Change Management ist Trumpf

Das Darmstädter Management-Consulting-Unternehmen Flying Eye GmbH ist seit 1998 auf dem Medien- und Telekommunikationsmarkt aktiv. Es hat sich seither einen ausgezeichneten Ruf als Experte für die Einführung IT-basierter Arbeitsabläufe erworben. MEDIEN BULLETIN sprach mit Thomas Holzmann, Partner und geschäftsführender Gesellschafter von Flying Eye, über die wachsende Bedeutung der IT in Rundfunkunternehmen und über die Bereitschaft der dort beschäftigten Menschen neue Arbeitsprozesse in der digitalen Welt zu nutzen.

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Change Management ist Trumpf

Wo liegt heute das Hauptengagement von Flying Eye?

80 bis 90 Prozent unserer Tätigkeit liegt im Bereich der Definition von IT-Systemen und von neuen Arbeitsabläufen in Medienunternehmen. Dabei sprechen wir viel mit den Leuten, die von Umstrukturierungen betroffen sind, zum Beispiel mit den Redakteuren.
In unseren Reihen gibt es Mitarbeiter, die selbst einen redaktionellen Hintergrund haben und ein tiefes Verständnis für die Redaktionsarbeit mitbringen. Das ist für uns wie für den Kunden von Vorteil: Der Kunde merkt, dass wir ihn verstehen. Wenn wir im Gespräch mit dem Kunden neue Arbeitsabläufe entwickelt haben, erstellen wir zur Umsetzung des Projekts
entsprechende Leistungsverzeichnisse. Am liebsten begleiten wir Projekte von Anfang bis Ende: Vom Verstehen des Kunden über die Planung bis zur Umsetzung und Abnahme.

Warum?

Damit bis zum Projektabschluss nicht das von uns in den Gesprächen mit den Redaktionen erworbene Know-how verloren geht. Das kann leicht passieren, wenn jemand anderes die Umsetzung übernimmt. Außerdem wollen wir uns nicht aus der Verantwortung stehlen, indem wir nur ein Konzept abgeben und dann den Kunden damit alleine lassen. Der Schwerpunkt unserer Aufträge liegt neben der Projektbegleitung aber
auf der Konzeptarbeit.

Für welche Kunden arbeiten Flying Eye schwerpunktmäßig?

Das sind ganz unterschiedliche Firmen aus dem Medien- und Telekommunikationsbereich. Darunter sind große Sender wie der WDR, mit dem wir derzeit gemeinsam filebasierte Workflows definieren, aber auch kleinere Medienunternehmen, die zum Beispiel IP-TV einführen möchten. Öffentlich-rechtliche Sender spielen bei uns als Auftraggeber eine starke Rolle.

Was für Projekte sind das konkret?

Beim WDR, bei ZDF und bei Spiegel TV beschäftigen wir uns mit dem durchgehend filebasierten Produktionsprozess. Beim rbb unterstützen wir bei der Erstellung des Leistungs-verzeichnis für ein neues Planungs- und Redaktionssystem.
Zusätzlich sind wir auch in nationalen und internationalen F&E-Projekten involviert, aktuell mit den Themen 3D-Kino und 3D-TV. Und natürlich arbeiten wir auch für Hersteller und Dienstleister, wie zum Beispiel T-Systems. Wir fahren da aber eine sehr offene Politik. Wenn wir
Interessenskollisionen sehen, zeigen wir diese unseren Kunden an.

Wie ist im Rundfunkbereich heutzutage die Bereitschaft, für
Consulting-Dienstleistungen zu bezahlen?

Es gibt die Bereitschaft dazu, insbesondere bei größeren Unternehmen. Die Gründe dafür sind sehr verschieden: Die neutrale Aussensicht oder Erfahrungen, die wir bereits in anderen Projekten gemacht haben. Hinzu kommt, dass die für größere Projekte benötigten Ressourcen bei den Kunden nicht auf Dauer vorgehalten werden können. Bei kleineren Firmen können anfallende Beratungskosten aber durchaus ein „Show-Stopper“ sein.

Wächst Flying Eye mit dem steigenden IT-Consulting-Bedarf im Broadcast-Markt?

