TV-Markt 2015: Wachstum nur außerhalb des Kerngeschäfts

Das Deutsche TV- und Video-Ecosystem wächst von 104 Mrd. Euro in 2009 jährlich mit durchschnittlich nur 1,7% auf 115 Mrd. Euro bis 2015. Der klassischer Fernsehmarkt und das werbefinanzierte Kerngeschäft stagnieren.Traditionelles TV-Geschäftsmodell steht vor einem grundlegendem Umbruch. E-Commerce wird wichtige Ertragssäule für Sendergruppen. Das prognostiziert Booz & Company in einer aktuellen Studie.

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TV-Markt 2015: Wachstum nur außerhalb des Kerngeschäfts

Booz & Company stellt am 13. Oktober 2010 auf den Medientagen München 2010 im Panel “Führen oder Folgen – Wer gewinnt den Innovationswettbewerb im Fernsehen?” die neue Studie “Future of the German TV & Video-Ecosystem” vor. Darin kommt das internationale Strategieberatungsunternehmen unter anderem zu folgenden Ergebnissen:

Der deutsche TV-und Video-Markt hat die Folgen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise weitgehend überwunden, meint Booz & Company. Wachstums- und Gewinnprognosen der privaten Sendergruppen sind mittlerweile wieder positiv gestimmt. Das Marktvolumen zentraler Ertragssäulen im TV- und Video-Markt wie Endgeräte, Kabel- und Satellitenzugang, Pay TV, E-Commerce und Teleshopping wächst in den kommenden Jahren. Der TV- und Video Markt verschmilzt immer mehr mit angrenzenden Märkten im Bereich Kommunikation und Internet. Auch in Deutschland wird ein immer größerer Teil an TV-Dienstleistungen im Bündel mit Telefonie- und Internet vermarktet.

Die Wachstumsraten in diesem als “TV & Video Ecosystem” bezeichneten Marktsegment sind laut Booz & Company allerdings überschaubar: Das Umsatzvolumen wird von 104 Mrd. Euro im Jahr 2009 bis 2015 voraussichtlich um lediglich 1,7% pro Jahr auf dann 115 Mrd. Euro steigen. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich ein fundamentaler Strukturwandel. Das zu einem guten Teil werbefinanzierte TV-Kerngeschäft stagnierte im Jahr 2009 bei 15 Mrd. Euro, das prognostizierte Umsatzplus des Sektors von 2,5 Mrd. Euro bis 2015 entfällt zum größten Teil auf neue über Pay-Modelle finanzierte, zum Teil non-lineare Dienste wie Video on Demand oder die E-Commerce-Angebote der Sender. Die Konvergenz der Medien- und Kommunikationsangebote nimmt rasant zu. So wird schon heute ein signifikanter Anteil der TV-Dienstleistungen als Bündel mit Breitband und Festnetzzugang vermarktet. Zwar bleibt das konventionelle Fernsehen auf absehbare Zeit das wichtigste Unterhaltungsmedium der
Deutschen, aber die neuen Standards setzen Internet- bzw. Technologieunternehmen wie Google oder Apple mit maßgeschneiderten Inhalten und innovativen Endgeräten. Zudem verändert vor allem die junge, werberelevante Zielgruppe ihren TV-Konsum signifikant und nutzt internetbasierte Plattformen wie iTunes, YouTube oder Zattoo immer stärker als Ergänzung oder Ersatz. Vor diesem Hintergrund ist absehbar, dass zu viele Anbieter in den letztlich limitierten Markt drängen. Bis 2015 werden rund 30% der Gesamtumsätze im deutschen TV & Video Ecosystem an Wettbewerber aus dem New Media-Bereich gehen.

