Interessante Herausforderungen

Muriel De Lathouwer ist im Februar 2015 zum neuen Managing Director & CEO von EVS Broadcast Equipment ernannt worden. MEDIEN BULLETIN sprach mit ihr auf der NAB Show 2015 über die Positionierung von EVS in dem sich wandelnden Broadcast-Markt sowie über ihre Ziele und Visionen.

9
Interessante Herausforderungen

Sie sind Ingenieurin der Nuklearphysik und Master of Business Administration (MBA). Wie findet man da den Weg in die Broadcast-Branche?

Ich habe viele Jahre als IT-Consultant gearbeitet und dabei viel über Software-Development gelernt. Unter anderem war ich sieben Jahre lang bei McKinsey beschäftigt, zuletzt in den Bereichen Telekommunikation, High-Tech und Medien. Da habe ich mit großen Kunden wie Liberty Global und France Telecom zu tun gehabt, mit Kabelnetz- und Mobilfunkbetreibern, mit Content- und Consumer Elektronik-Anbietern. Bei dieser Tätigkeit habe ich die verschiedenen Stufen der digitalen Wertschöpfungskette kennen gelernt ebenso wie die Rolle der einzelnen Player im Markt und was disruptive Prozesse, ausgelöst durch die IP-Revolution, für sie bedeuten.

Nach meiner Consulting-Tätigkeit habe mich als Unternehmerin selbstständig gemacht. 2013 bin ich dann Mitglied des EVS-Aufsichtsrats geworden. EVS suchte unabhängige Board-Mitglieder mit IT-, Telekom- und Strategie-Background, Leute die schon viel Erfahrungen mit der IP-Revolution hatten und eine andere Sichtweise in die Broadcast-Industrie und die Herausforderungen, mit denen die traditionellen Rundfunksender konfrontiert sind, mitbringen.

Was war ihr erster Eindruck von EVS als Sie mit der Firma in Kontakt gekommen sind?

In Belgien verfügt EVS über eine sehr gute Reputation. Wenn es um neue Technologie und Innovationsführerschaft geht, gibt es weltweit nicht so viele Firmen, die da mithalten können. Es ist eine Firma von der jeder die höchste Meinung hat, selbst wenn er nicht in der Broadcast-Branche tätig ist. Deswegen habe ich mich sehr gefreut als man mich fragte, ob ich Board-Member werden wolle und so auch einen gewissen Einfluss auf die Arbeit von EVS haben konnte.

Wie sehen sie die Broadcast-Industrie insgesamt? Hier gibt es gegenwärtig einen großen Wandel. Alle Unternehmen kämpfen um eine neue, bessere Marktpositionierung. Den richtigen Schritt zur richtigen Zeit zu machen ist dabei nicht leicht. Ist das für Sie besonders herausfordernd?

Wenn viele Veränderungen und Innovationen stattfinden, dann bewegt man sich in einer ganz neuen Umgebung. Für mich ist es extrem interessant und intellektuell herausfordernd, herauszufinden, wie man die Spielregeln verändern kann und wie man Nutzen aus neuen Situationen ziehen kann, die durch die Veränderungsprozesse entstehen. Ich habe dieses Szenario immer sehr geschätzt. Natürlich, als ich gesehen habe, dass die Broadcast-Industrie noch nicht ganz den Prozess der IP-Revolution durchlaufen hat, war ich schon etwas überrascht. Schließlich haben wir das in der Telekom-Industrie schon vor zehn Jahren geschafft. Und hier passiert diese Umstellung erst jetzt.

Aus Veränderungen, das ist klar, ergeben sich immer viele neue Gelegenheiten. Einige Markt-Player versuchen trotzdem, erst einmal ihre Pfründe zu schützen. Sie kommen dann aber leicht in eine schwierige Position. Diejenigen aber, die sich der neuen Entwicklung gegenüber öffnen und sich Gedanken darüber machen wie die Veränderungen die Industrie beeinflussen werden, was die Konsequenzen für die Kunden und sie selbst sind, wie man neue Geschäftsmöglichkeiten entwickeln kann, wie man sich selbst besser positionieren und seine Firma weiterentwickeln kann, sind im Vorteil. Das sind spannende Herausforderungen. Für mich ist das eine geradezu phantastische Zeit.

Kann man die Telekom-Industrie denn ohne weiteres mit der Broadcast-Industrie vergleichen?

