Schöne Bilder für die schöne Erde

Kultur als HD-Motor – Teil 1: Wissens-TV Unumstritten: Billigfernsehen, von dem es heute viel gibt, würde auch nicht zu einem Genuss, würde es in High-Definition-Qualität gezeigt. Doch Wissensprogramme wie die ZDF-Terra X-Reihe „Expedition Erde – mit Thomas Reiter“ werden dank HD wie die Sport-Live-Übertragungen noch attraktiver. MEDIEN BULLETIN hat einen Blick hinter die Kulissen der ZDF-Hauptabteilung „Kultur und Wissenschaft“ geworfen, wo neben der Terra X-Reihe ein riesiges Volumen an Wissensfernsehprogrammen Jahr für Jahr entsteht - für das mittlerweile HD zum Standard geworden ist.

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Als der deutsche Astronaut Thomas Reiter 2006 ein halbes Jahr auf der Internationalen Raumstation, ISS, im Weltall lebte und arbeitete, tauchten Fernsehbilder und Interviews mit ihm in den Nachrichtensendungen wie „Heute Journal“ vom ZDF auf. Natürlich wurden die auch von den ZDF-Kultur-Redakteuren verfolgt, die für ihre Co-Produktion mit der BBC „Terra X – Expedition Erde“ noch einen populären Präsentator suchen. Plötzlich stand eine verwegene Idee im Raum: Warum nicht Thomas Reiter auf der ISS fragen? Also los: Man schickte Reiter eine Mail ins All und war dann doch mehr als überrascht und außer sich vor Freude, als Reiter flugs aus dem All antwortete, ja gerne, er würde die Rolle als Präsentator bei dieser Terra X-Reihe übernehmen!

Erst als Thomas Reiter – der nicht nur Raumfahrer, sondern Raumfahrtforscher und Ex-Kommandeur des Tornado-Jagdbombengeschwaders der Deutschen Luftwaffe sowie ein begnadeter Wissenschafts-Rhetoriker ist – zurück auf der Erde war, erfuhren die ZDF-Redakteure, warum er so schnell geantwortet hatte: Reiter gehörte schon seit langer Zeit zu den Fans der Terra X-Reihe, wie Alexander Hesse im Gespräch mit MEDIEN BULLETIN erzählt. Hesse hat seitens des ZDF die mit der BBC co-produzierte Reihe „Expedition Erde – mit Thomas Reiter“ auf die Beine gestellt und ist unter dem Dach des ZDF-Ressorts „Kultur und Wissenschaft“ Leiter der Redaktion „Geschichte und Gesellschaft“.
Schon seit 26 Jahren ist die Reihe Terra X beim ZDF zu sehen und wurde in diesem Jahr endlich auch zum Hauptlabel auf dem angestammten Sendeplatz auserkoren: jeden Sonntag um 19:30 Uhr. Während das inhaltliche Grundprinzip der Terra X-Reihe seit mehr als zwei Jahrzehnten aufrechterhalten blieb, „nämlich Geschichten zu erzählen, die einer jeweils verständlich gestellten Forschungsfrage folgen“, hat sie wie alle anderen hochwertigen ZDF-Dokumentationen nicht nur Schritt mit den neuen technischen Produktionsmöglichkeiten gehalten, sondern ist diesbezüglich auch immer Vorreiter gewesen.

Früher, so erklärt ZDF-Kultur-Chef Peter Arens, habe man die Themen mit Hilfe von „Holz und Pappe“ verständlich zu illustrieren versucht, heute mit „Bits and Bites“ aufgrund der enormen technologischen Fortschritte im GGI-Effekte und HD-Bereich. Beides wird sowohl für historische wie auch für Themen gebraucht, die sich auf die Zukunft beziehen. Bei „Die Geschichte der Deutschen“ beispielsweise, ein Zehnteiler, der ab dem 26. Oktober dieses Jahr vom ZDF ausgestrahlt wird, und einen Zeitraum von 1.000 Jahren beleuchtet, werden elektronisch alte Sachsen-Burgen oder das Berliner Schloss wieder aufgebaut.

