Kurz vor der nationalen Flächendeckung

Auf der IFA 2013 präsentierte die „Initiative Digitalradio Deutschland“, ein Zusammenschluss von ARD, Deutschlandradio, einigen privaten Radios und MEDIA BROADCAST, den neuesten Stand der Dinge rund um DAB+. Dabei stellte speziell das Deutschlandradio die Mobilität und Umweltfreundlichkeit des digitalen Antennenradios auch im Vergleich zum Internet-Radio in den Mittelpunkt. Nach Plan soll das nationale DAB+-Sendenetz 2015 flächendeckend in Deutschland verbreitet sein. Doch es gibt auch noch Widerstand gegen DAB+.

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Kurz vor der nationalen Flächendeckung

Zwar ist Radio in Deutschland im Vergleich zum Fernsehen noch relativ weit von einer vollständigen Digitalisierung entfernt. So ist bislang auch noch kein Abschalttermin für UKW in Sicht. Doch unter Berücksichtigung, dass der neuerliche Versuch, Digital Audio Broadcasting (DAB) in Form des optimierten Standards DAB+ nach seinem Flopp um die Jahrtausendwende erst seit dem 1. August 2011 wieder in Angriff genommen worden war, ist mit Stand zur IFA DAB+ schon eine ausgezeichnete Verbreitung erreicht. So werden, je nach Bundesland, regional und lokal bereits 80 bis 90 Prozent der Fläche von ARD-Radios und einigen regionalen privaten Radios zusätzlich zu UKW digital via Antenne ausgestrahlt. Die einzelnen ARD-Anstalten nutzen dafür ihre eigenen Sendestationen, die auf DAB+ aufgerüstet werden. Für private Radiosender werden DAB+-Frequenzen von den jeweiligen Landesmedienanstalten vergeben. Besonders fortgeschritten ist die Situation in Bayern, wo es bereits mehr Programme im DAB+-Standard als UKW-Programme gibt.

Im Digitalradio sind nach Angaben vom Deutschlandradio bundesweit insgesamt bereits 143 Programme vertreten. Wobei das Besondere an DAB+ im Vergleich zu UKW ist, dass neben lokalem und regionalem Hörfunk nun auch bundesweites Radio über den Aufbau eines nationalen Sendernetzes (bundesweiter Multiplex) möglich geworden ist. Dieses Netz wird von Media Broadcast aufgebaut und betrieben. Seit August umfasst es 53 verteilte Sendestationen im Bundesgebiet. Damit versorgt Media Broadcast nun auch 73 Prozent aller Bundesautobahnen. Mit dem Effekt: Man kann neuerdings auf langen Strecken eine einmal eingeschaltete Radiowelle von Norden nach Süden in bester Tonqualität und bei hoher Geschwindigkeit durchweg hören. Das gilt für die drei Programme des Deutschlandradios (Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur und DRadio Wissen) sowie weitere zehn private Spartenprogramme wie etwa Energy, sunshine live, Radio BOB!, KISSFM, klassik radio oder der katholische Kirchenfunk radio horeb. All diese Sender sind nun nach Media-Broadcast-Angaben „in mehr als die Hälfte der Fläche Deutschlands“ verbreitet. Wie ein Sprecher der Media Broadcast auf Anfrage erläutert, sind für 2014/2015 die weiteren Ausbauschritte hin zur Vollversorgung geplant. „Zur neutralen und abgestimmten Planung“ tausche man sich „kontinuierlich mit Deutschlandradio, den privaten Radioveranstaltern, den Landesmedienanstalten und der ARD“ aus. Es sei aber noch „zu früh, um konkrete Details bezüglich weiterer Standorte und Aufschaltungen“ zu nennen.

