Wie waren Ihre ersten Wochen bei Harris?
Es gibt eine Menge zu tun. Das US-Unternehmen Harris war ja bislang stark zentralistisch ausgerichtet. Die Entscheidung, regional näher an die Kunden zu rücken, ist da von erheblicher Tragweite. Ein so großes Unternehmen mit 16.000 Mitarbeitern und fünf Milliarden Dollar Umsatz im Jahr, lässt sich nicht so einfach auf eine neue Spur setzen. Aber das Firmen-Engagement dafür war so stark, dass wir in den letzten acht Wochen schon sehr viel erreichen konnten. Wir haben eine Niederlassung in München aufgemacht, dort eine Kundendienst-Plattform installiert, neue Leute eingestellt und das Produktmarketing im europäischen Bereich verstärkt. In Zentraleuropa verfügen wir zudem über eine Niederlassung in Rankweil, Nähe Bregenz, über 30 Entwicklungsingenieure in Budapest und drei Mitarbeiter in Russland. Natürlich war ein Teil der jetzt genutzten Infrastruktur hier schon vorhanden. Sie war aber wenig präsent. Das ändern wir jetzt. Wir reden mehr mit den Kunden und optimieren unsere Vertriebskanäle. Unsere Aufgabe als deutsche Niederlassung ist es, deutlicher zu machen, was Harris zu leisten vermag. Da existiert noch sehr viel Unwissenheit. Von München aus sind wir auch verantwortlich für den gesamten zentraleuropäischen, den skandinavischen und den russischen Markt. In Europa wurde die gesamte Harris-Organisation in vier Regionen neu aufgestellt.
Wie reagieren die Kunden auf die Harris-Veränderungen?
Ich bin begeistert über das außerordentlich gute Feedback, das wir hier auf der IBC erhalten. Unsere deutschen Kunden sind sehr froh, dass sie es bei Harris jetzt verstärkt mit kompetenten deutschen Fachkräften zu tun bekommen. Unser Management-Team besteht aus erfahrenen Leuten, die genau wissen, wovon sie reden. In den vergangenen Monaten mussten wir nach den Akquisitionen der letzten Jahre konsolidieren. Es mussten Synergien gefunden sowie interne Abläufe koordiniert und optimiert werden. Um das Beste für den Kunden zu erreichen, haben wir umstrukturiert und die bisherigen Schwachstellen von Harris beseitigt. Die IBC war unser persönlicher Meilenstein dafür. Wir sind jetzt da, wo wir hin wollten, und das Feedback dazu, das wir von dieser Messe mitnehmen, gibt uns eine Menge positive Energie. Auch die hier bestätigte hohe Reputation unserer Produkte trägt natürlich dazu bei.
Waren die Vertreter deutscher Rundfunkanstalten bei Ihnen?
Es waren so gut wie alle namhaften Vertreter unserer Industrie bei uns auf dem Stand und waren beeindruckt über das Produkt-Portfolio. Wir haben zudem einen großen Auftrag von vier Millionen US-Dollar von ProSiebenSat.1 bekommen. Das ist gut als Initialzündung für unser Münchner Büro.
In welchen Produktbereichen erwarten Sie Einkäufe der Öffentlich-rechtlichen?