Bei der Gründung des Unternehmens waren wir vier Partner. Heute sind wir sieben. In der Nische, in der wir uns bewegen, haben wir eine gute Auslastung. Wir wollen nicht um jeden Preis wachsen, das ist nicht gesund. Wir wollen ein stabiles, generisches Wachstum. Dazu brauchen wir nicht mehr, sondern die richtigen Mitarbeiter. Der Netzwerkgedanke ist für
Flying Eye sehr wichtig: Mit Hilfe unserer Partnerstruktur können wir eine gewisse Diversifikation über verschiedene Anwendungen hinweg abbilden.

Worin liegt die Stärke von Flying Eye?

Ich denke, wir bieten eine gute Mischung aus IT-Know-how und so genanntem Domänen-Wissen über spezifische Broadcast-Arbeitsabläufe und -Systeme. Dieser Mix ist entscheidend. Man kann nicht einfach einen IT-Berater, der jahrelang bei einer Bank gearbeitet hat, zum IT-Berater in einem Medienunternehmen machen. Die Kunden schätzen auch unser Methoden-Know- how und die standardisierte Herangehensweise an spezifische Aufgabenstellungen. Das sorgt für Transparenz.

Welche Chancen haben in ihrem Geschäft große IT-Unternehmen wie IBM oder HP?

Der Broadcast-Markt ist für die großen IT-Unternehmen nicht nur klein, sondern er ist auch ein extrem schwieriger Markt.
Wir haben da in den letzten Jahren eine gewisse „In- und Out-Politik“ erlebt: Die großen IT-Unternehmen sind zunächst einmal rein in den Markt und dann schnell wieder raus, als sie die dort existierenden Schwierigkeiten erkannten. Ein Beispiel: Broadcast-Support funktioniert komplett anders als IT-Support. Hier herrscht ein Service-Prinzip, das ich „Hey Joe“ nenne. Wenn irgendwo im Studio oder in der Sendeabwicklung ein Problem auftaucht, dann ruft man einen Experten an, der schnell vorbei kommt und das löst. Mit den Call-Center-Strukturen der großen IT-Unternehmen ist das nicht zu leisten.
Als es mit der Digitalisierung der TV-Archive losging, hat sich bei den großen IT-Firmen Goldgräberstimmung breit gemacht. Die haben vor allem die großen Datenmengen gesehen, die in IT-Speicher umgesetzt und redundant gehalten werden sollten. Die Ernüchterung kam, als klar wurde, was die Umsetzung der Digitalarchive für einen Aufwand in Sachen Formatvielfalt und Wandlung bedeutet und was die Einführung der digitalen
Archive kosten sollte. Kein Sender war bereit, das zu
investieren.
Erst jetzt nimmt der Aufbau digitaler Archive wieder Fahrt auf. Das ADAM-Projekt (Automated Digital Archive Migration) der WDR mediagroup digital ist ein Beispiel dafür. Dort wird ein Industrieroboter im Pilotbetrieb eingesetzt, um im großen Stil zu Digitalisieren. Wir waren an der Spezifikation des Projekts beteiligt.
Mittlerweile haben sich fast alle großen IT-Unternehmen, die am Medienmarkt verdienen wollten, mehr oder weniger wieder verabschiedet. Nur IBM hat eine gewisse Kontinuität gezeigt und beschäftigt sich intensiver mit der Branche. IBM ist aber auch das einzige große IT-Unternehmen, dass mit ADMIRA über ein Tool wie das digitale Essence Management System zur digitalen Archivierung verfügt. Eingesetzt wird es unter anderem im neuen Sendezentrum von RTL.

Haben Sie schon mal überlegt, auch in das Integrationsgeschäft einzusteigen?

