IPTV als Treiber für HDTV?

Europäischer HDTV-Summit in Berlin Am 14. und 15. Oktober fand in der Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Telekom der „1. Europäische HDTV-Summit“ statt, der vom industriepolitisch mächtigen Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V., BITKOM, zusammen mit seinem britischen Partner Intellect veranstaltet wurde.

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IPTV als Treiber für HDTV?

Auf der Basis einer Bestandsaufnahme zur Verbreitung und Rahmenbedingungen von High-Definition und HDTV in Europa wurde auf dem englischsprachigen Kongress analysiert, an welchen Hebeln man jetzt ansetzen muss, um mehr Fahrtwind für eine massenhafte HDTV-Durchsetzung gewinnen zu können. Es wurden die besten „Driver“ gesucht.
Sicher ist: Die HDTV-Zukunft sieht rosig aus. Denn die Verbreitung der HD-Technologie gewinnt in Europa seit 2006 immer mehr Dynamik. Und nach dem analogen Switch-Off, den die EU in Europa für 2012 vorsieht, ist sowieso ein großer Wachstumsschub für HDTV zu erwarten, da unstrittig HD die digitale TV-Norm der Zukunft ist.

Die HDTV-Gegenwart in Europa dagegen sieht im Vergleich zu den Entwicklungen in den USA und Japan scheinbar noch etwas trübe aus: Obwohl bereits Ende 2007 knapp 30 Millionen und damit 18 Prozent der 165 Millionen europäischer Haushalte im Besitz eines HD-Bildschirms waren, konnten nur eine Million Haushalte davon tatsächlich HDTV empfangen. Zwar würden „bis 2012 rund 85 Prozent der europäischen Haushalte mit HD-fähigen Bildschirmen ausgestattet“ sein, doch auch dann würden lediglich „20 Prozent davon tatsächlich Programme in High-Definition-Qualität empfangen“ können. Mit dieser grundlegenden Bestandsaufnahme des Medienmarktforschungsinstituts „screendigest“, vorgetragen von seinem Analysten Vincent Letang, startete der zweitägige HDTV-Kongress in Berlin.
Die Diskrepanz begründete Letang mit verschiedenen Faktoren. So werde HDTV auch in den kommenden Jahren ein Pay-TV-Produkt bleiben, das vorrangig über den Vertriebsweg Satellit in die Haushalte gelange. Im Kabel sei in Europa nur selten HD zu finden, speziell in Deutschland sei die dies voraussetzende Digitalisierung des Kabelnetzes unterentwickelt. Obwohl es zurzeit in Europa 100 HD-Kanäle gebe, konstatiert Letang in Verbindung damit, dass HD nur selten auf Free-TV-Plattformen stattfinde, nach wie vor einen „Content Gap“.

HD als Pay-TV – vor allem mit den Inhalten „Movies“, „Sport“ und „Dokumentationen“ – bleibe ein „Premium-Produkt“ und könne so nicht in die Masse vordringen. Speziell das HD-Inhalteangebot in Deutschland sei sehr schwach, sagte Letang. Eine große Verunsicherung im Markt sei dadurch entstanden, dass sich ProSiebenSat.1 von seinem HD-Engagement im Free-TV-Segment zurückgezogen habe. Das Angebot des deutschen Pay-TV-Senders Premiere sei mit nur zwei HD-Kanälen kein HD-Motor. In Großbritannien hingegen habe Murdochs BSkyB mit rund 20 HD-Kanälen in den letzten zwei Jahren viel mehr neue Abonnenten gewinnen können.
Schon heute, so Letang, sei bei 65 Prozent der europäischen Haushalte ein Bewusstsein für HD vorhanden, das sich im Kauf der HD-fähigen Bildschirme widerspiegle. Doch sei dieses Bewusstsein nicht mit dem konkreten Wissen verbunden, wie man HD tatsächlich empfangen könne. In den USA, so Letang, habe es in Sachen HDTV einen „Big Bang“ gegeben, der auch auf den extremen Wettbewerb zwischen IPTV- und den anderen HD-Distributoren zurückzuführen sei.
Da es bei der Marktdurchdringung von HDTV in Europa letztlich darauf ankäme, so viele HD-Inhalte auf so vielen HD-Sendeplattformen wie möglich anzubieten, sei es sehr wichtig, den zunächst im Rahmen der HDTV-Übertragung eingesetzten Datenkompressionsstandard MPEG-2 europaweit vollständig durch den Nachfolgestandard MPEG-4 zu ersetzen. Hierdurch würde wesentlich mehr Kapazität für die Übertragung von HD-Signalen geschaffen werden bei gleichzeitig preiswerteren Transportkosten, was den Sendern entgegenkäme. Laut dem neuen HDTV-Leitfaden, den die BITKOM anlässlich des HDTV-Europakongresses herausgab, ist die Kompression bei MPEG-4 „etwa um 50 Prozent höher als beim MPEG-2 Standard“.

