International marktfähig

Es war nicht leicht den indischen Superstar Shah Rukh Khan für den zweiten Teil seines Action-Franchise „Don“ nach Berlin zu bekommen. Doch letztendlich entschlossen sich die Produzenten „Don 2“ in Berlin spielen zu lassen. Um das zu ermöglichen, wurde der Produktion nicht nur der rote Teppich ausgerollt, auch die vorhandene Infrastruktur aus Dienstleistern und international erfahrenen Teammitgliedern spielte eine erhebliche Rolle. Eine Infrastruktur, die seit dem Dreh von Jean-Jaques Annauds „Duell – Enemy at the Gates“ stetig gewachsen ist.

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International marktfähig

Der im Jahr 2000 im Studio Babelsberg und Brandenburg gedrehte Film war die erste große internationale Produktion am Standort. In die Region holte das Projekt der damalige Chef des Art Departments des Studios Rainer Schaper, weil er mit den Motiven für den Dreh punkten konnte.

„Wir haben Annaud ein großes Problem abgenommen, indem ich ihm zeigte, wo und wie er die Wolga inszenieren konnte“, beschrieb der 2001 verstorbene Schaper das Argument, das den Ausschlag für den Zuschlag gab. Kam „Duell – Enemy at the Gates“ noch wegen der Locations in die Region, waren es bei Roman Polanskis „Der Pianist“ im Jahr darauf eher historische Gründe. Beide Filme sind nach Einschätzung des jetzigen Chefs von Studio Babelsberg und Vorstandsvorsitzenden der Studio Babelsberg AG, Dr. Carl Woebcken, die entscheidenden Ausgangspunkte für den Aufbau des Standorts gewesen. „Es braucht viele Jahre bis eine international erfahrene Crew an einem Standort entsteht und sich bei auswärtigen Produzenten die Erkenntnis durchsetzt, dass eine Basis vorhanden ist, mit der man drehen kann.“

Mittlerweile ist es so, dass für internationale Produktionen im Grunde alle Mitarbeiter unterhalb der Head of Departments aus Mitarbeitern rekrutiert werden, die in der Region oder zumindest in Deutschland leben. Und das sind nicht wenige. „Die Crew-Basis ist so groß, dass wir drei bis vier große Produktionen parallel durchführen können“, erklärt Woebcken.

Film Base Koproduzent von Shah Rukh Khan-Film

Aber Studio Babelsberg ist nicht der einzige Produktionsdienstleister vor Ort. „Don 2“ etwa wurde von Film Base betreut. „Der Produzent Ritesh Sidhwani hat im Dezember 2009 mit verschiedenen Produzenten gesprochen, die als Line Producer in Frage kommen, und sich dann für Film Base entschieden, weil er wollte, dass sich der betreuende Produzent nur um seinen Film kümmert“, beschreibt Mathias Schwerbrock, GF von Film Base, warum er den Zuschlag erhalten hat. „Allerdings spielt es auch immer eine große Rolle wie die Chemie zwischen den Beteiligten funktioniert“, fügt Schwerbrock hinzu und verschweigt auch nicht, dass er über erhebliche Erfahrungen bei internationalen Produktionen verfügt, die er unter anderem in China oder Kanada durchgeführt hat.

Zu dem 75-köpfigen Team aus Crew und Schauspielern, das aus Indien für „Don 2“ angereist kam, kamen noch 150 bis 200 deutsche Mitarbeiter hinzu. „Sie stammen alle aus Berlin und Brandenburg und konnten auf Erfahrungen bei internationalen Koproduktionen zurückgreifen“, sagt Schwerbrock. Aber nicht nur die Crewmitglieder profitieren von den Erfahrungen, die sie bei „Die Bourne-Verschwörung“, „Valkyrie“ oder zuletzt bei Roland Emmerichs „Anonymous“ gemacht haben.

