Neue Spielregeln

Die Digitalisierung der Medien verändert in beispielloser Geschwindigkeit die Rezeption von Information und Unterhaltung. TV-Sender versuchen, dem neuen Mediennutzungsverhalten ihrer Zuschauer gerecht zu werden, indem sie immer mehr Angebote ins Internet verlagern. Neben der Programmübertragung via IPTV und Online-Video spielt dabei immer stärker das Thema Social Media eine Rolle.

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Neue Spielregeln

›Um die Klaviatur des Social Media-Spiels gut zu beherrschen, bedarf es einiges an Übung und Geschick. Das hat man auch bei der ProSiebenSat.1 Gruppe erkannt. Sie hat deshalb frühzeitig damit begonnen, sich mit neuen Content-Plattformen und Diversifizierungsaktivitäten den veränderten Marktbedingungen im Medienbusiness anzupassen. So hat die Sendergruppe mit den vier TV-Programmen ProSieben, SAT.1, kabel eins und N24 ihr Engagement im Internet stark ausgebaut. Vor allem die VoD-Plattform maxdome, das Video-Portal MyVideo.de und die Social Community lokalisten.de sind mittlerweile zu starken Internet-Marken geworden. Mit mehr als 19 Millionen Usern pro Monat (AGOF, Internet Facts Q3/2009) gehört SevenOne Media, der Vermarkter der TV-Gruppe, zu den führenden Playern in Deutschland (Platz 4).
„Entscheidend bei unserer Bewegtbildstrategie ist die enge Verzahnung der Plattformen,“ so Eun Kyung Park, Geschäftsfüherin von SevenOne Intermedia, dem Multimedia-Unternehmen von ProSiebenSat.1. Das Ziel des Online-Videoservices der TV-Sender sei es, die Zuschauer nahe am Programm zu halten und ihnen die Chance zu gehen, verpasste Folgen nachzuholen. Die Sendergruppe will so sicherstellen, dass der Spannungsbogen im TV erhalten bleibt. Es erfolgt eine Verlängerung der TV-Brands in das Internet und der Zuschauer wird gezielt an das umfassende Angebot von maxdome herangeführt, welches mit dem Videoservice der TV-Sender und MyVideo.de verbunden ist. Mit der „Full-Episode“-Offensive auf den TV-Portalen soll der Nutzerkreislauf erweitert werden und die User können sich eine verpasste Folge sieben Tage kostenfrei nach Ausstrahlung auf den Sites der Sender oder auf MyVideo.de ansehen. Maxdome bietet anschließend die gesamte Staffel, oftmals inklusive Preview der aktuellen Folge vor der TV-Ausstrahlung als weiteren Mehrwert.

„TV-Content im Netz ist gefragt. Wie die letzte Medien Radar-Studie zeigt, greifen 75 Prozent der Videonutzer im Web auf professionelle Inhalte zu. Und nur diese Umfelder vermarktet die SevenOne Media“, betont Park.
Ähnlich wie ProSiebenSat.1 sind heute fast alle führenden audiovisuellen Medienhäuser aufgestellt: Mit ihren Programmen bespielen sie längst alle Endgeräte, sind mit ihren Inhalten auf allen Screens und Verbreitungswegen präsent und bedienen jede Nutzungssituation: vom klassischen linearen Fernsehen über non-lineares Video-on-Demand und IPTV bis hin zu Mobile TV.

Für die Sender interessant sind indes die Interaktionsmöglichkeiten bei digitalen Programmangeboten. Sie haben längst erkannt, dass insbesondere durch Social Media-Aktivitäten viel für die Kundenbindung getan werden kann.
Da wundert es kaum, dass nur knapp 16 Prozent der Unternehmen nach einer Studie von Alterian im Jahr 2010 kein Geld in Social Media investieren wollen und weiterhin lieber auf klassische Marketingstrategien wie Direktmarketing vertrauen.
„On-Demand und Interaktivität sind mehr als nur Trends. Dem müssen wir mit unseren Angeboten Rechnung tragen“, sagt Park. Die veränderte Mediennutzung hat für Fernsehsender die Konsequenz, sich anpassen zu müssen – ansonsten droht ihnen ein ähnlicher Erdrutsch wie den Zeitungsverlagen. So ähnlich sieht das auch Zeljko Karajica, Geschäftsführer von DSF und Sport1: „Mit der Einmarken-Strategie tragen wir der immer stärkeren Fragmentierung der digitalen Medienwelt und dem veränderten Mediennutzungsverhalten Rechnung. Durch Bündelung unserer Kompetenzen sowie eine konsequente inhaltliche Vernetzung unserer Kommunikationskanäle TV, Online und Mobile können wir die multimediale Wertschöpfungskette optimal auswerten.“

So will sich der Sportsender in Zukunft über die eigenen TV-, Online- und Mobile-Plattformen hinaus den Dialog über soziale Netzwerke wie Facebook, StudiVZ/MeinVZ oder Twitter forcieren.

