Reminiszenz an goldene Zeiten

Die diesjährige TV-Programmmesse mipcom in Cannes war geprägt von großem Optimismus. Die Geschäfte laufen wieder prächtig. Großen Anteil daran haben neue Vertriebs- und Geschäftsmodelle rund um neue Medientechnologien wie Hybrid-, 3D- oder Mobile-TV.

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Reminiszenz an goldene Zeiten

Der Sturm hatte Teile des Strands weggespült, so dass die Warner Studios, die ihren Stand auf der mipcom erstmals in eine imposante Zeltlandschaft direkt Strand aufgeschlagen hatten, einen großen Teil nicht mehr nutzen konnten. Bildvergleiche, wie das Geschäft sei ins Wasser gefallen, oder stürmisches Marktumfeld, die die Situation auf der weltgrößten TV-Programmmesse die jedes Jahr im Herbst in Cannes an der Cote Azur stattfindet, im vergangenen Jahr noch bestens beschrieben hätten, passen in diesem Herbst schon nicht mehr.

Die Stimmung hat sich gedreht. Wurden noch im Frühjahr auf der Schwestermesse miptv von Einkäufern wie Verkäufern dunkelste Szenarien entworfen, so strahlten die gleichen Leute jetzt puren Optimismus aus. „Wir hatten unseren aktuellen Katalog vor wenigen Tagen online gestellt, als bereits die Telefone klingelten und die ersten Order bei uns einliefen. Wenn das so weitergeht, wird das eine super mipcom“, freute sich etwa Jens Richter, Chef des Programmverkäufers der ProSiebenSat.1 Gruppe, SevenOne International, bereits am Vorabend des Messebeginns. Ähnliche Kommentare hörte man durchgängig von allen Teilnehmern, auch noch als die mipcom schon auf vollen Touren angelaufen war.

Der Optimismus zeigte sich auch an anderer Stelle: So waren selten so viel TV-Stars wie in diesem Herbst angereist, vor allem aus den USA, um ihre neuen TV-Serien zu promoten. Und auch was Partys betraf, es konnte auch Abends und Nachts keine Langeweile mehr aufkommen. Die Produktionsgruppe Zodiak etwa feierte in einer Villa in den Hügeln die Übernahme eines Konkurrenten und lies es dabei richtig krachen, wobei Erinnerungen wach wurden an die Jahre bis 2000, wo in der Branche das Geld noch richtig locker saß.

Trotz dieser Reminiszenz an die goldenen alten Tage, locker sitzt das Geld heute bei Leibe nicht mehr. Im vergangenen Jahr sind die Preise für TV Programme stark gesunken und die Sender, die sich nun mit neuem Stoff versorgen müssen, sind darum bemüht, den Trend nicht zu schnell umkehren zu lassen. Die französische Kommerz-TV-Gruppe TF1 etwa, hat den Programmeinkauf von der Programmdirektion getrennt und unter die Verantwortung eines Finanzmanagers gestellt, der Einkäufe vor allem unter dem Aspekt der Effizienz durchführen soll. Schuld daran ist, neben der heftigen Krise im letzten Jahr, die Unsicherheit wie zukünftig in einer vom Internet und mobilen Anwendungen getriebenen Medienwelt aufwendige Inhalte überhaupt noch refinanziert werden können. Von daher standen auch auf der mipcom die neuen Geschäftsmodelle, wie etwa „Connected TV“, für das sich in Deutschland der Begriff Hybrid-TV oder HbbTV durchgesetzt hat, oder auch 3D und mobile Plattformen im Mittelpunkt, genauso wie der neuerliche Versuch des Messeveranstalters Reed Midem seine Reichweite zu erweitern.

Expansionsschritte erfolgen vor allem dann, wenn es dem Markt gut geht. Mit einem erfahrenen Partner, wie der GSMA, die weltweit die Mobilindustrie repräsentiert und bereits den Mobile World Congress und den Mobile Asia Congress veranstaltet, geht es natürlich noch einfacher. Das Connected Creativity Forum soll erstmals im kommenden April im Rahmen der miptv stattfinden und sowohl Medien- wie auch Technologie- und Entertainment-Verantwortliche ansprechen. Der Anspruch ist ehrgeizig: Es soll der erste Messekongress sein, der sich speziell an den globalen Unterhaltungs- und Technikmarkt wendet. Er soll die Kreatoren und Distributoren der Kreativindustrie mit Plattformbetreibern und anderen Spielern der mobilen Welt zusammen bringen, inklusive der Herstelller von Smartphones, Tablet-PC und HbbTV Herstellern. „Dadurch wird die miptv ein internationales Schlüsselforum, das interaktive Dienste sowie professionelle und User Generated Content auf allen Plattformen voranbringen wird“, ist sich Paul Zilk, CEO von Reed Midem sicher. Dabei ist, was die neuen Geschäftsmodelle betrifft, Reed Midem schon heute ein beachtlicher Schrittmacher, sei es auf der Messe selbst oder im begleitenden Kongressprogramm.