Auch die Dienstleister vor Ort sind mit den Erfahrungen gewachsen. „Durch die Hollywood-Produktionen, die hier statt gefunden haben, sind die Dienstleister geübt im Umgang mit internationalen Produktionen“, bescheinigt Schwerbrock den Unternehmen. „Man kann einen Film nicht nur von den künstlerischen Aspekten her aus Berlin heraus machen, sondern auch im drehunterstützenden und Postproduktionsbereich. Man bekommt in Berlin jeden Dienstleister, den man braucht.“

Über die 43-tägigen Dreharbeiten hinaus entstehen in Berlin bei Post Perfect auch die Visual Effects des Films sowie das Sounddesign. Sämtliche Stuntaufnahmen – auch die in Indien und Malaysia – wurden von Hermann Johas Firma Action Image verantwortet und vom Action-Regisseur Matthias Barsch in Szene gesetzt und die Berliner Firma Chris Creature hat sowohl die praktischen als auch digitalen Maskeneffekte gemacht.

Arri engagiert sich am Standort Berlin

So kommt es zu einer Wechselbeziehung zwischen Kreativen und Dienstleistern. Die Dienstleister folgen den Bedürfnissen der Kreativen, die es aufgrund der enormen Möglichkeiten und der Attraktivität der Region nach Berlin zieht. Im Wechsel wertet die Anwesenheit der Dienstleister den Standort aus Sicht von Großproduktionen auf. „Jede Form von Kreativität, sei es Werbung, Film, Grafikdesign, lässt sich gerne in Berlin nieder und das hilft uns, unsere Leistungen anzubieten“, sagt Mandy Rahn, Branch Manager der Berliner Niederlassung von Arri und fügt nicht ohne Selbstbewusstsein hinzu: „So ist der Standort nicht nur durch die Qualität, der dort ansässigen Filmschaffenden und Dienstleister sondern auch durch Arri international marktfähig geworden.“

Die Berliner Niederlassung von Arri, die in den vergangenen Jahren stetig gewachsen ist und sämtliche Hollywood-Koproduktionen des Studio Babelsberg während der Drehphase bearbeitet hat, war Technikdienstleister für „Don 2“. „Die Anforderungen von ‘Don 2’ waren genauso hoch wie die einer Hollywood-Produktion“, sagt Mandy Rahn, die über mehrere Jahre an internationaler Produktionserfahrung verfügt. „Es gab eine sehr sorgfältige Planung und es gab regelmäßige persönliche Treffen.“ Letzteres ist der Hauptgrund für den Ausbau der Berliner Niederlassung, denn Vor-Ort-Beratung und Betreuung spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle. „Im Augenblick verstärken wir unseren Visual Effects-Bereich, weil die hier stattfindenden Produktionen einen Ansprechpartner vor Ort haben wollen“, sagt Rahn. Das beinhaltet unter anderem, dass das Lichtbestimmungskino so ausgebaut wurde, dass es auch für Abnahmen genutzt werden kann.

Die Berlin Brandenburg Film Commission

Der Pool an erfahrenen Teammitgliedern und Dienstleistungsunternehmen ist die Grundlage für die Durchführung von Produktionen mit ihren teils erheblichen Beschäftigungs- und Sozialleistungseffekten in der Region Berlin-Brandenburg. Dies ist auch dem lokalen Förderer Medienboard Berlin-Brandenburg klar. Und so bedankte sich MBB-GF Kirsten Niehuus beim Advents-Branchentreff der MBB im vergangenen Jahr auch explizit bei jenen Teammitgliedern und Dienstleistern, die den Erfolg der in der Region gedrehten Filme auf Festivals und beim Publikum mit ermöglicht haben.

Die Medienboard stellt nicht nur Fördermittel zur Verfügung, um einen weiteren Produktionsanreiz für die Region zu geben, sie arbeitet daran die Voraussetzungen für den Standort kontinuierlich zu verbessern. Etwa mit Hilfe des 1996 eingerichteten Koordinationsbüro, das 1999 in Berlin Brandenburg Film Commission (BBFC) umbenannt wurde. Die BBFC ist eine Abteilung der Medienboard und wird seit 2001 von Christiane Raab geleitet. „Wir sind im Hintergrund tätig und bereiten den Boden, um gute Grundbedingungen für die Dienstleister zu schaffen, die die Produktionen letztendlich durchführen“, sagt Film Commissioner Raab. „Insofern sind wir im Grunde eine Art Lobbyist für die Film-, Fernsehen- und Werbefilm-Industrie.“ Für internationale Produktionen, die Dienstleister und Motive suchen, ist die BBFC zwar oft der erste Ansprechpartner in der Region, doch sie verbindet die Produzenten rasch mit lokalen Dienstleistern oder Line-Producern, die dann übernehmen.