Bei dem Doku-Drama-Mehrteiler „2057 – Das Leben in der Zukunft“ aus dem letzten ZDF-Fernsehjahr hingegen wurden wissenschaftliche Innovationen des künftigen Lebens mit Hilfe von GGI schon heute bildlich erlebbar gemacht. Dass die hochwertigen Dokumentationen in HD produziert werden, hängt nicht nur damit zusammen, dass sie in den Weltvertrieb von ZDF Enterprises gehen, wo HD zu einem „Muss“ geworden ist. Vielmehr werden auch von den deutschen Zuschauern der Wissenssendungen mittlerweile spektakuläre und faszinierende Bilder erwartet: „Ohne schöne Bilder kommt man heute nicht mehr aus“, sagt Hesse. Und Arens hatte den Dokumentationen schon vor zehn Jahren, das optisch überlegene 16:9-Format verordnet, über dessen Sinn damals noch kontrovers diskutiert wurde. „Heute werden alle unsere großen Produktionen in HD produziert“, sagt Arens.

Zurück zum Sendeplatz Terra X und speziell „Expedition Erde – mit Thomas Reiter“. Nachdem Reiter wohlbehalten auf der Erde gelandet war und den Hype und Medienrummel um seine Person überstanden hatte, stieg er in das Projekt ein. Rund 80 Prozent des Drehs für die fünfteilige Reihe waren zu diesem Zeitpunkt seitens der Co-Produktionspartner BBC/ZDF bereits im Kasten. Während die BBC die fehlenden 20 Prozent mit einem britischen Wissenschaftsjournalisten als Präsentator filmte, ging die ZDF-Crew mit Thomas Reiter auf Reisen, nach Island, Australien und Mexiko beispielsweise.

Vor Ort brachte dort Reiter seine spezielle Sicht auf den blauen Planeten Erde ein, die er aufgrund seiner exorbitant exklusiven „Vogelperspektiven“-Erfahrung von der Raumfahrtstation im All gewonnen hat. Von da aus, so erklärt Reiter, könne man erkennen, „wie klein unser Heimatplanet im Vergleich zur Unendlichkeit des Weltraums ist – und wie verletzlich!“ Dadurch werde deutlich, wie wichtig die Themen „Klimawandel“ und „Umweltschutz“ auch bei der Beurteilung von „Grenzen des Wachstums“ seien, und dass man auf die darin eingebunden globalen Fragen „nur gemeinsam Antworten finden“ könne.
Aber erst im fünften Kapitel „Leben“ der Dokumentationsreihe wird der Mensch als „ein bedeutender Faktor für die Erde“ sichtbar werden: Wie sich nachts aus Weltraum-Sicht Lichtermassen in Städten und Siedlungen ausbreiten. Ein auffälliges Indiz dafür, dass heute der Mensch und das, was er tut, eine genau so hohe Bedeutung für das Gesicht der Erde hat – für ihre Lebensbedingungen, ihre Natur-Vielfalt und Schönheit – wie in der Vergangenheit „Vulkane“ (Kapitel 1), „Ozeane“, „Atmosphäre“ und „Eis“.

Nutzbringende Vulkane
Die „Expedition der Erde – mit Thomas Reiter“ beginnt in Island. Der Fernsehzuschauer, der glaubte, dass Vulkane allein grauenhafte Naturphänomene seien, die das Leben des Menschen und seine Besitztümer zerstören, lernt: Vulkane haben dafür gesorgt, dass überhaupt Menschen gibt. Denn erst die Energie der Vulkane mit ihrem Ausstoß von Kohlendioxid hat die Erde aus der davor herrschenden Eiszeit befreit. Aus dem Weltraum und der Unendlichkeit der Zeiten heraus betrachtet, sind Vulkanausbrüche auch ein Segen – sie haben die Existenz der Menschheit erst ermöglicht.

„Ozeane“. Da lacht Hesse ein bisschen, als er erklärt, wie lange es gedauert hat, Thomas Reiter schwimmend zwischen den gelben Quietsch-Gummi-Entchen richtig ins Bild zu setzen.
Hintergrund: Als vor nicht langer Zeit ein Container mit solchen Gummi-Entchen bei Sturm über Bord gegangen war, registrierten Wissenschaftler an Hand deren unfreiwilliger Reise über den Ozean das weltumfassende Strömungssystem, heute „Globales Förderband“ genannt, das für den Wärmeaustausch auf der Erde von enormer Bedeutung ist. Damit verbunden „ist der uralte Kampf zwischen Ozeanen und Kontinenten, der durch Superzeitrafferaufnahmen in Szene gesetzt wird“, wie auch beim Kapitel „Eis“ das Schmelzen eines Eisgletschers, hebt Hesse hervor.

