Seitdem Kevin Spacey, Ende August auf dem TV Festival in Edinburgh, das neue goldene Zeitalter des Fernsehens ausrief, diskutiert die Branche den Wahrheitsgehalt dieser Aussage, so auch in Cannes auf der mipcom in diesem Herbst. Zumindest vordergründig bestätigte die Messe diesen Trend: Die Stimmung war gut, teilweise schon euphorisch und es waren sichtbar mehr Teilnehmer angereist. So verwunderte es nicht, dass der CEO von Dreamworks Animation, Jeffrey Katzenberg, als er die Auszeichnung der mipcom-Persönlichkeit des Jahres entgegennahm, der offiziellen Verkündigung der Zahlen durch den Messeveranstalter selbst zuvor kam. Mit deutlich über 13.000 Teilnehmern war es die bislang größte mipcom!
Schaut man allerdings tiefer, dann wird das Bild doch deutlich differenzierter. Video on Demand (VoD) war ganz klar das Spitzenthema der Messe. Doch die Umsatzzahlen in dem Segment entsprechen noch nicht den hohen Erwartungen. Das cloudbasierte Streaming Portal „Magine“, bislang im Heimatmarkt Schweden gestartet und in Deutschland und Spanien in der Betaphase, heischte im Frühjahr auf der MIPTV noch verstohlen um Aufmerksamkeit; jetzt im Herbst waren sie kaum noch zu übersehen. In mindestens sechs weiteren Märkten wollen die Schweden im kommenden Jahr starten, so der Magine CEO Matthias Hijlmstedt gegenüber MEDIEN BULLETIN. Die Strandpromenade La Croisette erzitterte unter dem Geflüster von einem „geheimen“ Treffen im Fünf-Sterne-Palast Majestic, gegenüber dem Festivalpalais. Ein hochpotenter Investor wolle Netflix international angreifen, vor allem in Märkten, wo dieser noch nicht präsent sei, also auch in Deutschland. Im Moment sieht vieles noch sehr stark nach Hype aus. Wir werden sehen, ob die Ernüchterung ausbleibt.
Ebenfalls Hochkonjunktur hatten die Anbieter von aufwendigen Event-Fiction-Produktionen und internationalen TV-Serien. „Das Kino meinte aus irgendeinem Grund, dass es sich zurückziehen müsse, weil sich das Geschäft nicht mehr lohne. Das Fernsehen sprang ein und das Kino musste sehen, dass es sich doch lohnt“, analysiert ein hoher internationaler TV-Manager. Dabei wird das Geschäft immer internationaler. Eventschmiede Tandem Communications verkündete neue Allianzen und die deutschen Großspieler BetaFilm und der Vertriebsarm der ProSiebenGruppe, Red Arrow International, schieben nur noch internationales Produkt, dass sie vor wenigen Jahren noch gar nicht im Katalog hatten, nach vorne. Beta brachte gleich vier internationale Stars nach Cannes, darunter Andie McDowell, um Serien zu promoten. Da fiel die italienische Mafiaserie „Gomorrah“, die auf dem Buch von Roberto Saviano basiert und die ab dem Frühjahr verfügbar sein wird, doch sehr deutlich aus dem Rahmen der üblichen Unterhaltung. Ein echtes Highlight eben!
Ben Pyne, weltweiter Distributionschef des Disney Konzerns, war ebenfalls fast euphorisch in den Erwartungen an den Markt. Er stellte erstmals eine Programmkooperation mit Nigeria vor und unterstrich damit die rasant wachsende Bedeutung des afrikanischen Kontinents. Pyne betonte, dass es keine durchgängige globale Strategie des Konzerns gebe: „Wir schauen uns jeden Markt einzeln an und richten uns individuell auf ihn aus.“ Das erklärt auch die einzigartige Präsenz im deutschen Markt, wo der Konzern an RTL2 ist und auch weiterhin an Super RTL beteiligt bleibt, obwohl die Programminteressen ab Januar auf dem neuen, aus „Das Vierte“ hervorgegangenen, Disney Channel gebündelt sein werden. Der Disney Channel ist weltweit der einzige Free-TV-Sender unter dieser Marke.