Zu den Aufgaben, die die BBFC für die Branche übernimmt, gehört in erster Linie das Werben bei den Behörden für die Bedürfnisse der Produzenten aber auch das Werben bei den Produzenten über die Funktionsweise von Behörden. „Wir versuchen dafür zu sorgen, dass es eine gemeinsame Sprache gibt und sich die Partner verstehen, denn durch den Dialog im Vorfeld lassen sich viele Konflikte verhindern“, erklärt Raab ihr Selbstverständnis. Damit das besser funktioniert, veranstaltet die BBFC unter anderem einmal im Jahr das Seminar „Bevor die Klappe fällt“, bei dem sich Behördenvertreter, Motivgeber und Filmleute mit ihren jeweiligen Bedürfnissen kennen lernen.

Kommt es dennoch zu Konflikten springt die BBFC als Mediator ein oder sie hilft, wenn es zwischen Motivgebern und Produktion haken sollte. Einige wenige Motive stehen in Berlin jedoch nicht zur Verfügung, wie etwa die Reichstagskuppel. Bei anderen ist viel Sensibilität von Nöten. Das Holocaust-Mahnmal steht zwar zur Verfügung – aber nur wenn seine Funktion Teil des Kontextes der Szene ist. Eine Verfolgungsjagd ist somit nicht möglich. Schwierig ist es auch mit denkmalgeschützten Bauten und Museen. Licht und die Ausdünstungen einer riesigen Crew über mehrere Stunden widersprechen dem konservatorischen Gedanken. Um unangenehme Überraschungen zu vermeiden, rät Raab jedem Produzenten sich rechtzeitig mit den Motivgebern zusammen zu setzen. Insbesondere wenn es sich um heikle Szenen handelt, die einen sensiblen Umgang mit dem Motiv verlangen. „Viele Fragen lassen sich mit Hilfe des Motivgebers klären“, weiß sie. „Manchmal bieten sie sogar Lösungen für die Umsetzung von Bildern an.“
Zwar wächst das gegenseitige Verständnis bei Motivgebern und Filmleuten, doch gelegentlich ist die Verweigerungen einer Drehgenehmigung nicht nachvollziehbar. Das Grünflächenamt Mitte etwa untersagt Werbefilmdrehs in Parks, weil sie das Verbot von Werbung in Parks auch auf deren Herstellung überträgt. „Die Werbefilmbranche sollte man nicht als Stiefkind behandeln“, macht sich Raab für die Abschaffung dieser Einschränkung stark. „Werbefilmproduktionen arbeiten ohne Förderung, schaffen ebenfalls Arbeitsplätze und stören durch ihre extrem kurzen Drehzeiten kaum jemanden.“

Eine der wichtigsten Veränderungen aus Sicht der BBFC aber ist die Vereinheitlichung der Genehmigungsverfahren bei den Bezirken. Seit 2005 ist dafür das Zentrale Filmbüro zuständig, das der Verkehrslenkung Berlin untersteht. „Das sind richtige Dienstleister, mit denen man sich treffen und Wünsche und Problemlösungen besprechen kann“, sagt Raab. Über die Drehgenehmigungsverfahren kann man sich auf der Website www.bbfc.de informieren. Dort findet sich auch eine ausführliche Motivdatenbank mit 1.352 Motiven und 27.441 Fotos (Stand: Anfang 2011) sowie den Ansprechpartnern.

