Arbeit an der Schlangengrube

Die Rennrodelweltmeisterschaft 2016 fand erstmals seit 17 Jahren wieder auf der Kunsteisbahn Königssee am Fuße des Watzmanns statt. Mit einer Länge von 1.116 Metern und Kurvenkombinationen wie der „Schlangengrube“ mit vier aufeinander folgenden Kurven gilt sie als die anspruchsvollste Rennrodelbahn der Welt. Für die ARD und den Internationalen Rennrodelverband FIL hat Studio Berlin das Hostbroadcasting des Events übernommen.

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Arbeit an der Schlangengrube

Die 46. FIL-Weltmeisterschaften in der Deutsche Post Eis-arena in Königssee vom 29. bis 31. Januar wurde erwartungsgemäß wieder stark von deutschen Sportlern dominiert. In den sieben Wettbewerben kassierten die Deutschen sechs Gold-, vier Silber- und zwei Bronzemedaillen. Das heißt, von insgesamt 21 zu vergebenden Medaillen gingen gleich zwölf an Deutschland. Kein Wunder, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk hierzulande ein besonderes Augenmerk auf die Rennrodelweltmeisterschaft am Königssee legte und ausführlich berichtete. Für die ARD war der Bayerische Rundfunk (BR) mit einem Ü-Wagen von AÜ-Dienstleister RT1 zur Produktion des unilateralen Signals vor Ort. Die ARD war zudem vom Internationalen Rennrodelverband FIL mit dem Hostbroadcasting des internationalen Signals beauftragt worden und hatte sich dafür als Produktionsdienstleister Studio Berlin ins Boot geholt. Das Unternehmen war mit seinem Ü-Wagen Ü8 an der Eisarena in Königssee und stellte die komplette Übertragungstechnik zur Erstellung des Worldfeeds zur Verfügung. Nur Renngrafik (ST Sportservice aus Leipzig), Signaldistribution (Fernsehwerft, Berlin) und Bühnenbau/Kamerapositionen (VPT – Veranstaltungs- und Produktionstechnik, Neulingen-Nussbaum) wurden von anderen Dienstleistern erbracht. Als Regisseur für das Host Broadcasting zeichnete Rainer Dzösch verantwortlich.

Der Ü8 von Studio Berlin kann mit bis zu 24 Kameras arbeiten. In Königssee hatte der Berliner Dienstleister 15 Grass Valley LDK 8000 Elite, eine davon als Drahtlos-Kamera, vier Grass Valley LDX 86, eine davon als 6-fach-Highspeed-Kamera (LDX86 XS), und eine LDK 8300 als Superslowmotion-Kamera im Einsatz. Dazu kamen noch fünf Chip-Kameras vom Typ Marshall CV-350-5X, die an der Verkleidung der Bahn befestigt waren. Bei der CV-350-5X handelt es sich um eine sehr kompakte und robuste FullHD-Kamera. Sie verfügt über einen 5-fach optischen Zoom und Autofocus. Die Kamera kann über RS-484, Software, OSD Joystick oder IR-Fernbedienung gesteuert werden. Der Empfänger für die IR-Fernbedienung befindet sich auf der Vorder- und Rückseite der Kamera.

Von Studio Berlin wurden für Slowmotion- und Highspeed-Aufnahmen sowie für den Schnitt der Tageszusammenfassungen erstmals EVS XT3-Systeme eingesetzt. Bislang hatte man mit EVS XT2-Servern gearbeitet. Die 6-fach-Highspeed-Kamera war am Ende des sogenannten „Labyrinths“ mit MRC Remotekopf und ausgestattet mit Standard-ENG 22fach Objektiv von Fujinon direkt über der Bahn aufgehängt. „Sie hat in meinen Augen ganz spektakuläre Bilder gemacht“, meint André Schumann, Technischer Projektleiter von Studio Berlin bei den Rennrodel-Wettbewerben.

