Vorreiter für komplett neue Arbeitsweise

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) will bis 2025 ein „Medienhaus der Zukunft“ neu in Berlin aufbauen. In einem Zwischenschritt soll schon Anfang 2021 das Herzstück davon, ein in seiner Arbeitsweise sehr innovatives Crossmediales Newscenter (CNC), in Betrieb gehen. Ein State of the Art-Bericht zum Konzept und ein Interview mit rbb-Betriebs- und Produktionsdirektor Christoph Augenstein zu den ersten Realisierungsschritten.

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Vorreiter für komplett neue Arbeitsweise

Es geht beim rbb um ein sehr mutiges, radikales und jahrelang andauerndes Projekt, das mehr oder weniger versucht, die gesamte Logistik und Struktur eines öffentlich-rechtlichen Senders mit Hilfe von Informationstechnik (IT) auf die mediale Zukunft umzustellen. Die fußt bekanntlich nicht mehr allein auf linearem Fernsehen und Hörfunk, sondern wird auf Basis des Internets von non-linearen Distributionskanälen im Online-Zugriff wie beispielsweise Social Media geprägt. Mit all diesen Planungen strebt der rbb an, Vorreiter der ARD für eine komplett neue Arbeitsweise hinsichtlich Produktion und Distribution zu werden, ein neuartiger multimedialer Sender. 

Der soll, wie rbb-Betriebs- und Produktionsdirektor Christoph Augenstein vor dem Rundfunkrat betonte „flexibel und entwicklungsoffen“ sein, so dass „dem rbb für die nächsten 50 Jahre die Sicherheit“ gegeben werde, „state of the art medial arbeiten zu können“. Neue Berufsbilder und neue Workflows entstehen. Die Arbeitsteilung zwischen Redaktion und Technik wird aufgehoben. Man will nicht mehr Sendeplatzbezogen beziehungsweise bezogen auf einen speziellen „Ausspielweg“ eines einzelnen Online-Dienstes produzieren, sondern Themen-orientiert. Oder wie es Patricia Schlesinger, rbb-Intendantin, formuliert: „Zukunftsszenarium“ sei eine „neue  Zusammenarbeit“ unter den Mitarbeitern auf der Basis neuartiger „Workflows“ zu etablieren. Erreichen wolle man das, indem man „Contentboxen für Teams“ bilden werde. Die sogenannten „Contentboxen“ sind der springende Punkt in den konzeptionellen rbb-Überlegungen. 

Wie auch Augenstein zusammen mit rbb-Programmchef Jan Schulte-Kellinghaus in der Rundfunkratssitzung im Juni erläuterte: Es seien medienübergreifende Contentboxen etwa für News, Kultur, Wirtschaft, Service, Sport, Bildung und Unterhaltung geplant. Zum Team in jeder Box sollen sowohl redaktionelle Experten hinsichtlich des Themas gehören, Datenanalysten und Rechercheure, Zielgruppenmanager, die sich mit den verschiedenen Lebenswelten auskennen, und Distributionsmanager, die über Know-How hinsichtlich Rezeptionsweise sowie Ästhetik und Funktion einzelner medialer Plattformen verfügen. 

Das alles steht unter dem Rubrum „Intelligente Produktion 4.0“ (siehe auch MEDIEN BULLETIN 4.2018), die in Probeläufen bei den rbb-Hörfunkwellen schon angelaufen ist. Man will, wo immer es sinnvoll ist, smarte Produktionstechnologien einsetzen und den Unterschied zwischen einem technischen und redaktionellen Arbeitsplatz aufheben. Zumal, wie rbb-Chefredakteur Christoph Singelnstein erklärte, jüngere rbb-Mitarbeiter dies auch wollen. 

Augenstein ist überzeugt, dass der rbb in Zukunft seine Nutzer dann auch durch „Personalisierung besser erreichen“ werde. Dabei sollen Algorithmen auf Basis der Datenanalyse helfen. „Das funktioniert heute schon besser bei Netflix als bei der ARD-Mediathek“, merkte Augenstein an. Unterm Strich soll die „Intelligente Produktion 4.0“ natürlich auch Kosteneinsparungen bringen, zumal in den kommenden Jahren Hunderte Mitarbeiter in den Ruhestand gehen. Die große Kunst werde mittelfristig sein, so Schlesinger, wie es dem rbb gelingt, „sich in der nonlinearen Welt aufzustellen, ohne die lineare Welt zu vernachlässigen“. Wann der Switch-off komme, wisse heute noch niemand. Aber, so betont Kellinghaus, die „Disruption“ im Medienbereich lasse sich „nicht mehr rückgängig machen“.