Strategien zum Erhalt der Standort-Stärken

Auch wenn die Kapazitäten am Standort beeindruckend sind und man mühelos mehrere Produktionen mit Hollywood-Standard inklusive Postproduktion und Visual Effects parallel herstellen kann, sorgt sich Helge Jürgens, Geschäftsführer der Berliner Union-Film, um den Erhalt der Basis, die dies trägt. „Die Berliner Politik denkt im Medienbereich generell zu fiktional“, meint er. „Doch nur von der Fiktion, also vom Film alleine, kann nicht jeder freie Berliner Arbeitnehmer, ob nun Kameramann, Beleuchter oder Maskenbildner leben. Um auf seine Sozialversicherungstage pro Jahr zu kommen, um nur ein Beispiel zu nennen, braucht man auch die non-fiktionalen Produktionen.

Wenn aber der Entertainment-Bereich nicht mehr vorhanden ist, hat das massive Auswirkungen auf den Medienstandort an sich und die Ressourcen, unter anderem die Studios, die ohne ausreichende Auslastung keine Zukunft haben und dann auch für den fiktionalen Bereich nicht mehr zur Verfügung stehen.“ Um das zu ändern hat sich eine Gruppe von Vertretern der Berliner Fernsehbranche zusammen getan und eine Initiative gestartet, damit der Fernsehstandort Berlin nach dem Wegzug von Sat.1 nach München wieder gestärkt wird. Noch funktioniert die sehr gute Infrastruktur des Medienstandorts, doch sie muss gestärkt werden, um erhalten zu bleiben.

Eine andere Baustelle ist der Visual Effects-Bereich, dem man gerne mehr Aufträge verschaffen möchte. In der Regel werden die Visual Effects im Heimatland des Produzenten hergestellt. Bei dem im Studio Babelsberg gedrehten „Ninja Assassin“ jedoch konnte das Studio als Koproduzent durchsetzen, dass Visual Effects-Dienstleister aus der Region zum Zuge kamen. Dies zog für diese Dienstleister direkte Aufträge aus Hollywood nach sich. Seitdem sind sie nicht nur auf der Landkarte, diese hat sich außerdem noch zu ihren Gunsten verändert. „Ob ein Film am Standort gemacht wird, wird immer mehr davon abhängig gemacht, ob man parallel auch die VFX machen kann, denn bei zwölf Monaten Herstellungszeit für einen Film, muss während des Drehs mit ihnen angefangen werden“, erklärt Studio Babelsberg-Chef Carl Woebcken und berichtet, dass schon Projekte verloren gegangen sind, weil die Förderung durch den Deutschen Filmförderfonds nicht sicher war.

Nach einem Bericht der Potsdamer Neusten Nachrichten seien dies „Superman: Man of Steel“ mit einem geschätzten Budget von 175 Millionen US-Dollar, „Fluch der Karibik – Fremde Gezeiten“ oder „Batman – The Dark Knight Rises“. Dies hat zu einem Schreiben von führenden filmtechnischen Betrieben an Kulturstaatsminister Bernd Neumann geführt. Darin bitten ihn die Unterzeichner, die Kappungsgrenze von vier Millionen Euro für die automatische Förderung durch den DFFF aufzuheben. „Zumindest aber sollte durch eine Voranfrage Planungssicherheit herbei geführt werden, ob der Betrag durch einen Antrag angehoben werden kann“, sagt Woebcken.

Die Förderung durch den DFFF kann durch Gremienbeschluss auf bis zu zehn Millionen Euro erhöht werden. Allerdings wird bei der Akquise von Projekten mit einem so großen Vorlauf gearbeitet, dass nach geltenden Regeln noch gar kein Antrag beim DFFF gestellt werden kann, dessen Beurteilung ebenfalls Zeit in Anspruch nimmt. Als Finanzierungs- und Akquiseinstrument bleibt der DFFF über die vier Millionen Euro hinaus also spekulativ. Das führt zu einem Wettbewerbsnachteil insbesondere gegenüber Kanada, das offensiv Produktionen mit einem hohen Visual Effects-Anteil fördert, um seine VFX-Industrie zu stützen.

