Kreativität in der Kostenschraube

Vom Absturz der New Economy bis zur jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise: Die wiederholten Krisen haben selbstredend auch Auswirkungen auf das Fernsehprogramm und seinen Markt gehabt. Hinzu kam und kommt die Digitalisierung der Medien, deren Chancen und Risiken bis heute im Einzelnen nicht absehbar sind. Zumindest scheint immerhin die Wirtschaftskrise in Deutschland schneller als erwartet beendet zu sein. Werbegelder fließen wieder. Eine gute Ausgangslage, um nun die Qualität von Inhalten und Programmen des Fernsehens wieder in den Mittelpunkt der Aktivitäten und Debatten zu stellen?

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Kreativität in der Kostenschraube

Um sich die jüngere Vergangenheit noch einmal zu vergegenwärtigen: Krisen und Unsicherheiten führten zu aufgeregten Aktivitäten im Wettbewerb der Big Player im Medienmarkt und zu endlosen medienpolitischen Diskussionen mit teils kruden Ergebnissen wie den Dreistufentests. Es wurde das Fernsehen der Ära 3.0 angekündigt, womit hohe Erwartungen an neue Geschäfte in der digitalen Welt verbunden waren. Von Markt- und Medienforscher wurden immer wieder neue, sich häufig widersprechende Erkenntnisse zum Mediennutzungsverhalten und zur Relevanz des Internets vorgelegt.
Das Massenmedium Fernsehen werde zu Gunsten der individualisierten digitalen Ansprachemöglichkeiten Federn lassen. Zeitweise wurde das Internet auf den Thron eines „Leitmediums“ gehoben, das Fernsehen als „Auslaufmodell“ gehandelt. So sind die Qualität des Fernsehprogramms und der publizistische Wettbewerb im dualen System mehr oder weniger in den Hintergrund geraten.

Sicher ist heute: Die Krisen wurden von den Medienmanagern zum Anlass genommen, die Kostenschraube für die Produktion von Programmen und Inhalten so eng wie möglich zu drehen. Die krasse Reduktion von Investitionen in Programm und Personal hat bereits während der Wirtschaftskrise bei RTL und ProSiebenSat.1 zu Super-Renditen geführt. Auch ARD und ZDF werden nicht müde zu betonen, dass sie sparen müssen, auch wenn die Gründe dafür nicht für jedermann nachvollziehbar sind. Es sei denn, es geht um das politische Pokern, wie hoch die künftige Haushaltsabgabe festgelegt werden soll, die ab 2013 die Rundfunkgebühr ablösen wird.

Trotzdem hat das Fernsehen keine Zuschauer eingebüßt, die Nutzungsintensivität ist eher angestiegen. Dem Massenpublikum scheint es egal zu sein, wie hoch die Produktionskosten für eine Sendung sind oder wie viel Herzblut die Macher da hinein gesteckt haben. Es steuert zielgenau das Programm an, von dem er sich den größten Unterhaltungswert verspricht. Und da hat nun mal zurzeit Dieter Bohlen bei RTL die Nase vorne. Wenn aber erst einmal gespart worden ist, ohne Kunden und Einnahmen zu verlieren, ist kaum damit zu rechnen, dass die Kostenschraube wieder aufgelockert wird. Es sei denn, die TV-Manager geben grünes Licht dafür – oder werden politisch dazu gezwungen.

Immer das gleiche Muster

Nach wie vor wird aber von Senderchefs und großen TV-Produzenten gerne behauptet: Deutschland habe das beste TV-Programm der Welt. Davon lassen sich auch viele Politiker überzeugen, obwohl sie eher erst nach 22 Uhr Gelegenheit haben, sich diesen Anspruch selber anzugucken. Doch nicht wenige professionelle Programmbeobachter beschleicht zunehmend eine intuitive Erkenntnis: Dem deutschen Fernsehprogramm und seinem Markt ist im Zuge des Sparzwangs und der digitalen Debatten etwas Wesentliches abhanden gekommen: das gewisse Flair, das die Faszinationskraft des Mediums ausmacht, es immer wieder erneuert und lebendig hält – und hin und wieder für überraschende TV-Erlebnisse, auch außerhalb von großen Fußballturnieren, sorgt. Kreativität wird zunehmend von der Kostenschraube erdrückt, die gleichzeitig mit dem starren Blick auf die Quote verbunden ist.

