SmartTV-Revolution

Fernsehen und Internet wachsen zusammen. SmartTV ist das Thema der Stunde. Doch die tatsächlichen Nutzungszahlen sind eher bescheiden. Grund: eine komfortable Benutzerführung für die Integration beider Medien fehlt bislang. Der Kabelnetzbetreiber Unitymedia KabelBW möchte das mit der lange angekündigten Plattform „Horizon“ ändern.

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SmartTV-Revolution

Vielversprechende Screenshots zeigte Daniel Hasselbarth, Senior Manager Interactive [&] Innovation Unitymedia KabelBW, auf dem Branchenkongress TVKomm im Februar. Die grafische Oberfläche der TV-Plattform „Horizon“, die Hasselbarth vorstellte, erinnerte entfernt an PC-Software wie iTunes: Vorschaubilder von Fernsehsendungen oder Leihfilmen ermöglichen einen raschen Überblick über das Angebot. Eine Benutzerführung also, wie man sie vom PC gewohnt ist. Auf demselben Kongress unterstrich auch Lutz Schüler, Geschäftsführer von Unitymedia KabelBW, die Vorzüge der geplanten Plattform (MEDIEN BULLETIN berichtete). Horizon solle eine neue, integrierte Plattform für klassisches Fernsehen, Web-TV, Internet und Telefonie werden, die Unitymedia KabelBW im Sommer 2013 nach Deutschland bringen möchte. Medienberichten zufolge hatte Unitymedia den Start ursprünglich für das erste Quartal 2013 angekündigt. Doch die Zusammenführung unterschiedlicher Systeme von KabelBW und Unitymedia hätte die Einführung verzögert.

Der niederländische Kabelnetzbetreiber UPC startete „Horizon“ bereits im September 2012, der Schweizer Netzbetreiber UPC Cablecom im Januar dieses Jahres. Beide Kabel-Unternehmen gehören wie Unitymedia KabelBW zum US-amerikanischen Konzern Liberty Global, mehrheitlich im Besitz des Medienmagnaten John Malone. Schüler bezeichnete den Start in den Niederlanden als großen Erfolg. Statt der erwarteten 30.000 Nutzer in den ersten drei Monaten hätten dort bereits 100.000 Kunden das Angebot angenommen. Doch sowohl in den Niederlanden wie in der Alpenrepublik beschwerten sich zahlreiche Abonnenten über das Angebot: Die Box stürze regelmäßig ab, berichten enttäuschte Kunden beispielsweise auf der Webseite des Schweizer Radio und Fernsehen SRF, und dann funktionierten auch Internet und Telefon nicht mehr. Zudem sind viele Kunden von der Benutzerführung überfordert.

Die Pressestelle von Unitymedia KabelBW hält sich bislang bedeckt zum Thema Horizon. Sie ließ lediglich verlauten, man wolle im Sommer 2013 einen Horizon-HD-Recoder in Hessen und Nordrhein-Westfalen anbieten. Auf der Kabelmesse ANGA COM wolle man mehr verraten. Der HD-Recorder soll das Herzstück der neuen Plattform werden: Er fungiert als zentraler Mediengateway, der den Kunden zugleich mit Internet, WLAN, Telefon und Fernsehen versorgt. Der HD-Recorder ist mit einer Festplatte bestückt – in den Niederlanden und der Schweiz fasst sie 500 Gigabyte – sowie mit voraussichtlich sieben Tunern. Ein Empfangsteil wird für das IP-Streaming reserviert sein, während zwei weitere Tuner flotte Umschaltzeiten für Live-TV gewährleisten. Die restlichen Tuner ermöglichen die gleichzeitige Aufnahme von bis zu vier Programmen.

Eine Zusatzbox, die via Netzwerk Zweit- und Drittfernseher versorgt, befindet sich noch in Planung und soll erst nach Einführung des Angebots erhältlich sein. Ein Online-Portal sowie Apps für iPad und iPhone sollen das Gesamtpaket nach und nach vervollständigen. Die Apps ermöglichen die Wiedergabe von Live-Fernsehen auf Mobilgeräten. Ein informativer elektronischer Programmführer, ein umfangreiches Bezahlfilmangebot und weitere Applikationen runden das Angebot ab. Die Menüoberfläche soll ähnlich wie bei den Schweizer Kollegen halbtransparent über das TV-Programm eingeblendet werden.