Reed Midem hatte schon früh den Trend erkannt und die ursprünglich eingeständig Multimedia Content-Messe Milia, nach dem Platzen der Internetblase kurz nach der Jahrtausendwende, konsequent in die bestehenden TV Messen integriert, wobei der mipcom im Herbst noch immer ein besonderer Stellenwert zukommt. Mit diesem Schritt hat der Veranstalter die lange erwartete und sich jetzt tatsächlich abzeichnende Konvergenz der technischen Plattformen vorweg genommen, ein Schritt, der sich jetzt auszahlt.

Das zeigt sich beim Gang durch das Palais des Festival: HD ist bereits kein Thema mehr, da es voll im Mainstream angekommen ist. So gut wie alle Programme werden heute in HD bereitgestellt. Etwas anders sieht es bei 3D aus. Screens auf denen dreidimensionale Trailer zu sehen sind, befinden sich noch in der Minderzahl. Auch wenn in aller Munde und es bei den Sendern viel Bewegung gibt, 3D ist in Cannes ganz klar noch ein Nischenmarkt, trotz der erwarteten Potentiale. „Der Markt ist noch nicht reif“, erklärt Ben Pyne, der Chef-Programmvermarkter des Disney Konzerns. „Wir machen im Konzern bereits einiges in 3D“, sagte er und verwies dabei auf die Sport TV Gruppe ESPN, die vor allem in den USA schon sehr viel Sportereignisse auch in der dreidimensionalen Fassung überträgt. „Haben Sie schon einmal Sport in 3D gesehen? Das ist einfach Atem raubend. Aber insgesamt sehen wir das Thema noch mit Vorsicht, wegen der Brillen und ähnlichem“, beschreibt er die Einschätzung von Disney.

Thematisch war die mipcom freilich schon wieder weiter. Vor allem auf dem begleitenden Kongressprogramm standen schon ganz andere Fragen im Mittelpunkt. Branded Entertainment gehörte genauso zu den Dingen, auf die das Spot Light gerichtet wurde, wie technikgetriebene Themen. Medienkonvergenz, das war das Thema, dass einem in den unterschiedlichsten Ausprägungen immer wieder begegnete. Wie sieht die Welt des Entertainments auf den Smartphones und den Tablet-PCs der Zukunft aus. Wie beeinflusst Streaming Video, also Bewegtbild im World Wide Web 2.0 oder gar 3.0 den Aufbau von Webseiten und – das wichtigste – mit welchen Geschäftsmodellen kann man in Zukunft überhaupt noch aufwendig produzierte Inhalte refinanzieren. Letzteres Thema streckte immer wieder seinen Finger hoch, auch in Sessions, die formal sich eigentlich mit etwas ganz anderem beschäftigten.

Social Media Nutzung

Tatsächlich sind die Zahlen zur Social Media Nutzung, etwa am Beispiel von Facebook, die von Joan Shields, VP EMEA des Umgangsmediums zum Auftakt des Kongressteils der mipcom präsentiert wurden, beeindruckend: „Facebook Nutzer verbringen inzwischen im Monat 700 Milliarden Minuten in unserem Netwerk und stellen dabei 30 Milliarden kurze Inhalte-Stücke, egal ob Musik, Filme, Bilder oder Texte, ein.“ Und auch das, was etwa Scott Moore, Executive Producer und General Manager des zu Microsoft gehörenden amerikanischen Portals MSN, und Geoff Sutton, General Manger von MSN International Media, an Daten vorzustellen hatten, zeigte die Dynamik, mit der die Industrie heute umgehen müssen, wie etwa der Blick auf den Werbemarkt zeigt: In England hat die Online-Werbung, mit einem Marktanteil von knapp 23 Prozent das Fernsehen erstmals mit rund 19 Prozent auf den zweiten Platz verwiesen.