Ich komme ja selbst aus dem Bereich und kenne das Geschäft gut. Vor der Gründung von Flying Eye habe ich das Systemhaus BTS geführt. Deshalb weiß ich auch, dass man durch ein Engagement im Integrationsbereich leicht den Architekten-Ansatz, den wir verfolgen, verlieren kann. Und das wollen wir nicht.
In Sachen IT-Integration machen wir nur eine Ausnahme, wenn es um die Realisierung von Web-Services und um Schnittstellen-Entwicklungen geht – zum Beispiel ganz aktuell beim BR. Wir machen jedoch nur Dinge, bei denen wir zu keinem der Lieferanten in Konkurrenz treten und wo man mit relativ geringem Aufwand einen hohen Effekt in der Integration erzielen kann. Dass wir einmal ein Integrationsdienstleister werden, kann ich mir nicht vorstellen.

Wo sehen Sie heute den größten Handlungsbedarf bei filebasierten Workflows?

Hauptthema sind heute die Medienbrüche in den Arbeitsabläufen, von der Kamera bis zur Sendung. Die machen uns das Leben schwer. Sie bedeuten technischen Aufwand und viel Zeitverlust. Es gibt heute so gut wie nirgendwo einen wirklichen medienbruchfreien Ablauf. Am weitesten ist da vielleicht N24 in Deutschland. Der Sender hatte aber auch die Chance, alles neu aufzubauen. Man kann da am journalistischen Arbeitsplatz schneiden und vertonen, Material zum High-End-Cut schicken, es in den Sendeablauf einbauen und in die automatisierte Regie überspielen. Der filebasierte Workflow bietet zwar zahlreiche Vorteile, bedeutet aber zugleich einen großen Veränderungsprozess nicht nur in den Produktionsabteilungen, sondern insbesondere auch in den Redaktionen. Die Einführung des Journalisten-Schnitts hat bei N24 für große Diskussionen gesorgt.

Was bedeutet das für ein Unternehmen wie Flying Eye?

Für uns gewinnt das Thema Change Management, also das Managen von Veränderungsprozessen, an Gewicht.
Deshalb hat sich auch unsere Arbeit im Projektmanagement hier komplett gewandelt. Natürlich sind es vor allem noch Investitionsprojekte, mit denen wir zu tun haben, aber es sind zugleich auch immer mehr Change-Projekte, die mit Themen wie Projektkommunikation einhergehen. Hier treten Fragen auf: Wie nehme ich Leute mit? Wie schule ich sie? Wie gehe ich mit Widerständen um? Betriebs- und A-User-Konzepte rücken in den Vordergrund. Das ist eine wichtige Veränderung im Projektgeschäft.

Wie klappt Change Management beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Unter den Sparzwängen und dem Druck des technologischen Wandels steigt die Bereitschaft zum Wechsel auch bei unseren Kunden – und zwar bei allen. Und da entsteht aus meiner Sicht ein gewisser Druck, sich mit Neuem zu befassen. Umstrukturierungen und neue Arbeitsabläufe werden nicht immer so ohne Weiteres akzeptiert. Wenn aber zum Beispiel die Arbeitsabläufe von Journalisten vereinfacht werden können und ihnen unterm Strich dann mehr Zeit für ihre inhaltliche und journalistische Arbeit bleibt, dann ist es das vielleicht wert, sich mit Neuem auseinanderzusetzen. Das wollen wir vermitteln und unser Know-how hilft uns dabei.

Ist durch IT-Einsatz vor allem Effizienzsteigerung möglich?

