solle. „Des Weiteren bietet die Dolby-Atmos-Plattform Kreativen eine neue Freiheit beim Erzählen ihrer Geschichten. Es vereinfache die Distribution von Filmen mit Hilfe eines einzigen Universalpakets, das Zuschauern die Idee des Künstlers in vollem Umfang wiedergibt. Die Konfiguration des Kinos spiele dabei keine Rolle“, betont Spechtler.

Hörprobe in Soho

Eine Gruppe europäischer Journalisten hatte unlängst Gelegenheit, sich im Dolby-Kino in der neuen Europa-Zentrale am Soho Square in London selbst einen Eindruck von dem neuen Soundsystem zu machen. Das kleine Dolby-Kino verfügt über 67 Sitzplätze und ist mit 32 Lautsprechern und zwei Subwoofer-Systemen ausgestattet.Für die Hörproben wurden unter anderem die Filme „Die Frau in Schwarz“ und „Mission Impossible 4“ mit Atmos neu abgemischt und Szenen daraus gezeigt. Weitere Hörproben gab es unter anderem zur Aufzeichnung eines Gitarrenspielers, die den Zuschauern den Eindruck vermittelte, als würde der Musiker um sie herum wandern. Eindrucksvoll waren auch Regenszenen. Hier hatte man das Gefühl als würde man mitten im prasselnden Regen sitzen. Dafür sorgten natürlich insbesondere die Deckenlautsprecher. Auch Geräusche wie das Poltern auf einem Dachboden gaben sie sehr authentisch wieder.

Der erste Film, der mit Dolby-Atmos-Sound produziert wurde, ist „Brave“ von Disney Pixar, der hierzulande als „Merida – Legende der Highlands“ am 2. August in die Kinos gekommen ist. Weitere Filmprojekte mit Atmos sind laut Henle geplant aber noch nicht spruchreif.

Atmos-Workflow

Die bei der Mischung generierten Metadaten zur Positionsbeschreibung der Soundelemente werden zusammen mit 5.1- oder anderen Tonmischungen als „Auxilary Data“ in einem Digital Cinema Package (DCP) abgelegt und auf den Kinoserver übertragen. Beim Abspielen werden diese Daten dann über eine Netzwerkverbindung (LAN) aus dem Server einfach nur an den Dolby-Kino-Prozessor gestreamt, der dann entsprechend der Metadaten die Lautsprecher bespielt. Der Prozessor muss einmal für die Lautsprecherausstattung des jeweiligen Kinosaals konfiguriert werden. Dolby bietet dabei Hilfestellung an. Im Prozessor wird bei der Kinoinstallation hinterlegt wie viele Lautsprecher im Kino sind, wo die positioniert sind und welche technische Eigenschaften die haben. Henle: „Es ist also eine einmalige Konfiguration nötig. Das ist Teil der Gesamtinstallation. Dann rechnet der Prozessor die Metadaten so um, dass es in diesem Raum optimal wiedergegeben wird. Theoretisch könnte man den Ton auch in eine 5.1 oder 7.1 Anlage rendern. Im DCP-Bereich ist auch der herkömmliche 5.1 Mix vorhanden. Das heißt, Kinos die nicht aufgerüstet sind, können das DCP auch abspielen ohne irgendwelche Änderungen. Insofern: Das Format ist abwärtskompatibel ebenso wie auch Atmos selber auf eine andere Anzahl an Lautsprechern.“ Die Vermarktung von Dolby Atmos soll ab Anfang 2013 mit der Verfügbarkeit des Kino-Prozessors gestartet werden.In Europa gibt es bislang nur zwei Kinos, die für Dolby Atmos ausgerüstet sind – das Cinesa Diagonal Mar in Barcelona und das Empire Leicester Square in London. In den USA und Canada gibt es gegenwärtig nur 14 Atmos-Kinos und in Asien vier.

Geometrische Aufgabe

Postproduktionshäuser und Mischstudios, die mit Dolby Atmos arbeiten wollen benötigen eine ähnliche Lautsprecherausstattung wie die Kinos. „Da müssen insbesondere noch die Overheadlautsprecher installiert werden. Die Zahl der Lautsprecher ist eine Frage der Raumgeometrie. Es gilt den richtigen Abstand der Lautsprecher zueinander zu berechnen und den richtigen Abstrahlwinkel der Lautsprecher (Max. 30 Grad zwischen den Lautsprechern) zum Auditorium zu generieren, um eine kontinuierliche Bewegung der Schallquellen zu gewährleisten. Das ist im Prinzip eine geometrische Aufgabe“, sagt Henle. Ein durchschnittliches Mischstudio von zwölf Meter Länge und neun Meter Breite, also rund 120 Quadratmetern, würde über den Daumen gepeilt an jeder Seite und an der Rückwand jeweils sieben Lautsprecher brauchen, und unter der Decke zwei Reihen à sieben. „Zum Teil sind die Lautsprecher ja schon da und können weiter verwendet werden. In den meisten Fällen müssen nur noch welche hinzugefügt werden, meist nach vorne hin zur Leinwand, um den Kreis zu den Lautsprechern hinter der Leinwand und unter der Decke zu schließen“, meint Henle. Neben den Lautsprechern benötigen die Studios sogenannte „Panner“ um Tonelemente im Raum zu positionieren. Dolby bietet diese im Moment nur als Plug-In für ProTools-Systeme an, die bei Mischbetrieben eine Art De-fakto-Standard darstellen. „Wir sind dabei mit anderen Herstellern zu reden, um die Panning-Tools auch in deren Geräte zu integrieren – insbesondere in Mischpulte.

