Sendetechnik für Turkmenistan

Mit dem Bau des neuen 212 Meter hohen TV-Towers in den Kopet Dagh Bergen, südlich der Turkmenischen Hauptstadt Ashkabat, ist weltweit eine der teuersten fernsehtechnischen Installationen der letzten Jahre verbunden. Profitiert haben davon Broadcast-Hersteller wie Harris, Sony und viele andere. Auch Deutsche Unternehmen waren am Bau maßgeblich beteiligt – insbesondere im Bereich der Sendetechnik.

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Sendetechnik für Turkmenistan

Der Turkmenische Präsident Gurbanguly Berdimuhamedov persönlich bediente am 17. Oktober 2011 ein IconMaster-Kontrollpult von Harris, um den Sendebetrieb des neuen TV-Towers bei Ashkabat („New Ashgabat TV Tower“) zu starten. Der Zeitpunkt war zwar etwas früh gewählt – die technischen Installationen waren noch gar nicht alle abgeschlossen – aber die Eröffnung des neuen Fernsehturms musste unbedingt am Nationalfeiertag der Turkmenen über die Bühnen gehen. Die für den Bau des TV-Towers verantwortliche türkische Firma Polimeks hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das zu schaffen.

2008 hatte die Regierung in Turkmenistan entschieden, die TV-Infrastruktur des zentralasiatischen Landes zu modernisieren. Polimeks erhielt den Auftrag einen 212 Meter hohen TV-Tower mit integriertem Broadcast-Zentrum zu errichten. Die rundfunktechnische Einrichtung realisierte die Polimeks-Tochter und Broadcast-Integrationsfirma Policom Technology. Sie kooperierte dabei insbesondere mit dem Istanbuler Broadcast-Händler und -Integrator Bilgi Park.
Für den Bau benötigte man 18 Monate. Mit der Integration der Broadcast-Technik startete man erst im Juli 2011. Den offiziellen Sendestart schon drei Monate später zu wagen, war also recht ambitioniert.

Das Broadcast-Center mit seinen Büros und Studios ist in einem achtzackigen Stern, dem Nationalwappen Turkmenistans, untergebracht. Insgesamt befinden sich hier 24 Stockwerke mit zehn Studios, 100 Räume für technische und andere Rundfunk-Einrichtungen, Kaffees und Versammlungshalle. 54.000 Quadratmeter Fläche stehen zur Verfügung. Über dem Stern befindet sich ein Drehrestaurant für 200 Gäste – wie auf dem Münchner Olympiaturm – und darüber wiederum die riesige Sendeantenne, die von Kathrein aus Rosenheim pünktlich angeliefert werden konnte.

„Bei diesem Fernsehturm handelt es sich zweifellos um ein besonderes Projekt“, erklärt Dipl.-Ing. Wolfgang Niedhammer vom Kathrein-Fachbereich Rundfunkantennentechnik. Als Projektleiter hatte er die komplette Abwicklung der turkmenischen Sendeantennen-Bestellung begleitet. Die Antenne sorgt für die Abstrahlung der TV-Signale aus dem TV-Tower. „Der neue Fernsehturm mit seinem achtzackigen Stern und einem Drehrestaurant ist nicht nur ein besonders architektonisches Aushängeschild, sondern bietet auch ein paar technische Highlights. Die Glasfassade ist mit einer Fotovoltaikanlage ausgestattet, die den Turm in der Nacht zum Leuchten bringt“, begeistert sich Niedhammer.

„Oguz Khan“, der Stern wurde bereits in das „Guinness Buch der Rekorde“ aufgenommen. Er gilt als weltweit größter Stern, der je von Menschenhand erschaffen wurde. Der Bau des Turms war nicht trivial. Die Turmspitze musste besonders stabilisiert werden. Ashgabad befindet sich schließlich in einem seismisch aktiven Gebiet.
Kathrein hatte im Mai 2011 von Polimeks den Großauftrag für die Lieferung eines kompletten Sendemastes für den Fernsehturm in Ashgabat erhalten. In Rekordzeit wurden die FM-, DAB- und DVB-T-Sendeantennenanlagen hierfür geplant, gefertigt, geliefert und im September 2011 bereits installiert.

