Erschwerte Bedingungen

Film- und TV-Produktionen in den Bergen sind mit besonderen Anforderungen verbunden. gute Vorausplanung und zuverlässige Logistik sind dabei unverzichtbar. in Südtirol existiert dafür eine spezielle Dienstleister-Infrastruktur, von der unlängst auch die Produktion des Bergsteigerdramas „Everest“ profitieren konnte.

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Erschwerte Bedingungen

Südtirol hat sich als begehrter Drehort etabliert. Dabei hat sich eine besondere Expertise für Berg-Produktionen entwickelt, die sich auch für Live-TV in einer Landschaft mit beeindruckenden Bergpanoramen aktivieren lässt. Maßgeblich dazu beigetragen hat die 2010 gegründete Abteilung Film Fund & Commission der IDM Südtirol/Alto Adige (vormals: BLS – Business Location Südtirol).

Noch ist Südtirol jedoch Domäne des Films, seien es Großproduktionen wie „Everest“ des Isländers Baltasar Kormákur, der eine wahre Begebenheit aus dem Mai 1996 erzählt, bei der mehr als 30 Alpinisten beim Abstieg von einem plötzlichen Wetterumschwung überrascht werden, oder Arthouse-Filme wie „Monte“, des in den USA lebenden iranischen Regisseurs Amir Naderi, in dem der Bergbauer Agostino den Berg zerstören will, dessen Schatten kein Leben im Tal erlaubt. Eine Entwicklung, die Anlass gibt sich näher mit den Erfordernissen zu beschäftigen, die eine Produktion am Berg erfordert, unabhängig davon, ob es sich um Fiktion oder Live handelt, „bleibt die Problematik eines Drehs am Berg doch auch bei Live-Übertragungen dieselbe“, so der Bergführer Arnold Kuntner, der sich darauf spezialisiert hat, schwer zugängliche Motive auszurüsten und drehtauglich zu machen.

Selbst wenn Ausrüstung und Team nicht mit Spezialgerät an einen entlegenen Ort gebracht werden müssen, ist die Logistik in den Bergen immer mit einem besonderen Aufwand verbunden. „Im wesentlichen führt das dazu, dass man mit einem höheren Budget von 20 bis 25 Prozent rechnen muss“, sagt Peter Trenkwalder. „Und da der Erfolg einer Produktion in den Bergen ganz wesentlich von einer effizienten Logistik abhängt, ist es unerlässlich mit einem eingespielten Team zu arbeiten, das sich am Berg auskennt.“ Trenkwalder führt einen Spenglerbetrieb, ist aber auch als Bergführer unterwegs. Zuerst war er im Kulissenbau tätig, jetzt bietet er produktionsbezogene Dienstleistungen aus einer Hand an. Dafür hat er T&P Filmpool gegründet, in der sich eine Reihe von Handwerksbetrieben, Logistikunternehmen und Bergführer zusammen geschlossen haben. Darunter auch Trenkwalders Bruder Pauli, der Bergführer und Psychologe ist.

Etwa 70 bis 80 Prozent der Gebiete in Südtirol sind über Straßen erreichbar. Der Rest wird mit Hilfe von Quads, Pistenwalzen, Schneemobilen, Seilbahnen oder dem Hubschrauber erschlossen. Letzteres ist die teuerste Lösung auch deshalb, weil die Traglast auf 700 bis 800 Kilo begrenzt ist. Braucht man am Set in schwer zugänglichen Lagen Bauten, ist vorher zu überlegen, ob und was man unten baut und in Teilen oder ganz mit dem Hubschrauber nach oben bringt. Zu den Dingen, die jedoch immer an das Set gebracht werden müssen, gehören wettergeschützte Rückzugsmöglichkeiten, Toiletten, Catering, Wasser und nicht zuletzt Strom. Am Set von „Blutgletscher“ auf 2.700 Meter Höhe waren 70 bis 90 Leute zu versorgen, bei „Everest“ auf dem Senales-Gletscher im Schnalstal in über 3.000 Meter Höhe waren es doppelt so viele. Um die Technik und das Basis-Lager zu transportieren und zu lagern, wurden spezielle Lastschlitten sowie eine grenzüberschreitende Transportseilbahn gebaut, da das Set von zwei logistischen Basen aus beliefert wurde. Eine davon lag im österreichischen Teil von Tirol. Trotz Europa musste die Seilbahn an der Grenze auf fünf Meter unterbrochen werden, was zu einem erhöhten Aufwand beim Weitertransport geführt hatte. Der eingesetzte Hubschrauber wurde gleichermaßen als Transport- und Film-Hubschrauber genutzt.

