Intelligente Produktion 4.0 beim rbb

Am 1. September diesen Jahres hat Christoph Augenstein, der auch Koordinator Fernsehproduktion für das Erste ist, sein neues Amt als Produktions- und Betriebsdirektor des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) angetreten. Mit seiner Hilfe will rbb-Intendantin Patricia Schlesinger ihr wichtigstes langfristiges Unternehmensziel erreichen: Den Aufbau eines neuen crossmedialen Newscenters in Berlin.

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Intelligente Produktion 4.0 beim rbb

Imposant, was Patricia Schlesinger in nur zwei Jahren als rbb-Intendantin auf die Beine gestellt hat. Wie ein Hansdampf in allen Gassen hat sie die mehr oder weniger in Lethargie ruhende Sendeanstalt mit einer Stufenzündung auf mehreren Ebenen in Bewegung gesetzt. Dabei hat sie im Huckepack mit viel Charme für eine Aufbruchsstimmung unter den knapp 1.500 fest angestellten rbb-Mitarbeitern gesorgt, die sie teils „die Kollegin“ nennen. So viel Neues, in so kurzer Zeit hatte die rbb-Belegschaft in der Geschichte ihres Unternehmens noch nie erlebt. Zur Erinnerung: Der rbb entstand vor 15 Jahren durch Fusion vom „Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg“ (ORB) und „Sender Freies Berlin“ (SFB) und blieb auch danach auf zwei Standorte in Potsdam-Babelsberg und in Berlin (West) zwischen Masurenallee und Kaiserdamm aufgeteilt. Anstatt mit der Erneuerung des Programms war man viel mit Ost/West- Konflikten beschäftigt, auch im Rundfunkrat. Doch dafür bleibt jetzt keine Zeit. Schlesinger fordert von ihren Mitarbeitern neben Kreativität, vor allem Effizienz, um so viel wie möglich neues Programm zu schaffen. Crossmedial, multimedial unter Einsatz von neuen digitalen und mobilen Technologien, um kostensparend zu produzieren. Was Gewerkschaftsvertretern wegen der Mehrbelastung am Arbeitsplatz nicht unbedingt gefällt.

Von Anfang an hatte Schlesinger angekündigt, der Sender werde „gekrempelt und gerockt“. Und „Motor und Taktgeber“ dafür werde in Zukunft allein das Programm sein. Zuerst wurde das regionale Fernsehprogramm unter Leitung von Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus, den sich Schlesinger von ihrem ehemaligen Stammsender NDR mitgebracht hat, völlig umgekrempelt. Kaum Wiederholungen mehr und Übernahmen von anderen ARD-Anstalten, sondern – insbesondere in der Prime-Time – jede Menge selbstgemachte, auf die Region bezogene TV-Formate: Verbraucher-und Ratgebermagazine, eine humoristische „Abendshow“, ein informativer „Late Night“-Talk oder Live-Reportagen im Dialog mit den Bürgern in Cottbus, beispielsweise, und neue Doku-Reihen und vieles mehr. 

Auch Schlesingers Ziel, den rbb im Ersten der ARD verstärkt sichtbar zu machen, wurde schnell in die Tat umgesetzt. Speziell für den Bereich „Fiction und Dokumentation“ haben Schlesinger/ Schulte-Kellinghaus die experimentierfreudige Martina Zöllner aus hoher Position vom SWR nach Berlin gelockt. Sie hat denn auch flugs mit der eigenwilligen, Theater und TV-Film verknüpfenden Verfilmung von Michel Houellebecqs „Unterwerfung“ für eine neue kulturelle Duftmarke im Abendprogramm von das Erste gesorgt. Zwar ließ die Quote zu wünschen übrig, aber für Programmfeinschmecker, die sich gerne auch jenseits von Mainstream verwöhnen lassen, war es ein Genuss. Eine gute Quote im Ersten hat hingegen die neue, vom rbb verantwortete fiktionale ARD-Serie „Die Heiland“ erzielt, die auf einer echten, aber ungewöhnlichen Berliner Geschichte einer blinden Anwältin basiert. Und: Das ARD-Mittagsmagazins wird seit Anfang dieses Jahres nicht mehr vom BR, sondern im ZDF-Hauptstadtstudio vom rbb produziert. 

