Mangelnde Unterstützung durch TV-Sender

Jedes Jahr im September trifft sich die europäische Animationsbranche zum Cartoon Forum, um die neuesten Ideen und Trends im Serienbereich zu präsentieren, sich darüber zu informieren aber auch um neue Ware für das Senderprogramm einzukaufen. Der Finanzierungsmarkt Cartoon Forum reist durch Europa und machte in seinem 21. Jahr zum ersten Mal in einem osteuropäischen Land Halt, in Sopron in Ungarn (14. - 17. September). MEDIEN BULLETIN hat sich angesehen, was im Angebot ist.

5
Mangelnde Unterstützung durch TV-Sender

Der Zustand der europäischen Animation sei desaströs, so war immer wieder zu hören. Überall in Europa fehle es an Finanzierungen von Animationsprojekten durch Fernsehsender, die kaum mehr bereit seien kostendeckende Preise zu zahlen. In Spanien hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen seit Jahren keine Animationsserien mehr finanziert und die Finanzkrise sei im spanischen TV-Werbemarkt extrem spürbar, berichtet Christophe Goldberger, Inhaber von Imira Entertainment.

Allein der katalonische Regionalsender TVC hat ein Jahresbudget, dass es ihm ermöglicht, sich an fünf bis acht Serien pro Jahr zu beteiligen. Jedoch verspricht man sich in Spanien viel von einem neuen Gesetz, das von den öffentlich-rechtlichen Sendern und den privaten Kinderkanälen verlangt, mehr Geld in ihr Programm zu stecken. „Wie sich das auswirkt und ob die einheimische Animation davon profitieren kann, muss sich aber erst noch ausweisen“, erklärt Christophe Goldberger. In Deutschland hingegen beteiligen sich nur die öffentlich-rechtlichen Sender an Animation – und wie immer wieder zu hören ist, sinkt dieses Engagement zugunsten im Ausland beauftragter Serien.

Die Privaten kaufen wie so viele andere europäische Sender günstige Lizenzware aus Japan und den USA. Auch das Gastgeberland des diesjährigen Cartoon Forums, mit sieben präsentierten Projekten an zweiter Stelle der Länder, klagt über mangelnde Unterstützung aus der Senderlandschaft. „Es gibt kaum Möglichkeiten Geld in Ungarn zu bekommen“, sagt András Erkel von Stúdió Beaestarts. „Uns bleibt nur die Koproduktion, aber ohne eigene Mittel ist das auch nicht möglich.“ Nur der zum internationalen Fernsehkonzern Chellomedia gehördende private Kinderkanal Minimax sowie Central Comedy Ungarn engagieren sich im bescheidenen Maße im Animationsbereich. So setzen die Ungarn auf die bald anstehenden Wahlen. „Dann wird es eine neue Regierung geben, die das Fernsehsystem höchstwahrscheinlich ändern wird“, gibt sich Csaba Bereczki von der ungarischen Filmförderung zuversichtlich.

In einigen Ländern gehen die Sender sogar so weit, Programm kostenlos haben zu wollen, erzählt der in Barcelona ansäßige Peter Keydel, Inhaber von Mago Audiovisual Production: „Begründet wurde dies mit der Marketingplattform, die der Sender dem Produzenten bietet, auf der dieser sein einträgliches Merchandising-Geschäft aufbauen kann.“ Wobei allerdings unterschlagen wird, dass es beim Merchandising keine automatische Erfolgsgarantie gibt. Christophe Goldberger ergänzt: „Es gibt Produzenten, die sich darauf einlassen. Das zerstört aber das Programm, weil kostenlose Programme lieblos behandelt werden.“ Allein Frankreich ist das Land der Glückseligen. „Die Sender sind verpflichtet, eine bestimmte Summe in Animation zu stecken“, sagt Produzent und Kinoverleiher Roch Lener (Millimages und BAC Films). „Daher ist in Frankreich von einer Krise nichts zu spüren.“ Zugleich engagiert sich der nationale Filmförderer CNC auch im Fernsehbereich.