Sechs große Sattelzüge waren nötig, um die Sendeantennen, Speisekabel und den 40 Meter hohen Stahlrohrmasten auf dem Landweg nach Turkmenistan zu bringen. Quasi „just in time“ wurden die Kathrein-Teile dann sogleich an den Haken der Lastkräne genommen und auf die Turmspitze gehieft.
Auf der Baustelle wurde 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche mit Hundertschaften von Bauarbeitern und Monteuren gearbeitet, damit auch alles rechtzeitig fertig gestellt werden konnte.
Dass der Zeitdruck immens war, musste auch der Kathrein-Abnahmeingenieur vor Ort feststellen, der sich zwischen Beton- und Fassadenarbeitern den Weg zur Sendeantenne bahnen musste, um dort die abschließenden Einmessarbeiten an der Antenne durchzuführen. „Außergewöhnliche Projekte verlangen eben außergewöhnliche Maßnahmen. Nun bin ich schon über dreißig Jahre bei Kathrein tätig, aber einen solchen Kraftakt habe ich bisher noch nicht erlebt“, resümiert Projektingenieur Niedhammer.

Sendetechnik von Rohde [&] Schwarz

Neben Kathrein war aus Deutschland auch der Münchner Elektronikkonzern Rohde [&] Schwarz am Bau des Fernsehturms beteiligt. Er lieferte und installierte im Auftrag des turkmenischen Kommunikationsministeriums TV- und Radio-Sende- und Messtechnik, darunter vier DVB-T2-Sender, zwölf ATV-Sender, vier DAB-Sender und acht FM-Sender aus der R[&]S NV8600-Serie. Zudem wurden 120 Kleinleistungssender für 60 kleinere Stationen sowie Updates für bestehende DVB-T-Stationen geliefert, die an weiteren Standorten in Turkmenistan installiert werden.

Zum Auftrag gehören auch mehrere tausend Set-Top-Boxen des türkischen Vestel-Konzerns, die den Empfang von DVB-T2 erst ermöglichen. Mit den Boxen wird ein Großteil der Bevölkerung in der Lage sein, künftig hochauflösende digitale Fernsehprogramme zu empfangen. Die Sender von Rohde [&] Schwarz verfügen über eine Sendeleistung von insgesamt 200 kW ERP (Effective Radiated Power). Gesendet werden die TV-Signale analog und digital im DVB-T2-Format. Der Hörfunk geht über den Digitalradiostandard DAB on air. Alle analogen TV-Sender sind für einen späteren digitalen Betrieb vorbereitet. Turkmenistan TV, der staatliche Rundfunk Turkmenistans, überträgt vom neuen TV-Tower aus sechs Kanäle in zwei Multiplexe (vier SD- und simulcast zwei HD-Kanäle).

Rohde [&] Schwarz pflegt gute Kontakte nach Turkmenistan. Schon seit Jahren liefert man in die ehemalige Sowjet-Republik Sendetechnik. 2009 erhielt Rohde [&] Schwarz auch den Auftrag für die Ausstattung des neuen Präsidentensitzes mit modernster Elektronik.
Der neuerliche Auftrag kam nach Angaben des Unternehmens nicht zuletzt aufgrund der hohen Ausfallsicherheit und Robustheit der Produkte von Rohde [&] Schwarz zustande. „Ein wesentlicher Punkt dabei ist das von Rohde [&] Schwarz selbst entwickelte Kühlsystem, mit dem die Sender ausgestattet sind. Es sorgt dafür, dass die Technik trotz der extremen Temperaturschwankungen in Ländern wie Turkmenistan reibungslos und ohne Ausfall läuft“, berichtet Rohde [&] Schwarz-Projektleiter Robert Bleicher.

