China wünscht Koproduktionen

In den 90er Jahren wurden Filme aus Hong Kong aufgrund ihrer Vielfalt und filmischen Qualität überall auf der Welt bewundert. Es war die Zeit von Wong Kar-wei, John Woo oder Johnny Too, die poetische Arthouse-Filme oder Gangsterfilme von noch nie dagewesener Brutalität, Konsequenz und stilistischer Innovation drehten. Diese Goldene Zeit des Hong Kong-Kinos reichte bis etwa 2005, dann war relativ abrupt Schluss. Seitdem findet sich die Filmbranche der 7-Millionen-Einwohner-Stadt neu – in China.

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China wünscht Koproduktionen

Das ist nicht einfach. Während der vom Hong Kong Trade Development Council organisierten Filmmesse Filmart, die jedes Jahr im März in Hong Kong statt findet, kann man sich einen guten Überblick über den Status Quo der Filmindustrie Chinas und Hong Kongs sowie ihrer Perspektiven verschaffen. 2005 gab man sich noch überzeugt, jährlich eine Reihe von Filmen innerhalb Hong Kongs produzieren zu können, die sich auch innerhalb der Sonderverwaltungszone refinanzieren könnten. Doch schon im Laufe des Jahres setze sich die Erkenntnis durch, dass Hong Kong einen anderen Weg finden müsste, um weiter eine gewichtige Rolle in der asiatischen Filmbranche spielen zu können. Worauf hin sich ein gewisser Aktionismus entwickelte, der darauf abzielte Hong Kong als Finanzierungszentrum und Tor nach China zu etablieren. Nachdem es 2007 zu einem radikalen Paradigmenwechsel kam, der seitdem konsequent verfolgt wird, scheint die Umstellung mittlerweile auch einigermaßen gelungen. Damals erklärte Wellington Fung, Geschäftsführer des 2007 gegründeten Film Development Council (FDC): „Hong Kong muss sich als Initiator von Filmprojekten behaupten und entwickeln. Hier müssen die Projekte, die in China gedreht werden, finanziert und verkauft werden. Es geht darum statt des Labels ‚Made in Hong Kong’ das Label ‚Made by Hong Kong’ zu etablieren.“ Seitdem gilt dies als Marschrichtung, denn „Hong Kong braucht Chinas Geld und China braucht Hong Kongs Kreative“, wie es der Hollywood Reporter vor einigen Jahren schon formulierte.

Für die Filmemacher aus Hongkong nicht die schlechteste Ausgangslage. Sie haben immer Mainstreamkino gemacht und mit dieser Erfahrung bei Produktion, Finanzierung und Vertrieb können sie nun punkten. „Die Filmemacher Chinas haben alles von uns gelernt und wir haben mit unseren Filme ihr Denken beeinflusst“, beschreibt Ng See Yuen, Regisseur und Produzent – etwa der „Drunken Master“-Serie – die mehr als positive Ausgangsposition Hong Kongs.

Acht neue Leinwände pro Tag in China

China wird nicht nur in Hong Kong als der Zukunftsmarkt gesehen, wo die Filmemacher der Stadt arbeiten und ihre Filme absetzen können, sondern auch vom Westen. Lange hat China unter einer krassen Unterversorgung von Kinosälen gelitten. Doch seit einigen Jahren wächst der Kinomarkt in einer atemberaubenden Geschwindigkeit und braucht attraktive, einheimische Ware. Seitdem moderne, große Kinos zum Bild großer Städte gehören, ist auch das Interesse am Kino selbst gestiegen. Gerade bei jungen Paaren, die sich nicht bei ihren Eltern treffen wollen, und bei Studenten sind Kinos enorm populär geworden. Ihre hohe Verfügbarkeit hat auch dazu geführt, dass Raubkopien an Popularität verloren haben – zumindest in den ersten ein, zwei Wochen nach Kinostart. Danach verlagert sich das Interesse an Film ins Internet, wo er entweder illegal oder auf einer der prosperierenden, legalen VoD-Plattformen erhältlich ist. Im vergangenen Jahr haben laut der chinesischen Filmbehörde SARFT (State Administration of Radio, Film and TV) 803 Kinos eröffnet, davon sind 90 Prozent mit digitalen Projektoren ausgestattet. Die Zahl der Leinwände wuchs 2011 im Vergleich zum Vorjahr um 33 Prozent auf 9200. Die Zahl der Kinos wuchs um 29 Prozent auf 2800. Pro Tag werden in China acht Säle eröffnet. Der Umsatz dieser Kinos überschritt 2011 zum ersten Mal die zwei Milliarden Dollar-Marke, was einem Wachstum von 29 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Bis 2016, so ist die Rede, soll sich die Zahl der Leinwände mit 20.000 mehr als verdoppelt haben. Für 2012 wird mit einem Box Office-Umsatz von 2,68 Milliarden Dollar gerechnet.

