Transmediale Konzepte

Beim 23. Medienforum.NRW in Köln diskutierten Produzenten, Kinoverleiher, Fernsehvertreter und Trendforscher über den grundlegenden strukturellen Wandel in den Bereichen Produktion, Vertrieb, Marketing und Auswertung, der im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung der Film- und Medienlandschaft erfolgt. Neben neuen crossmedialen Formaten und Finanzierungsmöglichkeiten resultiert daraus eine zunehmende Fragmentierung des Marktes sowie eine Veränderung der gesamten Verwertungs- und Wertschöpfungskette.

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Transmediale Konzepte

„70 Prozent des Wachstums wird künftig aus digitalen Quellen stammen“, prognostizierte Jari Sengera, Senior Manager PWC, der aus technologischer und ökonomischer Perspektive die Zukunft von Film und Medien beleuchtete. Die Digitalisierung führe zu einer Fragmentierung, was sich im Fernsehbereich durch die Entstehung von Spartenkanälen abzeichne.

Wie das Fernsehen im Jahre 2015 aussehen wird, war Gegenstand einer Studie, die das MMB-Institut für Medien- und Kompetenzforschung präsentierte. Bei der Befragung von knapp hundert Autoren, Produzenten, Programmverantwortlichen und Content-Beratern für Serien und TV-Events zur Zukunft des Fernsehens sind den Teilnehmern verschiedene Statements vorgelegt worden, die unterschiedliche Szenarien beinhalten. 91 Prozent der Befragten stimmten der Einschätzung zu, dass die demographische Entwicklung einen Einfluss auf die Entwicklung der Medieninhalte hat. Nur 28 Prozent glauben, dass das Internet das Fernsehen verdrängen wird. Die Mehrheit ist der Auffassung, dass die Prognose „Reduce to the Max“ eintreten wird, nach der das Fernsehen sein Programm mit Filmen, Dokumentationen und Live-Events mit hohem emotionalen Faktor stärker ausbauen und technisch mit HD, Stereo3D und Dolby Surround einen starken Erlebnischarakter bieten wird. Das Fazit dieser Fernsehstudie: Das Internet sollte nicht als Add-on betrachtet werden und die Zielgruppe muss genau dort abgeholt werden, wo sie steht.

Künftig sind zunehmend transmediale Konzepte gefragt, den Markt mit Content-Formaten zu bedienen, die eine 360°-Perspektive bieten. Erfolgreiche Produktionen wie Disneys „Hannah Montana“ oder die RTL-Show „DSDS“ haben gezeigt, das crossmediale Formate deutlich größere Refinanzierungspotenziale besitzen. Erste Erfahrungen mit der Produktion eines 360-Grad-Projektes haben der Produzent Michael Souvignier, Producer Dominik Frankowski und Justiziar Mirek Nitsch von der Kölner Produktionsfirma Zeitsprung Entertainment gesammelt.
Mit dem Projekt „Alpha 0.7“ gewann das Team die Ausschreibung für ein 360-Grad-Projekt, die der ehemalige SWR-Fernsehspielchef und jetzige Vorsitzende der Geschäftsführung von Studio Hamburg, Carl Bergengruen, 2010 an-lässlich des 25. SWR-Jubiläums gestartet hatte. Die als Science-Fiction-Thriller angelegte Serie wurde für die Auswertung im Fernsehen, Radio, Internet sowie für das Feedback der Zuschauer im realen Leben konzipiert. „Wir haben im Netz eine 360-Grad-Welt gebaut“, berichtete Frankowski. Dazu gehörte beispielsweise die Website des neurowissenschaftlichen Pre-Crime-Centers, die so echt aussah, dass bei der Produktion für die Stellenauschreibungen echte Bewerbungen eingingen.

