Weichenstellung für die digitale Zukunft

Die ARD hat auf der Intendanten-Sitzung in Saarbrücken ihre Strategie für die digitale Medienwelt festgelegt. Gebührenzahler sollen künftig von ARD-Inhalten mehr als bisher profitieren. Geplant sind unter anderem neue Audio- und Videoportale, die Übertragung einer 100-Sekunden-Tagesschau aufs Handy und der Einstieg in das hoch auflösende Fernsehen HDTV zu den Olympischen Spielen in Vancouver 2010.

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Die ARD hat die Weichen für das digitale Zeitalter gestellt. Auf ihrer Sitzung in Saarbrücken haben die Intendantinnen und Intendanten einstimmig die ARD-Digitalstrategie verabschiedet. Das unter Federführung des Saarländischen Rundfunks entstandene Strategiepapier vermittle einen umfassenden Überblick über die Pläne und Positionen der ARD, unterstrich der ARD-Vorsitzende Fritz Raff: „Die Palette reicht von HDTV und Handy-TV über ein Audio- und Videoportal bis hin zu digitalen Zusatzangeboten im Hörfunk. Wir wollen unserem Publikum großen Mehrwert ohne erheblichen Mehraufwand bieten – jetzt kommt es darauf an, dass wir die Politik überzeugen, uns das Tor in die digitale Welt rechtlich zu öffnen.“

Fernsehzuschauer und Radiohörer haben künftig die Möglichkeit, deutlich mehr Sendungen und Inhalte der ARD und ihrer Landesrundfunkanstalten unabhängig von Ort und Zeit zu nutzen. So könne beispielsweise ab dem 16. Juli die stündlich aktualisierte 100-Sekunden-Tagesschau von EinsExtra jederzeit auf dem Handy abgerufen werden. Außerdem werde ein zentral auf www.ard.de zugängliches Audio- und Videoportal rechtzeitig zur Internationalen Funkausstellung (IFA) Anfang September viele Fernseh- und Hörfunkinhalte der ARD und ihrer Landesrundfunkanstalten kostenfrei für einen Zeitraum von sieben Tagen zum Abruf bereitstellen.

Der ARD-Vorsitzende betonte, die ARD sehe in der Digitalisierung die große Chance, dass die Gebührenzahler von den Programmen und Inhalten der ARD noch mehr profitieren als im analogen Zeitalter: „Die Rundfunkgebühr wird in der digitalen Medienwelt zur Content-Flatrate für Qualitätsinhalte.“ Zentrale Aufgabe der ARD in einer immer kommerzialisierteren Welt mit unzähligen Content-Angeboten sei es, den Bürgern Qualität, Orientierung und Verlässlichkeit zu bieten: „Trotz zunehmender Individualisierung und Nischenbildung wird sich die ARD mit den Themen auseinandersetzen, die unsere Gesellschaft als Ganzes angehen.“

Gleichzeitig biete die Digitalisierung auch die Chance, verstärkt jüngere Zielgruppen zu gewinnen, sagte Raff: „Die stark ansteigende Nachfrage nach den Podcast-Angeboten der ARD zeigt erfreulicherweise, dass selbst anspruchsvolle Kulturbeiträge und längere Wortsendungen auch jüngere Zielgruppen erreichen, wenn die Inhalte im Internet abrufbar sind.“ Zudem wolle die ARD den Rundfunk auch in der digitalen Welt als Kulturgut erhalten. „Allerdings müssen wir hinsichtlich Anmutung und inhaltlicher Gestaltung noch mehr auf die nachwachsenden Generationen zugehen.“

Mehrwert für die Gesellschaft schaffen
Die Gremienvorsitzendenkonferenz unterstützt die strategischen Planungen der ARD für die digitale Welt: „Wir halten es für richtig und wichtig, dass die ARD die digitalen Plattformen und Verbreitungswege offensiv nutzt. Allerdings muss die Schaffung von Mehrwert für die Gesellschaft (Public Value) auch und gerade in der digitalen Welt höchste Priorität behalten. In diesem Sinne ist das öffentlich-rechtliche Profil der ARD weiter zu schärfen. Die Digitalisierung bietet neue viel versprechende Chancen, die Jugend verstärkt für das öffentlich-rechtliche Angebot zu gewinnen. Diese Chancen gilt es jetzt konsequent zu nutzen“, sagte der Vorsitzende der Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK) der ARD, Volker Giersch.

