Kein Grund zum Jubeln

Die miptv in Cannes jährte sich in diesem Jahr zum 50. Mal. Doch das große Feuerwerk zu Ehren der Messe konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die neue Linie noch nicht gefunden ist.

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Kein Grund zum Jubeln

Das große Feuerwerk, das die Stadt Cannes zu Ehren der internationalen TV Programmmesse miptv über der Bucht abbrannte, ließ keine Wünsche offen und illustrierte die Bedeutung, die die Messe in den letzten 50 Jahren für die Region erlangte. Dabei ist die miptv nur ein Baustein, der erste, der seine Bedeutung entfaltet. Zusätzlich bringt der Messeveranstalter Reed Midem noch die Musikmesse Midem, die Immobilienmesse Mipim und nicht zuletzt die Schwestermesse der miptv, die mipcom im Herbst in die mondäne Badestadt an der Cote Azur. Letztere hat sich in den vergangenen Jahren zu der deutlich bedeutenderen Veranstaltung entwickelt, während im Frühjahr die Besucherzahlen beständig stagnieren, wenn nicht gar schrumpfen.

In diesem Jahr war das große Zelt vor dem Palais verschwunden, in dem bislang die Teilnehmer sich anmeldeten. Das war in den „Gare Maritime“ verlegt worden, wo im letzten Jahr erstmals die Innovationskonferenz mipcupe stattgefunden hatte. Die fand in diesem Jahr auch wieder statt wurde jetzt aber in das Palais integriert, um die Leerstände dort aufzufüllen. Einer der Gründe für den Besucherrückgang im Frühjahr ist das Wegbleiben der Amerikaner. Das große Disney-Zelt am Strand vor dem Palais fehlte genauso wie das von Sony. Warner Brothers hatte ihre Zeltlandschaft in diesem Jahr sogar einmal wieder aufgebaut. Allerdings war diese nur mit einer stark reduzierten Mannschaft besetzt. Für Amerikaner ist der Termin im Frühjahr einfach nicht ideal, dort konzentriert man sich inzwischen auf die „May-Screenings“, die NAB findet fast parallel in Las Vegas statt und auch die Animatoren gehen lieber auf das Festival in New York.

Hinzu kommen Probleme anderer Art, auch wenn davon die anderen Messen genauso betroffen sind, sind die Auswirkungen für die miptv in dieser Situation besonders krass: Man braucht heute keinen Stand mehr, um selbst aufwendige TV-Produktionen zu präsentieren. Das wofür man noch vor wenigen Jahren aufwendig schwere Monitore installieren musste, lässt sich heute auf dem Labtop oder Tablet locker überall mit hinnehmen. Entsprechend sind die Cafés rund um das Palais und entlang der Promenade La Croisette gut besucht und auch Appartements, die nicht zentral über die Messe verteilt werden und entsprechend häufig deutlich billiger sind, erfreuen sich zu Messezeiten immer größerer Beliebtheit. Die Reaktion des Veranstalters Reed Midem sorgte allerdings immer noch für Unbehagen. Bereits seit einigen Jahren kommt man in die Bars der großen Hotels unter Tags an Messetagen nur noch mit Hotelschlüssel oder Messebadge. Ob das freilich im Interesse der Hotels ist sei einmal dahin gestellt. In den Bars, die bis zu der Änderung die Hotspots der Messe waren, allen voran im Majestic, das dem Palais genau gegenüber liegt, ist es heute vergleichsweise ruhig!

Auf Seiten des Veranstalters Reed Midem versucht man aber auch an anderen Stellen dem Bedeutungsverlust entgegen zu steuern. Neben der miptv als Zentralmarke setzt man immer mehr auf Seitenevents. Mit der mipdoc hat man im Vorfeld der Messe eine eigene Screening-Messe für den Dokumentarfilmbereich geschaffen, der sich ähnlich gut entwickelt wie die der mipcom im Herbst vorgelagerte Kinderprogrammmesse mipcom junior.