Er lobte auch den Einsatz einer Kran-Kamera, mit deren Hilfe „die Verbindung zwischen dem Geschehen in der Kunsteisbahn und der Umgebung“ erstmals hergestellt werden konnte. „Die Bahn liegt direkt am Königssee. Im Fernsehen ist das bislang aber nie so gut rüber gekommen“, sagt Schumann. „Der Kran hat den Rodler erst nah gezeigt, dann mit rasantem Schwenk durch die Kurve gebracht und dabei auch den Königssee gezeigt. Das hat nicht nur dem Veranstalter, sondern auch dem örtlichen Fremdenverkehrsverband sehr gut gefallen“, berichtet er.

Die Rennrodel-WM 2016 sei jedoch keine besonders komplexe Produktion gewesen, bei der das Hostsignal lediglich in 1080i50 und Stereoton erstellt und für verschiedene Abnehmer wie ARD oder FIL bereitgestellt werden musste. Der Rodelverband organisierte die Satellitendistribution via EBU für diverse andere Sender sowie einen englisch kommentierten Livestream, der auf der FIL-Website verfügbar war.

Im Vergleich zu Weltcup-Rennen war der bei der Rennrodel-WM getriebene Produktionsaufwand laut Schumann nicht viel größer. Das Kamera-Set-up wurde lediglich durch die genannte Highspeed- und die Kran-Kamera erweitert. „Alle anderen Kameras sind Standard bei Weltcups. Deren Anzahl ist aber immer von der jeweiligen Bahn sowie auch davon abhängig, wie leicht die dortigen Positionen zu erreichen sind“, erklärt der Studio Berlin Projektleiter. In dieser Hinsicht stellte auch die Kunsteisbahn am Königssee besondere Anforderungen an die Produktion. Im Vergleich zu anderen Bahnen sei sie schließlich sehr langgezogen. „Wir standen mit unserem Ü-Wagen am unteren Ende der über 1.116 Meter langen Bahn und haben im Vorfeld überlegt, wie wir die nötigen Kabellängen realisieren konnten. Schließlich haben wir uns für den Einsatz einer via Glasfaser angebundenen Remote-Station für bis zu acht Kameras inklusive ihrer Basisstationen entschieden. Diese Station haben wir auf den Berg verbracht und von dort aus fünf Standard- und zwei Chip-Kameras, die über 800 Metern vom Ü-Wagen entfernt waren, verkabelt. Die Steuerung der Kameras erfolgte ganz normal weiter aus dem Ü-Wagen. Retour-Bilder, Audio-, Intercom- und Steuer-Signale liefen über die abgesetzte Station“, erklärt Schumann. Sie sei mit einer USV (Uninterruptable Power Supply) verbunden gewesen, um auch bei einem eventuellen Stromausfall gewappnet zu sein. „Durch den Einsatz der abgesetzten Station konnten wir die Zahl der Kabel auf ein überschaubares Maß reduzieren und auch einen hochwertigen, die Sportart realistisch abbildenden Stereotons sicherstellen“, meint Schumann.

Die abgesetzte Station auf dem Berg wurde von Studio Berlin in Kooperation mit BroaMan (Broadcast Manufactur GmbH) aus München-Gräfelfing entwickelt. BroaMan-Lösungen ermöglichen die Distribution sowie Routing und Repeating aller professioneller 3G/HD/SD-SDI Video, Audio-, Intercom- und Daten-Signale über glasfaser-basierte Datennetzwerke in Echtzeit. Genutzt wird hierzu auch das WDM Multiplexing- und Demultiplexing-Verfahren, das die Distribution von bis zu 80 Video-Kanälen durch ein einzelnes Glasfaser-Kabel möglich macht. Das System selbst kann aus einer Reihe von Modulen aufgebaut werden, die aus DiViNe (Digital Video Network) Bausteinen eine Video-Infrastruktur mit oder ohne Routing errichten. Die Grund-Einheiten für flexible Anwendungen bestehen aus Route66, Route33, Repeat66 und Repeat33, die Stand-alone-Konverter von 3G/HD/SD-SDI und/oder MADI zu Glasfaser heißen Repeat48 und Repeat32WDM. Es gibt sie mit oder ohne WDM Multiplexer. Die einzelnen Geräte können für bestimmte Projekte maßgefertigt werden und bieten dann individuelle Lösungen für alle Anforderungen, vom Senden und Empfangen über das Multiplexen und Demultiplexen, bis zu Konvertierung professioneller Videosignale im Format SD, HD oder 3G.

