Die Zeit ist reif

Wichtiges Thema auf der diesjährigen IFA 2009 war die „Hochzeit“ von Internet und Fernsehen. Zahlreiche Hersteller präsentierten Hybrid-Empfangsgeräte, die Programme aus dem Internet und den klassischen Empfangswegen wie Satellit und Kabel auf einen Monitor bringen. Auch die MEDIENTAGE MÜNCHEN 2009 widmeten dem Thema großen Raum.

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Die Zeit ist reif

Das digitale Fernsehen steht vor dem nächsten großen Entwicklungsschritt: dem Zusammenwachsen mit dem Internet. Wie ARD, RTL oder SAT.1 wird das Web künftig integraler Bestandteil der Unterhaltungslandschaft im Wohnzimmer sein. Ab sofort sitzen eBay und Facebook mit ARD und ZDF gemeinsam „in der ersten Reihe”. Ob Tatort oder Internet – alles nur noch einen Tastendruck entfernt. Hinter kleinen Symbolen (Icons) versteckt, bringen so genannte „Widgets” (kleine Programme) die Wettervorhersage, eBay oder Facebook direkt ins Pantoffelkino, ohne dass dafür ein Browser gestartet werden müsste.

Auf der IFA 2009 präsentierten fast alle Hersteller mindestens ein TV-Gerät mit Internetzugang. Hier wurde sehr deutlich, dass Internet und Fernsehen immer stärker zusammen wachsen. In einem ersten Konvergenz-Schritt ist das Fernsehen Teil des Internets geworden, indem es das neue Medium als Übertragungs- und Vertriebsweg für audiovisuelle Inhalte nutzte.
In der zweiten Stufe der TV-Web-Konvergenz entwickeln nun große Gerätehersteller wie Philips (mit NetTV), Panasonic (mit VieraCast), Samsung (mit [email protected]) und Sony (mit AppliCast) eigene Systeme, um das Internet am TV-Bildschirm nutzbar zu machen. Das Fernsehgerät soll zu einer Art Medienzentrum im Heimnetzwerk avancieren.

Doch um die Interoperabilität zwischen Geräten und Diensten zu gewährleisten sind Absprachen und Standards nötig. Führende europäische Unternehmen der Fernsehindustrie engagieren sich deshalb für eine offen zugängliche Technik, welche Fernsehprogramme mit Angeboten aus dem Internet verbindet. Hybrid Broadcast Broadband TV (HbbTV) heißt die neue Initiative, die auf der IFA 2009 vorgestellt wurde und die von Rundfunkanstalten und der CE-Industrie breite Unterstützung erfährt.
Das Konsortium setzt sich zusammen aus den Rundfunksendern Canal+, France Television und TF1, dem Institut für Rundfunktechnik (IRT), dem Satellitenbetreiber SES ASTRA sowie den Softwareunternehmen ANT und OpenTV. Eine Liste aller Firmen sowie der Gerätehersteller findet sich im Internet unter: www.hbbtv.org.
Mit HbbTV lassen sich Fernsehprogramme mit Internetangeboten auf der Grundlage von HTML (Hypertext Markup Language) als Basistechnologie verknüpfen. Die dabei verwendete Technik orientiert sich an marktüblichen Standards und Internet-Technologien von Open IPTV Forum (OIPF), Consumer Electronic Association (CEA), Digital Video Broadcasting (DVB) und World Wide Web Consortium (W3C).
Mit HbbTV können per „Red Button“-Taste der Fernbedienung aus einem laufenden Fernsehprogramm heraus HTML-Seiten direkt gestartet werden. Damit lassen sich TV-Editionen der Mediatheken starten, damit Sendungen zeitversetzt vom Zuschauer abgerufen werden können.
Auch für den Teletext ergeben sich mit Optionen für Abbildungen und Grafiken sichtlich bessere Darstellungen im Zeitalter des hochauflösenden Fernsehens. Die HTML-Umgebung ermöglicht dabei eine ganze Reihe von neuen Funktionalitäten: Ein verkleinertes Fernsehbild kann in HTMLSeiten integriert werden und von der HTML-Seite kann direkt auf ein anderes Fernsehprogramm umgeschaltet werden. Darüber hinaus lassen sich synchron zum Fernsehprogramm Menüfunktionen und Nachrichtenticker transparent über das laufende Fernsehbild legen. HbbTV stellt aber sicher, dass die Integrität der Rundfunkprogramme nicht durch unkontrollierte Internetdienste beeinträchtigt wird.

