Noch mehr TV-Sender!

Obwohl im deutschen Fernsehmarkt wahrlich kein Mangel an TV-Sendern herrscht, ist neuerdings rund um den analogen Satelliten Switch off am 30. April ein neues Gründungsfieber ausgebrochen. Es werden neue Pay-TV-, Sparten- und Zielgruppensender vom Stapel gelassen, vorhandene Sender werden im Programmkonzept umgekrempelt und in Deutschland alt eingesessene Hollywood-Pay-TV-Sender kündigen plötzlich an, in die Eigenproduktion für den deutschen Markt ein zu steigen. Hier eine kleine Übersicht zur neuen Diversifikation im Markt.

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Noch mehr TV-Sender!

Großes Vorbild USA: Wenn deutsche TV-Programmkritiker mal wieder die mangelhafte Innovationskraft der deutschen fiktionalen Serien beklagen, wird gerne auf den US-Pay-TV-Sender HBO hingewiesen. Der habe so schöne Serien wie beispielsweise „The Sopranos“, „The Wire“ oder „Mad Man“ selber produziert. So keimt bei vielen die Hoffnung, es möge doch auch in Deutschland einen starken Pay-TV-Sender geben, der sich als Innovator für fiktionale Serien in Deutschland beweist.

Dem Wunsch kommt nun Turner Broadcast System, ein Medienunternehmen der Time Warner Gruppe, entgegen, – zu der ganz nebenbei bemerkt der bisherige CEO der RTL Group, Gerhard Zeiler wechselt. Und die Time Warner Gruppe ist es auch, die in den USA den berühmten Pay-TV-Sender HBO betreibt. Turner Broadcast System Deutschland hat mit „CNN International“, „TNT Serie”, „Cartoon Network“, „Boomerang“, „TNT Film“ und „adult swim“ hierzulande bereits sechs Pay-TV-Kanäle auf Sendung und wird im Mai zusätzlich den neuen Frauensender „glitz*“ starten. Für einige dieser Sender, so betonte Turner-Geschäftführer Hannes Heyelmann kürzlich produziere man bereits selber verschiedene Formate. Neu aber sei, dass nun erstmals für TNT Serie eine fiktionale Eigenproduktion abgedreht worden sei.

Sie heißt „Add a Friend“ und ist unter anderem mit Ken Duken, Friedrich Mücke und Frederike Kempter durchaus hochkarätig besetzt. Sie besteht aus zehn 25-minütigen Episoden und sei „erstklassig“ produziert, dank der Zusammenarbeit von Max Wiedemann und Quirin Berg, weiß Heyelmann.
Zu sehen gab es allerdings bislang noch nichts von der neuen Serie, die in den Studios und den Dienstleistungen der Bavaria Film in München hergestellt worden ist. Sie wird beim Sender TNT Serie, der im deutschsprachigen Raum 4,5 Millionen Abonnenten bedient, erst am 19. September ausgestrahlt und ist dann gleichzeitig auch im Programm des Schwestersenders „TNT Serie HD“ drin. Es soll eine „Dramedy-Serie über sechs Menschen und ihre Leben im Social Web“ sein. Wozu Anke Greifeneder, Programmchefin der Unterhaltungssparte von Turner Broadcasting System Deutschland betonte, man habe „großes Interesse daran, Neues auszuprobieren und innovative Konzepte zu realisieren“. Was natürlich neugierig macht.

Als „innovativ“ und „sehr aufwändig produziert“ will aber auch Katharina Behrends, NBC Universal Deutschland-Chefin, die neue 13-teilige Serie „Die 13. Wahrheit – Uwe Ochsenknecht erzählt“ verstanden wissen, die der Pay-TV-Sender 13th Street seit dem 13. März jeweils zwischen 20.00 und 20.15 Uhr zeigt. Die einzelnen Folgen sind nämlich nur zwischen sechs und neun Minuten lang. Zwei Folgen davon wurden als Premiere in Berlin im Rahmen eines edlen Presse-Dinners vorgestellt.

Es sind kleine kurzweilig-skurrile Gruselgeschichten, die am Markenprofil von 13th Street – „Thrill & Crime“ – angelehnt sind. Die Berliner Produktionsfirma Phoenix, eine Tochter der UFA, hat sie im Auftrag und unter Redaktionsleitung von 13th Street realisiert. Durchaus ist ein innovatives Format entstanden, das in jeder einzelnen Folge Ochsenknecht als sonderlichen Erzähler am Anfang und Ende in Szene setzt und die Geschichte selber in Form von animierten Zeichnungen im Stil von Graphic Novels illustriert. Sicher werden die animierten Zeichnungen nicht jedermanns Geschmack sein können. Doch damit hat 13th Street immerhin Mut für etwas Neues bewiesen, wie Behrends betonte, und gleichzeitig mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Selbstverständlich ist es viel preiswerter gezeichnete – anstatt gefilmte Geschichte zu erzählen.

Zudem sind die Geschichten prima für die Website von 13th Street als Promotion geeignet und wurden von Anfang an auch für das virale Marketing geplant. Man kann sie unter anderem auch auf You Tube abrufen. Tatsächlich ist 13th Street von jeher in Sachen Kurzfilm engagiert und hat unter anderem einen „Shocking Short Award“ ausgelobt. Ein Versprechen seitens Behrends die rund 5 Millionen Abonnenten von 13th Street im deutschsprachigen Raum in Zukunft regelmäßig mit deutscher Eigenproduktion zu bedienen, blieb allerdings aus.

