Druck auf dem Kessel

Frank Schulz (42) zeichnet seit März 2015 als CTO und Mitglied der Geschäftsleitung bei Media Broadcast verantwortlich. Bevor er als Leiter der Business Unit Networks zu dem Mediendienstleister wechselte war er Leiter Business Development beim Sendernetzbetreiber ORS in Österreich. MEDIEN BULLETIN sprach mit ihm über die technischen Herausforderungen und strategischen Ziele bei MEDIA BROADCAST.

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Druck auf dem Kessel

Mit der Einführung der zweiten Generation des digitalen terrestrischen Fernsehens, DVB-T2, hat MEDIA BROADCAST eine große Aufgabe vor sich. Man ist hier nicht nur als Netzbetreiber sondern auch als Vermarkter engagiert. Wie bewerten Sie da die gegenwärtig kontrovers geführte Diskussion über die richtigen Business-Modelle einschließlich Pay-TV für DVB-T2?

Ich habe die Einführung von DVB-T2 in verantwortlicher Position bereits in Österreich erlebt. Viele der Diskussionen auf dem deutschen Markt kommen mir deshalb sehr bekannt vor. Wir bewegen uns mit unserem Produkt auch ein Stück weit im politischen Umfeld, mit unterschiedlichen Interessenslagen der Beteiligten, was sich in einer Vielzahl an Rundfunkveranstaltern mit verschiedenen Anforderungen wiederspiegelt. Ich merke aber, je näher wir der Einführung von DVB-T2 kommen, desto mehr nähern sich alle Beteiligten aneinander an. Wir sind uns alle einig, dass die Einführung von DVB-T2 2016 und insbesondere 2017 mit dem Start des Regelbetriebes nur gemeinsam funktionieren kann. Das ist nicht trivial. Aber die Flexibilität des neuen Systems bietet allen Beteiligten die Möglichkeit, ihre individuellen Anforderungen erfolgreich umzusetzen. Es müssen indes noch einige Randbedingungen geklärt werden. Insbesondere die Frequenzsituation macht es uns nicht leicht und muss rasch geklärt werden.

Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Versteigerung des Frequenzspektrums im 700 MHz-Bereich?

Wir könnten die Frequenzen natürlich auch im Broadcast-Bereich gut gebrauchen, gleichwohl unterstützen wir die Breitbandziele der Bundesregierung. Deshalb haben wir uns mit der Situation arrangiert. Aber es gilt natürlich auch: Permanent die Broadcast-Frequenzressourcen zu beschneiden, macht keinen Sinn. Wir benötigen Planungssicherheit über einen längeren Zeitraum hinweg, das heißt konkret bis 2030. Weitere Aktionen wie bei der aktuellen Frequenzversteigerung, wo wir gezwungen werden, Spektrum zu räumen und einen großflächigen Technikumbau vorzunehmen – was auch ein erheblicher Kostenfaktor ist – sind nicht hinnehmbar. Und gemessen am mäßigen Erfolg der Ausschreibung auch nicht wirklich erforderlich.

Wenn die DVB-T2-Einführung nicht erfolgreich ist, drohen auch andere Frequenzen unter 700 MHz versteigert zu werden. Bis wann müssen Sie Erfolge vorweisen?

Für mich ist es selbstverständlich, dass wir erfolgreich sein werden. Bei der Einführung jeder neuen Technologie entscheidet am Ende der Markt, ob sie angenommen wird oder nicht. Das betrifft die Mobilfunktechnologien genauso wie DVB-T2. Wenn wir etwas anbieten, was der Kunde nicht will, dann haben wir ein Problem. Aber ich gehe bei DVB-T2 auf Grund der Erfahrungen, die ich schon gemacht habe, davon aus, dass das hier nicht so ist. Ganz im Gegenteil: DVB-T2 wird in Deutschland gut funktionieren. Zumal wir ja auch in den avisierten Em-pfangsgebieten schon heute eine sehr hohe DVB-T-Nutzerzahl haben. Alle, die heute via DVB-T fernsehen, werden sich genau überlegen, ob sie die digitale Terrestrik weiter nutzen. Und das werden sie, wenn wir ihnen ein attraktives Angebot machen.

Wie sehen Sie die Chancen für DVB-T2 im mobilen Einsatz?