Location Management

Location Management in Südtirol heißt im Grunde das Gleiche, wie überall anders auch: sich um Dreh- und weitere Genehmigungen sowie die Schaffung der erforderlichen Infrastruktur vor Ort kümmern, also Strom, Toiletten, Parkplätze und so weiter. Auch obliegt dem Location Management die Organisation des Baumaterials für das Set. In Südtirol heißt Location Management aber auch, sich mit einer Vielzahl von Behörden und Ämtern auseinanderzusetzen. Essentiell ist dabei natürlich der gute Kontakt zu den Eigentümern vor Ort. Für „Monte“ hat Setaufnahmeleiterin und Location Managerin Debora Scaperrotta eng mit dem Eigentümer der Mayr Alm und der Obereggen AG, dem Betreiber des Skilifts, zu tun gehabt. Beide haben die Dreharbeiten des Arthouse-Films stark unterstützt. Die Obereggen AG hat unter anderem zuerst zehn, dann 25 KW Strom zur Verfügung gestellt, die von der Skistation abgenommen wurden, die circa 100 Meter vom Set entfernt war.

Equipment und Bauten

„Je nach Gelände, Produktionsanforderungen und Budget müssen die richtigen Fahrzeuge für den Transport ausgewählt – oder wie die Schlitten in ‘Everest’ – gebaut werden“, sagt Kuntner, der drehbegleitende und -vorbereitende Aufgaben organisiert und durchführt. „Das komplette Equipment muss bergtauglich sein“, unterstreicht er. „Um das sicher zu stellen, bauen wir vieles selber.“ Der Grund liegt auf der Hand, wie von den Südtiroler Dienstleistern immer wieder betont wird: „Die Firmen und Handwerksbetriebe am Ort zeichnet alle ein tiefes Verständnis zu den Bergen aus, das sich in der Qualität ihrer Dienstleistungen, ihrer Bauten und Anfertigungen niederschlägt.“

Ein besonders leistungsfähiges Transportmittel ist übrigens ein geländegängiger Quad mit Anhänger, mit dem man einiges weg schaffen kann.

Extra für den Einsatz am Berg hat der Kölner Filmgeräteverleih Maier Bros. GmbH, der in Meran eine Niederlassung unterhält, mehrere Geräte der Marke Eigenbau entwickelt, die speziell für das Arbeiten in der Höhe beziehungsweise in unwegsamem Gelände angepasst sind wie etwa einen mobilen Stromerzeuger. „Im alpinen Bereich ist ein hervorragend gewarteter Equipmentpark immens wichtig“, sagt Niederlassungsleiter Hannes Hofer dazu. „Ein Ausfall am Berg bedeutet lange Wege, verlorene Zeit, und somit auch zusätzliche Kosten.“

Was ist zu tun, wenn die Location nicht nur schwer erreichbar ist, sondern auch noch extremem Wetter ausgesetzt ist? Am Set von „Everest“ herrschten Außentemperaturen von 20 bis 30 Grad minus. Als logistische Basislager für die Filmcrew wurden eigens konstruierte Großzelte aufgebaut, die bis auf 10 Grad plus beheizt werden konnten und gegen Sturmböen gesichert waren. Bei der logistischen Planung wurde von Cinealp unter anderem das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) miteinbezogen. Die vier 150 KW-Selbstfahrer-Aggregate wurden auf große Lastschlitten umgesetzt. Insgesamt wurden 16 dieser Großschlitten von einem Südtiroler Betrieb gebaut. Vier davon konnten später an die Produktion des Bond-Films „Spectre“ weiterverkauft werden. Da die Drehorte teilweise die österreichische Staatsgrenze berührten, musste Service-Produzent Cinealp bei der Planung hoheitliche Ansprüche berücksichtigen. Der Bau einer grenzüberschreitenden Materialseilbahn, Lawinensprengungen oder einfach bloß das Verlegen eines Stromkabels von Italien nach Österreich wurden so Gegenstand eines komplexen Staatsvertrags.

Bergführer und Sicherheit

Für die Sicherheit am Set sind die Bergführer verantwortlich. Ihre Anweisungen haben während eines Drehs das gleiche Gewicht wie die Anweisungen eines Kapitäns auf See. Sie entscheiden was möglich ist, um zu verhindern, dass Menschen oder Gerät abrutschen oder gar abstürzen und sie entscheiden ob die Wetterbedingungen es erlauben einen Dreh zu beginnen beziehungsweise fortzusetzen. Das kann schnell zu Irritationen führen, da der Laie sich ankündigende Wetterwechsel nicht erkennen kann. Ist der Wechsel aber auch für sie erkennbar, geschieht alles sehr plötzlich und es ist zu spät abzubauen oder gar abzusteigen. Als Serviceproduzent, der die Mitarbeiter auf dem Lohnzettel hat, ist man in Italien gesetzlich dazu verpflichtet eine Sicherheitsunterweisung durchzuführen. Motive müssen nach ihrem jeweiligen Risiko bewertet werden und es muss ein Notfallplan für sie erstellt werden. Alle Mitarbeiter sind dazu verpflichtet, die Sicherheitsvorgaben einzuhalten. Darüber hinaus gibt es eine Einführung durch die Profi-Bergführer für das allgemeine Verhalten am Berg. Aber auch ganz simple Ratschläge sind nicht zu unterschätzen, sagt Kuntner: „Wer keine Ahnung vom Berg hat, dem sollte man schon besser sagen, dass sie festes Schuhwerk, warme Sachen gegen Kälte sowie Hut und Sonnencreme gegen Sonne mitbringen sollen.“

