Es gab bereits verschiedene Versuche, interaktives Fernsehen in Deutschland zu etablieren, die sich nicht durchgesetzt haben. Wie sehen Sie die Erfolgschancen von HbbTV?
Lars Friedrichs: Der Zeitpunkt ist optimal. Die MHP-Technologie war zu kompliziert und Applikationen zu teuer in der Entwicklung. Teleweb hingegen war die richtige Idee, kam aber zehn Jahre zu früh. Heute gibt es eine große DSL-Penetration und Flachbildfernseher, die eine ganz andere Auflösung ermöglichen. Damit sind die beiden wichtigsten Parameter gesetzt, die vorher nicht da waren. Für HbbTV muss man zudem keine Zusatzgeräte wie bei Betty oder Blucom anschaffen, was immer eine weitere Hürde darstellt. HbbTV wird in die Fernsehgeräte integriert, so wie heute knapp 100 Prozent der Fernseher einen Teletextdecoder haben. Der Standard lässt sich ohne Zusatzkosten für die Hersteller implementieren. Kurzum: Die Voraussetzungen für einen Massenmarkt sind geschaffen und HbbTV kann ein Erfolg werden.
Eun-Kyung Park: Auf der Kundenseite ist Interaktivität über verschiedene Endgeräte bereits gelernt. Das heißt, dass User und Hersteller erstmals an einer Schnittstelle zusammenkommen. Und das ist das Entscheidende. Der Aufwand beim Nutzer ist sehr gering und die Massenmarktfähigkeit durch die Hardwarehersteller gegeben. Nicht zu vergessen: Die Marktteilnehmer in Deutschland ziehen bei HbbTV an einem Strang.
Inwieweit hat HbbTV, wenn es sich nur in einzelnen europäischen Ländern als Standard etablieren würde, eine Chance?
Park: Die größten Hardwarehersteller bekennen sich zu HbbTV. Das ist die wichtigste Voraussetzung, um einen europäischen Standard zu schaffen. Für uns ist der größte Zielmarkt Deutschland. Und darauf konzentrieren wir unsere Aktivitäten. Dass sich der Standard vermutlich nicht bis in die USA durchsetzen wird, spielt für uns keine Rolle.
Warum positioniert sich die ProSiebenSat.1-Gruppe so frühzeitig mit HbbTV-Angeboten? Andere Sender warten erst mal ab.
Park: Im Bereich Interaktives Fernsehen sehen wir uns ganz klar als Vorreiter. Bereits Ende 2009 haben wir in einem Showcase gezeigt, was man mit HbbTV umsetzen kann. Wir beobachten im Tagesgeschäft, dass heute die partizipative Teilnahme im Fernsehen mehr denn je erwünscht ist. An dieser Stelle wollen wir unseren Kunden einen konkreten Mehrwert liefern. Natürlich wird es noch etwas dauern, bis ein Massenmarkt erreicht ist. Als Marktführer müssen wir aber heute schon zeigen, wohin die Reise geht. Und wir wollen die Hersteller, die bei dem Standard mitmachen, begeistern. Wir zeigen glasklar unser Commitment.
Auf den Hybrid-TV-Plattformen der Fernsehgerätehersteller entsteht außerdem neuer Wettbewerb durch andere Medienanbieter.
Park: Wettbewerb schreckt uns nicht ab. Wir haben schließlich ein erstklassiges Entertainment-Angebot. Wir müssen sehen, dass wir auch hier eine interessante Kundenmasse hinter unsere Angebote bekommen, sowohl bei unseren HbbTV-Anwendungen als auch bei Angeboten für Hybrid-TV-Portale der TV-Gerätehersteller. Beispielsweise ergibt unsere On-Demand-Videothek maxdome in einer Hybrid-Welt in der Content-Datenbank sämtlicher Geräte-Hersteller sehr viel Sinn. Da lohnt die Anpassung an proprietäre Spezifikationen der Hardwarehersteller.
Friedrichs: maxdome ist in den Hybrid-Portalen von LG, HUMAX, TechniSat und bald auch von Samsung verfügbar. LG und Samsung haben sich inzwischen zu HbbTV bekannt, haben aber noch keine entsprechenden Geräte im Markt. Philips hat für sein Hybrid-Portal eine Technologie gewählt, die zu 85 Prozent kompatibel mit HbbTV ist. Deswegen sind wir bei Philips auch im Portal vertreten, weil wir unsere Inhalte dort eins zu eins einspielen können, ohne sie anpassen zu müssen.