Die „Mutter aller Nachrichtenmagazine“, nämlich die Berliner „Abendschau“, hat zwecks „Facelifting“ ein neues Studio bekommen, das multifunktional auch für andere Formate nutzbar ist (s. Beitrag S. 50) Wie zum Beispiel das Nachrichtenmagazin rbb24, das gleichzeitig auch als News-Dachmarke online für die jederzeit aktuelle Nutzung ausgebaut wird. „Rbb24 ist extrem wichtig“, sagt Schlesinger. Damit will sie verstärkt die Aktivitäten im Netz forcieren, wo sich besonders die jüngeren Zuschauer und Zuhörer der Region befinden. Die junge Radiowelle „Fritz“ wurde bereits zu einer multimedialen Plattform mit viel Audio- und Video-Streaming ausgebaut. Und, um mehr Zuschauer, Hörer und Online-Nutzer in der Region zu gewinnen, ließ Schlesinger die knallrote Werbekampagne „Bloss nicht langweilen“ für die Region kreieren, die wird auch mobil via rbb-Fahrzeugen wie SNGs kreuz und quer durch die Region gefahren. Man kann über die rbb-Intendantin, die auch emsig in diversen medienpolitischen Töpfen rührt, um zum Beispiel das Telemediengesetz mit seinen Restriktionen für öffentlich-rechtliche Online-Aktivitäten zu ändern, überhaupt nicht meckern. Es sei denn, man stellt sich gegen Innovation und fortschreitende Digitalisierung. Allein nicht jeden Termin nimmt die vielbeschäftigte rbb-Intendantin so ganz genau.

Der spannendste Sender im ARD-Gefüge

Aber kein Wunder. Für den neuen rbb-Produktions- und Betriebsdirektor Christoph Augenstein, den sich Schlesinger vom großen WDR holte, ist der rbb zurzeit „der spannendste Sender“ im ARD-Gefüge, was fraglos mit der Innovationsbereitschaft der rbb-Intendantin auf allen Ebenen zusammenhängt. Schon vor Augensteins Amtsantritt hatte Schlesinger die rbb-Organisationsstruktur neu geordnet, so dass jetzt auch sämtliche IT-Aktivitäten des rbb Augensteins Direktion zugeordnet sind. Eine solche Integration der IT in die gesamte technologische Senderinfrastruktur hatte Augenstein bereits beim WDR initiiert, wo er zuletzt stellvertretender Direktor für Produktion und Technik war. Augenstein geht davon aus, dass die Effekte der fortschreitenden Digitalisierung in fünf Jahren weit umfassender sein werden als das, was wir in den zurückliegenden 15 Jahren erlebt haben.“ Einer der wesentlichen Treiber für diesen dynamischen Prozess sei die Künstliche Intelligenz (KI). Außerdem sei „die zunehmende Vernetzung von Lebenswelten, die bislang nichts miteinander zu tun hatten und die man unter dem Begriff „Industrie 4.0“ subsummiert, ein Motor der Veränderung.“ Als Beispiel nennt Augenstein interaktive Kühlschränke mit integrierten Fernsehschirmen, wie sie auf der letzten IFA zu sehen waren. Die einen, so meint Augenstein, hielten den sogenannten intelligenten Haushalt für albern. Auf der anderen Seite würden aber auch auf diesem Wege künftig immer mehr Nutzerdaten gesammelt, die letztlich im Sinne von BigData zusammengeführt und ausgewertet werden könnten. Das klingt abstrakt. Als Beispiel für KI in der Medienproduktion nennt Augenstein eine BBC-Prognose. Danach werden in fünf Jahren 80 Prozent aller Nachrichtenfilme mit KI geschnitten, viele Nachrichtenagenturen schnitten bereits heute News-Clips KI-gestützt. Allerdings müsse der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seiner besonderen gesellschaftlichen Verantwortung dazu eine kritische Position einnehmen. 

Schaut man auf die Biografie von Augenstein, stellt man überrascht fest: Von der Ausbildung her ist er gar kein Techniker! Ja, von den Wurzeln her sei er Journalist. Er habe Journalistik, Politik und Literarturwissenschaften studiert. Doch sei seine Berufsbiografie davon geprägt, dass er „die längste Strecke in der Technik und Medienproduktion verbracht“ habe, betont Augenstein. Erst war er freier Journalist. Dann hat er beim WDR die junge bis heute erfolgreiche Radiowelle EinsLive mit aufgebaut. Er war mehrere Jahre Leiter der Intendanz beim WDR, unter Fritz Pleitgen, und hat dabei auch den Aufbau der Internet-Plattformen wdr.de und sport.ard.de vorangetrieben. Ab 2005 übernahm Augenstein die Leitung des Fernsehproduktionsbetriebes beim WDR, den er umfassend modernisierte. Und das ginge nur, wie er betont, „wenn man auch tief in den technischen Themen drin ist“. „Als ich angefangen habe zu studieren, startete in Dortmund das Kabelpilotprojekt, das – zusammen mit drei weiteren Projekten – herausfinden sollte, wie sich die Medienlandschaft und die Nutzungsgewohnheiten in Deutschland durch die Einführung des Kabelfernsehens verändern werden.“ Dort hatte er als freier Journalist gearbeitet. „Meinen ersten Radiobeitrag habe ich selber geschnitten“. Im damaligen Projekt, so Augenstein, herrschten „enge finanzielle Rahmenbedingungen und ein ausgeprägter Innovationsgeist“. Produktion und Programm gingen Hand in Hand. Diese Erfahrung habe ihn bis heute geprägt – insbesondere bezogen „auf die notwendige enge Zusammenarbeit von Programm und Produktion“.