Euronews will international expandieren
Ein ganz anderes Bild, wenn ebenfalls ein sehr gutes, gibt der internationale Nachrichtensender Euronews ab, der in Cannes seinen 20. Geburtstag feierte (siehe Extra-Beitrag in dieser Ausgabe). Bereits vor einem Jahr hatte der CEO des von einer Vielzahl öffentlich-rechtlicher und staatlicher Anstalten getragene Sender, Michael Peters, in Cannes seine Initiative bekanntgegeben, mit der er sich international in der Spitze der Nachrichtenanbieter etablieren will.
Jetzt konnte er bereits erste Ergebnisse vorstellen: So wurde Euronews in den USA als einer von lediglich fünf Nachrichtenanbietern, darunter Wallstreet Journal und Washington Post, ausgewählt bei der BetaPhase von Google Glasses mit 8.000 Teilnehmern dabei zu sein. Der Sender ist darüber hinaus Zulieferer von Online-Nachrichtengeneratoren mit enormem Potential, so Peters Einschätzung. Zunächst wurde für den französischen Markt eine Vereinbarung mit der Nachrichtenagentur Reuters getroffen um Bewegtbildangebote für die Onlineportale der Verlage aufzubereiten. „Nach der Erprobung in Frankreich, wird dieses Angebot auch auf anderen Märkten zur Verfügung stehen“, sagte der Senderchef. Euronews baut sich sehr gradlinig auf, eine Prognose wie die TV-Industrie der Zukunft aussehen wird, will auch er nicht machen. „Wir wären alle sehr froh könnten wir in die Zukunft schauen“, sagt er und beschreibt damit sehr treffend, die dunkle Seite, die auf der Messe immer wieder zum Ausdruck kam: Die Unsicherheit darüber, wie sich der Markt weiterentwickelt. Das zeigt sich auch an einer anderen Entwicklung. Auf der Event- und Premiumseite boomt der Markt, in anderen Bereichen, dem Massenmarkt verfallen die Lizenzpreise weiter. David Ellender, ehemaliger Global CEO der RTL-Tochter Fremantle Media überrascht das nicht: „Die Musikindustrie hat 15 Jahre gebraucht ihre neue Rolle zu finden, bei uns fängt diese Entwicklung eben erst an“, analysiert er. Wie brennend diese Zukunftsfrage auf der Branche lastet, erkannte man daran, an dem breiten Raum den dieses Thema im begleitenden Kongressprogramm der mipcom einnahm.
Die Zukunft des Fernsehens
Ein neuartiges Veranstaltungsformat, das von dem Shooting Star Magine gehostet wurde, versuchte diese Diskussionen recht gelungen zu bündeln. Es gelang einige absolute Toplenker der Branche in einem kurzen, einstündigen Gesprächsformat zu bündeln, die dort knapp und prägnant ihre „Vision“ für die Zukunft der TV-Industrie auf den Punkt brachten. „Wie würde das Fernsehen heute aussehen, wenn es heute erfunden würde“, war die zentrale Frage, der der schwedische Innovator nachging: Danny Fenton etwa, CEO des britischen Produzenten ZicZac Productions, betonte, die Vielzahl der neuen Ausspielkanäle, die für Inhalteproduzenten zur Verfügung stünden: Egal ob an der Tankstelle oder auf dem öffentlichen Klo, überall gibt es inzwischen Bildschirme, die mit Inhalten gefüttert sein wollen und die potentielle Kunden sind.“ Er findet es erstaunlich, dass viele im Internet den Totengräber des Fernsehens sehen würden: „Das Gegenteil ist der Fall. Das Fernsehen ist stärker denn je! Ich habe viel eher den Eindruck, dass das Internet die Zuschauer ins Fernsehen bringt.“ Er erwartet, dass sich dieser Trend innerhalb der nächsten zehn Jahre noch verstärken wird. Allerdings wird es Veränderungen geben: „Die Menschen werden den Sendern gegenüber nicht mehr so treu sein. Sie schauen sich Programme und zwar dort wo sie zu den Zeiten bekommen, zu denen sie es wollen. Das ist vielleicht der etwas optimistische Ausblick eines Produzenten, aber sie werden das eher von einem Produzenten als von einem Sender erwarten.“ Vor dem Second Screen und der damit verbundenen unmittelbaren Kritik durch den Zuschauer hat er keine Angst: „Sicher sind wir zunehmend mit einem direkten Austausch mit dem Zuschauer konfrontiert. Aber dieser Dialog ist doch etwas Positives. Dem müssen wir uns einfach stellen!“ Er sieht auch, dass auch im Internet zukünftig die Langform auf dem Vormarsch sein wird, einfach, weil immer mehr professionelle Inhalte, etwa über Hulu oder Netflix, nachgefragt werden.
