Broadcast-Signal bleibt Killerapplikation

Die Verbindung von Broadcast und Internet ist mittlerweile keine technologische sondern eine redaktionelle Herausforderung. Das unter vielen anderem stellt ZDF-Produktionsdirektor Dr. Andreas Bereczky im MEDIEN BULLETIN-Interview fest, bei dem es um State-of-the-Art und die weiteren DigitalisierungsEntwicklung im Broadcastmarkt und speziell in der ZDF-Senderfamilie geht.

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Broadcast-Signal bleibt Killerapplikation

Vor rund sechs Jahren begann das ZDF seine Mediathek als Video-On-Demand-Angebot auszubauen. Haben Sie damit gerechnet, dass es so schnell so rege genutzt wird?

Wir haben es erhofft.

War es planbar, dass sich das offene Internet so rasant als zusätzlicher Distributionsweg für TV-Programme entwickeln wird?

Es war zumindest vorhersehbar. Denn man konnte seinerzeit bereits erkennen, dass das Internet schnell in der Lage sein wird, Videos zu übertragen, auch wenn es damals noch kaum Videos im Internet gab. Heute repräsentiert der Abruf von Videos die größte strukturelle Nutzung im Internet und beansprucht deshalb auch den größten Anteil an der zur Verfügung stehenden Bandbreite.

Die zeitvernetzte Fernsehnutzung hat sich nun längst nicht nur über stationäre PCs etabliert, sondern auch via Smartphones, Tablet PC und SmartTV, die dafür die entsprechenden Apps anbieten. Zeichnet sich bereits ein Trend ab, über welche Endgeräte ZDF-Programme am häufigsten genutzt werden?

Wir können keine Trends erkennen weil man im Internet vieles nicht messen kann, beziehungsweise es aus Datenschutzgründen nicht messen darf. Noch ist die technische Messung für Sender nicht standardisiert und elektronisch nicht eindeutig erfassbar. Was wir dennoch erkennen ist, dass die mobile Nutzung zunimmt. Das sehen wir an den Apps die heruntergeladen werden. Das „heute App“, das wir Ende Februar auf den Markt gebracht haben, wurde beispielsweise innerhalb von wenigen Tagen 250.000 mal heruntergeladen (iOS und Android). ZDF-Programme erfreuen sich auch als Apps auf Smartphones und Tablets großer Beliebtheit. Insgesamt verzeichneten wir 2012 etwa 400 Millionen Sichtungen unserer Internet-Angebote über verschiedenste Endgeräte, das sind 30 Millionen im Monat! Und die Nutzung steigt jedes Jahr um 20 bis 30 Prozent.

Das ZDF bietet seit Februar auch Livestreams von den Programmen seiner Senderfamilie. Hat das einen technischen Hintergrund, etwa weil sich das offene Internet immer mehr gegenüber den klassischen Broadcast-Distributionswegen durchsetzt?

Wir bieten schon seit einigen Jahren Livestreams an. Das beschränkte sich zunächst auf ausgesuchte Events wie etwa Fußball EM, WM oder Olympia. Speziell anlässlich der olympischen Spiele im Sommer letzten Jahres haben wir registrieren können, wie gerne unsere Livestreams von den Zuschauern genutzt werden. Es waren in der Spitze bis zu täglich 360.000 Sichtungen in der ersten Woche. Deshalb lag es nahe, das ZDF Programm auch als Livestream anzubieten. Und wir werden wahrscheinlich in Kürze auch mit 3sat nachziehen. Denn die Attraktivität von Livestreams für Zuschauer ist jetzt da. Trotzdem gehe ich nicht davon aus, dass das Internet als Distributionsweg Satellit und Kabel ersetzen wird, zumindest nicht was lineares Fernsehen betrifft. Zwar wird das Internet in den kommenden zehn Jahren immer mehr an Bedeutung als TV-Übertragungsweg gewinnen, die Relevanz des Internets wird sich aber weiterhin vorrangig im Bereich On Demand und zeitversetztes Fernsehen „Sendung verpasst?“ erhöhen. Die Internet-Dienste werden ein ergänzendes Angebot zum Live-TV über Satellit und Kabel bleiben. Für das Live-TV als Massenmedium stößt die im Internet angewandte Unicast-Lösung (Punkt-zu-Punkt-Verbindung) schnell an die technologischen Grenzen.