Ja und nein. Wenn man sich zum Beispiel das non-lineare Editing anschaut, wird man eines Besseren belehrt. An einem Non-linearen-Schnittplatz sollte man eigentlich schneller und effizienter arbeiten können als an einem Drei-Maschinen-Schnittplatz. Tatsächlich sind die Schnittzeiten bei Produktionshäusern heute gestiegen. Warum? Weil die neuen Systeme mit ihren Möglichkeiten und Features dazu verführen, Neues auszuprobieren und von der eigentlichen Aufgabe ablenken.
Bei der Entwicklung neuer Arbeitsprozesse ist es wichtig, sich vorher schon intensiv mit den Einsatzmöglichkeiten der Systeme zu beschäftigen. Tut man das nicht, kann IT auch zu Ineffizienz führen.
Deswegen setzen wir uns auch so intensiv mit der Definition der Abläufe auseinander. Wir meinen: In einer immer komplexer werdenden Anwendungslandschaft mit all den Redaktions-, Dispositions-, Media Asset Management- oder SAP-Systemen wird es immer wichtiger, sich erst einmal auf das Wesentliche zu konzentrieren. Bevor man irgendwelche Schnittstellen baut, sollte man sich fragen, ob sie dem angestrebten Workflow auch tatsächlich nützen. In einer Systemlandschaft muss für jeden Anwender erkennbar sein, was es bedeutet, wenn er eine bestimmte Aktion startet. Unsere Forderung an dieser Stelle lautet: IT-Systeme sollten in der Anwendungslandschaft so gestaltet sein, dass sie für den Betrieb einen möglichst hohen Nutzwert haben und tatsächlich effizient sind.
Um das zu erreichen, braucht es Zeit: Für uns besteht die erste Stufe eines Projekte immer im gegenseitigen Austausch mit den Anwendern. Wir versuchen, sie möglichst eng einzubinden und genau zu informieren. Das fördert die Akzeptanz. Wer an einem Leistungsverzeichnis mitgearbeitet hat, der ist in der Regel der beste Change-Agent. Das sind die Mitarbeiter, die dann die Veränderung in ihre Redaktionen oder Abteilungen tragen.

Welche Rolle spielt das Thema IT-Outsourcing für Broadcaster?

Durch den Kostendruck ist IT-Outsourcing immer wieder ein Thema. Bei vielen sind aber schlichtweg die Voraussetzungen zum Outsourcing noch nicht vorhanden. Das hat etwas mit IT-Service-Management-Know-how zu tun. Voraussetzung für Outsourcing ist eine konsequente Strukturierung zum Beispiel nach den Vorgaben der IT Infrastructure Library (ITIL),
abgebildet in Service Level Agreements (SLAs). In dem nötigen Regel- und Definitionswerk für den Betrieb einer IT-Infrastruktur ist es wichtig, Prozesse, Aufbauorganisation und Tools genau zu definieren.
Ein einfaches Beispiel: Es gibt Rechner, die ruhig mal eine zeitlang ausfallen können. Wenn aber ein Rechner in der Sendeabwicklung (SAW) ausfällt, ist das fatal. Hier sind unterschiedliche SLAs nötig. Wenn man versucht, einen Büro-PC und einen SAW-PC über das gleiche SLA zu managen, dann kann das nur schief gehen.
Ohne die richtige Beschreibung der Leistungen kann Outsourcing unserer Meinung nach zum Desaster werden. Die Interessen von Auftraggebern und Outsourcing-Dienstleistern sind einfach zu unterschiedlich.

Wie bewerten Sie den Trend hin zur Zusammenlegung von Broadcast- und IT-Abteilungen in vielen Rundfunkanstalten?

Es sollte auch hier nicht nur darum gehen, Abteilungen zusammen zulegen, sondern darum, sich die unterschiedlichen Prozesse anzuschauen und hier nach Synergien zu suchen. Es wird immer wichtiger, über Serviceprozesse zu reden. Grundsätzlich gilt es, die richtigen Leute mit dem richtigen Know-how in einen Prozess einzubringen, statt einfach nur Abteilungen zu fusionieren. Ob das am Ende eine oder fünf Abteilungen sind, ist unerheblich, wenn der Serviceprozess funktioniert.

Wie lange wird es noch dauern, bis sich die Rundfunkunternehmen ganz in der IT-Welt wiederfinden?

Wir sind nach wie vor noch in einer Übergangszeit und nicht völlig angekommen. Alle haben letztlich unterschätzt, wie lange die Reise in die IT-Welt dauert. 1998 haben wir bei Flying Eye gedacht, dass im Jahre 2005 in den Sendern nur noch Rechner stehen. Jetzt, Ende 2010, sind dort tatsächlich schon viele Rechner im Betrieb. Nur, wie effizient sie dort eingesetzt werden, ist völlig unterschiedlich. Das wird auch noch ein paar Jahre so bleiben. Unsere Branche muss sich hinsichtlich der klassischen Broadcastprozesse noch intensiv mit IT auseinandersetzen und die IT-Branche ebenso mit der Domäne Broadcast. Eckhard Eckstein
(MB 11/10)

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