Im Moment hört man wenig, was aber nicht heißt, dass sich die Situation beruhigt hat, die Diskussion verharrt eher. Ende des letzten Jahres war es anders, mit viel Lärm in den Gefilden der agma. Der Streit, der sich nach außen an klitzekleinen Detailfragen entzündet hat, wie etwa, was soll zukünftig überhaupt im Netz gemessen werden, alles was sich auf einer Webseite bewegt oder nur das, was von einem Nutzer bewusst als Video abgerufen wird? Genau betrachtet, wird einem die mögliche Brisanz dieser Detailfragen schnell klar: Es geht um nicht weniger als die Frage, mit welcher Währung zukünftig in einer immer konvergenteren Medienwelt Medialeistung bemessen werden soll.
IP Deutschland-Chef Martin Krapf etwa, der im Zentrum der sich im Herbst entzündeten Debatte stand, will gar nicht so recht verstehen, wo der Anlass für einen so hitzigen Schlagabtausch lag: „Ja, die Debatte ist in den Gremien ein wenig hoch gekocht. Dabei ist das gar nicht nachvollziehbar, denn eigentlich gibt es überhaupt keinen Anlass zum Streit. Wir reden grundsätzlich über das Gleiche, die Frage ist nur, wo wir den Schnitt machen!“ Von daher gibt er sich auch optimistisch, was eine Einigung auf mittlere Sicht bringen würde. „Bis Ende dieses Jahres werden wir die Konvergenzwährung haben, da bin ich mir ziemlich sicher. Und wenn es dann doch zwei oder drei Monate länger dauern sollte, dann habe ich damit auch kein Problem. Wir sind auf jeden Fall dann das erste Land überhaupt, wo es eine Konvergenzwährung gibt“, so Krapf. Zumindest was die Erfassung des TV-Konsums auch auf dem Verbreitungsweg Online betrifft, hat er sicher Recht. Denn die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF) arbeitet hart daran, schon bald die entsprechenden Zahlen ausweisen zu können.
Guido Modenbach, Geschäftsführer Strategie und Research bei dem IP-Konkurrenten SevenOne Media GmbH: „Wir haben in der AGF bereits anerkannte Methoden und unser Panel gilt weltweit als das Beste. Von daher ist es selbstverständlich die Messmethodik auf neue Verbreitungswege auszudehnen, wenn es um TV-Nutzung geht. Das wird die Online-Messung qualitativ grundlegend voranbringen!“ Man messe Fernsehen, so ein immer wieder gehörter Kommentar, das sei etwas anderes als Print, egal auf welcher Plattform es stattfinde, das seien völlig unterschiedliche methodische Ansätze.
Nicht nur beim Markenverband kommt dieser Vorstoß recht gut an: „In der AGF haben wir einen international anerkannten Industriestandard für Bewegtbild und da bietet sich selbstverständlich an diesen auszubauen. Warum soll man etwas anderes machen, wenn man einen guten Standard hat“, fragt Joachim Schütz, Geschäftsführer der Organisation Werbung treibende im Markenverband (OWM). Doch auch auf der Seite anderer AGF Lizenznehmer, wie etwa von Gerhard Graf von der gg media, die vor allem TV Produzenten mit Quoteninfos versorgt, kommen aufmunternde Kommentare: „Das Thema Internet ist meiner Meinung nach größtenteils ein Hype. Clicks und andere bei der Onlinemessung verwendete Größen sind – wenn man von TV kommt – keine angemessene Währung, da sie nichts über die Verweildauer oder andere wichtige Nutzungsparameter aussagen. Da sind die von der GfK erhobenen AGF-Zahlen deutlich verlässlicher.“ Und auch für die Zukunft der TV bezogenen Online-Zahlen setzt Graf auf den Senderzusammenschluss: „Da die TV-Anbieter in der AGF aber jetzt auch an der Online-Messung arbeiten, könnte sich das in absehbarer Zeit ändern.“
Bewegtbildnutzung im Internet
