ARD: Zwischen Kalkulationsrealismus und Digitalisierung

Beim TV-Gipfel auf den Medientagen München spricht ARD-Programmdirektorin Christine Strobl über die Bedeutung der ARD-Mediathek und die Zukunft des linearen Fernsehens.

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Christine Strobl auf den Medientagen München 2024
Christine Strobl auf den Medientagen München 2024

Beim TV-Gipfel auf den Medientagen München betonte ARD-Programmdirektorin Christine Strobl im Interview mit Torsten Zarges und im Diskurs mit anderen Medienmanagern von Netflix, RTL, ProSiebenSat.1 und Banijay die wichtige Rolle der ARD-Mediathek und sieht in der Digitalisierung große Chancen. Sie sprach über die Komplementarität von linearem Fernsehen und Streaming und wie die ARD sich im Wettbewerb positioniert.

Lineares Fernsehen bleibt stark

„Ich würde es immer als etwas Komplementäres betrachten“, entgegnet Strobl auf die Frage, wie sich die Gewichtung beziehungsweise die Wertschätzung zwischen dem Ersten und der Mediathek verändert. Das lineare Fernsehen sei zweifelsohne weiterhin ein wichtiger Pfeiler der ARD. Sie betonte, dass das klassische Fernsehen nach wie vor eine enorme Reichweite habe. „Eröffnungsfeiern von Olympischen Spielen werden von über zehn Millionen Menschen gesehen, die Tagesschau erreicht abends knapp zehn Millionen Zuschauer“, sagte sie. Dieser Schatz müsse geschützt und ausgebaut werden. Prognosen über den Niedergang des linearen Fernsehens hätten sich nicht bewahrheitet. Vielmehr stagniere die Nutzung auf hohem Niveau – “das ist doch was Tolles”, befindet Strobl.

Die Mediathek als Chance

Gleichzeitig sieht Strobl in der Mediathek eine große Chance für die ARD. Sie betrachtet sie als Ergänzung zum linearen Programm und nicht als Konkurrenz. „Wir haben eine komplett neue Möglichkeit zu erzählen“, erklärte sie. Durch die Mediathek könne man neue Formen und Längen nutzen und somit ein breiteres Publikum erreichen. Sie ist stolz darauf, wie sich die ARD-Mediathek in den letzten Jahren entwickelt hat. „Wenn man sie sich heute anschaut, sieht sie komplett anders aus als noch vor drei Jahren“, sagte sie. Die Digitalisierung biete riesige Möglichkeiten und Chancen, die die ARD aktuell gut nutze, um das Publikum zu erreichen.

TV-Gipfel auf den MTM 24: (v.l.) Katja Hofem, Inga Leschek, Christine Strobl, Henrik Pabst, Marcus Wolter, Torsten Zarges

Information und Dokumentation neu gedacht

Besonders im Bereich der Dokumentation sieht Strobl eine positive Entwicklung. Sie ist der Ansicht, dass Dokumentationen in Zeiten, in denen die Gesellschaft droht auseinanderzudriften, besonders wichtig sind. „Da ist gerade eine Dynamik drin“, sagte sie. Internationale Streamer hätten dazu beigetragen, dass Dokumentationen wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen. Durch die Mediathek könne man dokumentarische Inhalte in neuer Form präsentieren und Menschen für längere Zeit an Themen binden.

Neue Formate für jüngere Zielgruppen

Um auch jüngere Zuschauer zu erreichen, setzt die ARD auf neue Formate und Talente. Strobl erwähnte Louis Klamroth als Beispiel, mit dem sie neue Formen für die Mediathek entwickeln wolle. „Wir müssen Informationen oder politischen Talk in andere Formen bringen“, erklärte sie. Auch bestehende Formate würden überarbeitet, um sie zeitgemäßer zu gestalten. „Wer Sandra Maischberger erlebt hat, wie sie ihr Talk-Konzept verändert hat, sieht ein komplett anderes Format als noch vor drei Jahren“, sagte Strobl.


Apropos neue Formate: Die Tagesschau startet mit “tagesschau together” ein neues Nachrichtenformat auf Twitch und setzt dabei auf Interaktion mit der Community.


Konkurrenz als Antrieb zur Innovation

Diese Veränderungen im Programm sei auch der zunehmenden Konkurrenz durch private Sender und internationale Streamingdienste zu verdanken, meint Stobl. „Uns haben zunächst die Privaten gut getan, um es einfach ganz offen zu sagen. Das ist ein duales System in Deutschland, was den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, glaube ich, besser gemacht hat“, meinte Stobl offen. Die Internationalisierung des deutschen Marktes habe die ARD dann dazu gebracht, sich internationalen Standards anzupassen und relevant zu bleiben. „Es hat uns erzählerisch vorangebracht“, sagte sie. Die Konkurrenz zwinge die ARD, sich weiterzuentwickeln und neue Wege zu gehen. Sie betonte, dass es nicht gut sei, sich abzuschotten, da das Publikum einen Anspruch darauf habe, dass die ARD sich bemühe und sich in Konkurrenz begebe.

Verantwortung für die Produktionslandschaft

Strobl hob auch die Verantwortung der ARD für die deutsche Produktionslandschaft hervor. Sie betonte, dass die ARD jährlich 860 Millionen Euro in den deutschen Markt investiere, sowohl in große als auch in kleine Produktionsfirmen. „Wir brauchen eine Mischung zwischen großen und kleinen Produzentinnen und Produzenten“, sagte sie. Diese Vielfalt sei wichtig, um deutsche Geschichten mit eigener Sprache zu erzählen. Sie betonte deshalb die Notwendigkeit von Kalkulationsrealismus, um das Überleben der Produzenten zu sichern, insbesondere angesichts steigender Kosten und begrenzter finanzieller Mittel.

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