Die Sender des Münchner Elektronik-Konzerns wurden erst Anfang Oktober nach Turkmenistan geliefert. Insgesamt wurden über 44 Tonnen Material zunächst per Flugzeug nach Baku geflogen, dort auf LKW geladen und schließlich mit einer Fähre übers Kaspische Meer transportiert. Wie für Kathrein war auch für Rohde [&] Schwarz die Installation der Sendetechnik eine echte Herausforderung. „Am und im Fernsehturm herrschte rege Bautätigkeit. Mehr als 3.000 Arbeiter waren damit beschäftigt, den Tower und die komplette Infrastruktur pünktlich zum Jahrestag fertig zu stellen“, sagte Projektleiter Bleicher. Hinzu kam, dass für den Transport der Senderteile nur ein Aufzug zur Verfügung stand.

Um den Baubetrieb für die anderen Firmen nicht zu verzögern, nutzen die Rohde [&] Schwarz-Mitarbeiter dafür die Abend- und Nachtstunden. Bevor mit dem Einbau der Sendeanlagen in einer Höhe von 150 Metern begonnen werden konnte, musste die türkische Baufirma Polimeks die Bautätigkeiten im Senderraum komplett abschließen und die Stromversorgung sicherstellen.

Am Unabhängigkeitstag Turkmenistans ging der erste Sender dann nach nur dreiwöchiger Installationszeit pünktlich in Betrieb, weitere folgten mittlerweile.
Das Fazit von Robert Bleicher: „Das Projekt war eine außergewöhnliche Erfahrung. Rohde [&] Schwarz hat zum ersten Mal in seiner Firmengeschichte so viele Sender an einer Station montiert und in Betrieb genommen, wie nie zuvor. Und Turkmenistan besitzt nun die modernste Sendertechnik, die derzeit am Markt verfügbar ist.“

Technik-Lieferanten

Das im TV Tower integrierte Studio- und Sendezentrum für die Radio- und TV-Programme verfügt über sieben TV- und sechs Radio-Stationen, mit 13 TV-Studios (zwei große, vier mittlere und sieben kleine) und 50 Editing Suiten. Die Kapazitäten sind so ausgelegt, dass die Zahl der Programme weiter ausgebaut werden kann. Zahlreiche renommierte Hersteller sorgten für die technische Ausstattung des turkmenischen Broadcast-Centers. Avid lieferte zum Beispiel Media Composer-Schnittsysteme für die 50 Edit-Suiten sowie ein ISIS-Speichersystem mit 384 TB Kapazität sowie ProTools für den TV-Sound und Radio-Schnitt. Auch Sonys kompaktes Schnittsteuergerät BVE-700A wird im Schnitt eingesetzt. Auch kameratechnisch setzt man vor allem auf Sony. Für den neuen TV-Tower wurden 68 HDC-1550 Studiokameras geordert und 50 weitere Sony-Kameras für die Programm-Akquisition.