Dabei wird Fernsehen heute „unglaublich selektiv geschaut“, hat UFA-Produzent und Teamworx-Chef Nico Hofmann („Die Flucht“, „Dresden“) schon vor einem Jahr beobachtet. Und: „Große Emotionen im Pogramm, intelligente Erzählungen werden immer flacher, Thematiken immer austauschbarer, weil Fernsehen eine bestimmte Klientel auf bestimmten Sendeplätzen mit dem Immergleichen durchgehend bedient“.
Wer nicht gewohnheitsgemäß eine bestimmte Sendung im TV-Programm ansteuert, sondern mal wieder zu der Zapp-Methode durch die Programme der großen Sender greift, erlebt im deutschen dualen Fernsehsystem den Wechsel zwischen einer schmucklosen Welt, wo Alltagsprobleme und Sehnsüchte aus dem breiten Volk ungeschlacht grell dargestellt werden, und einer heilen Welt mit häufig malerischen Kulissen, wo es zwar um ähnliche Probleme des Zusammenlebens, der Intrige und der Liebe geht, die hier aber im luxuriösen – auch sprachlich feineren – Ambiente von den Protagonisten im Weichzeichner abgebildet werden.

Handwerklich professionell hergestellt, werden die Geschichten nach immer denselben Strickmustern dramaturgisch aufgebaut, auf beiden Seiten: Das kann man vor allem an den Telenovelas, Familien-, Arzt und Krimiserien von ARD/ZDF einerseits, andererseits an den Coachingformaten wie etwa „Der Schuldner“, „Rach, der Restauranttester”“, den Dokuformaten ( „Familien im Brennpunkt“) nach dem Scripted-Reality-Prinzip von RTL festmachen. Stilbildend bei der Marke Das Erste sind auch die vielen Talk-Shows, wo immer dieselben Experten die Probleme mehr oder weniger akademisch-rhetorisch interessensorientiert zelebrieren, die zuvor von den Medien als solche ernannt worden waren. Zwischendurch wird gerne auch mal die eine oder andere Stimme aus dem Volk eingestreut, am Rande. Günter Jauch soll nun für die ARD der Heilbringer werden, der die politische Talk-Show revolutioniert. Das soll im Herbst 2011 stattfinden.
Bei den Privaten gibt es rund um Dieter Bohlens „Supertalent“ den Casting-Wahn, wo vorgegaukelt wird, dass es das höchste Glück auf Erden sei, einmal TV-und Medien-Star zu werden, egal wie man sich dabei blamiert. Und dann gibt es überall die Quiz-Shows zu sehen, wo es darum geht, Geld zu ergattern oder der Beste oder Klügste zu sein.

Wer etwa anspruchsvolle Dokumentationen oder deutsche Kinofilme wie „Hanami –Kirschblüten“ sehen möchte, muss sich in der Regel auch bei ARD/ZDF bis nach 22 Uhr gedulden oder eben zu Arte wandern. Selbst ambitionierte Dokumentationen wie beispielsweise „Hunger“ der ARD-Themenwoche „Essen und Leben“ werden auf späte Sendeplätze geschoben. In der Prime-Time wird gekocht. Koch-Shows sind aus dem Programm sowieso nicht mehr wegzudenken, bei den privaten wie bei den öffentlich-rechtlichen.
Das Dumme ist: Würden ARD und ZDF nur noch ihre Qualitätsprogramme in die Prime-Time setzen, wäre wohl mit einem horrenden Zuschauerverlust hin zu den privaten, insbesondere RTL zu rechnen. Das macht zurzeit TV-Programmdirektor Thomas Bellut ordentlich zu schaffen, berichtete jüngst der Online-Dienst Meedia. Er ringe aktuell mit dem eigenen Programmschema und verzweifle jeden Tag an bestimmten Zonen im Programm. Bellut wüsste schon, mit welchem Programm man Quoten machen kann. Als er im RTL-Programm, eine amerikanische Frau gesehen habe, die mit ihren Riesenbusen Bierdosen zerdätscht habe, sei ihm sofort klar gewesen: Sieben Millionen Zuschauer! Schön, dass sie bisher nicht bei „Wetten, dass …“ als Kandidatin zu sehen war. Bellut stöhnt darüber, wie im RTL-Programm mit den „Scripted-Reality“-Angeboten „Belanglosigkeiten aneinandergereiht“ werden. Vor allem das Tagesprogramm im Fernsehen sei „die Hölle“. Bellut: „Wir müssen uns neu sortieren und fragen: Was können wir als öffentlich-rechtlicher Sender eigentlich leisten und wo sollten wir uns nicht verzetteln?“

Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Veränderung. Doch das Management des ZDF verfolgt zurzeit ganz andere Unternehmensziele. Nicht das Hauptprogramm steht im Fokus, sondern der Aufbau einer neuen digitalen Fernsehfamilie. Schon seit fast einem Jahr versucht das ZDF mit dem digitalen Kanal ZDF Neo neues junges Publikum zu gewinnen. Die Verdopplung des Marktanteils von 0,1 auf 0,2 Prozent wird als Erfolg verkauft. Für ZDF Neo wurde vor allem US-Lizenzware eingekauft und es wird mit Doku-Soaps experimentiert. Jetzt wird auch noch der ZDF Theaterkanal still gelegt, zugunsten eines Senders, den das ZDF unter dem Rubrum „ZDF Kultur“ startet. Damit soll offensichtlich ein noch jüngeres Publikum eingefangen werden. Das Angebot besteht aus Animationsfilmen, 48 Stunden Popmusik pro Woche von Pop und Rock, über Indie bis hin zu Hip-Hop und Heavy Metal. Natürlich verbraucht der Aufbau einer digitalen Senderfamilie Energien, die dem Hauptprogramm verloren gehen. Zumal das ZDF obendrein einen zünftigen Sparkurs aufgelegt hat, mit dem 2009 ein Überschuss von rund 29 Millionen erwirtschaftet werden konnte.