Martin Berthoud, Vorstandsvorsitzender der AGF, neben seiner Tätigkeit als Leiter der Programmplanung des ZDF, macht deutlich, dass es keinesfalls darum geht, die Nutzeranalyse Online insgesamt neu zu erfinden: „Unser Focus ist die Bewegtbildnutzung im Internet und wir wollen die Nutzung Zeit bezogen messen und darstellen, wie wir das sekundengenau für das Fernsehen bereits machen. Wir rede natürlich auch mit anderen, die sich mit Onlinemessung befassen. Denen kommen wir aber nicht in die Quere. Wir ergänzen vielmehr eher bisherige Messungen, da wir ja nicht Online insgesamt messen.“
Das ZDF nutzt intern freilich schon jetzt die Möglichkeiten, die das Internet zur eigenen Erhebung des Zuschauerverhaltens ermöglicht. Allerdings ist das noch unzureichend oder zumindest komplex und nicht mit den vorhandenen Datensätzen vergleichbar, wie er sagt: „Hausintern beim ZDF haben wir die Möglichkeit zu zählen, wie viele Downloads erfolgreich aus unserer Mediathek heraus gemacht wurden. Davon wissen wir aber nicht, was auch wirklich angesehen wurde oder wie lange oder von wem genau. Dem kann man sich bislang nur mit einigem Aufwand und nicht so genau wie fürs klassische Fernsehen annähern. Das zeigt uns wie wichtig es ist, zu vergleichbaren Zahlen für die verschiedenen Ausspielwege zu kommen und zu solchen, die auch Anbieter-Vergleiche ermöglichen. Wie wir sie mit den AGF-Zahlen für TV mit der bislang Endgeräte-bezogenen Messung bereits haben.“
Große Bandbreite an Lizenzangeboten
Bei der Konzeption des Projekts sei man auf ein sehr breites Interesse gestoßen, auch von Seiten der Lizenznehmer, also etwa der Sender, die zwar Zahlen beziehen ohne aber selbst Mitglied der AGF zu sein. „Unsere Partner und Lizenznehmer, wie etwa kleinere Sender, sind aufgrund ihrer Mitwirkung und Mitentscheidung in den AGF-Gremien über die Planungen im Bilde. Uns ist großes Interesse an der Bewegtbildmessung signalisiert worden. Es ist aber noch zu früh, uns über Lizenzpreise für die erweiterten Reichweitenzahlen Gedanken zu machen. Das wird im Verlaufe des Jahres ein Thema werden. Wir haben jetzt bereits eine sehr große Bandbreite an Lizenzangeboten und Preisen, je nachdem was der Lizenznehmer will. Die sind im Verhältnis zum Aufwand sehr preisgünstig. Dadurch stellen wir für alle Interessierten je nach Bedarf und Möglichkeiten die Zugänglichkeit der Daten sicher. Das wird so auch wieder für die neuen Angebote gelten.“
Obwohl das ZDF als öffentlich-rechtliche Anstalt nicht oder zumindest nur sehr bedingt werben darf, gäbe es bei den Erweiterungsplänen eine große Einigkeit, betont Berthoud: „Zahlen für die Werbung zu erheben, ist der eine Teil der Messung und daran anschließend ihre Nutzung. In den Bereichen Programmplanung oder Demographie – was, wer und wie intensiv sieht – haben öffentlich-rechtliche und private Anbieter ebenso wie bei den Zahlen für die klassische Fernsehwerbung die gleichen Interessen bei der Ausgestaltung des Messsystems. Von daher gibt es in der AGF keinen Dissens darüber, wie die Messung ausgebaut werden soll.“
In der Tat ist die AGF auf ihrem Weg bereits recht weit, wie Karin Hollerbach-Zenz, stellvertretende Vorsitzende der AGF erklärt. Zur Mitte des Jahres soll bereits in einem Teilbereich des AGF Panels mit der Onlinemessung begonnen werden. Dabei geht es vor allem um die Nutzung der sendereigenen Streaming-Angebote, wie etwa den CatchUp-Services. Die Messung ist technisch bedingt erst einmal auf die Senderangebote beschränkt.
Zentrale Ton-Datenbank
„Die Messung erfolgt über einen Abgleich der Tonspur und dafür brauchen wir eine Art zentrale Ton-Datenbank, die beschickt werden muss“, so die AGF-Vorstandsfrau. Doch schon zu Beginn des kommenden Jahres soll über ein eigenes, größeres Panel die Online-TV-Nutzung breiter ausgewiesen werden. Die Daten des Onlinepanels, die nicht eigens neu aufgebaut werden, sondern in Kooperation mit einem existierenden externen Panel erhoben werden sollen, werden dann mit den klassischen AGF-Daten fusioniert, so dass ein gemeinsamer Datensatz entsteht.