Es gibt sicher einige Ähnlichkeiten, aber natürlich auch viele Unterschiede. Die Telekom-Industrie ist bei weitem nicht so fragmentiert wie die Broadcast-Industrie. Sie präsentiert sich vor allem aber komplett anders in Sachen Marktdynamik. Mit Blick auf den Einfluss von IP gibt es indes Ähnlichkeiten. Als Skype vor zehn Jahren gestartet wurde fragte man sich: Ist dies das Ende der Telekom-Unternehmen? Heute ist die Broadcast-Branche mit dem Netflix-Start in einer ähnlichen Situation. Überall diskutiert man über die Zukunft von Broadcast. Werden die Sender überleben können wenn Netflix und andere vergleichbare Unternehmen das ganze Geschäft übernehmen. Es gibt also durchaus einige Vergleichsmöglichkeiten, die ich sehr interessant finde. Es ist in den Branchen sicher nicht so, dass man alle Markt-Regeln dort gleich ansetzen kann aber es gibt einige Elemente, die ähnlich sind. Das heißt aber auch nicht, dass die Antworten auf die Fragen alle gleich sind.

Im Broadcastmarkt gibt es seit einiger Zeit einen ausgeprägten Konsolidierungstrend. Können am Ende Firmen in der Größe von EVS überhaupt überleben?

Mit Sicherheit. Es ist immer die Frage der kritischen Masse. Es ist richtig, wenn man zu klein ist und nicht genug in Forschung und Entwicklung investieren kann, hat man ein Problem. Aber bei uns ist das anders. Wir investieren sehr viel in Forschung und Entwicklung. 54 Prozent unserer Mitarbeiten arbeiten in diesem Bereich. Es gibt Firmen, die sind viermal größer als EVS, und haben nicht mehr Leute in ihrer R&D-Abteilung als wir. Wir glauben, dass wir die kritische Masse im R&D-Bereich haben, um in der Lage zu sein, alle nötigen Entwicklungen voran zu treiben. Dazu konzentrieren wir uns auf das Live-Produktions-Geschäft. Das passt sehr gut zu unserer Größe. Auf diesem Gebiet haben wir sehr viele Innovationen zu bieten. Das wurde auch auf unserem Messestand auf der NAB Show 2015 wieder sehr deutlich.

Daneben will EVS aber wohl auch seine Geschäftsaktivitäten ausbauen, wie das andere Firmen auch machen. Oder nicht?

Natürlich. Wir haben zum Beispiel DYVI übernommen und Open Cube in Toulouse. Akquisitionen gehören zu unserer Strategie. Es geht dabei für uns aber nicht darum, Marktanteile hinzu zu gewinnen oder Umsatzsteigerungen zu generieren und zu wachsen sondern vielmehr um die Übernahme von Schlüsseltechnologien. Wir suchen nach neuen Technologien und Menschen mit entsprechendem Spezial-Know-how, die wir dann innerhalb der Firma gut einsetzen können. Mit Open Cube haben wir diese Strategie sehr erfolgreich umgesetzt. Und wir machen das jetzt auch so mit DYVI. Auch künftig wollen wir kleine Technologie-Firmen, mit sehr guten Innovationen, die zu uns passen, insbesondere in den Bereichen Live Produktion, kaufen. Wir wissen dabei auch, dass eine Akquisition ein sehr komplexer Prozess ist, bei dem man leicht Werte zerstören kann. Das wollen wir vermeiden.

In der Branche wird oft der Mangel an qualifizierten Mitarbeitern beklagt. Auch bei Ihnen in Liège?

Wir wissen, dass viele Mitbewerber Probleme haben, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen. Bei uns ist das nicht so. Wir verzeichnen auch eine extrem niedrige Fluktuation. Unsere Entwickler bleiben meist viele Jahren im Unternehmen. Andere Unternehmen müssen jedes Jahr zehn bis zwanzig Prozent Mitarbeiter, die das Unternehmen verlassen, ersetzen. Wir nicht. Unsere Mitarbeiter fühlen sich bei uns sehr wohl. Es ist sehr selten, dass uns ein Ingenieur verlässt und ersetzt werden muss. Außerdem haben wir sehr enge Beziehungen zu Universitäten, von denen wir den besten Ingenieur-Nachwuchs bekommen. Die gleiche Situation haben wir übrigens auch bei unseren Entwicklern in Toulouse.

Sie sind studierte Ingenieurin, die sich heute mehr mit Business-Fragen auseinander setzt. Was ist für Sie interessanter: Technikentwicklung oder Business?

Für mich ist es am wichtigsten, Einfluss auf Kunden- und Mediennutzer-Verhalten zu haben. Es begeistert mich am meisten, zu sehen, dass wir mit unseren Produkten und Lösungen bei vielen Anwendungen den entscheidenden Unterschied machen können. Natürlich schaue ich, dass die finanziellen Dinge gut laufen und unsere Ingenieure in der richtigen Richtung arbeiten. Ich sehe meine Arbeit ganzheitlich.

