Prix Europa: Die Zeit ist reif für slow media

Beim 25. internationalen Medienfestival PRIX EUROPA sind am 29.Oktober in Berlin die Preise vergeben worden. Fünf von insgesamt 14 Auszeichnungen gehen in diesem Jahr an deutsche Beiträge. Quer durch alle Kategorien zeigt sich der Trend hin zu langsameren Erzählformen. Mehr dazu auch in MEDIEN BULLETIN 11/2011.

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Prix Europa: Die Zeit ist reif für slow media

So wurden die Berliner Journalisten Jo Goll und Matthias Deiß für ihre TV-Reportage “Verlorene Ehre – der Irrweg der Familie Sürücü” mit dem Preis in der Kategorie Current Affairs geehrt. Der rbb-Film über den Mord an der jungen Deutsch-Türkin Hatun Sürücü überzeugte die internationale Fachjury.

Auch die beste TV-Dokumentation kommt aus Deutschland: Feindberührung, Heike Bacheliers Debütfilm für das ZDF ist ein dokumentarischer Stasi-Thriller über Freundschaft und Verrat und zeigt die seltene Begegnung von Täter und Opfer im DDR Regime nach 30 Jahren. In der Drehbuchkategorie Prix Génève Europe siegte der Absolvent der Potsdamer Filmhochschule, David F. Wnendt mit seinem Abschlussfilm Die Kriegerin. Erzählt wird die Geschichte einer jungenFrau aus dem Osten, die mit sich und ihrem Leben nicht mehr klarkommt und in eine Clique von Neonazis gerät.

Zwei Preise gingen an den WDR-Hörfunk. Im Hörspiel konnte Tacet (Silence 2) überzeugen, in der neuen Kategorie Radio Music siegte die Sendung “WDR 3 Lieblingsstücke”.

Weitere Preise in der Kategorie TV Fiction gingen in die Niederlande und nach Großbritannien: die BBC Erfolgsserie Sherlock, eine zeitgenössische Neuverfilmung des britischen Klassikers, erhielt
den mit 6. 000 Euro dotierten Preis für den besten TV-Mehrteiler.

Österreich konnte sich mit der Radio-Dokumentation vom ORF “Die Herrinnen. Szenen einer Zweckgemeinschaft” einen der begehrten PRIX EUROPA Preise sichern. Eine Überraschung gab es in der Online-Kategorie: Entgegen dem üblichen digitalen Tempo siegte hier eine sehr intensive und genaue Milieustudie über Obdachlose in Frankreich. Die Preisverleihung mit rund 400 Gästen fand unter dem Zeltdach des TIPI am Kanzleramt statt. Als Moderatorin führte die Österreicherin Chris Pichler durch den Abend.

Sonderpreis für Lebenswerk

Erstmals gab es in diesem Jahr einen PRIX EUROPA Lifetime Award. So wurde die Hörfunk-Direktorin der Europäischen Rundfunkunion (EBU), Raina Konstantinova für ihr Lebenswerk geehrt. Sie hat im Laufe ihrer langen Medienkarriere nicht nur das Radio in Bulgarien, sondern auch die Entwicklung einer gesamteuropäischen Rundfunklandschaft maßgeblich geprägt und gefördert.

Impulsgeber für die Branche

Der PRIX EUROPA, das zeigt die zurückliegende Festivalwoche, setzt Themen. In einem qualitativ starken Wettbewerb lieferten unter anderem die Euro- und Finanzkrise sowie die Probleme junger Menschen bei der Suche nach einer Identität ausreichend Stoff für spannende und kontroverse Diskussionen in den offenen Jury-Gruppen. Dabei zeigte sich quer durch alle Kategorien eine Rückbesinnung auf langsamere Erzählformen.

Dazu die Festivalleiterin Susanne Hoffmann (Foto): “Es lohnt sich wieder, in langfristige Projekte zu investieren, weil die Zuschauer danach verlangen. Die Sender sind darum bemüht, ihr Publikum mehr einzubinden und zu fordern. Überall in Europa werden Dokumentationen und Spielfilme in mehreren Teilen und über einen längeren Zeitraum produziert. Die Zeit ist reif für slow media.”

Bestes Beispiel für diesen Trend war die norwegische Echtzeit-Dokumentation einer Schiffsreise entlang der Fjorde: Hurtigruten wurde während des gesamten Festivals 134 Stunden lang auf eine Großleinwand im Haus des Rundfunks projeziert. Slow media at ist best! Besonderen Zuspruch fanden auch die Sonderveranstaltungen.
Jeder der Wettbewerbstage startete mit einem Kurzvortrag internationaler Medienprofis. Unter dem Titel ” Frühstück mit…” gab es bei Kaffee und Croissants spannende Impulsreferate zu aktuellen Branchenthemen.

Europäisches Leadership-Panel

Digitalisierung, Konvergenz vor allem aber ein verändertes Nutzerverhalten der jungen Generation sind derzeit die größten Herausforderungen für die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Auf Einladung des PRIX EUROPA war das who is who der europäischen Intendanten zu einer hochkarätig besetzten Diskussion ins Collegium Hungaricum nach Berlin gekommen. Neben Dagmar Reim (rbb) und Thomas Bellut (ZDF) diskutierten u.a. der Schweizer Roger de Weck, der Niederländer Ruurd Bierman und Lauri Kivinen aus Finnland Perspektiven und Strategien für die Zukunft. Ihr Fazit: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist unverzichtbar, wenn es um Qualitätsjournalismus geht. Gleichzeitig besteht aber die Notwendigkeit, sich stärker als bisher dem Medienverhalten eines jüngeren Publikums anzupassen, um auch künftig dem gesellschaftlichen Auftrag gerecht werden zu können.

Mit fast 1.100 Teilnehmern aus rund 40 Ländern wurden die Besucherzahlen des Vorjahres noch übertroffen. Damit konnte der PRIX EUROPA seine Rolle als wichtiger europäischer Branchentreff der Medienmacher weiter ausbauen. Auch das öffentliche Rahmenprogramm zum Jubiläum mit Filmvorführungen und Vorträgen in verschiedenen Botschaften und Kulturinstituten stieß auf großes Publikumsinteresse. Schon jetzt freut sich der PRIX EUROPA auf die nächste Ausgabe. Diese wird vom 20. bis 27. Oktober 2012 wieder in Berlin stattfinden. (10/11)