Und was wird aus DVB-T? Das wird ja zurzeit insbesondere von den Landesmedienanstalten heiß diskutiert, nachdem die RTL-Gruppe angekündigt hat, Ende 2014 aus DVB-T auszusteigen. Es wird sogar vermutet, auch ARD/ZDF könnten langfristig aussteigen – was meinen Sie?

DVB-T ist in Ballungsgebieten mit teilweise über 20 Prozent Nutzungsanteil sehr beliebt. Im Gesamtmarkt erreicht DVB-T im Vergleich zu Satellit und Kabel aber nur sehr geringe Anteile, nämlich knapp fünf Prozent unserer Zuschauer. Das ZDF hält dennoch eine Weiterentwicklung der Terrestrik, hin zu effektiveren Codierverfahren und zu dem effektiveren Übertragungsverfahren DVB-T2, für sinnvoll. Voraussetzung dafür wäre allerdings, dass die Geräte in den Fernsehhaushalten, die bislang DVB-T empfangen, ausgetauscht werden müssten. Das hat zwar beim analog/digital Umstieg problemlos funktioniert, wäre aber heute sicher nicht mehr so problemlos möglich. Es kommt eine zweite Schwierigkeit hinzu: Wenn populäre private Sender nicht mehr über DVB-T zu empfangen sind, verliert dieser Verbreitungsweg für die Zuschauer an Attraktivität. Natürlich wäre es ein Rückschlag für DVB-T wenn RTL aussteigt, aber wir sollten hier in Ruhe abwarten. Die Überlegungen sind noch im Gange. Es kommt noch ein ganz neuer Aspekt hinzu: Was soll aus dem Hörfunk werden, wenn DVB-T tatsächlich abgeschaltet würde? In der Diskussion wird häufig vergessen, dass die terrestrische Übertragung nicht nur dem Fernsehen, sondern vor allem auch dem Radio dient. Wenn aber die Betriebskosten für das terrestrische Netz, die Hörfunk- und Fernsehsender derzeit gemeinsam tragen, zum Teil wegfallen, dann müssten die gesamten Kosten vom Hörfunk allein übernommen werden. Ob die Hörfunkveranstalter dazu bereit oder in der Lage sind, ist ungewiss. Ich jedenfalls kann mir nicht vorstellen, dass in Deutschland Hörfunk abgeschafft wird. Dieses Szenario hat bislang noch niemand so richtig zu Ende gedacht.

RTL will nach eigenem Bekunden vor allem deshalb aus DVB-T aussteigen, weil dieser Verbreitungsweg im Vergleich zu Satellit und Kabel viel zu teuer ist. Wie teuer ist DVB-T?

Wie teuer ein Verbreitungsweg ist, kann man grundsätzlich berechnen, indem die Kosten auf der Empfangsseite und auf der Infrastrukturbetreiber-Seite insgesamt betrachtet werden. Aus Zuschauersicht sind die Kosten für den DVB-T Empfang am geringsten. Beim Empfang über Kabel müssen die Zuschauer monatliche Zahlungen leisten, die mit in die Kostenbetrachtung aufgenommen werden müssen. Beim Empfang über IPTV sieht es genauso aus und die Verbreitung über Satelliten wird mit HD+ auch schon zahlungspflichtig.

RTL fordert auch, bei einem Wechsel auf DVB-T2 eine Verschlüsselungstechnik einführen, um so Geld von den Konsumenten verlangen zu können?

