Digitale Deals auf der Croisette

Die digitale Filmauswertung sowie die Einführung von HighFrameRates (HFR) sind zentrale Themen, die die Filmbranche bei den 65. Internationalen Filmfestspielen in Cannes bewegt haben.

11
Digitale Deals auf der Croisette

“In diesem Jahr waren 90 Prozent aller Vorführungen auf dem Festival und dem Filmmarkt digital”, erklärt Laurent Hebert, Geschäftsführer des Technischen Überwachungskomitees für Ton und Bild, Commission Supérieure Technique de L’Image et du son” (CST), das für den digitalen Workflow der insgesamt 1.500 Vorführungen verantwortlich war. Für das Management der digitalen Kopien (DCPs) und die Herstellung der digitalen Schlüssel (KDMs) hat das CST in Kooperation mit dem Cannes Film Festival eine eigene Software namens Can Help entwickelt.

Insgesamt sieben Ingenieure sowie 200 weitere Mitarbeiter, darunter die renommiertesten Filmvorführer aus ganz Frankreich, stellten den reibungslosen Ablauf der Filmvorführungen sicher. Vor allem auf dem Marché Du Film (MIF) geschehe es immer wieder, dass Produzenten ihre Werke in letzter Minute anlieferten. „Es kommt sogar vor, dass sie mit Filmen im QuickTime-Format zu uns kommen, bei denen noch die Tonspur angelegt werden muss”, berichtet Laurent Hebert. Aufgrund dieser Erfahrungen wird überlegt, beim Festival 2013 ein Postproduktionsstudio einzurichten, das derartige Last-Minute-Aufträge bewältigen kann.
Technische Unterstützung erhält Cannes von Festival-Partnern wie Christie, Dolby, Doremi oder XPAND 3D. „Wir haben gerade unseren Vertrag mit dem Cannes Film Festival um drei Jahre verlängert”, verrät Maria Costeira, CEO von XPAND 3D. Das Unternehmen hat die Kinos in Cannes mit insgesamt 17 3D-Systemen ausgestattet. „Optimiert wird das 3D-Erlebnis durch die HighFrameRates“, versichert Costeira. „Die schnellere Bildfolge sorgt dafür, dass die 3D-Bilder schärfer und natürlicher wirken.“ Technologisch auf dem Vormarsch sind auch Laserprojektoren, die mit ihren lichtstarken Lampen für eine wesentlich größere Luminanz sorgen, die vor allem bei der 3D-Projektion von Vorteil ist. XPAND 3D hat dies bereits in Kooperation mit dem Projektorenhersteller Barco auf der CinemaCom in Las Vegas demonstriert. Zu den 3D-Kinofilmen, die mit dem XPAND 3D-System in Cannes gezeigt wurden, gehörte das tierische Kinoabenteuer „Madagascar 3 – Flucht durch Europa“.

Auch der offizielle Cannes-Partner Christie hat bereits in seinem internationalen Zentrum für Konstruktion, Forschung und Entwicklung in Kanada HFR-Material mit einem Laser-Prototyp-Projektor vorgeführt und will künftig die Laserprojektionstechnologie in seine Kino-, Business- und Visualisierungs- sowie Simulationssysteme integrieren. Beim diesjährigen Film Festival in Cannes ermöglichte Christie die digitale Projektion des französischen Wettbewerbsbeitrags „Holy Motors“ von Leo Carax in 4K. „Wir hatten insgesamt 24 2K- und 4K-DLP-Projektoren aus der Christie Solaria-Serie im Einsatz“, berichtet Stefan Müller, der bei Christie als Business Development Manager für Kino im deutschsprachigen Raum verantwortlich ist. Auch der Hersteller Christie, der die Hauptprojektionsräume im Palais des Festivals in Cannes seit 2006 mit DCI-konformen (Digital Cinema Initiatives) Projektoren ausstattet, hat diese Partnerschaft um drei Jahre verlängert. Weltweit sind bereits 29.000 digitale Projektoren von Christie aktiv im Einsatz.

Der digitale Rollout führt zudem zu einer Veränderung der klassischen Abläufe im Geschäftsbetrieb zwischen Kino und Verleih. Die niederländische Firma MACCS International hat mit der MaccsBox ein automatisches System für den elektronischen Datenaustausch entwickelt, das es erlaubt, die Besucherzahlen und Kartenumsätze direkt über das Ticketing-Sytem aus den einzelnen Kinos abzurufen, was den Verleiher eine schnelle Übersicht über die Einspielergebnisse ihrer Filme gibt. Als erste Kunden dafür in Deutschland konnte MACCS International die Verleihfirmen Central Film und Constantin Film gewinnen.

Um den digitalen Workflow zwischen Kino und Verleih inklusive der Schlüsselherstellung zu erleichtern, bringt MACCS International in Österreich sowie in Norwegen das System DCinemaHub auf den Markt, über das der Content auf die Kinoserver geschickt wird. Zugleich können über DCinemaHub bei Bedarf binnen weniger Minuten digitale Schlüssel kreiert werden, was den Kinos eine größere Sicherheit gibt. Ist bei der KDM-Produktion (Key Delivery Management) ein Fehler aufgetreten, kann selbst während der laufenden Vorstellung im Kino noch ein passender Schlüssel für den Film angefordert und generiert werden. Da MACCS International ein Joint Venture mit dem Server-Hersteller XDC geschlossen hat, wird DCinemaHub zunächst in den Ländern eingeführt, in denen zahlreiche Kinos mit Servern von XDC ausgestattet sind. Das belgische Technik- und Dienstleistungsunternehmen XDC, das sich in Deutschland mit den Digitalkino-Dienstleistern FTT und Bewegte Bilder zusammengeschlossen hat, gab während der Filmfestspiele bekannt, dass alle drei Anbieter nun unter dem gemeinsamen Namen dcinex firmieren. „Mit dcinex ist es unser Ziel, unsere Position als End-to-end-Vertriebs- und Serviceorganisation für die Kinobranche zu stärken“, erklärt der XDC-Vorstand Serge Plasch.