Neues Marketing Verständnis notwendig

„Die Markenführung im Web wird zunehmend durch Social Media-Nutzer mitbestimmt und lässt sich mit konventionellen Methoden nicht mehr allein von Unternehmen planen und steuern”, sagt Axel Schmiegelow (sevenload), Vorsitzender der Fachgruppe Social Media im BVDW. „Eine unserer Hauptaufgaben ist es, Social Media für die Marken- und Unternehmenskommunikation im Internet planbar und somit erfolgreich zu machen. Dazu ist nicht nur ein neues Marketingverständnis notwendig, sondern auch eine standardisierte Methode zur Messung von Social Networks.”
Das sieht Eun Kyung Park ähnlich: „Besonders junge User sehen sich auf einer Ebene mit dem Medienanbieter und wollen entsprechend gleichberechtigt respektiert werden“. Die Fernsehunternehmen müssen sich den Bedürfnissen der Zuschauer annehmen und darauf reagieren. Wir stehen vor der Herausforderung „die individuellen Bedürfnisse der hybriden Medienkonsumenten zu bedienen,“ meint Park. Jungen, internetaffinen Zuschauern müssse die Möglichkeit gegeben werden, den Content zu sehen, den sie gerade sehen möchten – überall und zu jeder Zeit.

Potentielle User oder Zuschauer müssen also dort erreicht werden, wo sie sich gerade aufhalten – also auch in den „Social Foren“. So hat ProSieben auf Facebook eine Fanseite, die mittlerweile knapp 10.500 Mitglieder zählt. Auch die einzelnen Fernsehformate sind vertreten. Das Magazin „Galileo“ zählt mittlerweile über 10.000 Fans. Und anstatt sich nur auf anderen Communitys zu tummeln hat sich die ProSiebenSat.1 Gruppe mit lokalisten.de sogar eine eigene zugelegt. Bereits seit Oktober 2006 hielt die Sendergruppe bereits 30 Prozent an dem Social Network mit seinen über drei Millionen Mitgliedern. Im Mai 2008 wurde die Beteiligung auf 90 Prozent erhöht.

Hinzu kommt das ProSieben twittert und seine mehr als 28.000 Follower ständig auf dem Laufenden hält. „Die junge Kernzielgruppe von ProSieben nutzt Twitter sehr stark und deshalb macht es nur Sinn, dass der Sender auch dort vertreten ist,“ so Park. „Wir glauben, dass wir im Online-Entertainment breiter und tiefer aufgestellt sein sollten als ProSieben oder SAT.1 im Fernsehen – also etwas anbieten, was speziell auf die Erwartungen und Bedürfnisse von Online-Nutzern zugeschnitten ist. Natürlich lehnen wir uns an die bekannten Fernsehformate an und „speisen“ unsere Online-Angebote aus den TV-Marken heraus,“ erklärt Park.

Monetarisierung von Social Media Aktivitäten

Die große Schwierigkeit der Fernsehsender besteht jedoch darin, den Mehraufwand, der jetzt durch Social Media entsteht, zu monetarisieren. Der betriebene Mehraufwand, der nötig ist, lässt sich bis heute meist noch nicht durch entsprechende Erlösmodelle ausgleichen.
Doch die TV-Häuser profitieren von ihrer jahrzehntelangen Erfahrung im Bereich Bewegtbild und der Integration von Markenbotschaften in den Bewegtbild-Umfeldern.

Die Branche ist erfreut über den aktuellen Boom im Bereich Video Advertising, der frisches Geld in die Kassen der Vermarkter spült. Laut Nielsen Media Research stiegen im letzten Jahr die Brutto-Umsätze um 162 Prozent. Auch für 2010 ist erneut mit dreistelligen Zuwachsraten zu rechnen. Laut OVK (Online-Vermarkterkreis im BVDW) wurden mit Videowerbung im Internet 2009 Nettoerlöse in Höhe von 47 Millionen Euro erwirtschaftet.
„Wir profitieren überproportional vom Bewegtbildboom im Netz: Starke Marken brauchen auch starke Umfelder und die bieten wir“, erklärt Thomas Wagner, Vorsitzender der Geschäftsführung von SevenOne Media, dem Vermarkter von ProSiebenSat.1. Bei unseren Video-Angeboten haben wir besonderen Wert auf einen großen Player gelegt, so Wagner. „Werbungtreibende profitieren dabei von einer großflächigen Ausspielung für maximale Wirkung und Präsenz ihrer Spots.“
Bei den Lokalisten führte unter anderem der Weg von der virtuellen in die reale Welt beziehungsweise die enge Verzahnung beider Welten zum Erfolg. „Der richtige Weg wird ein Mix aus verschiedenen Erlösmodellen sein“ so Park. Die Social Community steht nach eigenen Angaben kurz vor Break-Even. Die erfolgreiche Einführung von Lokalisten-Partys, Merchandisingprodukten und das Angebot von Lokalisten-SIM-Karten tragen sicherlich dazu bei.

