Traditionell nutzt die deutsche Politik die Medientage München als Forum für neue Initiativen. Auch 2013 gab es zum Auftakt des Kongresses eine politische Einordnung der Entwicklungen. Ilse Aigner, Vize-Ministerpräsidentin von Bayern, plädierte in ihrer Eröffnungsrede für eine „bessere Regulierung“. Die CSU-Politikerin und neue Bayerische Staatsministerin für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie will vor allem offene Plattformen gewährleisten und einen diskriminierungsfreien Zugang zum Internet erhalten. Das Problem: Die Politik kommt bei dem enormen Tempo in der Informations- und Telekommunikationsbranche nicht mehr mit. Darüber klagte zum Beispiel auch Dr. Jürgen Brautmeier, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM). „Die Rahmenbedingungen der Regulierung sind nicht zeitgemäß“, stellte Brautmeier fest, der gleichzeitig Direktor der Landesanstalt für Medien NRW ist. Auch das Instrumentarium der Landesmedienanstalten passe nicht. Schnelle Hilfe sei jedoch nicht in Sicht, denn die Novellierungen des Rundfunkstaatsvertrages und der Europäischen TV-Richtlinien dauerten laut Brautmeier „unendlich lange“. Dennoch sind derzeit vor allem die TV-Macher äußerst optimistisch. Rasantes Wachstum auf allen Geschäftsfeldern beobachtet zum Beispiel André Prahl, Leiter Programmverbreitung im Cologne Broadcasting Center (CBC). So habe sich die Zahl der TV-fähigen Endgeräte in Deutschland auf insgesamt 30 Millionen vervielfacht, sagte Prahl bei der Vorstellung der GfK-Enigma-Studie „FernsehVisionen – Wie entwickeln sich die TV-Nutzung, die Endgeräte und das Angebot?“.
Auftraggeber der Umfragestudie unter 40 Top-Entscheidern der TV-, Werbe- und Gerätebranche war Eutelsat. Christian Heinkele, Director TV [&] Regulatory Affair bei dem Satellitenbetreiber, stellte dann auch klar: „Fernsehen bleibt wichtigster Werbeträger.“ Auch wenn der Wandel beherrschend sei, bleibe TV auch in den kommenden fünf Jahren das wichtigste Massenmedium. Der Einfluss des Internets und der sozialen Netzwerke werde sich jedoch verstärken. Durch die weitere Fragmentierung des Marktes geraten demnach auch die Vollprogramme weiter unter Druck. Neue TV-Sender kommen auf den Markt und werden dabei in ihrer Ansprache immer zielgruppenspezifischer. Um das Absinken der Senderrelevanz zu verhindern, gilt es daher, die Sender- und Programm-Marken zu pflegen. Aber: „58 Prozent der Nutzung entfallen weiter auf die öffentlich-rechtlichen und die großen, privaten Veranstalter“, erwartet Heinkele.
In dieser vielfältigen TV-Landschaft wird Orientierung und das Empfehlungsmarketing zu den Schlüsselfaktoren, so die GfK-Enigma-Studie. Live-Events werden auch in Zukunft ein Massenpublikum erreichen, während Hollywood-Blockbuster in ihrer Bedeutung abnehmen. Herausforderung und Chance zugleich ist der Second Screen, der künftig verstärkt Aufmerksamkeit auf sich zieht. Und: Die Zahlungsbereitschaft für Bewegtbild-Inhalte soll weiter steigen. Um Pay-TV erfolgreich zu betreiben, betonte allerdings Annette Kümmel beim Infrastrukturgipfel unter dem Motto „Mobile Media 2020“, müssten sich zum Beispiel bei der Terrestrik die Rahmenbedingungen ändern. Um etwa neue Geschäftsmodelle zu etablieren, sei die Verschlüsselung von Programmen notwendig, erläuterte die Managerin, die bei der ProSiebenSat.1 Media AG den Bereich Medienpolitik leitet und dem Vorstand des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien (VPRT) angehört.