HD-Treiber Spielkonsolen
Während Analyst Andrew Murray vom weltweit operierenden Marktforschungsinstitut iSuppli bei den Distributionswegen Kabel und Satellit bis 2012 nur eine HD-Penetration von rund 50 Prozent prognostiziert, ortet er die „Explosion“ beim Distributionsweg IPTV mit 80 Prozent. Als Grund dafür nannte er die „aggressive Vermarktung“ seitens der Telekommunikations- und IT-Unternehmen weltweit. „Eine besondere Schlüsselrolle“ zur HD-Marktdurchdringung, so referierte Murray, würden Blue Ray und Spielkonsolen einnehmen. Speziell die Spielkonsolen würden „ein wichtiger Treiber für HD“ sein, da sie in Verbindung mit Blue Ray von wichtigen Playern wie Microsoft, Sony und Nintendo gepuscht werden.

Zum Einflussfaktor und potenziellen HD-Treiber „Content“ bemerkte Murray, dass „auch die BBC nicht weiß, wie sie die hohen Kosten für die Umrüstung auf HD wieder reinkriegen kann“. Ein Problem, das während des Kongresses mit der Beobachtung bestätigt wurde, dass in Europa so gut wie kein öffentlich-rechtlicher Sender dafür mehr Geld erhalte, weil er HDTV realisiere. Da auf der anderen Seite kommerzielle Free-TV-Sender nur dann in neue Übertragungsstandards investieren, wenn es ihrer Reichweite und Finanzierung über Werbung dient, bleibt vorerst Pay-TV als Geschäftsmodell für HDTV Top, da zurzeit kein anderes Geschäftsmodell für HD in Sicht ist. So sei gerade die öffentlich-rechtliche Road-Map, die zum Beispiel von ARD und ZDF zur Einführung von HDTV aufgestellt worden ist, „immer noch wichtig“, wie Letang meinte – auch, um die Content-Produzenten auf den HD-Weg zu bringen.
Mit der Set-Top-Box, der Voraussetzung zum HD-Empfang beim Konsumenten, wurde ein weiteres Problem erörtert, das, würde es gelöst, auch ein Treiber für HD sein könnte. „Wäre es nicht möglich“, wollte ein Kongressbesucher aus dem Hause Panasonic vom Receiver-Hersteller Humax wissen, „integrierte Boxen für alle Broadcast-Wege auf den Markt zu bringen?“ Möglich schon, antwortete der. Dies aber sei von den Providern abhängig, die die Receiver bestellten.
Vielleicht, so analysierte Professor Arnold Picot (Institut für Information, Organisation und Management der Ludwig-Maximilians-Universität München) die Diskussion könnte die Auflösung der Übertragungsengpässe, die durch eine Unübersichtlichkeit in der technischen Empfangsvoraussetzung für HD liegen, ein noch wichtiger Treiber als der Content für die Marktdurchdringung von HDTV sein?

In den USA wird es 2009 den Startschuss für „HD only“ geben, in Japan wird die HD-Broadcast-Kette schon auf 3D eingestimmt. Aber auch in Europa gibt es keinen Grund für einen HDTV-Pessimismus. Diese frohe Botschaft fuhr der Satellitenbetreiber Astra auf: Zwar sind die großen Märkte USA und Asien in Sachen HDTV Europa meilenweit voraus. Doch wenn man den Schwung der Entwicklungskurve jeweils vom Jahr des ersten HD-Einführungsschritts betrachte, zeige sich durchaus eine vergleichbare Dynamik in Europa.
Einig war man sich auf dem Kongress, dass der HD-Wachstumsschub auf jeden Fall mit dem analogen Switch Off kommen werde. Wermutstropfen für Deutschland ist nur, dass es im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern dafür keinen verbindlichen Termin gibt. Die Sache ist nämlich Ländersache und muss von 16 Bundesländern beschlossen werden.
Nebenbei bemerkt: Auf dem HDTV-Summit wurden viele, viele Zahlen – wie es auf allen Kongressen üblich ist – aus verschiedenen Studien zur Verbreitung von HDTV in Europa und der Welt genannt, die auch wenn sie das gleiche Forschungssujet hatten, nicht unbedingt identisch waren. Mit solchen Zahlen und den daraus ermittelten Prognosen werden bekanntlich auch die politischen oder marketingtechnischen Argumente von Interessensgruppen geformt. Hinzu kommt: Kaum sind statistische Zahlen erhoben, sind sie schon wieder von der Entwicklung überholt.

Beispielsweise wurde von ARD/ZDF anlässlich der IFA für HDTV die Zahl genannt, wonach in Deutschland bis zum August dieses Jahres in „nur“ 500.000 Haushalten HD-fähige Receiver verbreitet sind. Da nun das Medienmarktforschungsinstitut „screendigest“ für Ende 2007 eine Million HDTV-Haushalte insgesamt in Europa – einschließlich den HD-Vorreitern Großbritannien und Frankreich – ermittelt hat, muss sich wohl hierzulande in der Zwischenzeit eine kleine HD-Euphorie in den Fernsehhaushalten entwickelt haben.
Erika Butzek (MB 11/08)