Lieferant für die Optiken ist Canon. Beleuchtungstechnik steuerte DeSisti bei, ein Virtuelles Studio kam von Orad/Ultimatte und Headend-Equipment von Thomson. Auch Studer zeigt im Turkmenischen TV-Tower-Flagge. In den größeren Studios finden sich Mischkonsolen vom Typ Vista 9 mit 42 oder 32 Fadern und in den kleineren Studios Vista 5. Studios und Edit Suiten sind mit Tischen von TBC Consoles ausgestattet. Die Vitec-Gruppe ist mit Systemen und Lösungen ihrer Unternehmen Vinten, Vinten Radamec, Sachtler, Anton/Bauer, Autoscript und Integrated Microwave Technologies (IMT) ebenfalls im TV-Tower von Ashkabat vertreten.
Bilgi Park stellte von Anton/Bauer Batterien, Ladegeräte, Adapter, Mounts und Lichtsysteme für Kameras sowie von Autoscript die Teleprompter für alle sechs Kanäle bereit. „Ich arbeite mit Autoskript seit über 20 Jahren zusammen und weiß, dass die Teleprompter des Unternehmens die höchste Qualitätsstufe repräsentieren. Auch Service und Support bei Autoscript stimmen“, erklärte Bilgi Park-Chef Aşkın Erdemir.
IMT lieferte Nucomm CamPac2- und Newscaster DR2-Drahtlos-Equipment für portable HD-Kamerasysteme nach Ashkabat, Vinten Kamera-Support-Systeme, darunter auch einige Supertechno-Kamerakräne. Die russische Firma Prima Telekom war für die Anbindung des neuen TV-Towers mit Glasfaserleitungen verantwortlich sowie für die Installation von RRL-Kommunikationssystemen (RRL = Remote Radio Link) und Kompressions-Equipment.

Den größten Brocken der fernsehtechnischen Ausrüstung sicherte sich Harris. „Mit rund 200 Millionen US-Dollar Wert verzeichnen wir hier einen der größten Aufträge, den in den vergangenen Jahren jemals ein einzelner Broadcast-Hersteller für sich verbuchen konnte“, berichtete Harris-Präsident Harris Morris auf der IBC 2011.
Harris lieferte eine End-to-end-Rundfunklösung, die in Hauptschalträumen, Produktionsstudios, Nachrichtenstudios und Playout-Einrichtungen installiert wurde. Harris-Vertriebspartner Bilgi Park in Istanbul unterstützte Harris maßgeblich bei der Projektplanung.

Zu den von Harris gelieferten Systemen gehören NEXIO Amp Server, NEXIO Farad Online-Speicher, Platinum-Router, Inscriber G7 HD/SD-Grafiksysteme, Playout-Automationssysteme mit integriertem Invenio Asset Management, HView SX Hybrid Multiviewer, Videotek Messtechnik, zahlreiche Signalprozessor-, Distributions- und Konversionslösungen ebenso wie Intraplex Multiplexer-Lösungen und PR[&]E Audio-Konsolen für den Radio-Sender von Turkmenistan TV.
Harris lieferte auch Lösungen, um das erste IPTV-Angebot von Turkmenistan TV zu starten. Dazu gehören unter anderem die Digital Signage-Lösung InfoCaster und die integrierte Medienkonvergenz-Plattform Selenio.
Auch neue Ü-Wagen von Turkmenistan TV stattete Harris mit seiner Technik aus. Die Fahrzeuge – darunter drei 26-Tonner Mercedes Axor – wurden in Frankreich bei ToutenKamion ausgerüstet.

„Das TV-Tower-Projekt beinhaltet einen riesigen TV-Komplex zur Ausstrahlung, Produktion, Akquisition und Postproduktion von HD-Programmen. Er ist beispielhaft für den Einsatz modernster Rundfunktechnik“, betont Policom-Geschäftsführer Emre Dagdeviren. „Als Technologiepartner für dieses komplexe Projekt haben wir Harris ausgewählt, weil das Unternehmen über eine lange Tradition in der Entwicklung und Herstellung von sehr zuverlässigen und robusten Broadcast-Produkten verfügt. Wir wissen, dass wir uns darauf verlassen können, die versprochenen Lösungen geliefert zu bekommen.“ Dagdeviren lobte auch die gute Zusammenarbeit des Harris-Supports mit den eigenen Ingenieuren.

Der Turkmenischen Präsidenten Gurbanguly Berdimuhamedov startete nicht nur persönlich den Sendebetrieb des neuen Fernsehturms, sondern war natürlich auch als Namensgeber des Renommierprojekts aktiv. Auf seinen Vorschlag hin wird es nun offiziell „Broadcasting Center Turkmenistan“ genannt.
Eckhard Eckstein
(MB 03/12)