Neue Konzepte für den TV-Markt

Jedes Jahr ist die Anga Com der Anlaufpunkt für die nationale und internationale Breitband, Kabel & Satellit-Branche. Auch in diesem Jahr waren die Veranstalter mit der Messe und dem Kongressprogramm zufrieden. Besser als je zuvor waren die Besucherzahlen, das Kongressprogramm wurde stark ausgebaut. So wurde etwa die Inhalte-Produktion im Streaming-Zeitalter besprochen und wie sich Fernsehen in Zeiten von Big Data verändert. MEDIEN BULLETIN war dabei.

4
Neue Konzepte für den TV-Markt

Die ANGA COM 2018 konnte mit der Rekordbilanz von 21.700 Teilnehmern, mehr als 500 Ausstellern und einem Teilnehmer-Zuwachs von zwölf Prozent sicherlich zufrieden sein. Neu aufgesetzt und daher interessant zu sehen war das Konzept des auf 34 Veranstaltungspanels erweiterte Kongressprogramm. Am dritten Messetag, dem Breitbandtag, der gemeinsam mit dem Breitbandbüro des Bundes und dem Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM e.V.) veranstaltet wurde, ist die Teilnehmerzahl laut ANGA-Verantwortlichen gegenüber dem Vorjahr sogar um 24 Prozent gestiegen.

Dr. Peter Charissé, Geschäftsführer der ANGA COM: „Nach dem Umzug in neue Messehallen in 2017 haben wir dieses Jahr unser Konzept nochmals an vielen Stellen optimiert. Das Kongressprogramm wurde komplett neugestaltet und begeisterte das Publikum mit einer erstklassigen Mischung aus Breitband- und Medienvertretern vor einer riesengroßen Bühnenprojektionsfläche. Die ersten Rückmeldungen unserer Kunden machen uns sehr glücklich: Das war die erfolgreichste und schönste ANGA COM seit ihrem Bestehen. Wir bedanken uns bei allen Austellern, Sponsoren, Sprechern und Partnern. Hervorheben möchte ich dabei die furiose Moderation von Claus Strunz und die beiden Partner unseres Breitbandtags, das Breitbandbüro des Bundes und den VATM.“

Inhalte: TV vs. Streaming – Neue Inhalte? Neue Kooperationen?

Ein wichtiges Thema des ANGA Kongressprogramms war die Frage, wie neue Streamingangebote die Fernsehlandschaft verändern werden. Beim Panel „TV vs. Streaming – Neue Inhalte? Neue Kooperationen?“ wurde unter anderem die Frage diskutiert, ob es als Netzbetreiber heutzutage wichtig und richtig ist, Inhalte selbst zu produzieren um ein Stück vom Netflix-Kuchen abzubekommen. Während sich Wolfgang Elsäßer, Leiter Business Unit TV der Telekom Deutschland, klar für eigens produzierte Inhalte ausgesprochen hat, war Dr. Manuel Cubero, Chief Commercial Officer von Vodafone Deutschland, anderer Meinung: „Wir produzieren nicht. Wir wachsen mit den Inhalte Produzenten mit. Eine gute und smarte Infrastruktur ist uns wichtiger. Wir nennen das die Gigabit-Struktur“.

Dass es in der Tat gar nicht so leicht ist, in die Produktion eigener Inhalte einzusteigen und damit auch erfolgreich zu sein, bekräftigte auch der Geschäftsführer Programm RTL Television, Frank Hoffmann: „Es ist tatsächlich schwierig, im Sommer gute Regisseure zu finden. Es gibt einen regelrechten Kampf um Zeitbudgets.“

Einig war man sich dagegen indes, dass aktuell eine Transformation der Inhalte-Produktion stattfindet. Egal ob für Streamingdienste oder das lineare Fernsehen. „Viele der heutigen Produktionen wird es in drei Jahren nicht mehr geben. Neue Formate werden häufiger zu Testballons und man versucht herauszufinden, was gut funktioniert und was nicht“, meinte Oliver Berben, Vorstand Television, digital Media, Entertainment der Constantin Film AG.

Um den Erfolg der Formate einschätzen zu können, wollen sich Inhalte-Anbieter in Zukunft nicht mehr nur auf klassisch erhobene AGF Werte verlassen. Was heute zählt sind exakte Daten zur Nutzung von Inhalten – wann hat ein Zuschauer die Serie verlassen, wie viele Folgen wurden angesehen und in welchem Zeitraum. „Wir haben ziemlich genaue Messgrößen für den Erfolg unserer Sendungen. Da arbeiten wir unheimlich präzise. Wenn Kritiken über unsere Eigenproduktionen geschrieben werden, die nicht so gut sind, ist das im ersten Moment nicht so schlimm. Wir schauen eher auf die Hardfacts“, erklärte Dr. Christoph Schneider, Geschäftsführer von Amazon Prime Video Germany.

Streaming-Plattformen haben bei der Erfolgsmessung einen technischen Vorteil, aber auch das lineare Fernsehen möchte in Zukunft durch Addressable TV mehr Informationen über seine Zuschauer abgreifen, um das Fernsehangebot zu verbessern und Werbung gezielter zu platzieren.

Addressable TV: Fernsehen in Zeiten von Big Data und digitalen Assistenten

Auch interessant war das Panel zum Thema „Addressable TV und wie künstliche Intelligenz das Nutzerverhalten zukünftig beeinflussen wird“. In der regen Diskussion war man sich uneins, in welchem Maße Assistenzsysteme in Zukunft in den Konsum von Medien eingreifen können: „Digitale Assistenten stehen vor einer Eruption und können in Zukunft helfen, das jeweils richtige Programm für den Zuschauer zu finden”, meinte Michael Burst, Media Research Expert XMM von der EXARING AG, und muss aber zugeben: „Empfehlungen werden nach Mustern ausgegeben. Eine totale Individualität bei den Empfehlungen wird es auch in Zukunft nicht geben. Das macht auch keinen Sinn.“

Dr. Stefan Arbanowski, Director Future Applications and Media vom Fraunhofer FOKUS, sieht einen besonderen Mehrwert beim Einsatz von sprachgesteuerten Assistenzsystemen: “Die Spracheingabe wird in Zukunft enorm helfen auch komplexe Anfragen zu lösen. Künstliche Intelligenz und Machine Learning müssen da aber nach meiner Erfahrung noch ein wenig weiterentwickelt werden und das braucht Zeit.”

Dass digitale Assistenten aktuell vor allem den Streaming-Plattformen zu Gute kommen, mussten alle Panel-Teilnehmer anerkennen. Daher sollte Addressable TV rund um HbbTV der Gegenentwurf für das lineare Fernsehen werden. Euphorie kam bei den Panel-Teilnehmern dennoch nicht auf: „Addressable TV ist im großen und ganzen Kontext natürlich ein kleiner Player. Auch wenn der Datenschutz in Zukunft zunehmen wird, glaube ich daran, dass es die Transparenz des Users auch tut. Ob das aber reicht, um Empfehlungen individuell ausspielen zu können, das wage ich zu bezweifeln“, meinte beispielsweise Thomas Wagner, Vorsitzender der Geschäftsführung bei SevenOne Media. „Von einer Evolution durch Addressable TV kann man nicht sprechen. Ich denke wir ‘evolieren’ schon seit rund zehn Jahren vor uns hin,“ fügt Dr. Arbanowski an.

Burst sieht daher die Notwendigkeit, Online-Systeme und HbbTV besser zu verknüpfen um ein zielgenaues Targeting zu betreiben: „Ansonsten stößt das Thema Addressable TV an seine Grenzen.“

Niklas Eckstein

MB 3/2018