Um die diversen Contentboxen funktionell und im reibungslosen Ablauf realisieren zu können, soll am rbb-Standort Berlin eine seit Jahren ungenutzte, mittlerweile marode Studiohalle abgerissen werden und ein Neubau für das „Medienhaus der Zukunft“ im Jahr 2025 bezugsfertig sein. Planungen dafür sind bereits im Gange. Hauptgrund für den Neubau ist, dass sowohl das Haus des Rundfunks als auch das Fernsehzentrum vom ehemaligen „Sender Freies Berlin“ (SFB) in der Masurenallee unter Denkmalschutz stehen, so dass man dort nur eingeschränkt Umbauten vornehmen kann. 

Als erste prototypische Contentbox soll allerdings nach den Wünschen von Schlesinger, diejenige für News, das Crossmediale Newscenter, CNC, bereits Anfang 2021 in Betrieb gehen: als „journalistisches Herz des rbb“, wie Singelnstein sagt. Dafür ist im Neubau eine Nutzfläche von 13.000 Quadratmetern vorgesehen. In einem Zwischenschritt soll es nun in der sechsten und siebten Etage im Hochhaus des Fernsehzentrums eingerichtet werden. Dafür sollen vorübergehend rbb-Abteilungen, die dort beheimatet sind, zum rbb-Standort nach Potsdam ziehen. 

Der rbb-Verwaltungsrat hat ein Budget in Höhe von 1,5 Millionen Euro für die Konkretisierung des Zwischenschritts, die in den kommenden Monaten erfolgen soll, frei gegeben. An Investitionen für den provisorischen Aufbau des CNC im Fernsehzentrum sind laut Singelnstein insgesamt elf Millionen Euro berechnet worden, davon zehn Millionen für eine „nachhaltige Nutzung“, dann künftig in dem Neubau. 

Es soll ein „kleines smartes Studio“ entstehen, etwa „kleine Fernsehproduktionen mit geringen personellen und technischen Aufwand, aber nicht die Abendschau“, erklärt Singelnstein: für tagesaktuelle News und beispielsweise schnelle Interviews. In der sechsten Etage sollen etwa die Fachabteilungen Finanzen und Wirtschaft untergebracht werden. Es seien 160 Arbeitsplätze vorgesehen, was aber „nicht 160 Menschen“ bedeute, schränkt Singelnstein die noch grobe Planung ein. Damit verfolge man die Ziele: „schnellere und effektivere Entscheidungsmöglichkeiten“,  „bessere Planung über alle Medien hinweg“ und last but not least „stärken wir damit unsere digitalen Ausspielwege – das ist der eigentliche Zweck der Übung“, betont Singelnstein: „ein Newscenter für alle Produkte und alle politischen Situationen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche an 365 Tagen“. 

Der rbb-Rundfunkrat zeigte sich gegenüber den mutigen Zukunftsplänen nicht abgeneigt. Kritsch angemerkt wird aber, warum der rbb, wenn er schon „am großen Rad“ drehen möchte, dies nicht von Anfang an auch zusammen mit der Mutter ARD machen wolle, um so auch eine einheitliche digitale Infrastruktur für Netzwerk und Workflows zu schaffen? Doch das rbb-Management betont unisono, dass man für die  „Hauptstadt im Ersten“ stehe (Schulte-Kellinghaus), „als Hauptstadtsender Flagge zeigen“ müsse (Singelnstein), sich erst einmal „selber Gedanken machen“ müsse (Augenstein), weil wie Schlesinger begründete, „eine gemeinsame Mediathek von ARD/ZDF nicht so schnell“ kommen werde, müsse der rbb „vorlegen“ – erst einmal „unseren Garten bestellen“. 

Zu den Realisierungsschritten und zur anvisierten Technik nahm Augenstein gegenüber mebulive Stellung: 

Herr Augenstein, Sie haben sich in Skandinavien zu neuen sendeplatzunabhängigen Workflows für das neue Crossmediale Newscenter, CNC für den rbb schlau gemacht. Bei welchen Sendern genau, und um welche Technik geht es? 