HDTV-Einstieg 2010
Den Einstieg in das hoch auflösende Fernsehen HDTV plant die ARD gemeinsam mit dem ZDF für 2010. Die Olympischen Winterspiele in Vancouver im Februar 2010 sollen dann in HD ausgestrahlt. Im Anschluss an die Olympischen Spiele soll das Erste außerdem simulcast in HD über Satellit gesendet werden. In den Folgejahren will die ARD der Marktentwicklung entsprechend weitere ARD-Programme in HD-Qualität ausstrahlen. Gleichzeitig sollen ARD-Programme und -Inhalte zunehmend auch über Handy-TV empfangbar sein.

Schärferes Profil bei Digitalkanälen
Die Intendantinnen und Intendanten der ARD beschlossen in Saarbrücken, das öffentlich-rechtliche Profil der drei Digitalkanäle der ARD weiter zu schärfen: EinsExtra wird sich zu einem umfassenden Informationsprogramm mit verlässlichem Nachrichtenangebot für alle Nutzungsformen und Verbreitungswege weiter entwickeln. EinsPlus soll sich als Ratgeber-, Service- und Wissenskanal profilieren.
EinsFestival wird sowohl in seinen Reportageformaten als auch im fiktionalen Bereich verstärkt ein jüngeres und bildungsaffines Publikum ansprechen. Der ARD-Vorsitzende betonte, die Fortentwicklung der Digitalkanäle folge der Devise „Umbau statt Ausbau“. Mehr als im analogen Zeitalter profitiere die ARD in der digitalen Welt von Synergien, Kooperationen und intelligenter Vernetzung vorhandener Inhalte.

Audio- und Videoportal
Um die Auffindbarkeit von Sendungen und Inhalten zu verbessern, wird die ARD ein über www.ARD.de zugängliches Audio- und Videoportal online stellen, in dem viele Sendungen und Inhalte der ARD-Programme gebündelt werden, die zum Abruf bereitstehen. Rechtzeitig zur Internationalen Funkausstellung in Berlin werden zahlreiche Radio-Beiträge, ausgewählte TV-Sendungen und Podcasts im neuen Design präsentiert. Anders als bei den bisherigen Mediatheken enthalte das Audio- und Videoportal der ARD nicht nur Fernsehsendungen, sondern auch Hörfunk-Beiträge. Dabei nutze die ARD vorhandene Strukturen und Synergien, sagte Raff: „Das Portal ist eine Art virtuelle Eingangstüre, die zu den dezentralen Inhalten der Landesrundfunkanstalten führt. Die Nutzer haben dennoch den Eindruck eines übersichtlichen und funktional einheitlichen ARD-Players.“ Für zusätzliche Orientierung sorgen redaktionelle Module wie „Best of“-Kategorien oder aktuelle Themenpakete.
Peter Boudgoust, Intendant des bei ARD.de federführenden SWR: „Unsere Zuschauer und Zuhörer können im Online-Portal bei ARD.de künftig die beliebtesten Sendungen auch nach deren Ausstrahlung noch nutzen, ganz einfach per Mausklick und selbstverständlich kostenfrei. Wir schaffen hier mit Hilfe der digitalen Technologie einen Mehrwert, der allen zugute kommt.“

Digitale Zusatzangebote im Hörfunk
Auch das Radio will die ARD in der digitalen Welt als eigenständiges Medium weiterentwickeln. Um den Radiohörern den Übergang in das digitale Zeitalter zu erleichtern, dürfe nicht nur technischer, sondern müsse auch inhaltlicher Mehrwert geboten werden, sagte Raff. Die Landesrundfunkanstalten der ARD bereiten deshalb gemeinsame programmliche Konzepte für digitale Zusatzangebote in den Themenbereichen Kinder, Wissen und Integration vor. Dabei würden bereits vorhandene Beiträge und Sendungen zu neuen Formaten zusammengestellt: „Diese Zusatzangebote, die sich aus vorhandenen Beiträgen speisen, werden von einer Landesrundfunkanstalt federführend gebündelt und als Gemeinschaftsleistung der ARD angeboten.“ Das Deutschlandradio sei dabei ausdrücklich zur Mitarbeit eingeladen.
Die ARD kündigte an, ihr Strategiepapier sowohl von Seiten der Gremien der Landesrundfunkanstalten als auch auf ARD-Ebene durch die ARD-Strategiegruppe kontinuierlich weiter zu entwickeln.