E-Commerce-Umsätze substituieren Werbeerlöse

Besondere Bedeutung misst die Untersuchung dem E-Commerce bei. 2009 war das Marktvolumen der deutschen TV-Sender mit 1,3 Mrd. Euro im Vergleich zum Gesamtvolumen dort noch relativ überschaubar. Doch bei einem prognostizierten jährlichen Wachstum von 12% verdoppelt sich dieser Umsatz bereits bis 2015 auf dann 2,6 Mrd. Euro. “Aktuell agieren die etablierten Player des TV-Marktes aus einer Position der Stärke heraus. Insbesondere bei zentralen Veränderungen im Bereich E-Commerce und Transaction Based Broadcasting wie Teleshopping können sie von ihrer enormen Reichweite und Cross-Media Kompetenz profitieren und neue Wettbewerber auf Abstand halten”, erläutert Thomas Künstner (Foto), Partner und Medienexperte bei Booz & Company. Die Wertschöpfung der Medienindustrie verlagere sich weg von der klassischen TV-Werbung hin zu kostenpflichtigen Inhalten und damit verbundenen Dienstleistungen. Auf mittlere Sicht entwickelt sich auch
der Bereich E-Commerce mit der Vermarktung von Online-Shops, Apps oder Merchandise-Artikeln zu senderspezifischen Formaten, eigenen Mobilfunk- und Datentarifen sowie Gaming-Angeboten zu einem substantiellen Ertragsbringer. Dagegen stagniert die klassische TV-Werbung weitgehend: Spülte sie 2009 noch 3,7 Mrd. Euro in die Senderkassen, werden es in 2015 knapp 4,2 Mrd. Euro sein. Das entspricht einem jährlichen Wachstum von gerade einmal 1,9%. Das Wachstum im TV & Video-Bereich kommt vorwiegend aus der Onlinewerbung. Deren Bedeutung nimmt durch neue Werbeinventare der Sender wie beispielsweise “RTL Now” bis 2015 noch deutlich zu.

Neue Vermarktungs- und Kooperationsmodelle

Zentraler Treiber des Wandels im TV-Geschäft ist der verstärkte Wettbewerb in einem zunehmend konvergenten Medien- und Kommunikationsumfeld. “Diese Entwicklung ist ein Katalysator für neueInhalte, Geschäftsmodelle, Marktakteure, Kooperationen und Endgeräte.
Der Druck wird weiter steigen”, so Künstner. Hinzu kommen die veränderten Erwartungen und Nutzungsgewohnheiten der Zuschauer, die diesen Trend langfristig begünstigen. Fernsehen wird immer mehr zum Teil einer mobilen Informations- und Unterhaltungskultur. Alles muss überall verfügbar sein. Die Grenzen zwischen Endgeräten und einzelnen Diensten sind fließend. “Content wird zum Markt- und Lizenzprodukt. Maximale Vielfalt und Flexibilität für die Konsumenten sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren”, ergänzt Künstner.

Vorwärtsverteidigung durch offene TV-Plattformen

Als Reaktion auf diese Veränderungen haben die ansonsten rivalisierenden Sendergruppen ProSiebenSat.1 und RTL gerade ein gemeinsames Onlineprojekt lanciert. Sie arbeiten an einer offenen TV-Plattform im Internet, ähnlich dem amerikanischen Vorbild Hulu der
Newscorp. Die überraschende Kooperation der beiden deutschen Marktführer ist als Vorwärtsverteidigung gegen den aufziehenden Wettbewerb von Apple TV und Google TV zu verstehen. Google hat in den USA für seinen neuen Fernsehdienst gerade eine Partnerschaft mit großen Sendern wie CNN, HBO, Cartoon Network und im Bereich Video-on-Demand mit Amazon verkündet. “Wir werden künftig völlig neue und überraschende Konstellationen und Zusammenschlüsse sehen. Wer weiter im Konzert der großen TV-Anbieter mitspielen will, muss sein Geschäftsmodell kontinuierlich an die neuen Marktstrukturen anpassen”, so das Fazit von Künstner. (10/10)