Blick auf CrossMedia-Potenziale

Doch so schlimm die Situationen in den einzelnen Ländern beschrieben werden, das diesjährige Cartoon Forum hat nicht den Eindruck gemacht, als ob Finanzierungsschwierigkeiten Produzenten und Kreative davon abhalten ihr Glück zu versuchen. Ein Drittel der 62 in Sopron präsentierten Projekte wurde von jungen Produktionsfirmen vorgestellt, die zum ersten Mal bei einem Cartoon Forum dabei waren. Aber vielleicht hat die Finanzkrise die Bedeutung des Cartoon Forums als Finanzierungsmarkt auch aufgewertet. Immerhin, so berichtet Marc Vandeweyer, General Director von CARTOON, dem Ausrichter des Cartoon Forums, dass es 125 Einreichungen für das Forum gab.

„Sonst sind es immer nur um die 110“, sagt er. Auffällig war auch, dass das ein oder andere Projekt noch nicht ganz ausgereift respektive nicht ganz durchdacht war. Kritisiert wurde zudem ein zu oft zu verzweifeltes Hinwenden auf eine 360°-Auswertung der Projekte, wie es seit etwa fünf Jahren immer stärker zu beobachten ist, anstatt starke Figuren und Geschichten zu entwickeln und zu sehen wie sich der Rest ergibt. „Unter dem Druck der Kosten und der Konkurrenz um die Sendeplätze ist bei der Entwicklung von Stories und Figuren eine Unterwerfung hinsichtlich der Crossmedia-Potenziale zu beobachten“, sagt Herbert Gehr, Producer bei Hahn Film. „Die Konsequenz ist ein drohender Verlust von Originalität. Hinzu kommt der Wunsch, dass die Projekte gleichermaßen story- und figurengetrieben sein sollen, unterhaltsam, lustig, dabei aber pädagogisch wertvoll und politisch vollkommen korrekt, international vermarktbar, dazu noch kostengünstig mach- und crossmedial verwertbar. Bedauerlich ist, dass es nur selten darum geht, die spezifischen Möglichkeiten neuer medialer Plattformen zu nutzen oder zu erweitern.“

Allerdings fordern die Sender auch den 360°-Ansatz. „Ich beteilige mich an dem Projekt alleine wegen seines Web-Potenzials bei der jugendlichen Zielgruppe“, erklärte Peter Gustafsson von Sveriges Television zu seinem Engagement bei „Even God Drives a Mercedes“, einer Serie über Asylsuchende aus dem ehemaligen Jugoslawien in Schweden. „Even God Drives a Mercedes“ ist eines von vier Programmen, das sich an eine Zielgruppe ab 16 Jahren richtet. Immer wieder werden Projekte für Erwachsene vorgestellt, doch die Sendeplätze dafür sind selten. In Deutschland existieren sie überhaupt nicht. Dabei sind die Projekte hochambitioniert und durchaus anspruchsvolles Programm, das gerade den öffentlich-rechtlichen Sendern gut zu Gesicht stehen würde. „Even God Drives a Mercedes“ mit seinem politisch unkorrekten Konzept, zu dem auch gehört, mit Klischees zu spielen, setzt sich mit dem Leben von Migranten auseinander, die sich aus ihrer Situation befreien wollen. „Es geht uns darum, Migranten in die Mitte der Gesellschaft zu bringen und die Frage zu stellen wie Gesellschaft organisiert ist“, erkläuterten die Produzenten Rafael Deugenio und Martin Chab.

Ein Konzept, das Katalin Schulteisz von HBO Hungary gut gefällt: „Immigration ist nicht nur ein Thema, das in den fiktionalen Bereich drängt; das Konzept ist zudem unangepasst, provokativ und politisch unkorrekt – so etwas ist interessant für HBO.“ Die Macher der Serie sind als Kinder selbst aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Schweden gekommen, wo sie sich ihren Weg in die Gesellschaft suchen mussten.
Die britische Mini-Serie „Dissident Wire“ (Format: 13 x 2’30”) nimmt sich der beklemmenden Frage an, was es für die Meinungsfreiheit bedeutet, wenn ein Telekommunikationskonzern den Internetverkehr steuert, also in die viel beschworene Netzneutralität eingreift. Die in düsteren, beklemmenden Bildern daher kommende Serie kann es inhaltlich mit jedem Politthriller der 70er Jahre aufnehmen, nur bei Inszenierung und Kameraeinstellungen muss noch eine Schippe drauf gelegt werden. Ansonsten besteht in Kombination mit der Animationstechnik die Gefahr, dass die Visualität der Serie nicht neben Filmen wie „Matrix“ bestehen kann, mit denen sie sich vergleicht. Für „Dissident Wire“ werden die Personen real vor Greenscreen gefilmt, dann frei gestellt (rotoskopiert), übermalt und in eine gezeichnete Szenerie eingesetzt. Die Zielgruppe für ihr erstes Animationsprojekt definieren die Produzenten so: männlich, 18 bis 35 Jahre, sind im Internet zuhause und potenzielles Kultpublikum.