Lokal, regional, national: Insgesamt, so stellte die Initiative Digitalradio Deutschland in einer Pressemitteilung zur IFA fest, sei der Netzausbau für das Digitalradio so dynamisch erfolgt, dass es mittlerweile 90 Prozent der Bevölkerung empfangen können. Zudem sind mittlerweile 260 verschiedene digitale Radiogeräte im Handel erhältlich. Sie liegen im Preis zwischen 25 und 250 Euro und wurden von verschiedensten Herstellern in den IFA-Hallen gezeigt. So gut wie alle Geräte bieten neben DAB+ auch UKW. Höherwertige Geräte sind hybrid ausgerichtet. Man kann mit ihnen auch das Internet-Radio via WLAN empfangen. Aktuell seien bereits „über eine Millionen DAB+-Empfangsgeräte in Betrieb“. Das sei „eine sehr gute Entwicklung“. Zwar sind, so weiß man, in Deutschland insgesamt 150 Millionen ältere, meist UKW-Radiogeräte verbreitet, doch viele davon werden gar nicht genutzt. Hingegen wird immer mal wieder ein neues, auch schickeres Radiogerät gekauft.

Obwohl also eine flächendeckende Vollversorgung in 2015 mit Digitalradio in greifbarer Nähe gerückt ist, so dass auch über eine Abschaltung von UKW nachgedacht werden könnte, gibt es in Deutschland von einigen Interessensgruppen immer noch großen Widerstand. Vor allem seitens großer privater Radiosender wie RTL, Radio Hamburg oder ffn radio Niedersachsen, der sich auch im Verband VPRT oder bei den jeweils zuständigen Landesmedienanstalten artikuliert. Speziell die großen regionalen Platzhirsche unter den privaten Radios wehren sich gegen die Digitalisierung, weil sie damit einen noch stärkeren Wettbewerb mit neuer terrestrischer Konkurrenz in ihrem Sendegebiet befürchten, weiß etwa Rechtsanwalt und Digitalradio-Experte Helmut G. Bauer, der nach eigenen Angaben sowohl die ARD als auch private Radios berät.

Weil die komplette Digitalisierung die UKW-Engpässe für die Verbreitung von Radio öffnen würde, könnten sich beispielsweise schon regional etablierte Spartensender blitzschnell dann auch bundesweit verbreiten. Und auch die gegenwärtigen Abstimmungen zwischen den einzelnen privaten Radios, die auf dem nationalen Multiplex sind, Deutschlandradio und Media Broadcast zum weiteren Ausbau bis 2015 seien nicht einfach, weil sich die einen aufgrund ihrer Zielgruppenorientierung lieber zunächst in der Schwäbischen Alb, die anderen lieber stärker an der Ostsee ausgebreitet sehen möchten.

Indessen setzt Deutschlandradio-Intendant Dr. Willi Steul „voll auf Digitalradio“ und sieht „im Digitalradio die Zukunft“ seines Senders. Dafür hat er viele Gründe und Argumente in Petto. Obwohl Deutschlandradio mit dem Rundfunkstaatsvertrag beauftragt ist, seine Programme bundesweit verfügbar zu halten, ist das aufgrund der bestehenden UKW-Engpässe heute nicht möglich. Das kann erst mit dem flächendeckenden Ausbau des nationalen Multiplex erreicht werden. Und obwohl jeder Haushalt in Deutschland mit seinem Rundfunkbeitrag auch einen Beitrag für den Empfang von Deutschlandradio entrichtet, kann nicht jeder Einzelne tatsächlich die Programme empfangen. Das möchte Steul in Zukunft korrigiert wissen.

UKW-Abschaltungstermin gefordert

Unter anderem, weil ein Drittel aller Deutschlandradio-Hörer die Programme mobil in ihrem Auto hören, hat der Sender „Mobilität“ anlässlich der diesjährigen IFA und überhaupt zu seinem Hauptanliegen und Schwerpunktthema postuliert. Aber können nicht diejenigen Hörer, die die Programme von Deutschlandradio unbedingt mobil empfangen wollen, dies auch über das Internet-Radio tun? Internet, so meint Steul, sei im Vergleich zur potentiellen flächendeckenden Verbreitung des Digitalradios „nicht überall verfügbar“. Oder nur so, dass der Hörer zusätzlich zu dem ohnehin schon entrichteten monatlichen Rundfunkbeitrag noch extra für den technischen Empfang zahlen müsse.