Eine 360°-Produktion ermöglicht die Auswertung in allen Vertriebskanälen wie Fernsehen, Internet, sozialen Netzwerken, Spartensender, DVD, Spiele und PC-Konsolen, Hörkassetten und -bücher, Bücher und Zeitschriften sowie Merchandising-Projekten. „Mit einer Fernsehsendung können nicht alle Verwertungsmöglichkeiten abgedeckt werden“, weiß Lutz Goertz, der als Abteilungsleiter für Bildungsforschung beim MMB-Institut tätig ist. Bei erfolgreichen Serien, die sich zusätzlich auf DVD, im Internet sowie als Buch auswerten lassen, wird daher auf konsekutive Lizenzstrategien gesetzt. „Dies sind Verwertungs-Kaskaden“, erläutert Goertz. Bei dem Modell „Internet first“ wird hingegen von Anfang an eine Strategie entwickelt, ein Format in verschiedenen Stufen im Markt zu platzieren.

Im Zuge der wachsenden digitalen Verbreitungsmöglichkeiten sind auch die Fernsehsender im Begriff, eigene Video-on-Demand-Angebote zu starten. Das von den Privatsendern ProSiebenSat1 und RTL angestrebte Online-Videoportal ist im ersten Anlauf am Verbot des Bundeskartellamts gescheitert. Unter dem Titel „Germany’s Gold“ planen nun ARD und ZDF im Schulterschluss mit der Produzentenallianz, Studio Hamburg, Bavaria und dem Filmhändler Jan Mojto eine groß angelegte kommerzielle Onlinevideothek, die internationalen Video-on-Demand-Anbietern wie YouTube, Maxdome und Co. die Stirn bieten soll. Bisher beschränkt sich das Online-Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender auf Catch-up-TV in den Mediatheken.

„Video-on-Demand ist ein großer Wachstumsmarkt“, unterstreicht Bergengruen. Bisher werden in Deutschland mit VOD erst Umsätze in der Größenordnung von 30 Mio. Euro generiert, während die Umsätze auf dem DVD-Markt 1,5 Mrd. Euro betragen. Bergengruen geht davon aus, dass VOD künftig auch ein Bestandteil der Filmfinanzierung sein wird. Der Verteilungskampf um dieses neue Marktsegment habe begonnen. Daher sei es wichtig, jetzt eine Plattform für die deutschen Produzenten zu starten. „Die Weichen dafür werden jetzt gestellt.“ Die digitale Revolution gebe den Konsumenten die Freiheit, sich die ge-wünschten Filme zu jeder Zeit auszuwählen. Das Fernsehgeschäft werde jedoch nicht darunter leiden. 2010 sei die stärkste Fernsehnutzung verzeichnet worden. „Es geht jetzt darum, auch im Internet Reichweiten zu schaffen“, unterstreicht Marc Schröder, Geschäftsführer von RTL interactive.

„In vier Jahren wird weltweit ein Drittel der Erlöse in der Medien- und Unterhaltungsbranche auf digitale Medien entfallen“, prognostizierte die Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in ihrer Eröffnungsrede zum 23. Medienforum.NRW. „Die Landesregierung will diesen Wachstumsmarkt fördern und deshalb den digitalen Strukturwandel in NRW vorantreiben. Wir werden für die Initiative ‘digitales Medienland NRW’ bis 2013 zehn Millionen Euro bereit stellen.“ Das Ziel sei, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich die Medienbranche in NRW optimal entfalten könne. Ein erster Schritt in diese Richtung sei mit der Übernahme der Mediencluster NRW GmbH durch die Filmstiftung NRW erfolgt, die sich jetzt mit einem neuen Look unter dem neuen Namen „Film und Medien Stiftung NRW“ präsentiert. „In Zukunft werden Strategie, Förderung und Marketing für den Standort aus einer Hand kommen”, erklärt Petra Müller, Geschäftsführerin der Film und Medien Stiftung NRW.