Aus diesem Grunde war es für Constantin Film günstiger „Resident Evil 3D“ in Kanada zu drehen als in Berlin, wo immerhin noch Teil 1 des Franchise entstand. Neumann ist sich des Problems bewusst und hat die Produzentenschaft im Vorfeld der Berlinale dazu aufgerufen Vorschläge zu machen, wie man Visual Effects im DFFF besser berücksichtigen könne. Das bedeutet aber auch, dass zumindest im Einzelfall mehr Mittel zur Verfügung stehen müssen, denn Visual Effects als „qualified German spend“ oder „in Deutschland anrechenbare Herstellungskosten“ werden noch nicht sonderlich in Anspruch genommen werden.

Werden sie nun verstärkt hierzulande gemacht, wird die Kappungsgrenze schneller erreicht, wodurch unterm Strich bei hoch budgetierten Produktionen weniger DFFF-Förderung zur Verfügung steht. „Deutschland muss lernen wirtschaftlicher zu denken“, meint Woebcken zu der Gemengelage. Allerdings ist Studio Babelsberg der einzige Betrieb, der aktiv ausländische Produktionen nach Deutschland holt und damit steht es als nicht-englischsprachiger Standort in direkter Konkurrenz zu den ebenfalls wirtschaftlich agierenden Studios in Prag und Budapest. Und denen muss man Standort entscheidende Argumente entgegensetzen. Das sind in der Regel die Locations, mit der Berlin und die Region punkten. Aber viele Locations, so erinnert Woebcken, werden mittlerweile im Computer gebaut – und das geht nun halt mal nicht ohne fähige Visual Effects-Firmen.

Visual Effects in der Region

Diese Firmen gibt es in Berlin und Brandenburg durchaus. Darunter Pixomondo, rise.fx und exozet effects, die auch für Hollywood-Produktionen arbeiten. Nicht nur Manfred Büttner, der sich seit Mitte der 80er Jahre mit digitalen Effekten beschäftigt und als freier Visual Effects-Supervisor in Berlin tätig ist, sich im media.net berlin brandenburg für den VFX-Bereich engagiert und jetzt die Visual Effects-Abteilung der Berliner Niederlassung von Arri weiter ausbaut, sieht das Know-how der hier ansäßigen sieben Firmen, die VFX für Kinofilme machen, auf Weltniveau. „Die Firmen hier sind alle unterschiedlich spezialisiert“, sagt Büttner. „Wodurch man in Berlin grenzenlose Möglichkeiten im VFX-Bereich hat, denn sie können sich ergänzen, obwohl die Zusammenarbeit untereinander bestimmt noch verbessert werden könnte.“

Das tatsächliche Problem ist allerdings die Kontinuität der Aufträge. Zwar ist bei deutschen Produktionen VFX mittlerweile ein fester Bestandteil, doch es gibt noch immer zu wenige von ihnen, um eine hohe Quote von Festangestellten zu rechtfertigen. So müssen freie Mitarbeiter Auftragsspitzen auffangen. Insgesamt aber läuft es laut Büttner für die VFX-Branche der Region ziemlich gut, da das Preisniveau hierzulande gegenüber den USA oder London günstiger ist, so dass es eher problematisch wird die Mitarbeiter zu bekommen, die man haben möchte.

Viele Visual Effects-Artists führen ein wahres Nomadenleben, das sie zu Jobs überall auf der Welt bringt. Bei einem Leben auf der Walz lernt man zwar viel, doch irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem man sich niederlassen möchte. Damit dies geht, muss es aber einen kontinuierlichen Fluss an Aufträgen geben.

„Da Berlin eine ganz eigene Anziehungskraft hat, ist es zumindest unter diesem Aspekt leicht Leute an den Standort zu holen“, sagt Florian Gellinger, Visual Effects Supervisor bei rise.fx. „Aber es wäre doch schöner wenn sie hier auch ihren 1. Wohnsitz haben.“ Und damit eine Basis für kontinuierliche Aufträge entsteht, macht sich nicht nur Matthias Haase von der Potsdamer Visual Effects-Firma Morro Images für eine Visual Effects-Förderung stark. „Wir bilden die Leute hier zwar kostspielig aus, aber um arbeiten zu können, müssen sie woanders hin“, argumentiert er für eine VFX-Förderung.