In China gibt es über 500 Mio. Internet-Nutzer. Bis Ende 2012 soll die Zahl derjenigen, die sich regelmäßig Videos im Netz ansehen auf etwa 450 Mio. steigen. Von ihnen rufen etwa 30 Prozent acht bis zehn Filme im Monat ab, so Zhu Hui Long, Vizepräsident des chinesischen Online-Portals youku.com, das 25,6 Prozent Marktanteil und 30 Mio. Zuschauer pro Tag hat. Das Geschäftsmodell von youku.com und anderen chinesischen Videoplattformen kopiert das Youtube-Modell. Jedoch liegt ihr Anteil von professionell generierten Inhalten, für die Geld gezahlt wird, bei 70 Prozent. Bei youku.com etwa kostet ein Premium-Zugang knapp drei Euro pro Monat, Einzelabrufe kosten um die 50 Euro-Cent. Die Umsätze aller VoD-Anbieter liegen bei 238 Mio. US-Dollar, dennoch werden vorläufig noch keine Gewinne gemacht.

China erhöht Filmquote

Das weckt Begehrlichkeiten, vor allem aus den USA, die China vor der Welthandelsorganisation (WTO) dazu zwingen wollten ihr rigides Quotensystem zur Einfuhr von Filmen abzuschaffen. Gelungen ist es nicht, jedoch hat China einer Erhöhung der Quote zugestimmt. Bisher durften nur 20 ausländische Filme – in der Regel US-Filme – auf Grundlage einer Teilung der Einkünfte in China ausgewertet werden. Diese Zahl wird nun um 14 Premium-Format-Filme, das sind Filme im IMAX- oder 3D-Format, erhöht werden. Diese Filme können auch im regulären 2D ausgewertet werden. Der Anteil, den die Rechteinhaber erhalten, wird auf 25 Prozent angehoben. Für die US-Majors sind das goldene Aussichten, denn wie die Financial Times (United Kingdom) Ende März schnippisch anmerkte, müssen US-Produzenten „fallende Umsätze innerhalb der USA mit Einnahmen aus entstehenden Märkten wie China ausgleichen“.

Nicht zuletzt erhofft man sich von der Vereinbahrung auch einen verbesserten Zugang auf den chinesischen Markt für die ausländischen Filme, die nur eine fixe Lizenzsumme erhalten oder direkt an Internetplattformen oder das Fernsehen verkauft werden. Jedoch kann jeder Film letztendlich an der Zensur scheitern. Auch dies könnte sich ändern, denn die Vereinbarung sieht eine größere Transparenz vor. Dies bedeutet, dass die Weltvertriebe die Entscheidung der Zensurbehörde anfordern können, dass sie im Falle einer Ablehnung Schnitte vorschlagen können und dass der chinesische Vertrieb eine detaillierte Abrechnung vorlegen muss.

Ohne Quote auf den drittgrößten Kinomarkt

Die US-Majors wollen aber nicht nur ihre Filme in China auswerten, sie möchten auch direkt Filme für den chinesischen Markt produzieren, die sich im besten Falle auch noch weltweit auswerten lassen. Dies hat noch einen weiteren Vorteil: mit China koproduzierte Filme gelten als heimische Produktionen und unterliegen daher nicht der Importquote. Obwohl es ca. 40 weltweite Koproduktionen pro Jahr mit China gibt, scheint diese Strategie erst jetzt richtig Fahrt aufzunehmen. Disney und Marvel haben angekündigt, den dritten Teil ihres Franchise „Iron Man“ in China als Koproduktion mit DMG Entertainment durchzuführen. James Cameron denkt öffentlich darüber nach die beiden geplanten Teile von „Avatar“ mit China zu produzieren. „China ist ein spannender Markt und wenn die Fortsetzungen heraus kommen, wird der chinesische Markt genauso groß sein wie der amerikanische“, sagte der dem Hollywood Reporter. Längerfristige Pläne in China verfolgen hingegen die Animationsabteilungen von Dreamworks und Walt Disney. Als Minderheitseigner gründeten sie Animations-Joint Ventures in China, die noch dieses Jahr ihre Arbeit aufnehmen sollen. Walt Disney geht mit der staatlichen China Animation Group sowie dem chinesischen Internet-Provider Tencent zusammen, um den chinesischen Animationsfilm auf international konkurrenzfähiges Niveau zu bringen indem chinesische Talente aus- bzw. weitergebildet und chinesische Geschichten und Franchises internationalem Standard angepasst werden, so eine Pressemitteilung. Die Filme, die hier entstehen, sind sowohl für den chinesischen als auch für den weltweiten Markt gedacht. Nur wenige Wochen zuvor hatte Dreamworks gemeinsam mit China Media Capital, Shanghai Media Group und Shanghai Alliance Investment das mit 330 Mio. Dollar ausgestattete Unternehmen Oriental Dreamworks gegründet, das in Shanghai Animationsfilme für den chinesischen Markt produzieren soll. Möglich wurde dieses Joint Venture durch den großen Erfolg von „Kung Fu Panda“ in China. „Die Chinesen waren erstaunt darüber wie sehr der Film ihre Kultur respektierte und sie fragten sich: ‘Warum können wir das nicht auch?’“, erzählt Glenn Berger, Autor von „Kung Fu Panda“ bei dem Panel „Screenwriting for Global Market: The Growth of Asian Themes in Modern Box-Office Hits“. Einen anderen Weg geht Legendary East, eine Tochter von Legendary Pictures („The Dark Knight Rises“). Sie hat ihren Sitz in Hong Kong und ko-produziert von dort in China, in englisch für den US- und internationalen Markt. Das erste Projekt wird „The Great Wall“ von Ed Zwick sein.