Park: Die Kernfrage ist doch: Wie soll man jemals Reichweite hinbekommen und skalieren, wenn jeder Hersteller eine proprietäre Lösung hat? Deswegen ist der HbbTV-Standard für uns so wichtig, auf den sich öffentlich-rechtliche und private TV-Sender geeinigt haben. Denn selbst bei einer 85-prozentigen Übereinstimmung müssen wir unseren Content noch mal anfassen, weil einzelne Funktionen nicht auf Anhieb zusammenspielen.
Friedrichs: Es hängt allerdings auch vom jeweiligen Geschäftsmodell ab, ob sich eine Anpassung der Inhalte an eine proprietäre Lösung rechnet. Einem Geschäftsmodell wie maxdome, dem ein Paid-Content-Ansatz zu Grunde liegt, bieten sich auch bei einer kleineren technischen Reichweite bereits interessante Möglichkeiten.
An welchen HbbTV-Anwendungen sind die Zuschauer interessiert?
Park: Es werden Anwendungen im Design und mit der einfachen Usability von iPhone-Apps sein. Unsere Erfahrungen aus dem Online-, Mobile- und Teletextbereich zeigen: Die Zuschauer wollen mit ihrer Sendung interagieren. Dazu gehören zum Beispiel Tipp-Spiele im Fußball. Heute kann man zwar tippen, wie das Spiel ausgeht. Aber viel spannender ist doch, während des Spiels live zu tippen. In UK etwa gibt es sehr interessante Angebote. Da wird im Prinzip auf die nächsten fünf Minuten des Spiels getippt: Man sucht sich drei Spieler aus, von denen man glaubt, dass sie die meisten Punkte machen. Beispielsweise werden für eine gute Flanke oder ein Tor Punkte vergeben. Punktabzug gibt es für gelbe oder rote Karten. Das sind Applikationen, die wir so nach und nach entwickeln werden. Auch die ran-Applikation bei SAT.1 werden wir dahingehend ausbauen. Priorität hat derzeit jedoch, bestehende Applikationen wie das Videocenter auf Basis von Marktforschung weiterzuentwickeln, die technische Reichweite über Satellit hinaus auszubauen und alle Programme anzubieten. Nach ProSieben und SAT.1 kommt in Kürze kabel eins.
Friedrichs: Wir wollen HbbTV über alle Verbreitungswege – also Satellit, Kabel und Terrestrik – anbieten. Bei den Kabelnetzen ist noch etwas zu tun bis alle Kabelnetzbetreiber HbbTV durchleiten und Geräte anbieten, die den Standard unterstützen. Auf der Applikationsseite werden wir weitere Format-Applikationen starten und darüber hinaus den EPG so anpassen, dass Nutzer nicht nur in das zukünftige TV-Programm blicken, sondern auch in die Catch-up-Logik gehen können, also bereits im linearen Programm ausgestrahlte Sendungen sehen können.
Wie sieht es mit den Angeboten anderer Anbieter wie den Betreibern sozialer Netzwerke in den Programmen von ProSiebenSat.1 auf dem TV-Bildschirm aus?
Park: Wir wollen informieren und unterhalten. Wenn informieren mit einschließt, dass junge Zuschauer gerade wissen wollen, was Freunde auf Facebook machen, dann kann man das über HbbTV wunderbar integrieren. Mit HbbTV hört unsere Online- und Mobile-Strategie keinesfalls auf. Wir sehen das als Gesamtkunstwerk, bei dem wir bewusst mit On-Screen arbeiten, das ist der TV-Bildschirm, und mit Second-Screen, worunter wir Online und Mobile verstehen. Es gibt Applikationen oder Nutzungssituationen wie Kommentare schreiben, die nur über das Smartphone oder den PC Sinn ergeben. Interessant wäre aber, sie auf der HbbTV-Einbindung als Feed zu sehen. Daran arbeiten wir. Man muss sich in der Konzeption von Anfang an hinsetzen und überlegen, wie man ein Format wie „Germany´s next Topmodel“ oder „Anna und die Liebe“ über alle Kanäle parallel spielt. Und die Bedürfnisse der Konsumenten sind sehr verschieden: Es gibt Menschen, die nach Hause kommen und einfach nur unterhalten werden möchten. Dann gibt es Zuschauer, die sagen, das ist mein Lieblingsformat, dazu möchte ich mehr wissen, und fragen dazu Background-
Informationen in HbbTV ab, die den linearen Verlauf im Fernsehen aber nicht stören. Und die Hardcore-Fans wollen sich online oder mobile über die Models oder Darsteller austauschen und das für Freunde auf HbbTV als Feed sichtbar machen. Näher am Programm geht kaum.