Wir sind in einem People Business und ich liebe es, mit Leuten zu kommunizieren und zuzuhören, was sie über unsere Entwicklungen zu sagen haben.

Sind sie ein guter Netzwerker?

Für mich ist es nicht schwer, mit Menschen zu interagieren. Aber ich bin kein Typ der seine Zeit gerne auf Golfplätzen,  Empfängen oder anderen Events verbringt. Es gibt sehr unterschiedliche Broadcast-Märkte in der Welt.

Sind alle schon bereit für IP-basierte Lösungen?

Es kommt darauf an, was man unter IP Transition versteht. 100 Prozent Umstieg auf IP wird nicht schon morgen geschehen. Aber wir sind auf dem Weg dahin. Die Überbrückung der zwei Welten passiert bereits. Wir müssen zudem unterscheiden zwischen Live und Non-Live. Im Non-Live-Bereich haben wir bereits eine Menge filebasierter Workflows auf Basis von IP. Da verzeichnen wir bereits eine dynamische Entwicklung, weil hier auf Grund des zunehmenden Kostendrucks Effizienz extrem wichtig wird. IP hilft dabei. Aber im Live-Bereich ist es anders. Gerade bei Großveranstaltungen ist sehr viel Geld im Spiel, so dass die Effizienz in der Produktion nicht die dominierende Rolle spielt. Hier geht es vorrangig darum, dass möglichst alles was man macht, auch hundertprozentig zuverlässig funktioniert. Deshalb gibt es hier auch mehr Widerstände gegen IP-basierte Lösungen. Und die IP-Evolution ist hier viel langsamer. Ein Umstieg wird hier nur möglich sein, wenn die Zuverlässigkeit Hundertprozent sichergestellt ist. Das ist heute noch nicht der Fall. Die Geschwindigkeit in der Entwicklung hin zu IP ist in den einzelnen Märkten natürlich sehr unterschiedlich und hängt von den dort jeweils treibenden Kräften ab.

Muss EVS mehr beraten, um den Transformationsprozess bei den Kunden deutlicher zu machen?

Ich glaube, wir sind auch hier anders aufgestellt als viele andere Firmen. Unsere Vertriebsmannschaft ist extrem nahe am Kunden. Die gehen nicht zu ihm hin, um nur eine Bestellung aufzunehmen. Sie sitzen vielmehr oft im Ü-Wagen nahe bei den Operatoren, um zu verstehen wie die Arbeitsprozesse dort ablaufen und ob es da Möglichkeiten gibt, diese noch ein Stück weit zu verbessern. Auch unsere Support-Anstrengungen sind sehr groß. Unsere Sales-Teams fahren damit fort, was sie schon immer gemacht haben, nahe beim Kunden zu sein und so sicher zu stellen, dass sie die Wertschöpfung verbessern können. Wir führen hier keine Diskussion mit dem CTO eines Unternehmens sondern mit den Anwendern direkt. Das ist eine Besonderheit in unserer Firmenkultur, und darauf werden wir weiter setzen. Wir brauchen kein Extra-Team für Beratung.

Schauen wir mal etwas in die Zukunft. Wie wird EVS in einem Jahr aufgestellt sein?

Unsere strategische Ausrichtung, fokussiert auf Live-Produktion, bleibt bestehen. Wir wollen unsere führende Rolle in der Live-Produktion mit pragmatischen Innovationen weiter ausbauen. Das bedeutet, dass wir auch im IP-Bereich nur solche Lösungen anbieten werden, mit denen wir sicherstellen können, dass sie auch für unsere Kunden von Nutzen sind. Wir werden weiter machen mit Lösungen, die den Weg von der SDI- in die IP-Welt erleichtern. Zudem werden wir unsere Entwicklungen rund um C-Cast vorantreiben sowie neue Technologien in Cloud basierten Umgebungen und für User Generated Content forcieren, um das Mediennutzererlebnis weiter zu verbessern.

Wollen Sie bei EVS nichts ändern?

Diese Firma ist grundsätzlich großartig, hat eine sehr starke Marke, eine ausgezeichnete Kundenbasis und jede Menge echtes Talent und Begeisterungsfähigkeit bei den Mitarbeitern. Natürlich ist im Laufe der letzten Jahre mit großem Wachstum und damit verbundener Umorganisationen eine leichte Tendenz entstanden, den Fokus zu verlieren. Meine Aufgabe ist es, ihn zu justieren und unsere Stärken besser zu nutzen.

Eckhard Eckstein

MB 4/2015