Front gegen Kostenloskultur im Netz

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Arbeitnehmer-Vertreter der Kultur- und Kreativwirtschaft, und Medienverbände, die für deren Arbeitgeber Lobbying betreiben, haben naturgemäß selten gemeinsame Interessen. Umso überraschender, dass Verdi am 26. April, dem „Tag des geistigen Eigentums“, um Punkt 11.55 Uhr mit einer ausgefeilten PR-Trommel unter dem Titel „Diebstahl geistigen Eigentums im Netz: 5 vor 12 für die Kreativwirtschaft“ zusammen mit den Spitzenorganisationen der TV-, Film, Musik- und Buchbranche zu einer gemeinsamen Pressekonferenz lud.

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Front gegen Kostenloskultur im Netz

Um es vorweg zu nehmen: Für Verdi ging der Schuss nach hinten los. Schon im Vorfeld zu dieser Pressekonferenz hatten die Verdi-Funktionäre, die auf die Idee zu einer gemeinsamen Einladung mit Vertretern der Medienverbände gekommen waren, ordentlich Zoff mit einem offensichtlich nicht kleinen Kreis ihrer Mitglieder und Sympathisanten gekriegt. In verschiedenen Blogs im Internet machten sie ihrer Empörung Luft – bis hin zur Austrittsdrohung.

So wurden die teilnehmenden Verbände – Verband Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT), Bundesverband Musikindustrie (BVMI), Verband Deutscher Drehbuchautoren (VDD), Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels – als „Content-Mafia“ bezeichnet, die „im Bett mit Verdi billige Propaganda“ machen wolle. Verdi wurde unterstellt, ein dauerhaftes „Bündnis mit Unternehmensverbänden schmieden“ zu wollen. Damit würde sich Verdi „politikunfähig“ machen, denn die „neuen Bündnispartner“ wollten mit „Netz- und Zugangssperren“ doch nur die „totale Kontrolle des Netzes“ erreichen. Haarklein wurde auch analysiert, dass die TERA-Studie, Basis der Pressekonferenz, wissenschaftlich fragwürdig sei.
Von vielen, vor allem jüngeren politisch Aktiven, wird der offene Zugang zum Netz und die im Netz vorherrschende Gratiskultur als heilige Kuh angesehen und als Garant für die Funktion des Internets als globales Instrument für die Kommunikations- und Meinungsfreiheit. Was nicht von der Hand zu weisen ist.

Dabei wird aber auch „das geistige Eigentum“, um dessen Urheberrechtschutz es bei der Veranstaltung gehen sollte, negiert, weil es ja einen demokratischen Zugang zu Inhalten für alle geben solle. Die ökonomische Verwertungskette, die nicht nur für Wirtschaftsunternehmen, sondern auch für ihre Beschäftigten das Geld für Lohn und Arbeitsplätze einsammelt, bleibt bei solchen ideologischen Diskussionen, die es seit der Etablierung des Internets gibt, gerne unbeachtet – zugunsten von idealistischen Zukunftsvisionen. Man hofft mit Hilfe der virtuellen Realität eine neue, bessere Lebensform zu finden. Und man misstraut Medienunternehmen wegen ihrer Rendite-Gier, zu der diese sich ja selber bekennen.

Arbeitsplatz-Verlust durch Rechte-Piraten
Im Mittelpunkt der Pressekonferenz unter dem Dach der Verdi-Zentrale in Berlin standen dennoch zunächst die Ergebnisse einer bereits im März auf EU-Ebene vorgestellten Studie, die den Einfluss der illegalen Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte im Internet auf die digitale Wirtschaft in Europa und die Entwicklung ihrer Arbeitsplätze bis 2015 untersucht. Durchgeführt worden war sie von der französischen Beratungsfirma TERA Consultants im Auftrag der BASCAP (Business Action to Stopp Counterfeiting and Piracy), eine Initiative, die von der Internationalen Handelskammer, ICC, ausgeht. Explizites Ziel der Initiative auf EU-Ebene ist es, Regierungen zu motivieren, den Schutz von Eigentumsrechten auch in der digitalen Welt faktisch durchzusetzen.

Die Studie kommt zum Ergebnis, dass es allein in Deutschland im Jahr 2008 bei Produktion und Vertrieb von Spielfilmen, TV-Serien, Musik und Software einen Schaden von 1,2 Milliarden Euro durch den Diebstahl urheberechtlich geschützter Inhalte gegeben hat. Das habe gleichzeitig rund 34.000 Arbeitsplätze gekostet. Für alle 27 EU-Staaten errechnet die Studie für 2008 einen Verlust von zehn Milliarden Euro und 186.000 Jobs. Ohne konkrete Gegenmaßnahmen könnten sich diese Zahlen bis zum Jahr 2015 in der EU auf 56 Milliarden Euro und rund 1,2 Millionen Arbeitsplätze kumulieren. Die illegale Verbreitung und Nutzung bedroht laut TERA-Studie nach der Software- und Musikindustrie nun auch zunehmend die Film- und Rundfunk-Branche sowie die Buchwirtschaft.