Zur miptv sind noch zwei weitere Sondermodule hinzugekommen. Mit der mip formats wendet man sich dezidiert an Formatentwickler und Linzenzhalter und -nehmer. Damit wird der international wachsenden Bedeutung von Factual- bis Showformaten auf dem internationalen Markt Rechnung getragen. Mit dem bereits genannten mipcupe, im Prinzip einer Weiterentwicklung der eigenständigen Multimediamesse Milia, die nach dem Platzen der Internetblase schrittweise in die miptv integriert wurde, gelingt es tatsächlich neue Trends der Programmverbreitung aufzugreifen. Sowieso bekommt das Kongressprogramm einen immer bedeutenderen Stellenwert für die Messe. Als Anthony E. Zuiker, der Vater der CSI Serien, seine viel beachtete Media Mastermind Keynote im Grand Auditorium hielt, standen die Leute in diesem Frühjahr lange Schlange um eingelassen zu werden.

Am Ende vermeldete die Messe immer noch über 11.000 Fachbesucher, trotzdem hörte man wieder viel Kritik von den angereisten Besuchern. „Es kann nicht sein, dass die Messe, um Einnahmeausfälle zu kompensieren oder Einnahmen weiter zu optimieren, immer neue Nischenmessen kreiert, für Inhalte, die eigentlich zusammen gehören“, brachte ein renommierter internationaler Medienanwalt das allgemeine Unbehagen auf einen gemeinsamen Punkt. „Das ist die falsche Strategie, die im Zweifel nur noch schneller für Erosion sorgt.“ Doch in diesem Jahr war erst einmal feiern angesagt. Am Mittwochabend wurden im Rahmen eines Gala-Dinners im Carlton Hotel sechs TV-Manager ausgezeichnet, die sich um die Messe in den vergangenen 50 Jahren besonders verdient gemacht hatten.

Darunter war auch für die deutsche Seite Jan Mojto, der mit seiner BetaFilm – zuerst als zentraler Teil der KirchGruppe und jetzt völlig unabhängig – kontinuierlich immer wieder Impulse in Cannes gesetzt hatte. Auf dem traditionellen Beta-Brunch am Dienstag, stellte er die osteuropäische HBO Produktion „Burning Bush“ als das Highlight dieses Frühjahrs in seinem Katalog heraus. „Das ist meine Geschichte“, sagte der gebürtige Tscheche sichtlich bewegt. „Die Geschichte meiner Generation. Während andere geblieben sind und weitergekämpft haben, habe ich mich entschlossen das Land zu verlassen.“ Abgesehen von dieser sehr persönlichen Betroffenheit, hier zeigt sich auch ein neuer, zentraler Programmtrend, der gerade aus europäischer Sicht sehr zu begrüßen sein dürfte. Denn Produktionen gerade aus Europa – und nicht nur aus Skandinavien – verkaufen sich international immer besser und finden zunehmend Abnehmer selbst in den USA. Red Arrow International stellte bereits die zweite Staffel von Lillyhammer vor, einer eigentlich norwegischen Produktion, die sogar von Netflix in den USA koproduziert wird. Crossing Borders ist eine europäische Serie für die Tandem Communications die französische Sendergruppe TF1 mit ins Boot geholt hat. Die Darsteller des gemischt europäisch besetzten Ermittlerteams spielen ganz bewusst mit ihren muttersprachlichen Akzenten. Trotzdem wird die Serie voraussichtlich bereits im Sommer auf NBC in den USA zu sehen sein. Weitere Beispiele sind durchaus möglich. Anders herum funktioniert der Trend allerdings auch. Es ist ein regelrechter Run der Vertriebe auf amerikanische Großserien ausgebrochen. Wer es sich leisten kann pitched darum einen dieser Franchises mit Erfolgspotential international repräsentieren zu dürfen. Auch ZDF Enterprises macht da keine Ausnahme. Sichtlich stolz stellte Alexander Coridaß auf dem traditionellen Empfang am Vorabend der Messe die neue Hacker Serie „Cybergeddon“, eben des in Cannes viel gefeierten Antony E. Zuiker, im seinem Lizenzportfolio vor. Allerdings ist er auch stolz darauf, zu den ersten gehört zu haben, die den Skandinavien Trend erkannt und mit angeschoben haben.