Für all das braucht man natürlich schöne, in HD-aufgenommene Bilder, so dass die Zuschauer nicht nur lernen, sondern auch staunen können und somit unterhalten werden.
„Ganz in seinem Element“ war Reiter, als es um die „Atmosphäre“ ging, eine „Action-Folge“ in der Reihe, weiß Hesse. Während Reiter mit einem Tornado durch die Atmosphäre düst, die mit ihrer warmen, feuchten Schicht ein Schutzschild der Erde gegenüber schädlichen Strahlen aus dem All bildet und gleichzeitig den Sauerstoff bereitstellt, den Menschen zum Leben brauchen, berichtet Reiter von seinen Erlebnissen aus dem Weltall.

„Bei beiden Versionen, vom ZDF wie bei der BBC“, stehen die faszinierenden Landschaftsaufnahmen im Mittelpunkt, ist von Hesse zu erfahren. Und Arens erklärt, dass eine „modulare Arbeitsweise“, wie sie bei dieser BBC/ZDF-Co-Produktion stattgefunden hat, durchaus in dem Genre der internationalen Wissens-Dokumentationen üblich ist. Dabei sei „das Wissensfernsehen international stark vernetzt“. Die Großen werden von der BBC und den US-Pay-TV Sendern „Discovery Channel“ und „National Geographic“ repräsentiert, und das ZDF habe zu ihnen aufgeschlossen, sagt Arens: In Deutschland sei das ZDF „als federführender Produzent internationaler Co-Produktionen eh Marktführer“. Und, darauf weist Peter Arens nicht ohne Stolz hin: International habe sich „das ZDF seinen guten Ruf in den letzten Jahren erarbeitet“. Das heißt: Das ZDF muss nicht notwendigerweise in Projekte der englischsprachigen Großen einsteigen, sondern hat es mittlerweile auch geschafft, dass die anderen sich im vom ZDF initiierten Projekten als Partner einbinden. Die internationale Co-Produktion ist in diesem Bereich wegen der hohen Kosten für spektakuläre Bilder – auch die technologische TV-Vorreiterposition – eine wichtige Finanzierungsbasis.
Wo kommt der Stoff für das internationale Wissens-TV her? Die Branche trifft sich, wie Arens sagt, auf den Programm-Messen in Cannes, unter anderem sei auch „Show Case“ in Brigton sehr wichtig wie der „Wissenschaftskongress für TV Produzenten“. Doch letztendlich, so Arens, „entstehen die Ideen in den Köpfen der heimischen Redakteure“. Man liest zum Beispiel ein Schätzing-Roman über Ozeane und entwickelt das Gelesene in Bezug auf die vorhandenen Sendeplätze und Formate weiter.
Und diesbezüglich ist Arens, was man selten von leitenden TV-Redakteuren hört, mit seinem Sender ZDF „sehr zufrieden“: „Wir haben einen guten Stand mit den zwei festen Sendeterminen“, sagt er. Der eine, wie schon beschrieben, jeden Sonntag um 19:30 Uhr unter dem jetzigen Hauptlabel „Terra X“, der andere heißt „Abenteuer Forschung“, jeden Mittwoch um 22:15 Uhr, für den die Redaktion in Nachfolge von Joachim Bublath den renommierten Wissenschaftler Harald Lesch gewinnen konnte, der vor hat, dass bei allem Humor und Vergnügen, was er beides einbringen will, „die Bodenhaftigkeit nicht verloren geht“.

Rund 35 Neuproduktionen entstehen auf dem ersten, rund 40 Neuproduktionen im Jahr auf dem zweiten Sendeplatz. Eine Folge von Terra X kostet dem ZDF rund 300.000 Euro, nicht enthalten die Kosten, die in vielen Fällen von den Co-Produktionspartner getragen werden.
Und darüber hinaus verfügt die Wissenschaft- und Kultur-Redaktion auch noch über die von Hesse geleitete Abteilung „Geschichte und Gesellschaft“, worüber die Gesamtredaktion unter Leitung von Arens immer wieder neue Doku-Dramen gebiert von den „Giganten“ – Beethoven, Goethe, Luther – bis hin zu an Science Fiction orientierten Formaten wie „2057“.

