Ist Audio Over IP rundfunktauglich?

Zu diesem Thema fand im Januar bei der ARD.ZDF Medienakademie ein dreitägiges Seminar in Heimbuchenthal statt. Alle namhaften Gerätehersteller und Netzbetreiber waren anwesend und wir möchten über diese hochinteressante Veranstaltung und die einzelnen Vorträge berichten.

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In der letzten Ausgabe haben wir über das Seminar von Mayah Communications berichtet und die technischen Grundlagen von Audio und Video over IP und die entsprechenden Protokolle, vorgestellt. Das Seminar der ARD ZDF Medienakademie war der zweite Teil einer Seminarreihe. In dem ersten Teil wurde im wesentlichen das vorgestellt, worüber wir schon in der letzten Ausgabe berichtet haben. Also eine ideale Ergänzung.

Netze
Der erste Tage war überwiegend dem Thema der Netze gewidmet. Als erstes berichtete Frau Dr. Cara Schwarz-Schilling von der Bundesnetzagentur über den aktuellen Stand der Diskussion zum Thema IP-Interconnection. Es steht an, das bisherige IP-Netz durch ein Next Generation Networks (NGN) zu ersetzen. Hierzu wurde bei der Bundesnetzagentur im August 2005 eine Projektgruppe eingerichtet und ein Abschlussbericht Ende des Jahres vorgelegt. Hier stehen noch viele Diskussionen bevor, wie z. B. wer zahlt welchen Teil der Wertschöpfungskette? Es wird prognostiziert, dass ein nationales Kernnetz durch ca. 100 IP Konzentrationspunkte, bzw. Standorte bestehend wird. Die Anzahl der Standorte hängt auch von der Entwicklung der TV-IP-Dienste ab. Klar ist auch, das es in dem neuen NGN unterschiedliche Dienste mit unterschiedlichen Qualitätsanforderungen über ein Netz geben wird.

Es wird Quality-of-Service-Klassen für Echzeit-, Streaming-, Daten- und Best-Effort-Dienste geben. Es gibt hierbei verschiedene Möglichkeiten, wie QoS sichergestellt wird. Welches Konzept umgesetzt wird, ist zur Zeit noch nicht klar. Quality of Service ist ein sehr wichtiger Punkt für die Rundfunkanstalten. Bisher wird die Audioübertragung im Rundfunkbereich ja via ISDN abgewickelt und zwar auf einem oder mehreren ISDN-Kanälen (Kanalbündelung). ISDN bietet einen definierten Quality of Service. Jedoch wird es ISDN als Dienst bei dem NGS nicht mehr geben. Es ist schon jetzt so, dass in einigen skandinavischen Ländern ISDN nicht mehr als Dienst angeboten wird und man hier schon komplett das Telefonnetz auf IP-Struktur umgestellt hat. In Italien ist die Netzstruktur intern auch schon weitgehend auf IP umgestellt. Das bedeutet, dass auch schon heute vielfach die ISDN-Audio-Codecs nicht mehr eingesetzt werden können.
Man kann davon ausgehen, dass in drei bis vier Jahren die Migration der Dienste in ein NGN beginnen wird. Dies ist abhängig von der Deutsche Telekom, die auch bei dem NGN ihre Vormachstellung behaupten wird, denn es ist nicht einfach, parallele NGNs zu installieren und zu betreiben. Das NGN der Telekom wird auf jeden Fall IPv6-basierend sein.

Christina Wilhelm und Heinz Scharder von der T-Systems Business Services GmbH berichteten über die Eignung des Mediums IP für den Rundfunkbetrieb. Auch hier stand QoS im Mittelpunkt der Betrachtungen. Man stellte zwei Lösungen der T-Systems Media & Broadcast vor: zum einen Audio over IP via Television Production Network sowie eine Lösung über ein Virtuel Privat Network (VPN) worüber der Zugang zu einer Kunden-eigenen IP-Plattform möglich ist. VPNs stellen quasi ein abgeschlossenes Netz im Netz dar. In Zukunft wird auch Multicasting angeboten werden. Es gab im Anschluss an den Vortrag einige Fragen bezüglich der Probleme bei netz-, bzw. länderübergreifendem Datenverkehr. Hier kann QoS nur gewährleistet werden wenn die Netze zusammenspielen, d. h. es auch entsprechende Abkommen zwischen den Netzanbietern gibt.