Während Samsung die Hardware der Set-Top-Box bereitstellt, verbirgt sich hinter „Horizon“ eine technische Infrastruktur, die Cisco im Januar 2013 auf der CES-Convention in Las Vegas präsentierte: Die sogenannte „Videoscape Unity“ des Netzwerk-Spezialisten ermöglicht es, Videoinhalte auf verschiedene Endgeräte auszuspielen. „Video Everywhere“ nennt dies das US-amerikanische Unternehmen.

Personalisierung und Empfehlung

Zudem lassen sich die Inhalte personalisieren, also an das Nutzungsverhalten anpassen. Eine sogenannte Recommendation-Engine empfiehlt dafür dem Zuschauer Sendungen nach Geschmack. Cisco kaufte für seine „Videoscape Unity“ externes Know-how hinzu: Im Sommer 2012 übernahm das Netzwerk-Unternehmen den Verschlüsselungs- und Digital-TV-Spezialisten NDS für fünf Milliarden US Dollar. NDS, bekannt durch sein Verschlüsselungssystem VideoGuard, bastelte seit Jahren an einer neuen Software für Set-Top-Boxen, genannt Media Highway. Zudem entwickelte NDS mit „Snowflake“ eine neue grafische Benutzeroberfläche. Beide Lösungen integrierte Cisco in sein Gesamtprodukt. Die Übernahme von NDS sei bislang der größte Einkauf von Cisco gewesen, so Yves Padrines, Vice President und General Manager EMEAR (Europa, Naher Osten, Afrika und Russland), Cisco Service Provider Video Technology Group. Er sieht die Übernahme strategisch: Während Cisco überwiegend Telekommunikationsunternehmen wie die Deutsche Telekom als Kunden habe, bringt NDS ein Portfolio aus dem Kabel- und Satellitenmarkt ein. NDS erweitere die IP-Lösungen von Cisco um IP-Set-Top-Boxen und eine Videoinfrastruktur, so Padrines. 95 Geschäftskunden, darunter 55 Kabel- und Satellitenprovider im EMEA-Raum, hat Cisco mit NDS eingekauft. Organisatorisch werde der Zusammenschluss bis Sommer 2013 vollzogen sein. Damit kann Cisco Kabel- und Netzwerkprovidern ein Gesamtpaket anbieten – vom Cisco Content Delivery Network (CDN) über Cloud-Dienste wie einem webbasierten Videorecorder (DVR) bis hin zur Boxen-Firmware und einem Empfehlungssystem für die Nutzer. Netzbetreiber müssen keineswegs das Gesamtpaket ordern, sondern können sich beliebige Komponenten herauspicken. „Sie können wählen, was sie möchten“, so Padrines, „denn die Programmierschnittstellen (APIs) sind offen.“ Auch Third-Party-Applikationen, also Apps von Drittanbietern, ließen sich integrieren. „Die Benutzerführung ist dabei auf allen Endgeräten gleich“, strich Padrines die Vorteile der Lösung hervor, „egal, ob Set-Top-Box, Smartphone oder Tablet.“ Zugleich seien die Umschaltzeiten sensationell flott, praktisch nahtlos. Der Cloud-Videorecorder ermögliche es, alle Aufnahmen auf alle Endgeräte zu liefern, so Padrines. Dieser sei bei Horizon jedoch nicht enthalten. Für die Videoscape Unity habe man bereits neue Kunden gewonnen, etwa den norwegischen Kabelnetzbetreiber GET oder das ebenfalls norwegische Telekommunikationsunternehmen Telenor. „Das Feedback auf der CES war exzellent“, sagte Padrines. Horizon sei ein Produktname von Liberty Global, doch das dahinterstehende Angebot basiere technisch auf der Videoscape Unity.