Auch In-Game-Werbung, wie sie zum Beispiel in manchen Spielen von sevengames.de und Sat1Spiele.de zu finden ist, gehören zu den innovativen Modellen. „Beide Plattformen verzeichnen rund 700.000 Unique User im Monat, davon spielen 90 Prozent kostenlos. Um die Angebote zu monetarisieren, setzen wir seit 2009 Video Ads ein“ erläutert die SevenOne Intermedia Geschäftsführerin.

Social Media allgegenwärtig

Das TV-Veranstalter wie die ProSiebenSat.1-Gruppe auf dem richtigen Weg sind, belegen viele Studien. Sie zeigen: Die Deutschen nutzen das Internet intensiv als Informationsquelle und als Plattform für Social Media. Nach einer Untersuchung von Deloitte, der „Tribalization of Business“-Studie (Oktober 2009), sehen 51 Prozent der Deutschen in der Online-Kontaktpflege einen erheblichen Mehrwert, im Vergleich zu den USA (65 Prozent) oder UK (60 Prozent) besteht hier aber weiteres Potenzial. Während das Interesse an der Gestaltung eigener Inhalte stagniert, ist der Trend hin zum Konsum von User Generated Content deutlich ausgeprägt (83 Prozent, Wachstum von 25 Prozentpunkten).

„Die Studie belegt, dass die Menschen in Deutschland zunehmend intensiver neue und neueste Medien nutzen und immer mehr zu den führenden Nationen USA und Großbritannien aufschließen. Auch wenn immer mehr Menschen in Deutschland Smartphones kaufen, unterwegs das Internet nutzen, sich Musik schicken oder gemeinsam Computer spielen, bieten alle Bereiche noch erhebliche Wachstumschancen. Die Offenheit der Menschen für digitale Anwendungen und digitale Vernetzung ist auch eine Chance für die Unternehmen, derartige Anwendungen verstärkt in ihren Geschäftsprozessen einzusetzen. Die Technik ist bereits zusammengewachsen, jetzt wachsen mit zunehmender Ge-
schwindigkeit auch die Welten Arbeit und Freizeit zusammen“, erklärt Hartwig von Saß, Leiter Kommunikation bei Deutsche Messe AG. Die Studie von Deloitte sei insofern auch ein klarer Beleg dafür, dass man mit dem diesjährigen Motto der CeBIT, „Connected Worlds“ (2. – 6. März 2010), voll im Trend liege.

Öffentlicher Dialog ist wichtig

Der große Hype um das Social Media Marketing sollte jedoch nüchtern betrachtet werden, meint Schmiegelow. Viele Unternehmen, die sich im neuen Feld der Social Media bewegten, wüssten nicht richtig damit umzugehen. „Gerade negative Bewertungen von Nutzern oder kritische Blogbeiträge sind vielen Unternehmen ein Dorn im Auge, die regelmäßig mit rechtlichen Schritten reagieren und damit das konstruktive Potential von Social Media verkennen”, sagt er. „Erfolgreiches Social Media Marketing erfordert jedoch einen öffentlichen, achtungsvollen Dialog zwischen Werbungtreibenden und Nutzern. Social Media bedeutet für die Kommunikation, den Dialog auf Augenhöhe zu führen und auch mal Kritik anzunehmen, vor allem aber ehrlich darauf zu reagieren. Der BVDW Social Media Code of Ethics bietet hier Orientierung im Spannungsfeld zwischen Markenführung und Authentizität.”

Auch auf den neuen Plattformen und trotz neuer Social Media Dienste suchen die Menschen vorwiegend das, was sie vom TV im Wohnzimmer kennen, nämlich Information und Unterhaltung in bewegten Bildern. Von Verdrängung des Fernsehens kann keine Rede sein. Fernsehen ist Inhalt. Neu ist, dass das Fernsehen heute auf verschiedenen Bildschirmen empfangen wird.
Das geht mit mehr Interaktivität und Selbstbestimmung einher. In seiner Grundfunktion wird Fernsehen jedoch ein ‚Lean-Back’-Medium bleiben. Der Medienkonsument der Zukunft ist hybrid, er pendelt zwischen Individualität und Autonomie einerseits und passivem Konsum andererseits. Die jungen Zielgruppen zeigen, wohin der Trend geht. Sie sind gleichzeitig traditionelle Fernsehzuschauer und haben ein zunehmendes Interesse an On-Demand-Angeboten: Fernsehen, wann immer und wo immer der Konsument es will, das ist die Erwartung junger Menschen. Und dennoch: „Am Ende zählt der Content, nicht der Kanal“, betont Eun Kyung Park.
Niklas Eckstein
(MB 03/10)