Um im Zuge der zunehmenden Diversifikation der digitalen Distributionswege auf dem Markt bestehen bleiben zu können, sind die Produzenten und Verleiher gefordert, ihre Strategien neu auszurichten. Eine zentrale Bedeutung kommt dabei Video-on-Demand zu, das seit der Einführung von Premium-VOD durch die Hollywoodstudios in der Filmbranche für Schlagzeilen sorgt, weil sich dadurch das Auswertungsfenster für Kinofilme weiter verkürzt hat. „Es nützt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken“, sagt Stewart Till, Vorsitzender von Icon Entertainment UK. Im Zeitraum zwischen 2005 und 2009 sei der weltweite Umsatz der Filmindustrie von 84,2 auf 118,9 Milliarden Dollar angewachsen, wozu neben dem Kino auch die DVD- und Internetauswertung beigetragen habe.
„Die Filmauswertung im Pay-TV und Free TV wird völlig verschwinden“, glaubt der Icon-President. Nach einer Kinosperrfrist von 30 Tagen könnten andere Auswertungsarten wie Streaming oder Download zu unterschiedlichen Preisen angeboten werden. „In der digitalen Welt gibt es keine allgemein gültigen Geschäftsmodelle“, glaubt Liz Rosenthal, Geschäftsführerin der Londoner Firma Power to the Pixel. Die neuen Auswertungskanäle stellten jedoch eine gute Möglichkeit dar, neue Formen zu testen.

Wichtig sei, dass der Schwerpunkt beim Storytelling auf der Geschichte liege und nicht von der Technologie gesteuert sei. Für den deutschen Filmemacher Tom Tykwer stellt die Technologie nur ein Werkzeug dar und führt nicht zum separaten Denken, wenn er ein Drehbuch schreibt. „Alles ist möglich. Es gibt jedoch sehr unterschiedliche Arten der Umsetzung“, sagt Tykwer, der gemeinsam mit den „Matrix“-Machern Andy und Lana Wachowski das internationale Großprojekt „Der Wolkenatlas“ vorbereitet.

„Wir sind kurz davor, die Finanzierung für ‘Wolkenatlas’ zu schließen”, verrät Stefan Arndt, Produzent von X Filme Creative Pool. Das Budget für diesen Film belaufe sich auf 100 Millionen Dollar, was derzeit rund 78 Millionen Euro entspreche. „In Deutschland würden wieder mehr Private Equity-Mittel in Kinofilme investiert, woraus deutlich größere Budgets im dreistelligen Millionen-Bereich am oberen Ende der Produktions-Skala resultieren“, berichtet der Medienanwalt Stefan Lütje „Dies ist ein Ergebnis einer erfreulichen Professionalisierung der deutschen Filmindustrie.“

Innovatives Kinomarketing

Wie innovatives Kinomarketing im digitalen Zeitalter aussehen kann, hat der Marktforscher Norbert Hillinger von TrendOne auf dem Internationalen Filmkongress vor Augen geführt. Die steigende Penetration von Smartphones ermögliche den Einsatz von Location Based Services, über die eine Standortbestimmung des Nutzers vorgenommen werden kann. Damit lässt sich beispielsweise über ein Plakat ein Trailer auf dem Handy abrufen.
Im Zeitalter des „Film 2.0“ werden nicht nur klassische Medien wie Fernsehen, Radio, Print und Internet in eine Kampagne eingebunden, sondern auch die Social Media. „Dabei steht nicht die Marke, sondern der Nutzer im Mittelpunkt“, betont Tino Kressner, Geschäftsführer der Tyclipso Media Evolution. Angesichts der zunehmenden Anzahl der Filmstarts pralle die klassische Werbung beim Konsumenten ab.

„Die Empfehlungen von Freunden zählen viel mehr“, versichert Kressner, denn in Deutschland werden jede Woche etwa ein Dutzend Filme ins Kino gebracht, die der Konsument nicht alle wahrnehmen könne.
„Wir leben im Zeitalter der Empfehlungen“, bilanziert Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaft an der TU Berlin. „Die Konsumenten betrachten das Internet vorrangig als Kommunikationsmittel. Sie geben sich nicht mehr mit der Selbstdarstellung der Anbieter zufrieden, sondern konsultieren die Meinung anderer Nutzer.“
Birgit Heidsiek
(MB 07/08_11)

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