Was soll auf Endgeräten idealerweise möglich sein und was nicht? Die TV-Anbieter hatten große Bedenken wegen der Gefahr der Signalüberblendung.
Friedrichs: Ich bin mir nicht sicher, ob die Zuschauer wirklich freies Surfen im Internet über den TV-Bildschirm wollen. Webseiten sind nicht für den Fernsehbildschirm konzipiert und die Nutzungssituation ist eine ganz andere. Bei Geräten wie dem iPhone, mit dem man auch surfen kann, zeigt sich, dass die Leute trotzdem die Apps nutzen. Konsumenten laden sich sogar kostenpflichtig eine App herunter, die für die Nutzung auf dem Smartphone konfektioniert ist, um dieselben Inhalte zu konsumieren, die auch kostenfrei unter der URL mobil zugänglich sind. Wenn uns allerdings Gerätehersteller wie Philips ermöglichen, Teil ihres Portals zu sein, ohne dass wir unsere Inhalte anpassen müssen, dann haben wir natürlich keine Berührungsängste. Vereinbart ist, dass unsere Programme auf der Portalstartseite der Hersteller in einem eigenen Fenster laufen. Contentschutz und die Signalintegrität haben für uns oberste Priorität. Und daher werden wir keine Overlays über das TV-Programm oder Bild-Skalierungen im Zusammenhang mit den Applikationen von Drittanbietern akzeptieren.
Wie sähe das bei Google TV aus?
Park: Wir beobachten natürlich genau, was in den USA passiert. Dort verhindern die Fernsehstudios derzeit, dass Google TV ihre Inhalte auf den TV-Geräten findet. Sicher ist das Thema Suche auf dem Fernseher aber ganz wichtig.
Welche HbbTV-Pläne gibt es für die Werbevermarktung?
Park: Das Interesse bei den Werbungtreibenden ist an der Stelle groß. Und das trotz der akutell noch relativ geringen Verbreitung. Auch für unsere Kunden ist es wichtig, sich als First Mover zu positionieren. Otto und BMW haben bereits auf unser Angebot gesetzt. Wir arbeiten daran, für HbbTV weitere attraktive Werbeformate zu entwickeln. So realisieren wir beispielsweise für den Kunden TeamBank seit Ende März eine Werbekampagne für die easyCredit-Card mit einer neuen Sonderwerbeform auf unserem HbbTV-Videocenter. Die neue Sonderwerbeform, der so genannte Supercorner, verbindet die Display-Werbeformen Superbanner und Medium Rectangle zu einem großformatigen Angebot.
Wie entwickelt sich die Nutzung?
Friedrichs: Wir verzeichnen faszinierende Wachstumszahlen von Woche zu Woche. Die Nutzungszahlen werden noch stärker wachsen, je mehr Hersteller Geräte auf den Markt bringen.
Park: Und Sie dürfen nicht vergessen: Das Thema ist noch nicht bei den Konsumenten beworben worden und trotzdem haben wir ein stetiges Wachstum. Es ist sehr beruhigend zu sehen, dass HbbTV ohne Werbekampagnen an Interesse gewinnt. Wir sehen zum Beispiel, dass das Videocenter mit den Shortclips die Nachfrage extrem gesteigert hat.
Werden Sie denn Marketingmaßnahmen durchführen?
Park: Wir werden eine Informationskampagne starten, sobald die Geräte flächendeckend im Markt sind. Parallel bauen wir unser Angebot sukzessive aus. Naheliegend ist, dass die Hardwarehersteller ihr Angebot zur IFA umfassend promoten. Einen großen Push mit HbbTV-Geräten erwarten wir zum
Weihnachtsgeschäft.
Sandra Eschenbach
(MB 04/11)