Dass dies technologisch funktioniert ist bewiesen. Es gibt auch use cases die belegen, dass der mobile DVB-T2-Einsatz Sinn macht. Dazu braucht es aber indes noch Endgeräte, wie zum Beispiel Tablets, die DVB-T2 empfangen können. Ich glaube, dass DVB-T2 auch Einzug halten wird in die mobile Gerätewelt, aber ich sehe den Anwendungsfall primär im portablen Bereich. Mobil und portabel wird gerne immer etwas vermischt. Portabel bedeutet, dass man ein Empfangsgerät, auch ein personalisiertes, in der Wohnung mit sich herum tragen kann. Beim mobilen Empfang spricht man meistens von Anwendungsfällen im Auto oder anderen Verkehrsmitteln.

Wie sieht für Sie die Roadmap hin zu DVB-T2 aus. Was steht an?

Wir müssen noch einige Schritte unternehmen. Wir haben ja nicht nur DVB-T2 sondern auch DAB+ am Start. Alle diese Technologien setzen voraus, dass wir die technische Infrastruktur dafür schaffen. Bei DVB-T2 müssen wir dafür sorgen, dass die HD-Signale, die ausgesendet werden, zu den Playout-Standorten gelangen. Deshalb bauen wir gerade deutschlandweit ein neues glasfaserbasiertes Backbone-Netzwerk auf. Dieses ist fokussiert auf Bandbreiten jenseits von 10 GBit. Damit sind wir in der Lage, im Bedarfsfall auch HD-Services ohne Kompression zu betreiben oder zu einem Multiplexer zu schicken, wo die Signale aufbereitet werden. Wir haben Anfang des Jahres begonnen, das Netzwerk aufzubauen. Parallel dazu führen wir das Bestehende weiter. Das neue Netzwerk wird jetzt so dimensioniert, dass wir über Jahre hinweg den benötigten Bandbreitenbedarf zur Verfügung stellen können.

Gleichzeitig bauen wir jetzt das DVB-T2-Sendernetz auf. Das vorhandene DVB-T-Sendernetz bleibt in der im Frühsommer 2016 in Ballungsräumen beginnenden Einführungsphase von DVB-T2 weiter in Betrieb. An allen dabei vorgesehenen Standorten müssen DVB-T2-Infrastrukturen installiert werden. Im ersten Quartal 2017 wollen wir dann, in Abstimmung mit allen Beteiligten, in den Startregionen mit dem DVB-T2-Regelbetrieb beginnen und diesen dann bis 2019 sukzessive weiter ausrollen. Hierbei arbeiten wir derzeit zusammen mit den beteiligten Sendern und Organisationen an einem Migrationsszenario, das dann auch die Abschaltung der heutigen DVB-T-Sender beinhaltet. Insgesamt ist das für uns nicht nur technisch eine Herausforderung, sondern auch organisatorisch.

In wie fern?

Um kommerzieller Betreiber der DVB-T2-Plattform zu sein, müssen wir die MEDIA BROADCAST in Teilbereichen auch organisatorisch neu aufstellen. Wir müssen von B2B in Richtung B2C gehen. Heute ist MEDIA BROADCAST noch rein B2B ausgerichtet. Das heißt, wir verkaufen unsere Dienste an Rundfunkveranstalter. Wir werden aber mit DVB-T2 erstmals ein „Produkt“ direkt den Konsumenten anbieten und mit ihnen auch Verträge schließen. Und dazu braucht es eine strukturelle Anpassung bei MEDIA BRIOADCAST, die wir bereits eingeleitet haben. Die B2C-Organisation, die wir brauchen, wird jetzt sukzessive weiter etabliert.

Ist das mit Neueinstellungen verbunden?

Wir brauchen neues Know-how, absolut. Und da werden wir natürlich Einstellungen vornehmen. Wir sind aktuell dabei. Gerade für die Vermarktung von DVB-T2 brauchen wir richtige B2C-Profis.

Dabei arbeiten sie aber auch mit Vertriebspartnern?

Natürlich. Die brauchen wir unbedingt. In der Fläche und in der uns zur Verfügung stehenden kurzen Zeit würden wir das sonst schwerlich schaffen.

Neben DVB-T2, sagen Sie, wird auch das Digitalradio DAB+ für MEDIA BROADCAST eine wichtige Rolle spielen. Was ist hier geplant?