Zwei weitere Trends machten die diesjährige miptv aus: „Mit Video on Demand kann man endlich Geld verdienen“, sagte Nina Peters, Head of National Sales [&] New Media. Es lohnt sich immer mehr Premieren exklusiv in diesem Umfeld zu machen. Das war bislang nicht so. Da war das eher ein Nebenprodukt.“ Allerdings räumt sie ein, dass nur für die Seite der Inhalteanbieter und nur sehr bedingt auf die Plattformbetreiber zutreffen würde. Die haben in der Tat oftmals nicht unbedeutende Probleme. „Alle überleben zur Zeit nur, wenn Sie zu einem Konzern gehören, der sie quersubventioniert“, so ein internationaler Programmeinkäufer. So verbrenne die deutsche VoD-Plattform maxdome noch immer Millionen im Jahr, und auch Netflix in den USA, habe jetzt Probleme mit seinen Aktionären, weil man Kosten verschleiert habe. „Das Problem dort ist, dass man die Abopreise Anfangs zu niedrig angesetzt hat, so dass man bei den jetzt davon galoppierenden Programmkosten nicht mehr mitkomme. Der Kunde ist jetzt beim Preis verwöhnt und macht Anstiege nicht mit“, so die wenig optimistische Analyse. VoD, so viel scheint sicher, wird sich langfristig durchsetzen. Es kann aber sein, dass jetzt auch hier dem Markt erst einmal eine Konsolidierungswelle bevorsteht. Dafür könnte lineares Fernsehen zunehmend über Streaming-Plattformen verbreitet werden. Das schwedische Unternehmen Magine hat sein Angebot gerade in seinem Heimatmarkt gestartet und plant noch in diesem Sommer in Deutschland und Spanien die ersten internationalen Expansionsschritte zu gehen. Das besondere des im ersten Moment stark an Zattoo erinnernden Angebots ist die extrem einfache Handhabung des Dienstes für den Anwender. Da sich alles in der Cloud abspielt, können Smartphone und Tablet gleichermaßen als Abspielstation oder als Fernbedienung genutzt werden, da alles ganz einfach über die Cloud mit jedem internetfähigen TV-Gerät synchronisiert werden kann. Ich suche mir also auf dem Tablet im Magine-EPG eine Sendung aus, die ich dann live oder zeitversetzt aufrufen kann um sie mir auf dem Device oder dem Fernseher anzusehen. Dabei kann ich zwischen dem zeitversetzten sehen und live jederzeit hin und her springen. Wenn das tatsächlich so funktioniert, dann könnte das ein echter Quantensprung sein.

Den zweiten Trend präsentierte der Satellitenbetreiber ASTRA gemeinsam mit Sony: Das Fernsehen in 4K, also in der vierfachen Auflösung des aktuellen HDTV. Auch wenn ASTRA verkündete hier eine Vorreiterrolle bei der schnellen Einführung übernehmen zu wollen, die Reaktionen auf der Messe waren eher skeptisch. Frühestens zur nächsten Fußball-WM könnte es einen Schub geben, so die einhellige Meinung. Zu gering sei der Qualitätsunterschied bei der gängigen Bildschirmgröße zum HDTV-Gerät, das gerade erst angeschafft wurde. Können die immer schnelleren technischen Innovationszyklen die Verbraucher überfordern? Dieses Experiment steht bislang noch aus!
Dieter Brockmeyer
(MB 05/13)

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