Wir waren mit der Geschäftsleitung bei DR, Danmark Radio in Kopenhagen und bei YLE in Helsinki. Besonders interessant für uns war weniger die dort eingesetzte Technik, sondern vielmehr die medienübergreifende Workfloworganisation in den jeweiligen Newsrooms. Diese wertvollen Anregungen sind in unser Konzept für das CNC eingeflossen und inzwischen haben wir ein erstes Workflow-Modell für das CNC mit verschiedenen Funktionseinheiten entwickelt. Beispielsweise soll es eine von Anfang konsequent medienübergreifende Programmplanung, einen CvD-Desk zur schnellen Koordination der Ausspielwege sowie eine Tempo-Unit als schnelle Nachrichteneinheit geben, die 24 Stunden am Tag in hoher Schlagzahl Erstinformationen für die SocialMedia-Kanäle, aber auch für Online, Fernsehen und Hörfunk generieren soll. 

Die wichtigste Erkenntnis unserer Besuche in Skandinavien war aber, dass wir die Raum- und Technikstrukturen so offen und flexibel anlegen müssen, dass wir uns auf Basis sich schnell verändernder medialer Anforderungen immer wieder neu erfinden können. Das Team im großen Newsroom von DR in Kopenhagen etwa hat sich neun Mal in den letzten Jahren umorganisiert. Stete Veränderung in den Workflows wird damit zur neuen Konstante. Das müssen Bau und Technik berücksichtigen. 

Der rbb hat ja bereits in den letzten Jahren in Technik für multimediales Arbeiten im Programm investiert. Kann diese Technik  weiter eingesetzt werden? 

Vorweg: Derzeit gibt es eine große Entwicklungsdynamik bei der Produktionstechnik. Wir werden zukünftig vermehrt neue, smarte Technik einsetzen, mit der wir zurzeit im Rahmen unseres Projektes Intelligente Produktion 4.0 viel Erfahrung sammeln. Mobil, aber auch stationär. So berücksichtigen wir zum Beispiel  bei unserer Technikerneuerung in den Studios Cottbus und Frankfurt (Oder) besonders kleinere, universell und multimedial einsetzbare, leichte Komponenten. Die Erfahrungen, die wir in den Studios gewinnen, sollen dann bei der Konzeption des multimedial nutzbaren Studios im CNC in Berlin einfließen. Wichtig sind unter anderem auch erweiterte Ingestmöglichkeiten, um das Drehmaterial von verschiedenen Devices rasch in die vernetzte Produktion überführen zu können. Heute scheitert das ja noch oft an der Vielfalt der eingesetzten Kodier- und Kompressionsverfahren. Natürlich werden wir Teile unserer Technikkomponenten, die heute bereits für die crossmediale Nutzung im Einsatz sind – etwa redaktionsnahe Schnittplätze – in das CNC mitnehmen. 

Und weiterhin bilden unsere filebasierte Produktionsplattform sowie unser OpenMedia System von Annova die technische Basis für die Zusammenarbeit. Beide Komponenten müssen aber für die künftigen Anforderungen angepasst und erweitert werden, um insbesondere die digitalen Ausspielwege besser berücksichtigen zu können. Hierbei werden wir uns auch intensiv mit der Architektur unseres Web-CMS befassen. Bei den mobilen Produktionsmitteln verfolgen wir die Strategie, künftig keine monomedialen Fahrzeuge mehr aufzulegen, sondern immer die Nutzung für Hörfunk, Fernsehen und Internet vorzusehen. Entsprechend haben wir das bereits bei unseren jüngsten Reportagefahrzeugen technisch berücksichtigt. 

Was sind die wesentlichen technischen Leistungsparameter für das anvisierte neue crossmediale Newscenter einerseits hinsichtlich der Produktion, andererseits hinsichtlich der Distribution? 

Wie erwähnt sind für das CNC schon einige Workflows vorabgestimmt, aber zu technischen Parametern kann ich Ihnen noch nicht viel sagen. Zusätzliche technische Komponenten wollen wir „so spät wie möglich“ beschaffen, damit wir genau zum Start des CNC die neueste, dann verfügbare Technik installiert haben. 

Dann wollen wir mit smarter, stark vernetzter Produktionsweise und im engen Zusammenspiel mit einem intelligenten Distributionsmanagement für lineare und nicht-lineare Nutzung auf den dafür vorgesehenen zwei Etagen im Hochhaus der Berliner Masurenallee loslegen. Dort wird dann die gesamte aktuelle Berichterstattung des rbb mit integrierter Produktionstechnik gebündelt sein.       

Erika Butzek

MB 3/2019

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