Hong Kong: das Tor zu China

China wünscht ausdrücklich Koproduktionen, um an Know-how zu kommen. Li Qian Kuan, Präsident der mächtigen China Film Foundation erklärte: „Die chinesische Filmindustrie ist in einer Entwicklungsphase. Sie braucht die Kooperation und Unterstützung der Nachbarstaaten, um ihre eigene Entwicklung voranzutreiben.“ Für Firmen aus Hong Kong eine Steilvorlage, die es in China leichter haben als Andere. Nicht so sehr, weil sie sich auf die chinesische Mentalität besser einstellen können – auch sie haben da bisweilen ihre Schwierigkeiten – Firmen aus Hong Kong haben einen freien Zugang nach China. Nachdem in den vergangenen Jahren einige Versuche von Hong Kong-Firmen unternommen wurden, auf dem chinesischen Markt Fuß zu fassen, holt Salon Films (H.K.) Ltd. nun zum großen Rundumschlag aus, um ein Joint Venture zu schaffen, das Hong Kong, China, die USA, Finanzierung, Produktion, Postproduktion und Vertrieb unter einem Dach vereint. Mit dabei sind die chinesische Global Digital Creations Holdings Ltd. (GDC), die US-Bank JP Morgan, die Kanzlei O’Melveny & Myers LLP sowie der US-Filmfinanzier Film Finances Inc.. Beginnend mit „Die Welt der Suzie Wong“ war die 1959 gegründete Salon Films, und somit älteste Produktionsfirma der Stadt, Serviceproduzent für zahlreiche Filme in Hong Kong und Asien wie „Platoon“, „Rambo III“, „Tiger & Dragon“ oder deutsche Produktionen wie „Das Traumschiff“. Mit dem Joint Venture möchte Salon Films nicht nur Chinas Politik unterstützen Filme für den Weltmarkt zu entwickeln, sondern auch Hong Kong weiter als Anlauf- und Ausgangspunkt für Koproduktionen zwischen China und anderen Ländern auszubauen. „Wir wollen ein neues System etablieren, das den Herausforderungen des schnell wachsenden chinesischen Markts gewachsen ist und es so gestalten, dass alle Elemente über Hong Kong miteinander verbunden sind“, sagt Fred Wang, Vorsitzender von Salon Films. Gleichzeitig wurden drei Filme angekündigt, die in der neuen Konstellation entstehen sollen: „The Intelligence“, eine Geschichte aus dem 2. Weltkrieg, die im Pazifik spielt, eine noch unbetitelte Geschichte um eine US-Familie, die einen Waisen aus China adoptiert und „Knight of Tao“, einen Martial Arts-Film, der noch in diesem Jahr gedreht werden soll. Darüber hinaus hat Salon Films eine neue Initiative für Nachwuchsfilmemacher mit dem Namen ‘Asia’s First Cut’ vorgestellt. Im Rahmen des Programms sollen zehn ‘Micro-Movies’ zu etwa 800.000 Euro produziert werden. Damit hoffen die Initiatoren junge Talente aus China und Asien zu finden und zu unterstützen. Salon Films wird mit den Studios in Kanton zusammen arbeiten. Einen Monat nach dem Filmart kündigte der chinesische Unternehmer Bruno Wu an für 1,27 Mrd. US-Dollar mit seinem Konglomerat Seven Stars Entertainment die “Chinawood Global Services Base” in Tianjin zu errichten, einen Studiokomplex in dem Koproduktionen mit den USA, Europa und dem asiatisch-pazifischen Raum entstehen sollen, der voraussichtlich im Oktober seine Arbeit aufnehmen wird. 35 Prozent der Summe soll in die Finanzierung der Projekte fließen.