Wir sehen bei den Öffentlich-rechtlichen insgesamt einen großen Bedarf an Ersatzinvestitionen. Dazu haben wir auf der Messe sehr viele Gespräche geführt. Wir haben einiges im Produktportfolio, das auf großes Interesse stößt. Dazu gehört sicherlich unser Nexio AMP-Server in Zusammenhang mit der Playout Automationssoftware ADC. Das 3 Gb/s-Thema ist sehr präsent, da jeder, der sich jetzt mit einer Investition beschäftigt, auch entsprechende Zukunftssicherheit haben will. Man will kein Produkt kaufen, das nicht HDTV-tauglich ist. Harris kann den TV-Sendern jedoch gewährleisten, jederzeit 3 Gb/s-Fähigkeit nutzen zu können, da unsere Produkte zwar für niedrigere Datenrate zu einem niedrigeren Preis verfügbar sind, durch ein Software-Upgrade aber jederzeit für 3 Gb/s aufgerüstet werden können. Wir bieten damit Flexibilität und Offenheit bei nachgelagerten Investitionen. Kunden können sich mit unseren Produkten problemlos einer HDTV-Struktur in der Produktion annähern. In Osteuropa registrieren wir derzeit eine Menge Bewegung im HD-Bereich, und ich glaube, dass es auch bei den Sendeanstalten in Deutschland schon bald eine entsprechende Dynamik geben wird. Eine entsprechende Entwicklung sehen wir heute schon im Ü-Wagen- und im Produktionsbereich. Das wird sich weiter fortsetzen.
Herausforderung Portfolio-Management
Denkt Harris auch daran, einzelne Produktbereiche abzugeben?
Die größte Herausforderung ist momentan das Portfolio-Management. Wir analysieren genau, welche Produkte wir haben, welche Eigenschaften und Bedürfnisse diese Produkte bei dem Kunden generieren. Das betrifft das Transmitter- und Multiviewer-Geschäft ebenso wie das Geschäft mit hochkomplexen Softwareapplikationen und Playoutservern. Dafür etablieren wir dezidierte Produkte und Vertriebskanäle. So werden unsere Streaming- oder die ehemalige Aastra-Produkte von der Firma Vidi Studiotechnik vertrieben, weil die sich in dem Bereich sehr stark auf diesem Markt positioniert hat. Traditionell ein starkes Direktgeschäft in Deutschland ist zum Beispiel das Transmitter-Geschäft. Es ist sehr volumenorientiert und kapitalintensiv. Da muss man schon mit Firmen wie Media Broadcast zusammenarbeiten. Die ehemaligen Leitch-Produkte ebenso wie die Videoprocessing- und Videoinfrastruktur-Produkte werden im erfahrenen Händler-Kanal aufgesetzt bleiben. Auf Multilayer-Distribution mit auf einzelne Regionen abgestimmten direkten und indirekten Vertrieb setzen wir in den meisten Produktbereichen.
Was passiert im Bereich der Production-Server?
Unser Focus liegt auf dem Nexio AMP. Der Server ist jetzt nach vielen Jahren der Weiterentwicklung reif für den deutschen Markt. Wir haben schon sehr schöne Installationen bei APS Astra und bei ProSiebenSat.1. Aufgrund des hohen Zuspruchs sind wir optimistisch, was die weitere Vermarktung der Systeme angeht. Unser Nexio Amp ist ein tolles Produkt auch im SAN-Bereich, im Zusammenspiel mit anderen Systemen, im Workflow- und im Solutionsbereich. Ob wir Server auch für dezidierte Live-Sport-Applikationen anbieten werden, bleibt zu prüfen.
Was sind Ihre persönlichen IBC-Highlights am Harris-Stand?