Andererseits gibt es gute Chancen, dass der Sockel an Aufträgen wächst. Denn um Aufträge zu bekommen, muss man nicht mehr vor Ort sein. Es kann alles Online abgewickelt werden. Nur ein Supervisor als Produktionsvertreter muss noch vor Ort sein. Das führt letztendlich auch dazu, dass der Standort mehr Aufträge erhält und wächst. Dann müssten aber die Kapazitäten an qualifizierten Mitarbeitern ausgebaut werden, so Manfred Büttner. „Für eine mittelstarke Auslastung gibt es genügend Leute“, sagt er. „Doch bei Projekten mit 500 Shots und mehr wird es eng.“ Denn im Gegensatz zu Regisseuren gibt es im Visual Effects-Bereich in Deutschland keine Überausbildung. „Wenn alle Ausgebildeten in Deutschland bleiben würden, wäre die Gefahr von Engpässen vorerst gebannt“, meint Büttner. „Doch viele verlassen Deutschland für attraktive Jobs anderswo.“ Im Augenblick ja auch, weil es hier nicht genügend Angebote gibt. Doch insgesamt sieht Manfred Büttner die Entwicklung positiv. Nur in die VFX-Ausbildung sollte man am Standort dringend investieren, um nicht plötzlich mit zu wenigen Visual Effects Artists dazu stehen. In diesem Bereich bieten zurzeit nur wenige Ausbildungseinrichtungen wie etwa die Media Design Hochschule (MD.H), die das Studienangebot von der Babelsberg Film School übernommen hat, einen eigenen VFX-Studiengang an.

Beispiel: rise.fx

„Die technischen Dienstleister der Region sind Innovationstreiber. Die Techniken, die sie erfinden, ermöglichen Inhalte“, sagt Andrea Peters, Geschäftsführerin des media.net berlin brandenburg. Im Fall von rise.fx kann dies die Firma eventuell zu Oscar-Ehren bringen. Die Visual Effects-Firma hat an „Ninja Assassin“ mitgearbeitet und ist dadurch in die Wahrnehmung der US-Studios geraten. Es kamen Aufträge für „Percy Jackson“ und zuletzt „Harry Potter 7.1“, dessen VFX-Team für den Visual Effects-Oscar nominiert ist. rise.fx konnte die Aufträge für diese Großproduktionen aufgrund eines beschleunigten Produktions-Workflow gewinnen, den die Firma während ihrer Arbeit an dem Matthias Glasner-Film „This is Love“ entwickelte und bei „Percy Jackson“ verfeinern konnte.

Dafür haben sie eine 3D-Umgebung im Compositing aufgebaut, wodurch der Look der Szene und die Kamerapositionen direkt im Bild mit der Regie besprochen und festgelegt werden können. Der VFX-Supervisor von „Ninja Assassin“ hat diese Arbeitsweise gesehen und daraufhin den Auftrag für die im Olymp spielende Endsequenz von „Percy Jackson“ an rise.fx vergeben. Durch die Arbeit an „Percy Jackson“ konnte rise.fx wiederum beweisen, dass diese Produktionsweise für große Hollywood Produktionen adaptierbar ist, wodurch sie den Zuschlag für „Harry Potter“ erhielt.

„Bei deutschen Filmen können wir neue Wege und Lösungen ausprobieren, die unsere Arbeit schneller und effizienter machen, wodurch wir für US-Produktionen wettbewerbsfähig werden“, sagt Florian Gellinger und führt gleich die neueste Innovation vor: eine Verwaltungssoftware, die die Visual Effects-Shots und ihr jeweiliges Bearbeitungsstadium organisiert. Der Härtetest wird gerade mit den 1.200 Shots durchgeführt, die rise.fx für die zweite Staffel der ZDF-Serie „Ion Tichy“ macht. „Um das zu leisten und auf die eigenen Anforderungen schnell und effizient reagieren zu können, sind wir eine der sehr wenigen Visual Effects-Firmen, die reine Software-Entwickler in Vollzeit beschäftigen“, sagt Florian Gellinger nicht ohne einen Anflug von Stolz. Und nur so schafft es rise.fx mit ihrem Workflow nach wie vor schneller zu sein, als Kopisten. „Eine automatisierte Pipeline lässt sich nur durch Eigenentwicklungen, nicht aber durch Add-Ons oder Plug-Ins beschleunigen“, so Florian Gellinger. „Nur durch selbst entwickelte Software kann man durch Anpassungen im Code schnell auf die speziellen Bedürfnisse einer Produktion reagieren.”