Es gibt schon erste Übereinkünfte zum Beispiel mit US-Hersteller Harrison. Der hat schon Anfang Juli ein entsprechendes Abhörmodul für seine Mischpultserie vorgestellt. In den nächsten Wochen und Monaten werden auch andere Lösungen von weiteren Herstellern zu sehen sein“, verspricht Henle.

Das von Dolby bereit gestellte Mastering-Tool nimmt alle Audioinformationen auf und verpackt sie so, dass sie im Digital Cinema Package (DCP) zur Distribution an die digitalen Kinos untergebracht werden können. Ein besonderes Lizenzmodell wird es dabei nicht geben. „Wir haben schon immer ein Geschäftsmodell gepflegt, wo wir mit den Filmproduktionsfirmen für jeden Film ein Service Agreement geschlossen haben, und das beinhaltete auch immer die Bereitstellung der entsprechenden Geräte wie Encoder, um Soundtracks herzustellen. Das werden wir auch in Zukunft so machen. Die Vereinbarungen mit den Filmfirmen beinhalten dann das Mastering-Tool und die Unterstützung der Produktionsfirma bei ihrer Arbeit durch einen Dolby-Ingenieur“, erklärt der Henle.

Vertraute Technik

Toningenieure und Sounddesigner sind nach seinen Angaben schnell mit den Atmos-Produktionsmethoden vertraut. Henle: „Das objektbezogene Arbeiten ist im Grunde für einen Sounddesigner nichts Neues. Der versteht schnell, worum es geht. Eine Audioworkstation wie ProTools ist ja im Prinzip ein objektbasiertes System. Jedes Audioereignis in diesem System ist ein Objekt und wird getrennt im Speicher gehalten. Nur was das System ausgibt ist kanalbezogen. Wir brechen diese Verbindung nun auf und lassen die Objekte beziehungsweise Audioereignisse bis zur Wiedergabe getrennt. Statt kanalbezogen zum Beispiel in 5.1 oder 7.1 abzumischen werden bei Atmos die im ProTools generierten Positionsdaten separat aufgenommen in die Kinos geschickt und dort optimiert auf die jeweilige Lautsprecherpositionen gerendert. Das heißt, das handwerkliche ist so verschieden gar nicht. Es geht nur darum, wie die Daten die man generiert, weiterverarbeitet werden.“ Aber natürlich sei ein bestimmter Umdenkungsprozess bei den Tonmeistern und Sounddesignern erforderlich wie sie ihre Sounds vorbereiten, wo Tonobjekte separiert und wo sie kanalbezogen verarbeitet werden können.

Atmos ist übrigens auch nicht das erste Verfahren, das über die kanalbezogene Tongestaltung hinausgeht. So hat zum Beispiel ein Entwicklerteam um Professor Karlheinz Brandenburg vom Fraunhofer-Institut viele Jahre an der Verbesserung des Raumklanges gearbeitet und auf der IFA 2003 mit Iosono ein neues Soundsystem vorgestellt, das auch mit einer Vielzahl an Lautsprechern arbeitet. Ein Jahr später wurde in Erfurt mit der IOSONO GmbH vom Fraunhofer Institut ein Unternehmen für 3D-Audio-Lösungen ausgegründet.

„Auch andere Ansätze, die über 5.1 raus gehen, gab es in der Vergangenheit. Im Kino waren sie bislang jedoch nicht erfolgreich. Das wollen wir jetzt ändern“, betont Henle. Der Dolby-Manager ist zuversichtlich, dass das klappt. Schließlich habe sein Unternehmen eine starke Marktposition und profitiere von langjährigen Kooperationen und besten Beziehungen zu den wichtigsten Content-Produzenten. „Unsere Lösung ist außerdem besser als alles andere auf dem Markt. Wir sind da sicherlich sehr konkurrenzfähig und haben eine gute Chance mit Atmos einen neuen Standard zu setzen“, erklärt er.
Eckhard Eckstein
(MB 09/12)