Heftige Kritik vom VPRT
Heftige Kritik äußerte der Präsident des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien e. V. (VPRT), Jürgen Doetz, an der ARD-Digitalstrategie. Er bezeichnete sie als „Digitales Utopia auf Kosten der Gebührenzahler und zu Lasten des dualen Rundfunksystems“. Vor dem Hintergrund der EU-Vorgaben zur „Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland“ vom April diesen Jahres und den aktuellen Überlegungen der Länder zur deren Umsetzung dokumentiere das Strategiepapier einen „vollkommenen Realitätsverlust der Intendanten und das maßlose Wunschdenken der öffentlich-rechtlichen Anstalten“. Doetz: „Das Papier ist wenige Wochen nach dem Kompromiss ein Affront für die Länder und die EU-Kommission insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Länder eine Realisierung wesentlicher Elemente der Kommissionsvorgaben im Rahmen einer Zielvereinbarung mit ARD und ZDF zeitnah bereits vor der Umsetzung im 11. Rundfunkänderungsstaatsvertrag ins Auge fassen.“
Der VPRT-Vorstand will sich mit dem ARD-Vorstoß genauer befassen und auf Grundlage einer detaillierten Bewertung in den nächsten Wochen intensive Gespräche mit den Ländern über die Umsetzung der EU-Vorgaben und das ARD-Papier führen.

Er weist in einer ersten Einordnung darauf hin, dass der öffentlich-rechtliche Programmauftrag quantitativ und qualitativ hinreichend konkret beschrieben werden müsse. Der „Public Value Test“, dem neue Angebote der Öffentlich-rechtlichen zukünftig unterzogen werden sollen, müsse anhand konkreter Kriterien präzise ausgestaltet und staatsvertraglich verankert werden. VPRT-Vizepräsident und Vorsitzender des Fachbereichsvorstandes Fernsehen und Multimedia, Tobias Schmid: „Justiziable, überprüfbare Bedingungen, zu denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Aktivitäten ausweiten kann, sind dringend geboten, denn eine unbestimmte Experimentierklausel, die auf dem Grundsatz zu basieren scheint, dass alles vom Grundversorgungsauftrag umfasst ist, was technisch möglich ist, hat mit der Grundidee des dualen Rundfunksystems nichts mehr zu tun. Der Umfang des öffentlich-rechtlichen Auftrags begründet sich zudem nicht auf der Größe seines Archivraums.“ Schmid unterstreicht, dass der Ausbau der digitalen Nachrichtenkanäle, das Umsetzen neuer mobiler und Abrufdienste und der ungezügelte Einkauf von Sportrechten durch ARD und ZDF die wettbewerbliche Schieflage für die privaten Sender weiter dramatisch verschärft. „Wenn die EU-Vorgaben nicht umgehend umgesetzt werden, wird die private Medienwirtschaft durch die aggressive und ungezügelte Expansion der Anstalten nachhaltig und erheblich geschädigt“, meinte Schmid.

VPRT-Vizepräsident und Vorsitzender des Fachbereichs Radio und Audiodienste sowie Geschäftsführer von Radio/Tele FFH, Hans-Dieter Hillmoth, warnte ebenfalls vor den digitalen Expansionsplänen der ARD im Hörfunkbereich: „Nachdem insbesondere die Politik bereits deutlich gemacht hat, dass das vom Deutschlandradio geplante Zusatzangebot ‚D-Plus‛ unzulässig ist, muss den Plänen zur Neukonfektion vorhandener Inhalte zu neuen Zusatzangeboten eine klare Absage erteilt werden. Sie bedeutet die Einführung neuer Programme, die gegen die im Rundfunkstaatsvertrag vorgesehene Deckelung der bestehenden Programmzahl verstößt. Eine Einführung neuer Programme darf es nur im Austausch gegen bestehende Programme geben.“
Als völlig absurd bezeichnet der VPRT den Vergleich der Rundfunkgebühr mit einer von der ARD so bezeichneten „Content-Flatrate“. „Dieses Verständnis der solidarfinanzierten, öffentlich-rechtlichen Gebühr dokumentiert die vollkommene Wettbewerbsausrichtung der Öffentlich-rechtlichen gegenüber den privaten Medien“, kritisierte Doetz.
Eckhard Eckstein (MB 07/07)