Zunehmende Personalisierung
Für Gary Carter, Chairman der zur NewsCorp. gehörenden Shine-Tochter „Shine Nordic“ sieht die größte Veränderung darin, dass Inhalte heute völlig unabhängig von den klassischen Verbreitungsplattformen verfügbar seien. „Wenn wir früher von Fernsehen gesprochen haben, gab es keinen Unterschied zwischen dem was zu sehen war oder der Kiste, die das alles zeigte. Als Produzenten reden wir heute vom ‚Content‘ und nicht mehr von der Plattform. Für mich ist das der große Wandel!“ Auf der anderen Seite sei der Zuschauer und die zunehmende Personalisierung: „Das ist ganz analog zu der Entwicklung in der Massenkommunikation, etwa beim Telefon. Diese Personalisierung führt wiederum zu mehr Nachfrage.“ Die TV-Produktion sei längst nicht mehr das gleiche wie vor 20 Jahren: „Vielleicht noch der Herangehensweise her, aber technisch ist es heute etwas ganz anderes.“ Er betont aber, dass sich vor allem die „Demokratisierung“ die stattgefunden habe: „In einer Reality Show, egal ob Big Brother oder was auch immer, egal was wir gescriptet haben, ich präsentiere mich immer noch so, wie ich es will. Das ist etwas ganz anderes als in den Zeiten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, wo senderseitig das Skelett viel starrer war.“ Für Andy Mitchell, Direktor Strategic Media und Platform Partnerships bei Facebook, sind die Entwicklungen rund um den Second Screen nicht zu unterschätzen, zumindest bei Live-Formaten oder in Zeiten von Wahlen, wo die Menschen es einfach lieben zu kommentieren und ihre Meinung zu teilen. Auch bei TV-Serien wie Breaking Bad habe sich herausgestellt, dass das Involvement mit der Serie durch die Nutzung von Social Media eine starke Dynamik erfahren habe. Im Moment sei Facebook komplementär zu allen klassischen Medien, ein Weg den Facebook vorerst nicht verlassen will, im Gegensatz etwa zu Google, das sich ganz massiv auf das Fernsehen zubewegt: „Wir wollen unsere Position als Komplementärmedium ausbauen und zu einem wichtigen Ort machen, wo man sich austauscht, egal über welche Inhalte und welche Plattform man spricht. Wir wollen helfen neue Inhalte zu finden, egal wo!“ Von daher suche Facebook nach Wegen wie TV-Anbieter Facebook auf ihren Plattformen einbinden kann und wie daraus Produkte entstehen: „Wir haben jetzt etwa ‚hash tags‘ eingeführt, damit Themen bei universell wiedergefunden werden können.“ Momentan sei die wichtigste Weiterentwicklung, dass Facebook sich mobil aufstelle: „Unsere Forschung sagt uns, dass das Smartphone der wichtigste Second Screen für unsere Nutzer ist. Von daher müssen wir noch viel mobiler werden.“ Aus seiner Sicht ist das Smartphone der wichtigste Trend auch für die absehbare Zukunft. „Ich würde den Inhalt meiner Hosentasche verwetten, dass jeder hier im Raum ein Smartphone in der Tasche hat. Aber das ist nicht überall so. Im größten Teil der Welt ist es noch das ganz normale Telefon das dominiert. Aber im gleichen Maße wie die Welt sich weiter entwickelt wird auch das Smart Phone seine Bedeutung ausbauen.“
Er schließt übrigens aus, dass es zukünftig bei Facebook einen Bezahldienst, ähnlich etwa wie LinkedIn Premium geben könnte: „Facebook ist eine freie Plattform – und das wollen wir auch bleiben.
Eines hat die diesjährige Mipcom mit Sicherheit gezeigt: Die Unsicherheit der Marktteilnehmer über die zukünftige Entwicklung und Umbrüche in der TV-Industrie. Aber darin steckt bekannter Maßen immer auch eine Chance!
Dieter Brockmeyer
(MB 11/13)