Kino steht im Mittelpunkt

Die 61. Internationalen Filmfestspiele Berlin sorgen vom 10. bis zum 20. Februar 2011 nicht nur für Glanz und Glamour in der Hauptstadt, sondern bieten auch dem Kino des 21. Jahrhunderts eine Plattform. Erstmals erhalten filmische 3D-Experimente Einzug in das Festival.

3
Kino steht im Mittelpunkt

„Unser 3D-Sonntag zeigt, dass es durchaus auch Arthousefilme auf hohem Niveau in 3D gibt“, erklärt der Festival-Direktor Dieter Kosslick. Zum ersten Mal präsentieren die Internationalen Filmfestspiele Berlin in ihrem offiziellen Programm drei Stereo 3D-Produktionen. Im Wettbewerb um den Goldenen Bären konkurriert das französische Animationsfilmmärchen „Les contes de la nuit“ (Tales Of The Night) von Michel Ocelot, das als Scherenschnitt-Stopmotion in 3D konzipiert worden ist. Im Wettbewerb außer Konkurrenz läuft „Pina“, mit dem Wim Wenders einen abendfüllenden Tanzfilm in 3D über das Tanztheater Wuppertal der verstorbenen Choreographin Pina Bausch liefert. Dieses Werk nimmt den Zuschauer auf eine bildgewaltige Entdeckungsreise in eine neue Dimension mit, denn sein Film spielt nicht nur auf der Bühne, sondern Wenders begleitet die Tänzer hinaus aus dem Theater in die Stadt und das Umland von Wuppertal.

Dokumentarfilm in 3D

Die Erfahrung, dass durch das stereoskopische 3D-Format im Dokumentarfilm ein anderer Zugang zur Realität geschaffen wird, vermittelt auch Werner Herzog in seiner Dokumentation „Cave of Forgotten Dreams”, die als Sondervorführung auf der Berlinale vorgestellt wird. Darin führt Herzog den Zuschauer auf eine Reise zum Ursprung der Bilddarstellung; zu den Höhlenmalereien von Chauvet-Pont-d’Arc in Südfrankreich. Die erst 1994 entdeckte Höhle birgt über 500 Wandbilder mit gemalten und gravierten Tier- und Symboldarstellungen, die sich dank einer herabstürzenden Felswand am Höhleneingang in gutem Zustand befinden. Um die Malereien zu schützen, durfte der Filmemacher dort nur eine Stunde am Tag drehen und dabei ausschließlich kalte Lichtquellen einsetzen. In „Cave of Forgotten Dreams” lässt Herzog den Betrachter live in diese aufregende vergangene Welt eintauchen. „Diese Filme zeigen, dass stereoskopisches 3D auch ein Stilmittel sein kann, welches sich im Arthouse-Bereich einsetzen lässt“, erklärt Kosslick.

Angesichts der neuen Formen und Tendenzen im Weltkino, versteht sich die Berlinale zugleich als eine Kunstausstellung für den Film. Mit ihrem Spielfilm „The Future“ in den Wettbewerb eingeladen ist die amerikanische Performance-Künstlerin Miranda July, in dem sie schildert, wie sich ein junges Paar durch permanenten Internetkonsum zunehmend voneinander entfremdet. Mit diesem Phänomen setzt sich auch der argentinische Filmemacher Gustavo Taretto in seinem Debütfilm „Medianeras“ auseinander, der im Panorama vorgestellt wird. Eine junge Schaufensterdekorateurin und ein Webdesigner, für den das Internet als wichtigster Kommunikationskanal zur Außenwelt fungiert, laufen sich in Buenos Aires ständig über den Weg, ohne zueinander zu finden. Produziert worden sind beide Filme in international-deutscher Koproduktion. An „The Future“ ist die Berliner Razor Filmproduktion beteiligt, während „Medianeras“ mit Unterstützung der Berlinale-Initiative World Cinema Fund von Pandora Film in Köln produziert worden ist.

Die permanente Online-Präsenz, die ständige Ablenkung durch das Handy und die sozialen Netzwerke führen dazu, dass es jungen Filmemachern mitunter schwer fällt, sich auf das Drehbuchschreiben oder die Finanzierung ihres Projektes zu konzentrieren. „Beim Berlinale Talent Campus möchten wir ihnen vermitteln, dass es durchaus sinnvoll sein kann, abzuschalten, um sich auf die wesentlichen Vorhaben zu besinnen“, erklärt Matthijs Wouter Knol, Programm-Manager vom Campus. Zugleich zielt diese kreative Nachwuchsplattform darauf ab, die Möglichkeiten auszuschöpfen, die das neue digitale Medienzeitalter bietet.