Chancenlose Qualitätsproduktionen

Wie auch immer: Fernseh-ästhetische Neuerungen im deutschen Fernsehprogramm seien eher nur am Rande zu finden, urteilt beispielsweise der ehemalige Grimme-Institutsleiter und heutige Programmkritiker Bernd Gäbler. Wenn sich in dem Programmteppich des Immergleichen plötzlich eine engagierte Produktion mit voluminösen Bildern, ausgefeilten Dialogen, Schauspielern, die ihr bestes geben und ein Thema einmischt, das nicht auf der Mainstream-Agenda steht, wird es vom Publikum ignoriert. Es sei denn, der Sender hatte zuvor eine große Werbe- und Marketingkampagne für das Projekt so entfacht, dass das Publikum es unbedingt sehen wollte. Dominik Grafs von Branchenexperten hoch gelobtes „atemberaubendes“ zehnteiliges Mafia-Epos „Im Angesicht des Verbrechens“ ist quotenmäßig beim Start auf Das Erste durchgefallen. Es hatte auch einen schlechten Sendeplatz. Es wurde erst um 21.45 Uhr gesendet.

Allerdings hatte die Jugendschutzfreigabe der FSK eine frühere Ausstrahlung verhindert. Gleichzeitig hatte die ARD aber auch auf eine große Kommunikationskampagne im Vorfeld der Ausstrahlung verzichtet.
Immerhin aber hat „Im Angesicht des Verbrechens“, die Serie wurde bereits von ARTE ausgestrahlt, gleich zwei Trophäen beim Deutschen Fernsehpreis ergattert. Der wird gemeinsam von den Stiftern der den deutschen Fernsehmarkt dominierenden Sendegruppen ARD, ZDF, RTL und ProSiebenSat.1 vergeben. Hier werden, wie die mehr oder weniger von den Stiftern un- oder abhängige Jury in ihren Urteilen formulierte, „Ausnahmeprojekte“ gewürdigt. Die aufgezeichnete Preisverleihung ging am 10. Oktober – trotz der natürlich charmanten Moderatorin Sandra Maischberger – ziemlich lieblos über den Schirm, bei Das Erste. Bei Szenen aus dem Publikum waren vor allem die Konterfeis der TV-Manager zu sehen, die den Preis gestiftet hatten. „Todlangweilig“ sei die Veranstaltung gewesen, urteilte die FAZ und mutmaßte, dass sich die Sender eher selber und ihre Programme belobigen wollten als die Kreativen, die es machen. Im Vorfeld des Deutschen Fernsehpreises hatte es Zoff zwischen einem Teil der Kreativen und den Sendern gegeben. Denn Drehbuchautoren, Regisseure, Kameraleute, Cutter und Ausstatter wurden erstmals beim deutschen Fernsehpreis nicht mehr gesondert berücksichtigt.

Zweifelhaft, dass der glänzenden Zukunft für Medienkonzerne, die Bertelsmann-Chef Hartmut Ostrowski kürzlich prognostizierte, auch eine glänzende Zukunft für kreative Programmacher folgen wird. Der Claim „Content is King“ muss, um ein Missverständnis zu vermeiden, neu interpretiert werden. Denn nicht diejenigen, die die Inhalte machen, werden königlich entlohnt, sondern diejenigen, die sich die Rechte dafür besorgen und über die notwendigen Vertriebswege verfügen. Die Medienkonzerne sind die „kings“. Sie haben es geschafft, als Gewinner aus der Krise zu kommen.

Parallel dazu findet neuerdings eine Entzauberung des Internets statt. Plötzlich stellen die Forscher von ARD/ZDF und ProSiebenSat.1 unisono fest, dass das Internet „nur zum Teil“ auch für eine Mediennutzung stehe. Dabei hatten ARD/ZDF in jüngerer Vergangenheit forsch behauptet, dass sie ohne Internet-Präsenz keine Zukunft hätten. Weil Fernsehen „seit Jahren wachsende Nutzungszahlen hat, kann es kein sterbendes Medium sein“, schlussfolgerte HR-Intendant Helmut Reitze aus der jüngsten Langzeitstudie „Massenkommunikation“ von ARD/ZDF. Vielleicht wird die Kreativität ja doch noch neue Chancen erhalten.
Erika Butzek
(MB 11/10)