Ein besonders großes Publikumspotenzial bei älteren Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben die kurzen, knackigen Formate, die nicht länger sind als drei Minuten, wie etwa der urkomische und zugleich bösartige „Babioles“ (Format: 13 x 2’30”), der die Suche weggeworfener Gummitierchen nach Liebe zeigt oder die grafisch ansprechende Serie „Up North“ (Format: 52 x 3′), in der Zivilisation und eine darwinistische Natur aufeinanderprallen. Sie haben nicht nur die stärksten, originellsten und oftmals politisch unkorrektesten Geschichten; sie kommen mit ihrem Humor und ihrer Crossmedialität den Konsumenten entgegen, weil diese Geschichten ideal für den schnellen Konsum im Netz oder über mobile Geräte geeignet sind. Allerdings gibt es noch immer keine tragfähigen Geschäftsmodelle für die letztgenannten beiden Verbreitungswege und so sind die Chancen für diese Produktionen äußerst gering.

Kein Platz für Kurzfilme im deutschen TV

In Deutschland ist auch die Kombination mit dem Fernsehen keine Alternative. Einerseits endet das Animationsprogramm hierzulande mit der Zielgruppe von zwölf Jahren, andererseits tut man sich schwer Kurzformate zu programmieren oder die Sendezeit des öffentlich-rechtlichen Kindersenders Ki.Ka auf 22 Uhr zu erweitern, um Sendefläche für ältere Kinder zu schaffen, die zurzeit nur von den Privatsendern umworben werden. Traditionell sind Kurzformate Bestandteil von „Die Sendung mit der Maus“ oder von „Unser Sandmännchen“, wo sie den Mittelteil bestreiten. Der Ki.Ka koppelt zwei, drei Folgen miteinander – je nachdem wie lang das Format ist, doch Formate von unter fünf Minuten sind im aktuellen Programm nur mit einem Beispiel zu finden.

„Es gibt viele Kurzformate, doch zum Ki.Ka passt das nicht“, sagt Sebastian Debertin, Leiter der Fiktion & Programmaquisition beim Ki.Ka, denn auch. „Um einen Sendeplatz zu bekommen, muss man für Kurzfilme ein eigenes Gesamtformat schaffen.“ Das wurde mit „Cartoon Comedy“ auf dem Abendsendeplatz auch gemacht, doch wird die Sendung zurzeit nicht ausgestrahlt. Andererseits stimmt Sebastian Debertin auch zu, wenn es darum geht, nicht nur das Format in den Vordergrund zu stellen: „Wir lernen am Markt, dass wir genauer auf die Art der Geschichten und ihre Charaktere achten müssen und manche Geschichten lassen sich in einer Viertelstunde auch besser erzählen. Der Vorteil an Koproduktionen ist, dass solche Überlegungen intensiver geführt werden.“

Und die deutschen Projekte? Von den vier Projekten schlug vor allem „Ringelgasse 19“ (Format: 13 x 5′) der Hallensischen Firma MotionWorks von Tony Loeser für den WDR ein. Die Serie um die Bewohner des Mietshauses mit dieser Adresse kam sehr gut bei den Senderkollegen aus Frankreich, Großbritannien, Spanien und Schweden an, erzählt Sebastian Debertin.

Statistisch gesehen zeigt das Cartoon Forum in Sopron folgendes Bild: Es gab weniger Teilnehmer, dafür kamen sie aber aus mehr Ländern (unter 700 gegenüber 725 im Jahr 2009, 33 Länder statt 28). Das akkumulierte Budget der Serien stieg von 147,5 auf 153 Millionen Euro und die Anzahl der Projekte mit Durchschnittskosten von 8.000 Euro pro Minute stieg auf 56 Prozent. Ebenfalls stieg das Angebot für Kinder bis neun Jahre auf knapp die Hälfte aller Projekte.
Das nächste Cartoon Forum findet vom 13. bis 16. September 2011 in Sopot, Polen, statt und der Finanzierungsmarkt für abendfüllende Animationsspielfilme Cartoon Movie vom 2. bis 4. März 2011 in Lyon, Frankreich.
Thomas Steiger
(MB 10/10)