Der Plan ist, DAB+ weiter auszurollen. Wir sehen, dass die Technologie funktioniert und dass der point of no return überschritten ist. Die Verkaufszahlen steigen an. Aktuelle GFK-Zahlen stimmen uns sehr zuversichtlich. Der Verkauf von DAB+-Geräten ist in diesem Jahr verglichen zum Vorjahr um 75 Prozent angestiegen. Im Fachgeschäft bekommen Kunden heute in der Regel immer DAB+-Geräte angeboten, wenn sie nach einem Radio fragen. Die Autoindustrie ist gleichfalls sehr interessiert und drängt auf den flächendeckenden Ausbau. Dies ist die Voraussetzung für die breite Integration von DAB+-Empfängern im Kraftfahrzeug. Unser Plan ist deshalb, auf mindestens 97 Prozent Flächenversorgung in Deutschland zu kommen. Wir als MEDIA BROADCAST müssen hier in Vorleistung gehen und wie bei DVB-T2 mehrere Millionen Euro in die Infrastruktur investieren. Das machen wir, weil wir an die Technologie glauben.

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass man mit der Digitalradio-Verbreitung jetzt etwas spät dran ist, wo Audiostreaming-Dienste stark an Beliebtheit gewinnen. Insbesondere für junge Leute ist das terrestrische Radio kaum mehr interessant.

Das ist tatsächlich ein Thema, das viel diskutiert wird, insbesondere aber bei den Radiostationen. Deren klassische Business-Modelle basieren auf Werbung und werden durch die Audio-Streaming-Konkurrenz immer schwieriger. Die Radiostationen müssen deshalb immer mehr an der Kostenschraube drehen. Und da bietet es sich eigentlich an, auf DAB+ zu wechseln, weil die Technik in punkto Übertragung natürlich günstiger ist.

Wann wird FM abgeschaltet?

Es gibt keinen offiziellen Termin. Es wird mit den großen Playern darüber diskutiert. Diese wollen sich indes die Weiterentwicklung von DAB+ erst genau anschauen. Wenn die kritische Masse erreicht ist, könnte auch der FM-Abschalttermin bestimmt werden. Ich selbst glaube, dass mit zunehmendem Druck auf die Werbemodelle der Kostendruck steigt und damit der Wechsel zu DAB+ befeuert wird. Das ist die einzige Technologie, die überhaupt in der Lage ist, mit diesem Kostendruck umzugehen.

Gibt es Chancen, Streaming Dienste auch über DAB+ abzubilden?

Denkbar ist das. DAB+ ist ein Dienst der IP-Daten überträgt. Im Grunde genommen kann man damit ganz viel machen. Unsere Radio-Kunden können darüber durchaus unterschiedlichste Modelle abbilden. Wir unterstützen das, wo wir können.

Wie sehen Sie die Wettbewerbssituation für MEDIA BROADCAST? Es gibt einige Mitbewerber auf dem Markt.

Ich sehe bei DAB+ MEDIA BROADCAST in einer starken Rolle. Wir sind der führende Netzbetreiber, wobei wir dabei natürlich auch ein gewisses unternehmerisches Risiko eingehen. Aber wir wollen DAB+ voranbringen und in Deutschland weiter etablieren. Der Erfolg dabei hat eher mit der Akzeptanz durch unsere Kunden zu tun als mit der Konkurrenzsituation. Und bei DVB-T sehe ich diesbezüglich auch keine Probleme.

MEDIA BROADCAST betreibt auch eine SNG-Flotte. Gibt es Neuigkeiten bei den entsprechenden Services?

Wir schauen stets, dass wir Kundenbedürfnisse erfüllen können. HD ist selbstverständlich, jetzt kommt auch UHD dazu. Hier diskutieren wir gerade intern über die Aufrüstung unserer SNG-Flotte Richtung UHD. Die Herausforderung ist, dass die technische Entwicklung sehr rasant voran geht. Es gilt deshalb, den richtigen Zeitpunkt für den UHD-Umbau zu definieren.

Gibt es weitere Innovationen wie UHD, die Sie im Blick haben?