Erstaunlich: Obwohl Cisco mit NDS einen Spezialisten für Verschlüsselungssysteme (Conditional Access System, CAS) an Bord hat, nutzt Liberty Global bei Horizon eine softwarebasierte Verschlüsselung des Schweizer Unternehmens Nagra Kudelski. „Nagra ist der präferierte Anbieter von Liberty Global für Verschlüsselung und Digital Rights Management (DRM)“, sagte dazu Holger Ippach, Senior Vice President Sales and Operations Northern [&] Central Europe bei Nagra, im Gespräch. Seit 2004 sei Nagra als Verschlüsselungssystem von UPC in den Niederlanden im Einsatz. Das gesamte Sicherheitskonzept von Horizon liege bei Nagra. Auf Nachfrage vermutete Ippach, dass auch KabelBW, wenn es Horizon einführe, von NDS auf Nagra umschwenken dürfte.

Softwarebasierte Verschlüsselung

Das Besondere bei Horizon sei, dass zum ersten Mal ein großes Kabelagglomerat eine softwarebasierte Verschlüsselung einsetze. „Horizon kommt ohne Smartcard aus“, so Ippach, „vielmehr liegt das Sicherheitskonzept ‘Nagra Media Access ELK’ dahinter.“ Dieses gewährleiste über ein digitales Rechtemanagement, bei Nagra „Persistence Rights Management“ (PRM) genannt, auch die sichere Verteilung von Premium-Content auf verschiedene Endgeräte.

„Die Rechte werden permanent in der Box vorgehalten“, so Ippach, „wobei sich der Kopierschutz vom Playout bis zum letzten Abspielgerät im Content befindet.“ Ein Software-Kopierschutz sei jedoch nur sicher, solange der Provider regelmäßigen Zugriff auf die Set-Top-Box habe, so Ippach weiter. Daher habe die Smartcard keineswegs ausgedient. „Sie ist überall dort notwendig, wo extrem hohe Sicherheitsanforderungen vorhanden sind und kein Rückkanal von der Set-Top-Box zum Provider besteht.“ Das Konzept von Horizon beinhalte aber sehr viele Dienste, für die der Anbieter Kontakt zur Box aufnehmen müsse, wie etwa Video-on-Demand-Angebote, so Ippach. Daher sei ein anderes Sicherheitskonzept möglich. „Mit einem Rückkanal lässt sich auch Premium-Content sicher per Software schützen“, erläuterte Ippach, „das Rechenzentrum auf der anderen Seite ersetzt in diesem Fall die Sicherheit der Smartcard.“

Die Zusammenarbeit mit Cisco bezeichnete Ippach als besondere Herausforderung. Cisco sei ein Wettbewerber auf zwei Ebenen: Zum einen bei der Verschlüsselungstechnologie, zum anderen bei der Plattform selbst. „Mit der neuen Version unserer Middleware ‚Open TV‘ könnten wir auch alles abbilden, was Liberty Global wünscht“, so Ippach. Nagra Kudelski hatte das kalifornische Unternehmen Open TV im März 2010 übernommen und damit den Marktführer für Set-Top-Boxen-Middleware eingekauft. „Doch die neue ‚Open-TV‘-Version war zu dem Zeitpunkt, an dem sich UPC entschieden habe, noch nicht fertig“, so Ippach weiter. Die Expertise der beiden Unternehmen Nagra und Cisco auf beiden Feldern habe auch seine Vorteile, urteilte Ippach. So habe man einen Partner mit besserem Grundverständnis.

In TV-Plattformen wie Horizon sieht Ippach den globalen Trend: „Jeder Kunde weltweit hat Pläne, das TV-Erlebnis auf andere Endgeräte zu heben.“ Zwar wachse das klassische Pay-TV auch weiterhin. Doch es entwickelten sich neue Dienste, um Inhalte auf verschiedene Endgeräte wie Smartphones oder Tablets zu verteilen. Nagra habe für seine Middleware „Open TV“ Telefónica in Südamerika als Kunden gewonnen. „Das Projekt läuft nach Plan“, so Ippach. Auf der IBC dieses Jahres könne man bereits neue Kunden bekannt geben.

Ob es Unitymedia KabelBW mit Horizon tatsächlich gelingt, das derzeitige SmartTV-Erlebnis zu revolutionieren, bleibt indes abzuwarten. Unitymedia KabelBW-Chef Schüler jedenfalls ist davon überzeugt. Er urteilte: „Horizon ist aktuellen SmartTVs weit voraus.“

Jan Fleischmann
(MB 06/13)