Die Verschlüsselungstechnik kann und will ich nicht kommentieren. Da müssen Sie private Sender nach ihrer Strategie fragen. Grundsätzlich könnte man aber die Verbreitungskosten beim Wechsel auf DVB-T2 drastisch senken, da man mit DVB-T2 und einem effektiveren Codierverfahren entweder die Anzahl der Sender in SD-Qualität mehr als verdoppeln könnte, oder alternativ dazu die Anzahl der Programme konstant halten, aber in HD-Qualität ausstrahlen. Entweder könnte man also das Angebot bei gleichbleibenden Kosten mehr als verdoppeln, oder bei konstanter Anzahl der Programme eine Qualitätssteigerung hin zu HD erzielen.

Ist Livestreaming nicht sehr teurer, sogar teurer als DVB-T?

Nein, Livestreaming ist nicht teurer als DVB-T und ist nicht einmal so teuer wie die Satellitenverbreitung, zumindest bisher nicht. Der Preisverfall im Breitband-Markt hat die Zunahme der Nutzung bisher kompensiert. Wir zahlen heute ungefähr das gleiche für Streaming wie vor einigen Jahren, obwohl es deutlich mehr Nutzer gibt. Es gibt eine gute Wettbewerbssituation der CDN-Provider auf dem Markt und der Preisverfall im Breitbandbereich hilft uns natürlich sehr. Wie lange das gut geht, kann ich nicht sagen, aber in den letzten fünf Jahren war es so.

Das ZDF ist mit seiner Mediathek einschließlich vieler Einzelan-gebote wie „heute in 100 sec“ oder Livestreams, mit der „heute App“ oder mit dem HbbTV-Angebot „heute journal plus“ auf vielen verschiedenen sogenannten Plattformen oder „Second Screens“ unterwegs. Haben Sie eine spezielle technologie-gesteuerte Multiscreen-Strategie vor Augen? Die technologische Basis für die Verbindung von Broadcast und Internet ist längst da. Mit dem Internet als zusätzlichen Distributionsweg können wir, wie gesagt, insbesondere zusätzliche neuartige Dienste wie das zeitversetzte Fernsehen über verschiedenste stationäre und mobile Endgeräte anbieten. Das ist aber heute keine technische Herausforderung mehr, sondern eine redaktionelle. Es geht darum attraktive Zusatzinhalte zu konzipieren und anzubieten. Das machen wir auch sehr gut, denke ich, aber wir machen nicht immer alles, was technisch möglich wäre.

Die Gerätehersteller bieten mit Smart-TVs nun die neue App-Welt auf dem Fernsehen an, mit Inhalten, die nicht von echten TV-Sendern stammen. Eine große Konkurrenz für die TV-Sender?

Aktuell hat die Nutzung von Live-Fernsehen wieder zugenommen. Wir gehen davon aus, dass die „Killer-Applikation“ auf dem Fernsehen noch lange „das Fernsehen selbst“, also das Broadcast-Signal, bleiben wird und nicht die Apps. Vorerst erleben die Apps eine große Beliebtheit auf den Tablets und auf den Smartphones. Wie es in fünf Jahren aussieht, vermag ich nicht zu sagen. Natürlich versuchen die Unterhaltungselektronikhersteller ihre Geräte mit verschiedenen Apps attraktiver zu machen. Ich bezweifle aber, dass die Nutzer beispielsweise ein App von einer Zeitung über einen Fernsehbildschirm abrufen wollen, dafür kommt meiner Ansicht nach eher ein Tablet oder Smartphone in Frage. Noch sind die beiden Welten – Fernsehen und Internet – im Wohnzimmer nicht auf Augenhöhe.

Wie entwickelt sich HbbTV, und wie stark wird speziell das Angebot „Heute journal plus“ schon genutzt?