Dabei ist die Wachstumsdynamik in Online nach wie vor ungebrochen mit immer noch jährlich zweistelligen Wachstumsraten. Dabei wird das Internet immer mobiler und dabei immer akzeptierter. Moore zitierte Prognosen, dass in den USA bis zum Jahr 2014 die Zahl von iPad und anderen Tablet PC von heute, einem halben Jahr nach Marktstart, zwölf Millionen auf über 120 Millionen steigen werden. So definieren sich auch die Anforderungen an die Portale neu, über die die User in die Dienste hingezogen und festgehalten werden sollen. Dabei verlagern sich die Aktivitäten mehr und mehr weg vom Browser, über den der User gewohnt ist die Inhalte gratis zu erhalten, hin zum App, der Application also, die ein Webangebot speziell für Darstellung auf ein bestimmtes Endgerät, etwa das iPhone, konfiguriert und die in einem App-Store erworben werden muss.

Diese Entwicklung lässt sich nicht nur bei mobilen Endgeräten wie dem iPhone oder dem iPad beobachten – das gilt zunehmend auch für das Connected TV. „Bald werden nur noch TV Geräte verkauft, die auch den Internetzugang ermöglichen“, stellte die Medienkommentatorin Kate Buckly auf der mipcom Panelserie zur Medienkonvergenz fest, die sie moderierte. Und Hersteller versuchen gleich die passenden Apps mitzuliefern, wie Vassilis Sefrickis, der für das Business Development zuständige Direktor von Samsung Electronics Europe, erklärte: „Wir führen gerade eine sehr gut dotierten Webbewerb zu Entwicklung eines App-Umfeldes durch, die das Internet auf unseren TV Geräten besser darstellen soll.“ Auch die Vertreterin von Yahoo, Shirlene Chandrapal, Direktor Yahoo Connected TV – Europe, machte deutlich, dass an den App Stores in Zukunft kein Weg mehr vorbei geht: „Es ist so einfach. Ich merke an mir und meinem Smartphone. Hier ein kleines App, und das da ist auch ganz nützlich, das will ich auch haben – und alles ist so billig. Am Ende des Monats bin ich dann jedes Mal über meine Mobilfunkrechnung schockiert. Das ist für mich wie Schuhe kaufen.“ Auch Gideon Coussin, Mitbegründer und VP Global Business Development der Boxee Inc., dem Hersteller einer innovativen Webbox für das TV Gerät, stößt in das gleiche Horn: „Es ist nicht so, dass die User nichts bezahlen im Internet, sie zahlen im Moment nur an anderen Stellen. Und da muss man einen Anreiz bieten, dass sie auch für meine Inhalte bezahlen.“ Er lieferte auch gleich ein Beispiel aus seinem eigenen Erleben mit: „Ich habe früher auch Filme gesaugt, heute mache ich das nicht mehr, weil ich die entsprechenden Angebote, wie Hulu, nutzen kann. Ich komme jetzt einfach, legal und preiswert an die Inhalte heran.“

Wird es jetzt alles ganz schnell gehen und werden immer mehr Dienste aus dem klassischen TV vom Internet „geschluckt“? Langfristig ist diese Perspektive sicher nicht unrealistisch, allerdings besonders schnell wird es nicht gehen. Dafür achten die Rechteinhaber von Inhalten viel zu sehr darauf, dass die so genannten Verwertungsfenster nicht kannibalisiert werden, wie Jim Packer, Co-President von MGM Worldwide Television, das eine der weltweit größten Programm Librarys mit Spielfilmen und TV Serien vertritt, vehement verdeutlicht: „Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu unseren Partnern – und wir stehen zu diesen unseren Partnern. Wir werden keinen unserer Filme zu früh und zu preiswert in das Internet stellen!“ Das heißt auf absehbare Zeit wird die klassische Reihenfolge aus Kinoauswertung, gefolgt von Video und Download, über das Pay-TV hin zum Free-TV eingehalten werden, ergänzt um ein neues Fenster im Internet, etwa das so genannte Catch Up TV. Allerdings bekommt das Bild schon Risse: Die Verwertungsfenster werden immer kürzer. Bei Disney soll man sogar darüber nachdenken, die Video- mit der Kinoverwertung zusammenzulegen. Der Gedanke hat Charme: Gleich beim Verlassen des Kinos kann ich den Film, der mir gerade so gut gefallen hat, sofort als DVD mit nach Hause nehmen. Nicht wenige würden der Versuchung nicht widerstehen können!
Dieter Brockmeyer
(MB 11/10)