Doch der Weg geht auch in die andere Richtung. Die chinesische Regierung hat Anfang des Jahres den Filminvestmentfonds ‘China Mainstream Media National Film Capital Hollywood’ aufgelegt, mit dem sich China an Hollywoodproduktionen beteiligen will. Geführt wird er von Yang Buting, dem früheren Chef der China Film Group. Ziel ist es mehr Filme für den chinesischen Markt zu bekommen. Gleichzeitig hat sich das vom chinesischen Medienunternehmer Bruno Wu geführte Harvest Fund Management gebildet, um in Hollywood-Produktionen zu investieren. Dafür stehen 800 Mio. Dollar bereit. Verhandlungen mit den Eigentümern von Summit Entertainment und Miramax bezüglich einer Fusion der beiden Unternehmen und anschließendem Kauf sind vorerst gescheitert. Die Verhandlungen mit Miramax gehen allerdings weiter. Insider spekulieren, dass das chinesisch-geführte Konsortium auch Interesse an einer Übernahme von Lions Gate haben könnte.

Eigene Identität und Pragmatismus

Unter diesen Umständen ist die Filmindustrie Hong Kongs immer mehr auf China angewiesen, um zu überleben. Mittlerweile entstehen nur noch rund 40 Filme pro Jahr in Hong Kong und kaum einer erreicht mehr die einstige Qualität und Intensität. „Betrachtet man die Produktionsseite ist die Filmbranche Hong Kongs von China abhängig“, sagt Ricky Tse, Verleihchef der Hong Kong-Medienfirma Media Asia. „Wir machen mehr und mehr Filme für ein chinesisches Publikum.“ Auch Albert Lee, CEO von Emperor Motion Works erlaubt sich keine Sentimentalitäten: „In den vergangenen Jahren und in der nahen Zukunft hat sich der chinesische Markt als der für uns wichtigste Absatzmarkt herausgestellt. Also werden wir auch weiterhin Filme für diesen Markt produzieren.“ Junge Filmemacher haben längst kein Problem damit sich an China zu orientieren, Derek Tsang sieht Hong Kong sogar als Teil einer breit aufgestellten chinesischen Filmindustrie: „Man muss aufhören Hong Kong als eigenes Land zu betrachten und anfangen es als eine Stadt in China zu sehen.“

Doch tief in ihrem Inneren widerstrebt dies der Sonderverwaltungszone, deren Regierung die Filmindustrie mit dem Bürgschaftsmodell Film Guarantee Fund und den Filmnachwuchs über den Hong Kong Film Development Fund unterstützt. Die Unterstützung wird als Equity Investment für Filme gewährt, die unter Beteiligung mindestens einer Person entsteht, die Bürger Hong Kongs ist und deren Budget 1,5 Mio. Euro nicht übersteigt. So sind seit 2007 20 Projekte unterstützt worden. „Film ist eine der treibenden Kräfte der kreativen Industrie, daher unterstützt die Regierung die Filmproduktion“, sagt Wellington Fung. Gleichzeitig gibt es das Marketing-Instrument Hong Kong Film New Action, das junge Hong Kong-Regisseure in der ganzen asiatischen Region promotet und die Filmindustrie Hong Kongs mit denen der anderen chinesischsprachigen Territorien enger vernetzen soll. Der Produzent und Regisseur Peter Ho-Sun Chan, der „The Warlords“ oder jüngst „Wu Xia“ in China für China gedreht hat, ist überzeugt, dass das Besondere am Hong Kong-Film weiter bestehen bleibt, auch wenn die Goldenen Zeiten des Hong Kong-Film vorüber sind: „Hong Kong ist ein ganz besonderer Ort mit besonderen Werten. Diese Qualitäten werden subtil in jedem Film sichtbar werden, den ein Filmemacher aus Hong Kong macht, egal wo auf der Welt. Wir sollten in den sauren Apfel beißen und weiter Hong Kong-Filme machen, um unsere Kultur zu bewahren und nicht unbedingt, aus kommerziellen Gründen. Wir sollten Low-Budget-Filme mit der Unterstützung des HK Film Development Councils und privater Investoren drehen und talentierte, junge Filmemacher dazu ermuntern die nächste Generation des Hong Kong Films zu schaffen.“
Thomas Steiger
(MB 09/12)