Crossmediales Newscenter

Genau diese Erfahrung ist es, die sich auch in seiner Vorstellung für das crossmediale Newscenter widerspiegelt, das in fünf Jahren am Standort in Berlin in Betrieb sein soll. Man befinde sich in der Frühphase der Planung. „Wir werden sicher in einem künftigen Newsroom sehr viel mehr integrierte Technik haben“, prognostiziert Augenstein: „Heute haben wir noch oft die Separation, also hier den Redaktionsraum, dort den Schneideraum. Dem Arbeitsplatz im Newsroom wird man nicht mehr ansehen, ob er ein Redaktions- oder Produktions- oder Technikarbeitsplatz ist. Der Redakteursarbeitsplatz wird zum Multimedia-Arbeitsplatz.“ Der Newsroom werde wahrscheinlich hinsichtlich der Technik auf einem Schichtenmodell aufsetzen: „Eine sehr leistungsfähige Infrastruktur, vermutlich sehr stark IP-basiert“. Ziel sei es, so zu bauen – architektonisch und technisch –  dass die Medientechnik und Raumzuschnitte für ein zu integrierendes Studio flexibel den crossmedialen redaktionellen Anforderungen folgen können. Auch soll alles variabel für eine längerfristige Zukunft bleiben. Wo genau der crossmediale Newsroom entstehen soll, ist auch dem rbb-Rundfunkrat schon seit einiger Zeit bekannt. Es ist ein Flachbau, den man von den oberen Stockwerken des rbb-Fernsehzentrums in Berlin erspäht (Foto). Er bildet ein Ensemble mit zwei mehr oder weniger brach liegenden Studios, die noch aus den Zeiten des SFB stammen, die aber unter anderem wegen der neuen Kapazitäten, die durch den Aufbau des ORB in Potsdam entstanden waren, nur noch als Lagerräume dienen. Ob der Flachbau zugunsten eines Neubaus abgerissen oder nur umgebaut wird, weiß man noch nicht. 

Doch bevor gebaut wird, werden zunächst Erfahrungen mit neuen Produktionsweisen gesammelt, die in den crossmedialen Newsroom einfließen sollen. Es ist ein Projekt, das Augenstein zusammen mit Programmdirektor Schulte-Kellinghaus bereits der rbb-Belegschaft unter dem Rubrum „Intelligente Produktion 4.0“ präsentierte. Hierbei geht es um smarte, crossmediale Produktion, die Augenstein bereits beim WDR forciert hatte. Allerdings spricht er lieber von intelligenter Produktion. Denn man müsse „bei jedem journalistischen oder künstlerischen Medienprodukt entscheiden, was anforderungsgerecht ist: Was braucht man, um die Idee gestalterisch umsetzen zu können und was ist zugleich aufwandsangemessen?“ Mal brauche man den „großen Werkzeugkasten“, mal nur „das kleine Besteck“. 

Smarte Produktion mit kleinem Besteck

Vorreiter für die smarte Produktion mit kleinem Besteck sind im ARD-Gefüge die jungen Radiowellen. EinsLive beim WDR, „fritz“ beim rbb, die schon zu Multimediaplattformen ausgebaut worden sind, um bei der jungen Zielgruppe Akzeptanz zu finden, die allein mit Radio auch nicht mehr zu gewinnen ist. Während Fernsehen in der Gesamtbevölkerung immer noch das Leitmedium mit einer täglichen Nutzungsdauer von rund 220 Minuten sei, habe man es bei den Jüngeren mit einem „Generationsdrift hin zum Internet“ zu tun. Die Zielgruppe im Alter bis 29 Jahre sei „bereits 274 Minuten pro Tag im Netz und nur noch 105 Minuten vor dem Fernseher“ weiß Augenstein. 