Dazu gehört die „5D Conference“, zu der sich internationale Designer, Künstler und Wissenschaftler zusammengeschlossen haben, um sich mit aktuellen Gestaltungsmöglichkeiten in Film und Neuen Medien auseinanderzusetzen. Bereits im Vorfeld zur Berlinale haben angehende Production-Designer sich mit diesen Experten über das Netz darüber ausgetauscht, wie sich digitale Werkzeuge in Filmen oder auch Games einsetzen lassen, um virtuelle Räume zu kreieren. Auf der Berlinale wird diese Diskussion unter dem Titel „Spiel als Prozess: Das Gestalten und Spielen mit virtuellen Welten“ fortgesetzt, an der hochkarätige Branchenvertreter wie Alex McDowell, Production-Designer von „Minority Report“ und „Charlie und die Schokoladenfabrik“ sowie der indische Regisseur Shekhar Kapur („Elizabeth: Das goldene Königreich“) teilnehmen. Nach dieser Offline-Runde wird die Debatte wieder online fortgesetzt.

Beim Campus sollen die Newcomer zudem lernen, Position zu beziehen und auszudrücken, was sie persönlich bewegt. „Jeder, der ins Entertainment-Geschäft einsteigt, sollte sich positionieren“, bekräftigt Kosslick. Bei der Positionierung ginge es darum, eine eigene Idee in einer bestimmten Kunstform zu vermitteln. Ein aktuelles Berlinale-Beispiel sei der Film „Stuttgart 21“, der in der Perspektive Deutsches Kino läuft. “Zwei junge Filmstudenten aus Ludwigsburg positionieren sich mit der Art und Weise, wie sie die Demonstration und die Vorgänge bei ‚Stuttgart 21’ gefilmt haben“, erläutert der Berlinale-Chef. „Sie haben das auf eine sehr spezielle Art aufgenommen. Diese Bilder wirken so wenig aggressiv, dass der Betrachter beim Zuschauen eine Aggressivität entwickelt.“

Diskussionsrunde mit iranischen Filmemachern

Klare Position hat ebenfalls der preisgekrönte iranische Filmemacher Jafar Panahi, der als Mitglied in die Wettbewerbsjury berufen worden ist, jedoch in seiner Heimat aufgrund seiner systemkritischen Filme zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe und Berufsverbot verurteilt worden ist. Um die Weltöffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen und ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen, zeigt die Berlinale in verschiedenen Sektionen Filme von Panahi. Sein Erfolgsfilm „Offside“, für den er 2006 den Silbernen Bären auf der Berlinale gewonnen hat, wird zum Auftakt am 11. Februar, dem Jahrestag der iranischen Revolution, vorgestellt. Geplant ist auch eine Diskussionsrunde mit iranischen Filmemachern zum Thema Kunst und Zensur.

Ein regelrechter Run herrscht auch diesmal auf den European Film Market (EFM), zu dem sich Aussteller aus über 50 Ländern angemeldet haben. Die Ausstellungsflächen des EFM im Martin-Gropius-Bau und im Marriott Hotel am Potsdamer Platz sind dementsprechend ausgebucht. „Angesichts struktureller und technischer Veränderungen in der Filmindustrie entwickelt sich der EFM weiter, um alle neuen Bedürfnisse der Branche zu erfüllen“, erläutert die EFM-Direktorin Beki Probst. Das umfangreiche Angebot an über 600 Filmen mit zahlreichen Marktpremieren wird in 34 modern ausgestatteten EFM-Kinos präsentiert. Nach der positiven Resonanz im Vorjahr und dem anhaltenden Wachstum des 3D-Segmentes werden hierfür beim Markt verstärkt Vorführmöglichkeiten angeboten.

Market-Screenings im cubix

Um der großen Nachfrage nach Marktvorführungen nachzukommen, werden weitere Market-Screenings im Cubix am Alexanderplatz stattfinden. „Alle Slots sind ausgebucht“, unterstreicht Kosslick. Zu den prominenten Gästen, die den Filmmarkt besuchen, soll sogar die Popsängerin Madonna gehören. „Ihre Firma hat bereits eine Privatvorführung bei uns gebucht.“

Um den Auslandsvertrieb deutscher Filme zu unterstützen, hat die Berlinale zusammen mit der Deutschen Filmakademie und Germans Films, die Initiative German Cinema – LOLA@berlinale ins Leben gerufen. Unter diesem Label sollen alle 38 Filme, die eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis erhalten haben, in untertitelter Fassung den ausländischen Gästen vorgeführt werden. Das Programm bleibt Bestandteil des European Film Market. „Diese neue Kooperation wird dem deutschen Film eine echte Marktchance geben“, betont der Berlinale-Chef. Auch im Programm der Berlinale ist der deutsche Film stark vertreten.

Allein im Wettbewerb befinden sich neben den deutschen Beiträgen „Wer wenn nicht wir“ von Andres Veiel und „Almanya – Willkommen in Deutschland“ von Yasemin Samdereli zehn international-deutsche Koproduktionen. Für einige dieser Filme wird auch in den Kinos am Stadtrand der rote Teppich ausgerollt. „Wir führen die Initiative „Berlinale goes Kiez“, die wir zu unserem 60. Geburtstag gestartet haben, weiter fort, weil sie ein großer Erfolg war“, bekräftigt Kosslick. „Bei dieser Initiative wird das Kino in den Mittelpunkt des Festivals gerückt, denn das Kino wird oft vergessen, wenn über Filme geredet wird.“
Birgit Heidsiek
(MB 02/2011)