Es stellen sich auch die Netzanbieter Arcor (Dr. Christian Weber), Vodafone (Wolfgang Rinner und Jens Helldobler) und T-Mobil (Dr. Bernhard Scholl) vor.
Arcor ist neben der Telekom mit 1,8 Mio. Kunden der zweitgrößte Festnetzanbieter in Deutschland. Die Netzentwicklung wird bei Arcor von den Consumer-Anwendern getragen. Arcor plant als einer der ersten in Europa, Telefondienste via NGN zu realisieren. Arcor hat auch eine spezielle Abteilung für die Betreuung der Rundfunkkunden.
Die Swisscom Broadcast AG, eine 100 % Tochter der Swisscom AG, bietet in der Schweiz rundfunkspezifische Telekommunikationsdienstleistungen an. In Zusammenarbeit mit drei Lokalradios in der Schweiz wurde ein zweimonatlicher Pilotversuch mit einem Broadcast-IP-Netz via ADSL durchgeführt. Eine Redundanz war über des „normale“ Internet gegeben. Die Erfahrungen waren sehr gut. Das End-to-End-Delay war kleiner als 400 Millisekunden, und es war eine sehr gute Verfügbarkeit sowie kein „Paket Loss“ festzustellen.

Vodafone berichtete über den Ausbau seines UMTS- Netzes. Seit 2004 bietet Vodafone UMTS an. 2006 wurde bei UMTS die HSDPA (High Speed Downlink Packet Access) Breitband-Technik eingeführt. Der nächste Entwicklungsschritt der dritten Mobilfunkgeneration wird bis zum Sommer 2006 bei Vodafone eine Download-Bandbreite von 3,6 MBit/s bieten. Auf der CeBIT werden 7,2 Bit/s angekündigt und künftig sollen es sogar bis zu 14,4 MBit/s sein. HSDPA wird zunächst eine Uplink Bitrate von bis zu 1,4 MBit/s bieten. In Zukunft sollen es sogar bis zu 5,4 MBit/s sein. Die Netzzugriffzeit wird kleiner als 100 Millisekunden sein. Damit wird HSDPA auch für die Rundfunkanstalten zur Audio-over-IP-Übertragung interessant, primär natürlich für mobile Einsatze wie Reportagen. Es werden von Vodafone auch komplette Notebooks mit UMTS HSDPA Lösungen angeboten.
T-Mobile stellte seine mobilen Breitbandlösungen vor. Auch bei T-Mobile erweitert man UMTS um den Breitbanddienst HSDPA. HSDPA mit 3,6 MBit/s ist schon verfügbar. EDGE ist eine Technologie, die auch durch eine modifizierte Modulation bei dem Mobilfunknetz der zweiten Generation Übertragungsraten von bis zu 270 kBit/s ermöglichen wird. EDGE wird Ende 2007 eingeführt.

Produkte
Ein großes Problem bei den ISDN-Audio-Codecs war die ungenügende Kompatibilität zwischen den Geräten verschiedener Hersteller. Daraus hat man gelernt, und man war sich des Problems bewusst. Dies führte dazu, dass sich die ARD ZDF Arbeitsgemeinschaft Audiocodecs sowie die EBU der Erarbeitung von Standardisierungsvorschlägen für IP-Audio-Codecs annahmen. Beide Institutionen arbeiten hier zusammen. Es fanden Gespräche mit den Herstellern statt. Die EBU hatte zu einem Treffen im September auf der IBC 2006 geladen.
Zur Zeit ist ein Vorschlag erarbeitet. Der aktuelle Projektstand der Standardisierung lässt sich in Kürze so zusammenfassen:
* IPv6 wird empfohlen,
* IPv4 verpflichtend,
* IP Multicast empfohlen,
* UDP mit Header Checksum verpflichtend.
* TCP optional,
* RTP verpflichgtend
* RTCP empfolen,
* Standardports für RTP und RTCP empfohlen,
* SDP und SIP (mit Standardport) verpflichtend.
Als Audiocodecs für nicht portable Codecs sind G.711, G.722, MPEG 2 Layer II, PCM 16 Bit linear verpflichtend. Empfohlen werden MPEG 2 Layer III und AAC. Bezüglich des FEC-Fehlerschutzes besteht noch keine Einigung. Man geht davon aus, dass auf der IBC eine Version 1.0 präsentiert wird.
Auch die Hersteller ziehen diesmal an einem Strang. 2006 hat man für die firmenübergreifende Zusammenarbeit bei den IP-Audio-Codecs die „Audio-via-IP Experts Group“ gegründet (www.audio-via-ip.de). Mayah AETA, Transtel und seit kurzem auch Orban gehören dieser Gruppe an. Ziel ist es, sich Herstellerübergreifend gegenseitig zu unterstützen und sich auszutauschen, um eine Kompatibilität zwischen den IP-Codecs zu gewährleisten. Hier ist man schon weit vorangeschritten. Über die Implementierung von SIP und SAP können die Codecs vieler Hersteller schon jetzt untereinander Verbindungen aufbauen.
Am zweiten Tag stellten die Hersteller Mayah, AETA, Orban Europe, Prodys, AVT und APT ihre Produkte und Konzepte vor.