Einen tatsächlichen Innovationsschub haben wir im Bereich der Kontributionsnetze. Dort sehen wir das Bedürfnis, in immer höheren Bandbreiten zu übertragen, bis hin zu unkomprimierten Signalen. Dazu braucht es entsprechende Netze. Wir haben uns für ein ganz innovatives Netzdesign entschieden, das uns erlaubt, dies mit minimalstem Jitter zu realisieren. Und wir eliminieren in zunehmendem Maße Adaptionstechniken, die zur Anpassung an Bandbreiten und anderen Bedürfnissen eingesetzt werden. Dadurch sparen wir Geld und können trotzdem die Qualität erhöhen. Mit unserem neuen Netz haben wir kaum mehr Laufzeiten und sind so in der Lage, die Remote-Produktionen zu unterstützen. Auch das ist unser Ziel.

Ohne Zeitversatz und Jitter kann man nun auch Produktionen mit abgesetzten Standorten realisieren. Remote-Produktion ist ein Thema, das unser Ansicht nach zunehmend an Bedeutung gewinnt. Technologisch sind wir heute schon dafür präpariert.

Was passiert mit dem existierenden Kontributionsnetz?

Unser Bestandsnetzwerk schalten wir Ende des Jahres ab. Das neue, das wir parallel gerade aufbauen, ist im Oktober 2015 fertig. Nach Testphasen werden wir dann sukzessive die neuen Services auf das neue Netz migrieren. Unsere Kunden merken davon nichts, haben aber anschließend einen ganz anderen Qualitätslevel zur Verfügung. Wir können dann alle Anbieter mit kleinen wie mit sehr hohen Bandbreiten bedienen und sind dann nicht mehr limitiert. Wir wollen neben der Netzbereitstellung auch Services in dem Netz anbieten. Dazu gibt es viele Überlegungen, die aber noch nicht spruchreif sind. Wir haben ein starkes Entwicklerteam im Einsatz, das gerade intensiv an unserem neuen Broadcast Networks Services (BNS) arbeitet, um die Qualität des Systems durch ein entsprechendes Update zu steigert: So wird die Usability weiter verbessert. Es gibt neue Features und eine neue Bedienoberfläche. Zudem denken wir über produktionsnahe Services nach wie Cloud basiertes Encoding oder Editing. Da sind wir aktuell mit vielen Partnern im Gespräch, die großes Interesse haben, auf unser BNS-Netz zu kommen. Dieses verbindet ja heute schon etwa 130 große Medienhäuser in Deutschland. Alle Teilnehmer, die im BNS-Netz Services anbieten, sind gleich mit der ganzen Medien-Community in Deutschland verbunden. Das ist hoch attraktiv.

Welchen Stellenwert hat IP in der Kontribution?

Das Thema IP in der Kontribution ist integriert. Das funktioniert. Hier bieten wir für jedes Thema IP-Produkte an. IP bietet die einfachere Produktionsweise und erlaubt uns auch viel kostengünstiger zu arbeiten. Der Trend zu IP ist nicht mehr aufzuhalten. Schon bei der letzten IBC wurde darüber gesprochen, dass SDI als Video-Standard eigentlich nicht mehr gebraucht wird. Wir sind flexibel und nicht festgelegt, welche Art an Signalen über unser Netz verschickt werden. Wir können alles betreuen.

Gibt es neue Kunden bei MEDIA BROADCAST?

Ein aktuelles, neues Kundenthema betrifft die Zuführungsnetze, die wir für den rbb und MDR für den internen Datenaustausch der Rundfunkveranstalter zwischen ihren Landesfunkhäusern gebaut haben. Die Sender können jetzt völlig neue Bandbreiten mit dem neuen Netz realisieren.

Sind neben den erwähnten B2C-Aktivitäten weitere Ausbaumaßnahmen der Geschäftsaktivitäten geplant?

Das Portfolio von MEDIA BROADCAST ist mit den erwähnten Projekten gut aufgestellt und beschäftigt uns vollumfänglich. Darauf konzentrieren wir uns. Unsere Marke steht für Qualität, und das soll auch weiterhin so bleiben. Das werden wir nicht durch Schnellschüsse belasten. Vorstellen kann ich mir indes Partnerschaften mit externen Partnern. Wir haben nicht den Anspruch, alles selber zu machen. Was wir nicht können, lassen wir lieber von denjenigen erledigen, die das Know-how dafür mitbringen. Strategische Partnerschaften sind für uns deshalb sehr wichtig.

Eckhard Eckstein

MB 5/2015

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