Die Stärken der Firma sieht Gellinger in der Konzeptionierung und Ausführung von Environments und beim Digital Matte Painting. Dafür stehen die Strukturen und man kann auf Erfahrung und Software zurückgreifen. Beim Charakter-Design ist es schon schwieriger. „Fotorealistische Charaktere sind das Top-End der Visual Effects“, erklärt Florian Gellinger. „Wir trauen uns das zwar zu, aber um das zu leisten, müssen die Grundlagen aufgebaut werden. Deshalb vergeben Hollywood-Studios Aufträge in diesem Bereich ausschließlich an große Firmen, die auf Bestehendes zurückgreifen können.“

Dass Firmen in Indien oder China sich zu Konkurrenten entwickeln, sieht Gellinger nicht. „Deutschland ist dem Kulturkreis USA viel näher als Indien oder China. Das fängt bei der Art der Farbgebung und den Designs, etwa von Häusern, an und geht bis zum Tempo der Animationen“, erklärt er. „Uns fällt es leichter die Bilder abzuliefern, die dem Auftraggeber vorschweben.“ Auch haben Kalifornien und Berlin einen idealen Zeitunterschied. Am Ende des jeweiligen Arbeitstages wird für den Anderen geliefert. Der ist mit seiner Arbeit dann fertig, wenn der Andere wieder ins Büro kommt.

Besprechungen werden online per Skype oder Cinesync geführt. Cinesync erlaubt es in Echtzeit Markierungen in die Files einzufügen, so dass der Gegenüber immer genau weiß, was gemeint ist. Doch es geht nicht nur um neue Aufträge, sondern auch um ein generelles Umdenken bei der Filmherstellung im digitalen Zeitalter. Bei der Berliner Union-Film macht man sich genau darüber Gedanken. „Wir, die junge Generation, haben ein anderes Selbstverständnis gegenüber digitalen Techniken und wir denken anders als die etablierten Produzenten und Dienstleister, weil wir im digitalen Zeitalter aufgewachsen sind“, sagt Fabian Hoffmann, Absolvent der HFF Konrad Wolf und Abteilungseiter Postproduktion Bild bei der Union-Film. „Während man in der alten Denke Druck mit Druck auszugleichen versucht, setzen wir uns mit allen Beteiligten zusammen und überlegen uns ein individuell auf jede Produktion angepasstes, effizientes Konzept, das die Interessen aller technischen Gewerke, der Kreativen und der Produktions- und Herstellungsleitung berücksichtigt.

Wie eine Art Controlling mit dem Anspruch, das beste Production Value für das jeweilige Produkt zu finden.“ Das Interessante daran ist, dass die Fähigkeiten dazu zwar an den deutschen Filmhochschulen gelehrt werden, von der Produzentenschaft aber nicht immer in dieser intensiven Form angenommen werden. „Produzenten müssen sich von Ihren technologischen Partnern noch ein Stück weiter in die Karten schauen lassen als bisher um die vorhandenen Potentiale vollständig auf zu decken“, sagt Hoffmann. „Im Gegenzug bekommt der Produzent einen Einblick in das Know How des Technologiepartners und kann sich dessen Erfahrungen bereits in der Planung eines Projektes zu Nutze machen“.