„Attraktiv wie noch nie“
Egal, ob Dokudrama oder reine Dokumentation. Der Auftrag „Bildungsfernsehen“ ist Arens wichtig. Er betont explizit, dass er „keine Berührungsängste“ zu Begriffen wie „Bildungsfernsehen“ – oder früher mal „Schulfernsehen“ – hat. An Themen wie „Troja“, „Mittelalter“, „Biogenetik“, „Energie“, „Klima“ kann er „nichts Falsches finden“. Bildungsdokumentationen seien „heute so modern und attraktiv wie noch nie“, betont er. Nicht zuletzt aufgrund der neuen Technologie-Möglichkeiten von HD-Aufnahme bis Postproduktion, die im Falle „Expedition Erde – mit Thomas Reiter“ das ZDF im Bereich der deutschen Fassung selbst übernommen hat.
In der Regel allerdings lässt das ZDF die großen Dokureihen und Dokudramen von externen Produzenten wie der Kölner Gruppe 5 realisieren, aus deren Werkstatt unter vielen anderem „2057 – Das Leben in der Zukunft“, „Armageddon“ oder der China-Mehrteiler „Die Verbotene Stadt“ stammen. Weitere Produzenten der ZDF-Wissens- und Wissenschaftsprogramme heißen: Spiegel TV in Hamburg, L.E. Vision in Leipzig, Cine-Centrum in Hamburg, Engstfeld Film in Köln, Tangram Film in München.

„Durchschnittlich Rund 3,6 Millionen mit Spitzenwerten bis zu sechs Millionen Zuschauern“ verfolgen laut Arens die großen Wissenschaftsdokumentationen am Sonntagabend – darunter, was für das ZDF Spitze ist, im Marktanteil „rund neun Prozent der unter 50-Jährigen“. Man realisiere Bildungsprogramm, so Arens, „immer für ein großes Publikum“. Wobei er „keinen Unterschied zwischen altem und jungem Publikum“ sieht.
Gleichzeitig räumt Arens mit dem Klischee auf, dass Wissens-TV ein neuer Trend im Fernsehen sei. Es gäbe keinen aktuellen „Wissensfernsehen-Boom“, wie heute häufig behauptet werde. Das sei „historisch nicht richtig“. Schon Bernhard Grzimek – Tierarzt und Verhaltensforscher – habe in alten TV-Zeiten großen Erfolg mit seiner Sendung beim Publikum gehabt. Die „Knoff-Hoff-Show“ vom ZDF, die es bis 2004 gab, wurde schon 1986 erfunden. Heute falle „ProSieben mit der täglichen Wissenssendung ‚Galileo‛ auf“, sagt Arens nüchtern. Es gäbe „„Clever“ bei Sat.1 und „W wie Wissen“ bei der ARD. Auch bei RTL seien mitunter Wissenssendungen zu entdecken. Gerne würde Arens im ZDF auch noch eine neue Wissens-Show etablieren. Noch aber steht dafür wohl kein Sendeplatz zur Verfügung.

Als Beispiel dafür, wie gerne sich Menschen schöne Bilder von der schönen Erde anschauen, steht für Hesse der Kinofilm „Unsere Erde“, der international zum Kassenschlager wurde und in den deutschen Kinocharts 2008 vor „Will Smith, Harrison Ford und all den Sex and the City-Romantikkomödien auf Platz eins“ throne. Während allerdings „Unsere Erde“ mehr oder weniger ein schönes Bilderbuch mit spektakulären High-Definition-Aufnahmen bietet, ist man beim ZDF gleichzeitig um Geschichten „mit leichtfüßiger Erzählweise“ bemüht, die den Auftrag „Bildung“ in Form von Wissensvermittlung erfüllen. Und dabei, so nennt Hesse sein Ziel, soll der Einsatz der neuen Technologien das Wissensprogramm zu „einem Erlebnis“ werden lassen.
Erika Butzek (MB 10/08)