Hybrid-TV steht auch im Fokus der neuen Arbeitsgruppe „Hybride Endgeräte zur Integration von Broadband und Broadcast“ der Deutschen TV-Plattform. Ähnlich wie beim „White Paper IPTV” will sie Basisnormen für die Hybrid-Geräte erarbeiten, die in offener Architektur gestaltet und interoperabel sein sollen. „Die Anforderungen der Inhalteanbieter aus Rundfunk und Internet müssen mit denen der Gerätehersteller und der Netzbetreiber harmonisiert werden, damit kurzfristig ein Massenmarkt entsteht, auf dem der Verbraucher vielfältige Auswahl und zugleich Investitionssicherheit hat“, erklärte Jürgen Sewczyk, Geschäftsführer von JS Consult. Er agiert als Leiter der AG Hybride Endgeräte. Das Vorstandsmitglied der Deutschen TV-Plattform leitete zuvor auch die AG IPTV der Organisation. Zur IFA 2009 wurde von der Deutschen TV-Plattform eine erste Übersicht der nötigen Standards vorgestellt. Das finale Profil-Dokument soll bis Mitte 2010 vorliegen.

HDTV Hybrid-Receiver von VideoWeb
Die Zeichen der Zeit erkannt haben nicht nur die großen Unterhaltungselektronik-Hersteller, sondern auch einige kleine Hersteller wie VideoWeb (www.videoweb.de). Das Karlsruher Unternehmen präsentierte zur diesjährigen IFA in Berlin wie auch auf den MEDIENTAGEN MÜNCHEN 2009 den weltweit ersten Hybrid-Receiver, der HDTV-Fernsehen mit Internet-TV vernüpft.
Der VideoWeb S500 Satellitenempfänger ist ein leistungsstarker „HDTV-Computer“, der von einem Rechenzentrum aus über das Internet permanent mit den neuesten Anwendungen und Erweiterungen aktualisiert wird. Die seit September 2009 im Handel erhältliche Receiver-Box kostet inklusive kostenlosem HD+-Update 249,- Euro und wurde als familienfreundliches Massenmarktprodukt konzipiert.
„Mit VideoWeb können auch die hierzulande derzeit rund 17 Millionen Besitzer eines Flachbildschirms die Funktionalitäten ihres Fernsehers im Nachhinein und dauerhaft erweitern und dank umfangreicher und vielzähliger Content-Partnerschaften von VideoWeb auf alle Themen und Content rund um Film, Radio, TV und PC zugreifen“, erklärte Matthias Greve, Gründer und CEO von VideoWeb.
VideoWeb kombiniere neueste Hard- und Software-Technologie sowie die jahrzehntelange Erfahrung ihrer Erfinder aus verschiedenen Welten wie etwa Multimedia, Fernsehen und Internet.
Als Hybrid-Receiver bringt VideoWeb erstmals ein umfangreiches TV-Internet-Portal mit neuartigen Anwendungen auf den heimischen Fernseher. Das VideoWeb TV-Portal wird im VideoWeb-Rechenzentrum ständig ausgebaut und mit neuen Funktionen erweitert. Bereits zum Start waren Anwendungen für Picasa, Flickr, Facebook, Twitter und GoogleMaps verfügbar. Weitere neue Internet-TV-Standards sind in der Entwicklung. Durch Software-Updates wird VideoWeb kontinuierlich aktualisiert.
VideoWeb ist ausserdem der erste Sat-Empfänger, der WebTV-Sender direkt auf den Fernseher bringt und der Video-On-Demand in HDTV integriert. VideoWeb erlaubt, Videos in HD-Qualitaet (1080i und 720p) aus einer Online-Videothek direkt auf dem Fernseher abzuspielen.
„Der Markt ist jetzt reif für VideoWeb. Alle reden von TV und Internet; HDTV ist in der Breite vorhanden; 20 Millionen Haushalte haben einen DSL-Anschluss. Und wir liefern das fertige Produkt dazu“, betonte Greve.