Schumann: „Mit BroaMan haben wir in Königssee erstmals intensiver zusammen gearbeitet. Das nötige Equipment für die Remote-Station am Berg mit Umsetzern und Audio-/Video-Schnittstellen in verschiedenen Richtungen wurde von uns gemeinsam zusammengestellt. Nach Beendigung der Rennrodel-Saison wird die Station von uns wieder auseinander gebaut und die Komponenten anderweitig verwendet. Das System bietet uns so hohe Flexibilität.“

Im Bereich 500 bis 600 Meter Entfernung vom Ü-Wagen hat Studio Berlin drei LDX 86 Kameras über die Vorverkabelung der Eisarena Königssee mit Lemo-Steckern angebunden. Im unteren Bereich der Rennrodelbahn sind die Kameras über Triax-Kabel mit dem Ü-Wagen verbunden worden.

Die Umsetzung großer Kabellängen war in diesem Falle eine besondere Herausforderung.

Sehr interessant dagegen war für uns die Umsetzung der Produktion mit einer großen Anzahl von Handkameras. „Insgesamt hatten wir 18 Handkameras im Einsatz. Nach Ansicht von Redaktion und Regie ermöglichen sie bei Rodelrennen die beste Bildsprache“, erklärt Schumann. „Durch die Kameraführung soll insbesondere die hohe Dynamik und teilweise extrem hohe Geschwindigkeit der Sportart perfekt vermittelt werden.“ Für die Kameraleute bedeutete das ein harter Job. Gesichert durch Gurte mussten sie, auf kleinen, von VPT gebauten Plattformen positioniert, fünf Stunden täglich das Geschehen in der Eisbahn verfolgen. „Die Kameraleute hatten es nicht leicht. Sie mussten alles aus der Hand schwenken. Das verdient großen Respekt“, sagt Schumann.

Studio Berlin hatte als Produktionsunternehmen des Host-broadcasters in Königssee insgesamt 39 Mitarbeiter im Einsatz, darunter 20 Kameraleute und elf Techniker. Die Witterungsbedingungen haben insbesondere den Auf- und Abbau-Tag erschwert. Dafür war das Wetter an den ersten drei Produktionstagen fabelhaft. Schuman zeigte sich begeistert. „Alles hat prima geklappt. Und unser Kunde war hoch zufrieden“, sagt er. Im vergangenen Winter war Studio Berlin auch bei insgesamt fünf Weltcup-Rodelwettbewerben im Einsatz. Bei den vier deutschen Rodelbahnen waren ARD und ZDF die Hostbroadcaster, beim ersten Weltcup in Innsbruck Igls zeichnete die FIL selbst als Hostbroadcaster verantwortlich.

Studio Berlin hatte laut Schumann viel Spaß an dieser Wintersport-Produktion. Neben den Rodelrennen möchte der Dienstleister mit seinen vier eigenen Ü-Wagen künftig gerne mehr Live-Produktionen im Schnee machen. „Das ist eine schöne Sache. Beim Wintersport kann man in der Regel auch einmal drei Tage an beeindruckenden Locations abwechslungsreiche Produktionen begleiten, die sich vom „Daily Business“ abheben.“

Eckhard Eckstein

MB 1/2016