Man werde, so Augenstein, in Zukunft zunehmend Online-first produzieren. Dabei hebt er auch insbesondere das multimediale Nachrichtenportal rbb 24 hervor. Der Redaktion sei früh klar gewesen, „dass sie, wenn es gute Bilder gibt, nicht auf den Beginn der Abendschau warten sollte“. Überhaupt, so ist Augenstein überzeugt, müsse man sein Publikum in allen Lebenssituationen angemessen „abholen“, egal, ob in der Bahn auf dem Weg zur Arbeit, beim Joggen, beim Surfen im Internet oder eben auch abends im Fernsehsessel vor einem 55 Zoll Bildschirm. „Fast alle unsere Radioreporter beim rbb und in der ARD nutzen inzwischen die sogenannte „MuPro App“, die multimediale Produktionsapp“, erläutert Augenstein. So seien die meisten Hörfunkreporter nur noch mit ihrem iPhone unterwegs. Die App gewährleiste die Übertragung der Audiosignale „in einer Qualität, die deutlich über der normalen Telefonqualität liegt“. Für die smarte Produktion im TV-Bereich via LTE oder UMTS stehe mittlerweile auch eine LiveU-App zur Verfügung („Reporter App“), so dass die Funktionalität des LTE-Rucksacks auch mit dem Smartphone genutzt werden kann. Diese beiden Apps würden derzeit „über die gesamte ARD ausgerollt“. „Damit sind Reporter grundsätzlich in der Lage, dort wo sie sind, auch erst einmal Bewegtbild aufnehmen zu können“, kündigt Augenstein an. Denn oft sei eine SNG oder ein klassisches EB-Team nicht so schnell am Ort des Geschehens wie der Reporter. Zwar seien mit Hilfe von Smartphones auch Mehrkameraproduktionen mit fünf und mehr Positionen möglich, aber man müsse auch die Grenzen smarter Produktionsweisen kennen und respektieren, warnt Augenstein. 

Und was genau soll denn nun die Künstliche Intelligenz Tolles für den rbb und den Qualitätsjournalismus leisten? „Wir sprechen da noch von Zukunftsmusik, das ist nicht mein vordringliches Thema. Aber Künstliche Intelligenz wird uns unter anderem bei der Recherche helfen können, wobei die Ergebnisse immer von Journalisten bewertet werden müssen“. Das prominenteste Beispiel heiße Google. Der Algorithmus habe das Thema „Suche“ global revolutioniert. Im Journalismus allerdings sei „Google zugleich Fluch und Segen“, da durch das wechselseitige Zitieren die Überprüfung von Quellen und Erstinformationen immer schwerer werde und die Suchprozesse durch Google zunehmend monopolisiert würden. 

Wobei Schlesinger indessen konstatiert: „Heute konkurrieren wir mit Konzernen und Organisationen um die klügsten Köpfe in der IT-Branche und um digitale Multitalente“. Was soll das heißen? Augenstein erklärt: „Die IT-Branche ist ein Wachstumsmarkt, der wie ein Schwamm Talente aufsaugt“. Und dabei gehe es, „wie in allen Märkten, wo eine Differenz zwischen Angebot und Nachfrage besteht, um viel Geld. Sehr gute IT-Leute haben sehr viele, sehr lukrative Angebote, mit denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk oft nicht mithalten“ könne. Gleichwohl hofft er, kluge Köpfe aus der IT-Branche gewinnen zu können, „weil es unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass wir als öffentlich-rechtlicher Rundfunk für ein tolles Programmprodukt arbeiten“. 

Hand auf’s Herz – ist für ihn als ursprünglicher Journalist und aktueller Technik-Verantwortlicher die Technik als Player im Medienbereich heute wichtiger als früher? Antwort: „Das kann man so einfach nicht sagen. Hier im Haus des Rundfunks in Berlin wurde einmal das erste TV-Gerät weltweit vorgestellt, elektronische Medien waren immer technikgebunden und technikgetrieben. Ohne große Ingenieursleistungen gäbe es weder Hörfunk, noch Fernsehen. Heute fokussiert Ingenieursintelligenz eben sehr stark auf die Weiterentwicklung intelligenter Algorithmen“. Und Augensteins Ziel ist es, „Algorithmen dort nutzen, wo sie unsere Arbeit sinnvoll erleichtern“. Ihm schwebt ein „kluger Einsatz von Algorithmen“ vor: „Ich möchte aber nicht, dass Algorithmen meine Intelligenz übernehmen“.

Langfristige Vision von Augenstein ist: „Wenn der rbb in ein paar Jahren das Image hat, programmlich und technisch der Innovator in der ARD zu sein, wäre das schön. Für einen kleinen Sender mit knappen Ressourcen kein leichter Weg, aber eine schöne Herausforderung“. In ihren ehrgeizigen Zielen sind sich Augenstein und Schlesinger einig. 

Erika Butzek

MB 4/2018