Großes EPG-Problem

Sowieso: Den meisten deutschen TV-Zuschauern ist es wohl egal, ob ein Format hierzulande oder in den USA produziert worden ist. Geguckt wird das, was gefällt. Manchmal möchte man auch was ganz Neues sehen. Tatsächlich sind die meisten Fernsehhaushalte in Deutschland beim digitalen Empfang mittlerweile mit einem Angebot „von 200 bis 400 verschiedenen Sendern“ konfrontiert, weiß der Leiter Medientechnologie VPRT, Sebastian Artymiak. Dazu gehören 140 deutschsprachige Sender wie auch 60 HD-Sender. Neben den Programmen der großen etablierten Senderfamilien von ARD/ZDF und RTL &Co, die immer noch 80 Prozent des Marktanteils unter sich aufteilen, kommen immer mehr Zielgruppen-, Sparten-, und Teleshoppingsender. Als Free- oder als Pay-TV.

Um in diesem riesigen Angebot einen neuen Lieblingssender heraus zu fischen, muss sich der Konsument zumindest in erster Annäherung, erst einmal durch die elektronischen Programmführer (EPG) durchwühlen, bevor er dann den gefundenen Sender als Favoriten setzen kann. Da hat der VPRT nun ein Problem ausgemacht. Es sind laut Artymiak „Dutzende von verschiedenen Navigatoren und EPG auf dem Markt“, die alle das Programm nach eigenem Gusto feilbieten. Das heißt: Zumindest die kleinen, eher unbekannten Sender können in der Liste mal auf den 30., mal auf dem 230. Platz kommen. Oder, was auch passiert: Wenn ein Netzbetreiber die Software für den Plattform-Empfang über Nacht aktualisiert, kann der Sender plötzlich seinen angestammten Platz verlieren.

So können Gerätehersteller und Netzbetreiber nicht nur Druck bei Verhandlungen mit den Sendern ausüben, sondern sie können einen einzelnen Sender auch protegieren, indem sie ihn auf obere Plätze setzen die von den TV-Konsumenten dann schneller gefunden werden. Wobei in den Listen gar nicht unbedingt zwischen Pay- und Free-TV differenziert wird. Ob sich der VPRT allerdings mit seiner Forderung durchsetzen kann, das Sortierungsprinzip der EPG durch eine Strukturvorgabe zu vereinheitlichen, steht noch in den Sternen. Dafür müsste mal wieder ein Rundfunkänderungsstaatsvertrag her. Der VPRT hofft, dass sich die Landesmedienanstalten darum kümmern werden.

Unberührt von diesem Sortierungsproblem werden neue Sender auf den Markt geschickt. Der erwähnte neue Pay-TV-Frauensender von Turner, „glitz*“, wird dann im Listen-Wettbewerb der EPGs wohl auf den Free-TV-Frauensender „sixx“ der ProSiebenSat.1-Gruppe stoßen, der in der Reichweite mit 0,5 Prozent Marktanteil überraschend schnell erfolgreich geworden ist. Nun will die ProSiebenSat.1-Gruppe im Mai mit „Pro Sieben Fun“ einen neuen Pay-TV-Sender auf den Markt bringen und mit „Sat.1 Emotion“ den bisherigen Kanal „Sat.1 Comedy“ ersetzen. Kabel Eins Classics („beste Filme und Serien aller Zeiten und Genres“) bleibt von der Veränderung unberührt.

Dass die drei Pay-TV-Sender, die RTL schon vor fünf Jahren gestartet hat, profitabel sind, zeigen die Abonnenten-Zahlen. So hat „RTL Passion“ mittlerweile drei Millionen Abonnenten im deutschsprachigen Raum angelockt. Gezeigt werden „große Gefühle und dramatische Schicksale“ vor allem in Form von Telenovelas, die aus der Produktionsschmiede von Grundy UFA stammen, und alle schon mal im Fernsehen liefen. Sogar 3,2 Millionen Abonnenten hat „RTL Crime“ gesammelt, mit internationaler „Crime und Action“ und den „stärksten RTL-Krimiserien“, in Wiederholung natürlich. Für den Pay-TV-Sender „RTL Living“ („Mitgenießen, Kochen, Lebensart“) wollen allerdings bislang nur 1,9 Millionen Abonnenten extra zahlen.

Nun bringt die RTL-Gruppe mit „RTL Nitro“ – „Fernsehen für Helden“ seit dem 1. April auch noch einen neuen Free-TV-Sender auf den Markt. Er ist offensichtlich ein bisschen an den erfolgreichen Männer-Pay-TV-Sender Dmax aus der Discovery-Gruppe orientiert. Zumindest soll er eine „männeraffine Zielgruppen-Ansprache“ bieten. Der RTL-Vermarkter IP Deutschland lobt ihn aus als „perfekte Ergänzung zu den Angeboten von RTL, VOX, SUPER RTL und n-tv“. Dabei gibt sich der Sender sehr übersichtlich strukturiert. Jeder Tag von Montag bis Sonntag hat seine eigene Programmfarbe: Sitcom, US-Spielfilme, US-Action & Crime-Serien, Factual Entertainment wie „Whale Wars“ oder „Anwälte der Toten“, jeden Freitag gibt es die zwölfteiligen Event-Serie „Rom“ zu sehen, samstags ermitteln die „heimischen Helden“ von „Balko“ bis „Alarm für Cobra 11“. Sonntag gehört dem CSI-Universum.

Der Fantasie, wie man vorhandenes Programmvermögen über verschiedene Kanäle diversifizieren kann, sind keine Grenzen gesetzt. Weshalb damit zu rechnen ist, dass die digitale Welt mit noch mehr TV-Kanälen überschwemmt werden wird. Und natürlich wird es auch ein neues Teleshoppingprogramm geben: „pearl.tv“. Wie die Sender dann über EPGs zu finden sind, ist Verhandlungssache.
Erika Butzek
(MB 04/12)