Als weiteres Ergebnis der Studie stellen die Medienverbände VPRT, BVMI, VDD, SPIO und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels in einer gemeinsamen Erklärung heraus: „Neben Tauschbörsen und so genannten Sharehostern wie Rapidshare entwickeln sich im Film- und TV-Bereich vor allem illegale Streamingservices (z. B. kino.to) zu einem Problem. Weil die Server meist im Ausland stehen, können diese Angebote mit den bestehenden rechtsstaatlichen Instrumentarien nicht wirksam bekämpft werden.“ Während andere EU-Staaten wie Frankreich und England beispielsweise mit der Einführung von sanktionierten Warnmodellen bei Urheberrechtsverletzungen in P2P-Netzwerken oder effizienten Maßnahmen zur Bekämpfung illegaler Streaming-Angebote neue Wege beschritten, so die Erklärung, herrsche in Deutschland derzeit Stillstand. Aus diesem Grund haben die Medienverbände Sechs-Punkte-Programm vorgeschlagen, das die Bundesregierung durchsetzen soll.

„Täglich massenhaft begangene Urheberrechtsverletzungen im Netz gefährden sowohl bestehende wie auch potentielle neue Arbeitsplätze in der Kreativwirtschaft, die inzwischen maßgeblich zur Bruttowertschöpfung in Deutschland beiträgt”, sagte Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, auf der Pressekonferenz. Auch wenn sich die Mehrzahl der Verbraucher legal verhalte, gebe es in Deutschland laut der aktuellen GfK Brennerstudie rund 4,6 Millionen Menschen, die sich illegal mit Büchern, Musik, Filmen oder TV-Serien aus dem Internet versorgen. Die Selbstbedienungsmentalität Weniger gehe damit zulasten der gesamten Gesellschaft.

Gratiskultur, Hobbykünstler & Verlust
Zwar habe der Buchhandel bislang noch nicht einen so großen Schaden wie andere Branchen der Medienindustrie durch die illegale Nutzung geistigen Eigentums erlitten. Er rechne aber damit, dass sich die Probleme mit eBook und iPad verstärken werden, sagte Skipis. Das sei „nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein kulturelles Problem“. Die Bundesregierung müsse „der Kostenloskultur entgegentreten und die Frage zentral behandeln, wie der Schutz des Eigentums durchsetzbar ist“.
Peter Henning, Mitglied im Vorstand des Verbands Deutscher Drehbuchautoren, beklagte ebenso die Kostenlos-Mentalität im Internet. Letztlich habe sich diese auch auf die Zahlungsbereitschaft der Auftraggeber von Drehbuchautoren negativ ausgewirkt. Die Bereitschaft, für eine Idee Geld auszugeben, sei „spürbar geringer geworden“. Es sei immer weniger Geld für die Entwicklung vorhanden. Man brauche aber Entwicklungskapital und soziale Absicherung.

„Wenn man nichts verdienen kann, kann man auch kein Geld investieren“, sagte Hennig: Das gelte für die gesamte Verwertungskette, von der Idee bis zum Vertrieb. Er sieht eine kulturelle Katastrophe am Horizont, „wenn wir nur noch eine Gesellschaft von Hobbykünstlern haben“.
Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands Musikindustrie, ist am längsten mit den ökologischen Folgen von illegalen Downloads vertraut wie auch mit den Argumenten derjenigen, die sie befürworten.

Als vor rund zehn Jahren die File-Share-Portale für Musik in Verbindung mit heimischen Brennern zu boomen begannen, sah es zunächst so aus, als würde die Musikindustrie in den Abgrund gerissen. Der Schaden ist bis heute noch nicht wett gemacht. So stellte Gorny auf der Pressekonferenz auch in Richtung der anwesenden internen Verdi-Kritiker heraus, dass „die kulturelle Bedeutung in der Kreativität Einzelner und nicht in der Schwarmintelligenz“, stecke. Die „Schwarmintelligenz“ hatten einst Internet-Ideologen als Gegenstück für das „geistige Eigentum“ erfunden und damit die Gratiskultur als politische Utopie beschworen. „Die Umsonst-Kultur wirkt ökonomisch negativ“, sagte Gorny und die Internet-Diskussion müsse endlich „entideologisiert werden“.
Gorny: „Die Freiheit des Einzelnen muss sich auf Grundlage der Wertschöpfung entwickeln können. Wir werden Arbeitsplätze und kulturelle Vielfalt verlieren, wenn die Politik nicht tätig wird“. Man brauche für das Internet eine Art „Straßenverkehrsordnung“, sagte Gorny. Auch „in der haptischen Welt gilt nicht, du kannst so und so viel klauen, nur weil eine neue Technologie existiert“.