Tatsächlich kann man zwar mit einer Flatrate für die Mobilgerät-Nutzung, wenn man im WLAN unterwegs ist, auch Deutschlandradio ohne Zusatzkosten abrufen. Doch die Räumlichkeit für WLAN ist stark begrenzt. Und die Mobilfunknetze für UMTS und LTE seien längst nicht so weit wie das digitale Antennenradio mit seiner Broadcast-Funktion verbreitet, weiß Steul. Und er argumentiert außerdem ökologisch. Seiner Meinung nach ist das Digitalradio DAB+ wegen seiner Broadcast-Funktion (ein Sender bedient viele Menschen) wesentlich umweltfreundlicher, weil energiesparend und gleichzeitig kostengünstiger für den Sendeveranstalter als UKW. Im Vergleich zu einem UKW-Sender verbraucht ein DAB+-Sender „nur ein Viertel des Stroms“, berichtet er. Und im Vergleich zum Internet-Radio, das immer nur eine 1:1-Verbindung zwischen Sender und Nutzer aufbaut, sei der Bandbreitenbedarf bei DAB+ niedriger. Dagegen sieht Steul in Sachen Klangqualität „kaum einen Unterschied“ zwischen DAB+-Signalen und Internet-Audiostreams. Steul weist darauf hin, dass man Smartphones, ebenso wie alle neuen Radiogeräte, mit dem derzeit für drei bis vier Euro verfügbaren „Euro-Chip“ ausrüsten könne, um so die Digitalisierung im Radiobereich europaweit zu beschleunigen. Zusammen mit der BBC hat Deutschlandradio dies bereits in einer Empfehlung an die EU angeregt. Auch die EBU (European Broadcast Union) unterstützt den Chip-Einsatz.

In vielen europäischen Ländern wie Großbritannien, Schweden, Spanien oder Dänemark ist man in Sachen Abschaltung von UKW-Frequenzen oder serienmäßigen Einbau vom DAB+-Empfang in Automobilen schon viel weiter als in Deutschland. Deshalb spricht sich Steul auch für einen klug abgestimmten Termin für die Abschaltung von UKW in Deutschland, beispielsweise im Jahr 2020 aus.

Die Zukunft des modernen Radios vor allem auch im Automobil liege speziell auch in den Zusatzdiensten, die via DAB+ insbesondere in der Verkehrsinformation möglich werden, meint Steul. Da ist sein Pressesprecher Carsten Zorger ganz euphorisch. Er meint, damit könne man sogar „Leben retten“. Der Zusatzservice via DAB+ könne für gar nicht einmal so hohe Kosten beispielsweise dazu führen, dass man Geisterfahrer auf der Autobahn blitzschnell identifiziert – und damit gefährdete Autofahrer nicht erst nach der nächsten Verkehrsdurchsage, sondern subito auf die nächste Autobahnausfahrt lenkt.

Doch erst einmal geht es nicht um Visionen, sondern Deutschlandradio will zusammen mit den beteiligten Privatradios DAB+ in Deutschland final „partnerschaftlich“ flächendeckend durchsetzen, sagt Zorger. Dazu gehöre auch, dass man die Frage nach der Refinanzierung der Privatradios ernst nehme und zusammen mit ihnen dafür sorgen wolle, dass sie auch regionalisierte Werbung ausstrahlen können.

Kann DAB+ in Deutschland trotz allen Aufschwungs, der zurzeit auch mittels Marketing insbesondere Richtung Automobilindustrie und dem Fachhandel für Radios von der Initiative Digitalradio Deutschland betrieben wird, noch scheitern? „Ja“, sagt Experte Bauer. „Wenn die KEF kein Geld mehr gibt“ für ARD und Deutschlandradio „und sich die Privaten total verschließen“. Andererseits weist Bauer auf bindendes EU-Recht hin: Eine EU-Richtlinie für die Verkehrsinformation in Autos schreibt Vorgaben für ganz Europa vor, die nur mit dem Digitalradio realisiert werden können.
Erika Butzek
(MB 10/13)

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