Union-Film-GF Helge Jürgens hat die Zeichen der Zeit erkannt. „Das Rollenverständnis Sender-Produzent-technischer Dienstleister muss aufgrund des Paradigmenwechsels durch die digitale Produktionsweise auf den Prüfstand“, fordert er. „Alleine kommt man kaum mehr zurecht. Es geht darum einen umfassenden Ansatz zu finden und nicht durch zunehmendes Sparen und gleichzeitiges Einfordern von immer neuerer Technik die Schraube weiter anzudrehen.“ Dabei geht es Jürgens im besonderen Maße darum, dass er als Dienstleister sicher sein kann, dass sich Investitionen in neue, vielleicht kurzlebigere Techniken auch amortisieren. Hoffmann hingegen möchte ganz weg von dem Begriff „Dienstleister“. Er favorisiert „Technologiepartner“, weil damit der Bewusstseinswandel verdeutlicht wird, der das neue, partnerschaftliche Rollenverständnis bestimmt. „Der Technologiepartner setzt gemeinsam mit dem Auftraggeber dessen Vorstellungen um“, beschreibt Hoffmann den Vorgang. Und das ist etwas Anderes als eine Anforderungsliste zu haben, die zu einem bestimmten Preis erfüllt werden muss.

Natürlich helfen neue Technologien die Möglichkeiten der digitalen Produktion besser auszuschöpfen. Schon seit geraumer Zeit kommen in den USA insbesondere bei Fernsehserien sogenannte Traveling Backlots zum Einsatz. Dies sind On Location angefertigte Hintergründe, die digital eingesetzt werden. So müssen die Schauspieler ihr (Greenscreen)-Studio nicht verlassen, um in Paris spazieren zu gehen oder in San Francisco Gangster zu jagen. Die Berliner Union-Film hat diese Technik mit einem großen Produzenten aus der Region für dessen Zwecke erforscht. In Deutschland wird es noch nicht nachgefragt, ist aber ein Beispiel für eine technische Lösung, die das Produktionsbudget entlasten kann oder bestimmte Formate erst möglich macht.

Am Standort ist alles an Kreativen, international erfahrenen Crew-Mitgliedern, Produktions-, Postproduktions- und Visual Effects-Dienstleistern vorhanden, die für jede Art von Film- und Fernsehproduktion aus Deutschland, Europa oder Übersee benötigt werden. Doch die Sorge geht um, dass Entwicklungen und Anschlüsse verpasst werden könnten, um als Medienstandort weiterhin ganz vorne mitspielen zu können und dass zu große Schwankungen in der Auftragslage negative Auswirkungen auf die Verfügbarkeit qualifizierter Mitarbeiter vor Ort hat. „Wir müssen Wege finden, wie die Firmen auf dem technisch neuesten Stand sind und ihre Leute hier halten können“, nennt media.net berlin brandenburg-GF Andrea Peters die unmittelbaren Herausforderungen.

Um das zu schaffen, gilt es den Non-Fiction-Bereich zu stärken, um eine Basis für Beschäftigung und Auslastung zu erhalten aber auch den Postproduktionsbereichs auf eine stabilere und breitere Basis zu stellen, denn gerade durch die Visual Effects ist die Postproduktion längst Teil der Produktion geworden. Einerseits ist diese Entwicklung ein Argument dafür auch die Endfertigung an dem Ort zu machen, wo der Film gedreht wurde, um an die drehbegleitenden Dienstleistungen nahtlos anschließen zu können, andererseits kann aber auch die Endfertigung nicht hier gedrehter Filme am Standort stattfinden. „Die Endfertigung wird für den deutschen und europäischen Markt immer wichtiger“, sagt Mandy Rahn. „Das bedeutet, dass deutsche Produzenten die Förderung, die sie erhalten, bei europäischen Koproduktionen einbringen können, damit deren Postproduktion hier stattfindet.“ Aus Sicht des media.net berlin brandenburg kommen noch zwei weitere Faktoren hinzu, mit denen die Branche gestärkt werden kann: Dienstleistern im Bewegtbildbereich den Zugang zu anderen Branchen als den Film- und Fernsehbereich zu öffnen sowie die Region stärker international zu vermarkten. Thomas Steiger
(MB 03/11)