Die zunehmende Marktkonzentration im Bereich der digitalen Dienstleister und die hohen Preise für die digitalen Projektionssysteme bereiten jedoch den unabhängigen Kinobetreibern zunehmend Sorge. Die digitalen Umrüstungskosten von 60.000 bis zu 100.000 Euro pro Kinosaal können kleinere Filmtheater nur mit Unterstützung der Förderung finanzieren. „Es ist skandalös, dass die öffentliche Hand einen technologischen Standard finanzieren soll, der für die Mehrheit der Kinos viel zu teuer ist, um europäische Filme zu zeigen“, ereiferte sich Gabriele Röthemeyer, Geschäftsführerin der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG), auf der Hauptversammlung der International Art Cinemas Confederation (CICAE) in Cannes. Für viele Arthousekinobetreiber wäre ein preiswerterer Standard ausreichend, doch Europa widme sich noch immer nicht diesem Thema.

Heiß diskutiert wurde auf dieser Konferenz über die Frage, wie die Zukunft der Arthouse-Kinos angesichts des digitalen Roll-outs sowie der Internet- und VoD-Auswertung aussieht.
Ein Dorn im Auge ist den internationalen Arthousekinobetreibern das von der EU-Kommission gestartete VoD-Pilotprojekt, für welches das Europäische Parlament in diesem Jahr zwei Millionen Euro bereit gestellt hat. „Unser Ziel ist, VoD und andere Distributionsformen mit den Kinos zu verbinden“, berichtete die MEDIA-Chefin Aviva Silver. Bei der neuen VoD-Förderung, für die ab sofort Projekte eingereicht werden können, handele es sich zunächst nur um ein Pilotprojekt. „Die Kinos bleiben im Zentrum“, versprach Silver im Hinblick auf das neue EU-Programm „Kreatives Europa“, das ab 2014 in Kraft treten soll.

„Wenn europäische Filme zeitgleich auf VoD gestartet werden, schadet das den Kinos, die europäische Filme zeigen und nicht den Kinos, die Hollywoodfilme zeigen“, sagte Detlef Rossmann, Vorsitzender der CICAE. „Wir werden Filme boykottieren, die in Form eines Day-and-Date-Release ausgewertet werden“, wetterte Christian Bräuer, Vorsitzender der AG Kino-Gilde. Die mehr als 300 Kinos, die in der AG Kino-Gilde zusammengeschlossen sind, setzten zu 75 Prozent europäische Filme im Programm ein und besäßen damit einen stabilen Marktanteil. Mit dem Versuch, durch die VoD-Förderung neue Geschäftsmodelle zu kreieren, würde die EU zugleich die bestehenden Geschäftsmodelle zerstören. „Wir verfügen aufgrund der Auswertungsfenster sowohl in Deutschland als auch in Frankreich über funktionierende Strukturen“, betont Bräuer. Ein besucherstarker Kinofilm laufe auch im Fernsehen oder auf Video erfolgreich. Dieses bewährte System zu ruinieren, sei naiv. „Die EU ist von den neuen Technologien geblendet“, ereiferte sich der AG Kino-Vorsitzende.

Aviva Silver warf den Kinobetreibern in dieser Frage eine konservative Haltung vor und appellierte, sie sollten sich für moderne Entwicklungen öffnen. „Die Märkte verändern sich“, sagte die MEDIA-Chefin. „Die Wahrnehmung und die Rezeption von Filmen verlagern sich in andere Medien.“
Die Arthousekinobetreiber halten es jedoch nicht für die richtige Lösung, der europäischen Überproduktion mit neuen Auswertungsplattformen zu begegnen. „Wir dürfen uns nicht beklagen, dass es unsichtbare Filme gibt, wenn zu viele Filme produziert werden“, gab der CICAE-Vorsitzende zu Bedenken. Kein Zuschauer könne sich 1.300 europäische Filme pro Jahr anschauen, zu denen noch weitere Produktionen aus den USA und Asien hinzukommen. „Die Parameter der öffentlichen Förderung in Europa sind falsch gesetzt. Das ist das Problem nationaler Förderung, weil die Regionen bei der Förderung von Filmproduktionen in erster Linie Standortinteressen verfolgen“, meinte Rossmann. „Wir produzieren am Markt vorbei.“

Währenddessen wurden in Cannes bereits die Starts verschiedener neuer VoD-Plattformen angekündigt. Zu ihnen gehört beispielsweise das Unternehmen MUBI, das für eine monatliche Abo-Gebühr von rund zwei Euro monatlich 30 Filme anbieten will. Neben Großbritannien und Skandinavien sollen ensprechende Plattformen in Russland, Polen, Mexiko, Brasilien und China aufgebaut werden. Die skandinavische Film- und Fernsehförderung will den Abonnenten in einigen Ländern sogar mindestens 20 heimische Filme kostenlos zur Verfügung stellen. Angesichts dieser neuen Geschäftsmodelle bleibt es fraglich, wie die Refinanzierung der Filme in Zukunft erfolgen wird, was ebenfalls ein viel diskutiertes Thema bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes war.
Birgit Heidsiek
(MB 06/12)