Wir haben hier eine große Produktvielfalt. Definitiv ist aber der Nexus ein Highlight, von dem ich persönlich begeistert bin. Der ist einfach unterrepräsentiert im deutschen Markt. Interessant ist auch unser komplett neues Line-up im Transmitter-Bereich. Es bildet den Startpunkt einer grundsätzlichen Erneuerung dieser Produktfamilie in den nächsten zwölf Monaten. Wir adressieren damit einen sehr wichtigen Markt. Der mögliche Ausbau der Digital-Audio-Brodcasting-DAB-Sendernetze in Deutschland ist mit hohen Investitionen verbunden. Das hat natürlich auch eine gewisse Attraktivität für Harris. Europaweit bewegt sich zudem einiges durch den Ausbau von DVB-T- und DVB-H-Sendernetzen. Hier am Stand verzeichnen wir zudem großes Interesse am 3 GB/s-Thema. Und für unser Team hier ist auch die Darstellung der Softwareapplikationen von Harris wichtig. Das ist der Bereich mit Broadcast Master, unserem skalierbaren Verkaufs- und Planungssystem für kleine bis mittelgroße TV-Stationen oder die Playout-Automation D-Series DSX oder ADC-1000 kombiniert mit Digital-Asset-Managementsystemen wie Invenio und Comperio, Enterprise Management- und Harris Business-Systemen. Unsere Medien-Software, die wir hier in Amsterdam wieder vorstellen, wird leider auch in Deutschland von unseren Kunden noch nicht ausreichend wahrgenommen. Hinsichtlich dieser übergeordneten H-Class Resource-Management-Applikationen gibt es da noch relativ wenig Kenntnisse. Unsere Hauptaufgabe ist es, dieses Portfolio in Gänze darzustellen. Wir haben dazu übrigens schon interessante Applikationen bei BSkyB und bei RTL Club installiert. Hierbei geht es um die vertikale Integration von Workflows von der Produktion bis in den kaufmännischen Bereich hinein. Vor dem Hintergrund ist unser Digital-Asset-Management-System Invenio, das beim Bayerischen Rundfunk installiert ist, auch so ein ungehobener Schatz. Da müssen wir uns mehr drum kümmern. Dazu reden wir auch mit Drittanbietern wie Blue Order. Harris, das wird oft unterschätzt, ist ein Unternehmen, dass die Offenheit der Systeme stark betont. Es gibt bei uns Tools wie den so genannten Intelligent-Media-Mover – IMM, die erlauben, Systeme von Drittanbietern sehr einfach zu implementieren. Und wir unterstützen Filebased-Workflow-Transfer, um wirklich alle gängigen Fileformate relativ einfach implementieren können und einen Workflow optimal in der Lösung abzubilden. Im Lösungsbereich liegen die wirklichen Stärken von Harris. Hier werden wir in Zukunft besonders partizipieren. Wir sind natürlich auch in der Lage, ganze Systeme mit unseren Systempartnern zu realisieren.
Noch viel Potenzial
Will Harris auch in das Systemintegrationsgeschäft einsteigen?
Wir glauben nicht, das es für uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt Sinn macht. Das ist ein sehr Ressourcen intensives Geschäft, das auch sehr stark mit Drittanbietern verknüpft ist. Im Endeffekt haben wir dafür genug Spezialisten von namhaften Systemhäusern.
Befürchten Sie nicht, dass Ihnen Sony und Thompson dann einiges an Geschäft wegnimmt?
Ich sehe Sony und Thompson nicht als wirkliche Wettbewerber. Ich bin bei Harris angetreten, um daraus eine Firma zu machen, die unvergleichbar ist, mit Eigenschaften, die nicht partizipierbar sind von Thompson oder Sony. Das klingt jetzt etwas abstrakt. Ich glaube aber, in dem Unternehmen existiert noch soviel ungehobenes Potenzial, gerade in der Software-Ecke. Und allein schon wegen der riesigen Bandbreite der Produkte im Harris-Portfolio wird es möglich sein, echte Alleinstellungsmerkmale zu sichern. Ich bin auch überzeugt davon, das es richtig ist, unsere Ressourcen in kundennahe Kommunikation und Marketingsupport zu investieren statt in projektintensive Arbeit, die von Partnerunternehmen viel einfacher und besser realisiert werden kann als von uns. Es macht Spaß, bei Harris zu arbeiten. Unsere Vision ist, dass die Niederlassung München auch als Hub für andere Abteilungen dient und so auch langfristig gesehen eine Investition mit viel Potenzial darstellt. Für unsere Vorstellungen haben wir hier auf dieser IBC, wie gesagt, das beste Feedback überhaupt erhalten.
Eckhard Eckstein (MB 12/08)