Praxis
Der dritte Tage war der Praxis vorbehalten. Gerhard List von TransTel gab einen Überblick über die Infrastruktur im Funkhaus auch an verschiedenen Beispielen und zeigte das Pro und Contra von VPNs auf und ging auf die Router-Technik ein. Man berichtete weiter über die positiven Erfahrungen mit SHDSL (Single pair High Speed DSL) CompanyConnect von T-System mit Bandbreiten von bis zu 34 MBit/s, keine 24-Stunden-Zwangstrennung, garantierte Bandbreite auch im Backbone des Providers, keine Filterung durch den Provider, hohe Priorität im Störungsfall und einer optionalen Backup-Anbindung über einen anderen Netzknoten als Zweitanbindung. Die Bereitstellungszeit liegt bei vier bis sechs Wochen.

Heinz Peter Reykers vom WDR in Köln berichtete noch über die Mehrkanalton-Übertragung des Eröffnungskonzertes zum Prix Europa 2006 aus dem Sendesaal des RBB in Berlin am 14. Oktober 2006 via IP. Man fasste im Vorfeld den Entschluss, die verfügbare interne Netzwerkstruktur der ARD/EBU zu nutzen. Es kamen die Hausnetze der beiden beteiligten Rundfunkanstalten zum Einsatz. Da aus Sicht einer Rundfunkanstalt ein ganz neues Feld der Übertragungstechnik zum Einsatz kam, mussten einige Hürden genommen werden. Es musste unter anderem geklärt werden wer überhaupt beim WDR, RBB und im Sternpunkt anzusprechen ist. Ein technisches Problem war die Öffnung der verschiedenen Firewalls für alle verwendeten Protokolle und Ports. Stellenweise tauchten immer wieder neue notwendige Ports auf. Als Havarielösung wurde die bewährte Leitungsführung im HYBNET via E1-Leitung vereinbart. Auch das Ausfüllen und die Interpretation des Formulars zur Einrichtung einer Verbindung über das ARD-Daten-CN hatte so seine Probleme bereitet, zumal hier standardmäßig IP-Audio-Verbindungen nicht berücksichtigt sind. Als Codecs kamen APT WorldNet Oslo zum Einsatz. Neben den drei Stereokanälen mit 384 kBit/s für den 5.1-Ton (16 Bit) wurde noch ein Stereokanal-Rückkanal mit 576 kBit/s (24 Bit) für die Downmix-Übertragung zum Tonmeister, ein 128 kBit/s Metadatenkanal via X.21-Schnittstelle und ein 64 kBit/s EAPTX-Kommandokanal genutzt.

Zum Ende der Veranstaltung berichtete noch Marc Straehl von J+C Intersonic über den Mehrwert der neuen Technik und verschaffte noch einen abschließenden Überblick.

Fazit
Die Audioübertragung im Rundfunkbereich für Reportagen und Senderzuführung etc. steht ein neues Zeitalter bevor, wobei die Zukunft zum Teil schon Realität ist. Man muss sich von der ISDN-Audioübertragung verabschieden, und schon bald werden alle Übertragungen via IP erfolgen. Hier sind in den Anstalten neue, bzw. erweiterte Netzstrukturen gefragt. Auch im Fall von Fehlern bei der Übertragung kommen neue Methoden der Fehlerlokalisierung zum Einsatz. Mehr und mehr IT-Technik erhält Einzug in die Rundfunklandschaft. In einem Dritten Teil der ARD.ZDF Medienakademie Seminarreihe Audio over IP wird man verstärkt auf diese Fragen eingehen (www.srt.de).
Autor und Fotos: Peter Kaminski (MB 04/07)