Mittlerweile sind HbbTV-Geräte in großer Anzahl auf dem Markt. Aber HbbTV-Dienste werden noch nicht so rege genutzt wie die über Tablets und Smartphones angebotenen Apps. Problem ist, dass viele Hersteller, die HbbTV-fähige Geräte anbieten, die Red-Button Funktion zum Abruf von HbbTV-Inhalten im Auslieferungszustand deaktiviert haben. Deshalb müssen die Zuschauer suchen, wie sie diesen Dienst aktivieren können.

Neben der zeitversetzten und mobilen Fernsehnutzung ist auch die Verbesserung der Bildqualität in Form von HDTV ein Ergebnis der Digitalisierung. Ist da noch Luft nach oben, um die HD-Bildqualität zu verbessen? Denn wenn man beispielsweise die SD-Qualität via DVB-T in Berlin mit dem HD-Empfang bei einer Fußballübertragung vergleicht, ist der Qualitätsunterschied nicht unbedingt überzeugend.

Mittlerweile schaut mehr als die Hälfte der Zuschauer HDTV in Deutschland und es werden so gut wie keine Geräte mehr verkauft, die nicht HD-tauglich sind. Die gesamte ZDF-Programmfamilie wird seit Frühjahr 2012 in HD ausgestrahlt. Insofern ist HD heute Standard. Allerdings würden wir in Zukunft gerne in Full-HD (1080p/50) unsere Programme zum Zuschauer bringen, was eine gewisse Qualitätsverbesserung mit sich bringen würde. Die durchgängige technische Infrastruktur dafür ist leider noch nicht vorhanden, obwohl die Displays aller neuen Fernsehgeräte Full-HD-Format darstellen können. Und dann reden wir bereits über die 4K-Verbreitung. Ich sehe nicht, dass 4K in absehbarer Zeit bei der TV-Übertragung kommt, nicht nur wegen der nochmals höheren Übertragungsdatenrate, die dafür erforderlich wäre, sondern auch wegen der noch sehr teuren Produktionstechnik. Wünschenswert wäre allerdings, dass die Fernsehsender eines Tages in Full-HD senden können. Die gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten von der Produktionstechnik bis hin zum Endgerät wäre dazu erforderlich. Zurzeit kann ich leider keine Vorhersage machen, wann wir dieses Ziel erreichen können.

Das ZDF bringt neuerdings „Biene Maja“ als 3D-Produktion. Ist 3D ein wichtiges Thema für Sie?

Alle Fernsehsender waren und sind gegenüber 3D sehr reserviert. Vor zwei Jahren war es zwar noch ein Top-Thema auf Messen und Kongressen der Unterhaltungselektronikhersteller, heute spielt das Thema eher eine untergeordnete Rolle. Sicher hat 3D eine Zukunft, allerdings nur ohne Brille. Im Kino und bei ausgewählten hochwertigen Filmproduktionen wird 3D eine Berechtigung haben. Meine Prognose: In absehbarer Zeit wird 3D nicht massenweise ins Fernsehen kommen.

Hat die Digitalisierung nicht zu einem großen Durcheinander im Fernsehmarkt geführt, dem nun die Übersichtlichkeit fehlt?

Was heißt Durcheinander, was heißt Übersicht? Fakt ist: Durch die Digitalisierung sind mehr Programme auf den Markt gekommen. Das nennen wir Fragmentierung des Marktes. Die großen Sender verlieren seit zehn Jahren stetig Markanteile an die vielen kleinen Sender und an das Internet. Durch das enorm angewachsene Angebot ist es für die größeren Fernsehsender schwieriger geworden, die gewohnten Marktanteile zu halten. Dem ZDF gelingt dies aber hervorragend. Wir sind im letzten Jahr Marktführer gewesen und es bislang auch in diesem Jahr geblieben. Was zeigt, dass man mit Qualitätsprogramm auch der Fragmentierung entgegen treten kann.

Und wie geht es weiter im digitalen, fragmentierten TV-Markt?

Es kommen jeden Tag weitere Kanäle hinzu, so wie jeden Tag wieder Kanäle verschwinden.

Erika Butzek
(MB 04/13)