Verkaufsboom bei webfähigen TV-Geräten
Dass Konsumenten zunehmend Webinhalte auch auf dem TV-Bildschirm im Wohnzimmer nutzen wollen und sich für internetfähiger Fernsehgeräte interessieren, belegt auch ein aktueller Bericht des Marktforschungsunternehmens Quixel Research Demzufolge hat der erwirtschaftete Umsatz mit derartigen Produkten im zweiten Quartal 2009 um ganze 40 Prozent zugelegt. Während im ersten Quartal noch rund 776 Mio. Dollar in diesem Segment eingenommen werden konnten, kletterte der entsprechende Wert innerhalb der Folgemonate erstmals über die Eine-Milliarde-Dollar-Marke.
„Das Timing für eine Umstellung der Konsumenten auf internetfähige TV-Geräte ist richtig”, zeigte sich Quixel-Research-Analystin Tamaryn Pratt überzeugt.
„Die Verbindung der Vielfalt von medialen Inhalten aus dem Internet und der hohen Bildqualität heutiger Fernsehgeräte ist aus Sicht der TV-Nutzer natürlich besonders attraktiv”, erklärte Roland Raithel, Sprecher des deutschen TV-Herstellers Loewe.
Das Potenzial der Kombination beider Medienformen habe man bei Loewe bereits vor gut 14 Jahren erkannt. „Wir haben 1995 auf der Funkausstellung in Berlin den ersten webfähigen Fernseher vorgestellt, der 1997 auch offiziell auf dem Markt erschienen ist. Dieser war damals aber noch nicht bereit für ein derart neuartiges Produkt. Durch die neuen technischen Möglichkeiten hat sich das aber inzwischen grundlegend geändert und die Konsumenten stehen einer Vermischung von Internet und TV sehr aufgeschlossen gegenüber”, sagte Raithel. Größtes Hemmnis für die weitere Entwicklung des Internet-TV-Marktes in Deutschland sei derzeit aber noch das Fehlen eines einheitlichen Standards, das eine perfekte Abstimmung zwischen Content-Anbietern und Geräteherstellern deutlich erschwere.
Ausschlaggebend für den derzeitigen Boom bei der Nachfrage nach internetfähigen TV-Geräten ist laut Quixel-Research-Analystin eine ganze Reihe verschiedener Faktoren. „Die Mehrheit der Menschen hat inzwischen in ihrem Haushalt einen schnellen Breitband-Internetzugang zur Verfügung. Da gleichzeitig auch immer mehr Premium-Inhalte im Web angeboten werden, versuchen die Hersteller Kapital aus dem spürbar stärker werdenden Wunsch der Konsumenten zu schlagen, Online-Content auch auf einem wesentlich größeren TV-Bildschirm nutzen zu können”, meinte Pratt. Gegenwärtig sind den US-Marktforschern zufolge aber lediglich rund 15 bis 20 Prozent der Fernseher, die mit einer integrierten Webfähigkeit ausgestattet sind, auch tatsächlich mit dem Netz verbunden. Bis zum Jahresende soll dieser Wert aber noch signifikant in die Höhe schnellen.
In Deutschland sind nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) schon 100.00 dieser „Hybriden” verkauft – als Flachbildschirme oder Home Network End Devices (HNED – Heimnetz-Endgeräte).

Hybrid-TV auf den MEDIENTAGEN MÜNCHEN
Hybrid-TV war auch auf den MEDIENTAGEN MÜNCHEN (28. bis 30. Oktober 2009) ein wichtiges Thema. Das IRT zeigte hier zusammen mit ARD Digital und dem Bayerischen Rundfunk welche neuen HbbTV-Dienste und -Geräte dafür entwickelt werden und wie direkt aus dem laufenden Fernsehprogramm auf verpasste Sendungen und grafisch verbesserte Teletextseiten per Fernbedienung zugegriffen werden kann.
Am Messestand des IRT wurden erste Geräteprototypen verschiedener Hersteller vorgestellt und die Experten informieren zur Leistungsfähigkeit des neuen Standards.
„Die Spezifikation Hybrid Broadcast Broadband Television nutzt und kombiniert offen, international standardisierte Elemente. Dies ist eine wichtige Grundlage für den chancengleichen und freien Zugang für alle Marktteilnehmer. Nur damit kann sichergestellt werden, dass Anwendungen von Inhalteanbietern nur einmal aufbereitet werden müssen und diese dann dem Verbraucher auf allen Rundfunkverbreitungswegen, wie Satellit, Kabel, Breitband und Antenne sofort zugänglich sind“, betonte IRT-Direktor Dr. Klaus Illgner-Fehns. „Konsumenten stehen damit potenziell ein sehr umfangreiches Medienangebot, aber auch weitergehende Internetangebote auf dem TV-Gerät zur Verfügung. Diese Vorgehensweise dürfte die Marktentwicklung nachhaltig befördern.“
Mit dem Thema Hybrid-TV befasste sich auf den MEDIENTAGEN MÜNCHEN auch das von IRT und Bayerischer Rundfunk gemeinsam veranstaltete Panel „Das Internet übernimmt den Fernseher: Wer gibt künftig den Takt an?“ Referenten von ARD Digital, dem Bayerischen Rundfunk, CBC/RTL, MediaManagementHamburg, Philips und dem IRT diskutieren hier über Chancen und Risiken des Zusammenwachsens von Fernsehen und Internet. (MB 11/09)