Mit Blick auf den Ausstieg von RTL aus dem terrestrischen Übertragungsstandard DVB-T2 hob Annette Kümmel hervor, dass alle VPRT-Mitglieder am Wettbewerb der Infrastrukturen festhalten wollten. Obwohl Terrestrik der teuerste Übertragungsweg sei, werde der weitere Ausbau zu DVB-T2 explizit nicht ausgeschlossen. Noch unklar ist jedoch, auf welchen Frequenzen der Digitalfunk der TV-Zukunft angesiedelt wird: Bei der Weltfunkkonferenz 2015 (WRC) soll das sogenannte 700-MHz-Band für Mobilfunk und beispielsweise den Ausbau der Long Term Evolution (LTE Advanced) frei gemacht werden. Einen Kompromiss brachte daher Dr. Iris Henseler-Unger ins Spiel. Die Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur wiederholte bei den Medientagen ihren Vorschlag, möglichst vor dem Jahr 2020 das 700-MHz-Band zwischen DVB-T2 und dem Mobilfunk aufzuteilen. Dazu könnten Rundfunkangebote in den Frequenzbereich unterhalb 700 MHz verlagert werden.
Dr. Christoph Clément, Mitglied der Geschäftsleitung von Kabel Deutschland, plädierte indes für einen Technologiemix: „Das Festnetz ist unabdingbar, um den mobilen Datenverkehr abzutransportieren.“ DVB-T hingegen bezeichnete er als „massive Wettbewerbsverzerrung“, welche vor allem die Kabelnetzbetreiber benachteilige. Markus Haas, der im Vorstand von Telefónica Deutschland für die Bereiche Strategie und Recht zuständig ist, erinnerte an den „riesigen Flop“ bei der gescheiterten Einführung von DVB-H. Haas bezeichnete die sinnvolle Verknüpfung von Glasfaser und Mobilfunk als Schlüssel zum Erfolg. Vor präjudizierenden Schnellschüssen warnte Karl-Heinz Laudan. Der Vice President für Spectrum Policy der Deutschen Telekom sagte, zunächst sei es nötig, den Bedarf an Kapazitäten anhand des Nutzerverhaltens zu ermitteln: „Der Rundfunk muss erarbeiten, wie die Terrestrik künftig aussehen soll.“ Einen deutschen Alleingang bei der Aufteilung der zweiten Digitalen Dividende hält Laudan für nachteilig: „Das 700-MHz-Band wird europaweit für den Mobilfunk verfügbar gemacht.“
Auch zahlreiche weitere Themen bei den 27. Medientagen München hatte mehr als nur eine internationale Dimension: Angesichts der zunehmenden Konvergenz der Medien und der weltweit führenden Stellung von US-Konzernen wie Google reicht die Palette an offenen Fragen vom Steuerrecht über das Medienkonzentrationsrecht bis zum Datenschutz. In einem „Motivpapier“ stellte der „Runde Tisch Medienpolitik“, angeregt auf den Münchner Medientagen 2012 von Ministerpräsident Horst Seehofer, erste konkrete Vorschläge vor: Alle Experten beklagen darin, „dass das Niveau aller Regulierungsbereiche zu hoch ist und einer Anpassung bedarf, um in der konvergenten Medienwelt konkurrenzfähig zu bleiben und wachsen zu können“. Die Ansätze für eine Anpassung der Regulierung reichten in den Arbeitsgruppen von einem globalen „level playing field“ für alle Marktteilnehmer bis hin zu einer „fair regulation“ zwischen sämtlichen Mediengattungen unter Aufrechterhaltung des Sonderstatus Rundfunks. Im kommenden Jahr bei den Medientagen will das Gremium dann einen Maßnahmenkatalog vorschlagen.
Michael Stadik
(MB 11/13)