VPRT-Präsident Jürgen Doetz stellte trocken fest: „Es muss gehandelt werden“. Zudem sei eine bessere Zusammenarbeit der Politik auf internationaler Ebene „dringend notwendig“. Jede Piraterie schade auch den Einnahmen über die Werbewirtschaft. Doetz ist überzeugt: „Ohne exzessive Einbindung der Access Provider ist kein wirksamer Schutz möglich“.

Wertschöpfungskette für alle
Das Schlusswort in der Pressekonferenz-Veranstalter-Runde hatte Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Bereichsleiter Kunst und Kultur bei Verdi, der den angekündigten stellvertretenden Verdi-Vorsitzenden, Frank Werneke, vertrat. „Warum gibt es diese gemeinsame Pressekonferenz“, fragte er. Antwort: Sie sei Resultat „aus dem gemeinsamen Auftreten der Gewerkschafts- und Arbeitgeberverbänden im Sozialen Dialog des AV-Bereichs auf europäischer Ebene“. Damit würden „Forderungen zum Schutz von Kreativität, Innovation und Arbeitsplätzen gestellt“.
Mit einem gemeinsamen Auftreten des Schriftstellerverbands VS in Verdi und des Börsenvereins im Verbund mit der VG Wort bezüglich des Google Book Settlements habe man in jüngerer Vergangenheit schon einmal Erfolg gehabt. Bleicher-Nagelsmann betonte mit Blick auf aufmüpfige Verdi-Mitglieder: „Wir werden mit aller Entschiedenheit dafür eintreten, dass die Kommunikations- und Meinungsfreiheit auch im digitalen Raum geschützt bleibt. Wir haben die Vorratsdatenspeicherung abgelehnt, wir lehnen Elena (Elektronischer Entgeltnachweis, der in der deutschen Verwaltung ab 2012 eingeführt werden soll – d. Red.) ab und dabei bleibt es”
Auch den Verdi-Mitgliedern, die die Erhebung der Ergebnisse der vorgestellten TERA-Studie methodisch für nicht valide halten, kam er entgegen: „Überprüfungen und Korrekturen sind wohl erforderlich“. Aber: „Die dargestellten Größenordnungen und möglichen Entwicklungslinien müssen zumindest nachdenklich stimmen und als deutliches Warnsignal gesehen werden“. Grundsätzlich, so stellte er fest, würden Studien im Sinne der jeweiligen Auftraggeber durchgeführt. Man werde als Mitglied der jüngst vom Deutschen Bundestag eingerichteten Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ fordern, dass „eine umfangreiche und valide Studie für Deutschland über die wirtschaftlichen Auswirkungen der widerrechtlichen Nutzung geschützter Werke vorgelegt wird.“

Gleichzeitig machte Bleicher-Nagelsmann deutlich, dass man sich „als Urheberrechtsorganisation“ mit den Medienverbänden „einig über das enorme Potential“ sei, „das in der digitalen Entwicklung“ liege. Es komme darauf an, gemeinsam „funktionierende Modelle zu finden“, wie alle beteiligten Rechteinhaber in der Wertschöpfungskette eingebunden – und „angemessen an den Erlösen beteiligt“ werden könnten.
Mit Bezug auf Gorny, der ähnliches formuliert habe, stellte Bleicher-Nagelsmann fest: „Schriftsteller wollen gelesen werden, aber sie müssen davon auch leben können“. Dabei gehe es auch nicht nur um die Zahl der Arbeitsplätze, sondern auch um ihre Qualität, also „um angemessene Arbeitsbedingungen und Bezahlung“.

Kino wieder sexy
Die gute Nachricht hatte zuvor Christiane von Wahlert von der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft vorgetragen. „Kino ist wieder attraktiver geworden“. Durch „Digitalisierung und 3D“ werde Kino mit Filmen wie Avatar „wieder sexy“ und habe durch den technologischen Umbruch nach langen Jahren wieder ein „Alleinstellungsmerkmal“. Die schlechte Nachricht sei, dass alle Filme vor und nach der Kinoaufführung illegal auf dem Markt vertrieben würden. Dabei beklagte Wahlert insbesondere, dass der Bushido-Film von Constantin „Zeiten ändern dich“, nach einem fulminanten Start am ersten Kinowochenende völlig einbrach, um dann in den illegalen Chart-Listen im Netz wieder aufzuerstehen.
In einschlägigen Blogs wurde dazu kommentiert, dass niemand für schlechte Filme bezahlen wolle.
So oder so: Das Recht auf Meinungsfreiheit wird im Internet sicher nicht gefährdet, wenn dort gleichzeitig der Schutz des geistigen Eigentums durchgesetzt wird.
Erika Butzek
(MB 06/10)