Die Daten der Arbeitsgemeinschaft Online Forschung e.V. (AGOF) kommen momentan freilich nicht in Frage, da Sie nicht über Panel erhoben, sondern elektronisch gemessen werden. „Wir brauchen für unsere Erhebung auch die soziodemographischen Daten, die bei einer ausschließlichen Erfassung der Abrufe von Online-Seiten durch Rechner noch nicht erhoben werden können. Wenn das einmal möglich wäre, wäre das allerdings eine Alternative“, so Hollerbach-Zenz.
Die aktuelle Debatte um die Konvergenzwährung sieht sie als eine grobe Vereinfachung: „TV basiert auf völlig anderen Planungsdaten, die können in einer Intermedia-Datei überhaupt nicht dargestellt werden!“ Bleibt die Frage, ob der momentan von der AGF betriebene enorme Forschungsaufwand auch in der Zukunft noch Bestand haben kann. Es gibt ernstzunehmende Kritiker, die das bezweifeln, zumal die „klassische“ Onlinenutzerforschung längst nicht alle Möglichkeiten ausschöpft und sich auf relativ simple Click Raten oder Page Impressions (PIs) beschränkt. Das hat zum einen mit Absprachen in den Gremien zu tun, die teils noch in eine relativ frühe Phase der Entwicklung zurückreichen, zum anderen aber mit dem rasanten technischen Fortschritt: „Ein Mandant, der mehrere kleine Sender betreibt, hat mir den ‘HbbTV-Tracker’ gezeigt.
Sekundengenau änderten sich da die Zahlen wenn sich ein Zuschauer zu- oder abschaltet. Über einen Zeitraum von zwei Wochen ergaben sich durchschnittlich beachtliche Zuschauerzahlen von 350.000. Die GfK wies für diesen Zeitraum für ihn O aus“, erklärt der renommierte Rechtsanwalt Christoph Wagner von Hogan Lovells in Berlin, der vor allem in der Medienindustrie tätig ist. „Ich bin sicher, dass das Thema in den nächsten zwei bis drei Jahren an Brisanz gewinnen wird, wenn man bedenkt, wie schnell sich die Zahl von HbbTV-Geräten entwickelt. Bei den GfK-Zahlen sind die kleinen Sender eindeutig im Nachteil, zum Vorteil der großen kommerziellen Sendergruppen, die die Werbegelder einstecken“, folgert er. Doch auch an anderen Stellen werden sich die Möglichkeiten zügig erweitern. Samsung etwa wird einen Fernseher auf den Markt bringen, dessen fest eingebaute Kamera unter anderem selbständig erkennen kann, wer gerade vor dem Fernseher sitzt. Die Möglichkeiten, die sich auch für die TV-Forschung ergeben, liegen auf der Hand, zumindest, wenn man im Moment sehr moderne Fragen, wie etwa die nach dem Datenschutz, ausblendet.
Die Diskussion ist so alt wie die AGF und der Wettbewerb spätestens mit der zweiten Generation privater Anbieter im Dualen Rundfunksystem. Die Auswirkungen der nun tatsächlich fortschreitenden technischen Konvergenz sind weitreichend.
Sowohl in der Diskussion mit der agma, wie auch in diesem Fall, geht es auch um Sicherung alter Marktmacht beziehungsweise deren Aufbrechung oder die Sicherung oder Schaffung neuer Chancen. Im Falle der von Wagner konstatierten Wettbewerbsverzerrung zu Ungunsten der kleinen Sender, spürt Wagner jedenfalls „the wind of change“ und sieht sich nicht allein: „Diese Wettbewerbsverzerrung wird so nicht bestehen können, auch wenn die AGF-Sender versuchen werden, den Status Quo mit Klauen und Zähnen zu verteidigen. Ich bin aber sicher, dass das Bundeskartellamt sich das genau ansehen wird.“
Dieter Brockmeyer
(MB 06/12)