Am Drehort selbst legt der Bergführer fest, wo Gerät aufgestellt werden kann und wo sich Crew und Schauspieler gefahrlos bewegen und aufhalten dürfen. Dies spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn die Produktion spektakuläre Aufnahmen wünscht, die nicht ohne ein gewisses Risiko zu bekommen sind. Dazu gehören etwa Aufnahmen in der Wand, wie sie für „Der Sommer der Gaukler“ entstanden. Dafür wurde eine Dreh-Plattform in die Bergwand gebaut, die neben Kamera und Kameramann noch drei Menschen tragen musste. Oder bei „Wie Brüder im Wind“ von Gerardo Olivares, in dem Jean Reno und ein Junge an einer Felskante stehen. Die Schauspieler wollten sich dafür nicht sichern lassen. Die Versicherung ließ es jedoch nicht zu und der Bergführer musste die Anweisung letztendlich umsetzen.

Bei besonders großen Produktionen oder Produktionen in entlegenen Gebieten ist neben den in erster Hilfe ausgebildeten Bergführern immer auch ein Arzt dabei, weil man nicht wissen kann, ob im Fall der Fälle auch Flugwetter herrscht. Außerdem muss es ein Zähl-System geben, damit am Ende des Drehtages sicher gestellt ist, dass auch alle gesund vom Drehort zurück gekommen sind.

Im Winter muss der Bergführer auch für Lawinensicherheit sorgen. Bei „Nanga Parbat“ wurde etwa eine Schneewand weg gesprengt und bei „Wie Brüder im Wind“ eine Wechte, das ist ein Schneeüberhang, der jederzeit abbrechen kann.

Wetter und Schnee

Neben der Logistik ist in den Bergen vor allem nicht das Wetter zu unterschätzen. „Das größte Problem am Berg ist immer das Wetter“, sagt Kuntner. „Gerade im Winter ist es schwierig einen Zeitplan einzuhalten, weil man sich den Schnee- und Wetterverhältnissen anpassen muss.“ Das man in den Bergen flexibel sein muss, zeigte auch eine so große und detailliert durch getaktete Produktion wie „Everest“. „Letztendlich war man auch dort gezwungen täglich zu improvisieren“, meint Kuntner. „Aber mit einem eingespielten Team, auf das man sich hundertprozentig verlassen kann, funktioniert auch das. Deshalb sollte man auf Leute zurückgreifen, die sich kennen und einen lokalen Bezug haben.“ Auch sollten die Teammitglieder in der Lage sein vor Ort Reparaturen an der Technik auszuführen, da ein Austausch mit hohem Zeitverlust verbunden ist.

Sogar im Sommer und Herbst ist das Wetter eine Größe. „Das Wetter ist eine echte Herausforderung“, sagt Carlo Hintermann, Service Produzent von „Monte“. „Man kann es nie vorhersagen und es kann zehn Mal am Tag wechseln.“

Was es bedeutet, wenn sich das Wetter im Hochgebirge ändert, glauben viele erst, wenn sie es selbst erlebt haben. So auch die Produktion von „Everest“. Im Südtirol-Budget wurden die ursprünglich kalkulierten bergspezifischen Kosten zunächst radikal gekürzt. Bei der ersten Location-Besichtigung im September 2013 kam es zu einem frühen Wintereinbruch und die Produzenten gerieten in einen Schneesturm. Nachdem sie am eigenen Leib erfahren hatten, was es bedeutet den Tag in Sturm und Kälte zu verbringen, wurden alle Budget-Positionen genehmigt, die vorher gestrichen worden waren, erzählt Florian Mohn, Inhaber der Service-Produktionsfirma Cinealp.

Gelände- und Techniksicherung

Key Grip bei „Monte“ war der bergerfahrene Italiener Paolo Forti, der an seinen freien Tagen schon mal zu mehrstündigen, anspruchsvollen Klettertouren aufbrach. Für die Produktion ein großer Gewinn, weiß er doch wie man sich in den Bergen bewegt und was zu beachten ist. Darüber hinaus ist der Key Grip in Italien generell für die Sicherheit von Crew und Technik verantwortlich. „Wetter, Regen, Schnee. Alles, was hier passiert, hat größere Auswirkungen als auf dem flachen Land“, betont er. „Und: in den Bergen ist nichts flach.“ Selbst dann, wenn es so aussieht und das hat erhebliche Auswirkungen auf den Aufbau der Technik. „Alles muss so aufgebaut werden, dass es nicht abrutschen kann“, sagt er. Das hört sich selbstverständlich an, doch um das zu garantieren, muss der Untergrund geprüft werden, Hilfsmittel gebaut werden, die stabil sein müssen und alle Aspekte so zusammen gefügt werden, dass sie nicht untereinander wegrutschen. Beim Lichtsetzen muss darauf geachtet werden, dass plötzlich aufkommende Böen weder die Lampen noch Bouncer umwehen können. Werden Kameras so an einer Kante angebracht, dass sie über den Abgrund hinüber schwenken können, muss neben der Sicherung von Technik und Crew auch das Gestein gesichert werden, damit es nicht abbricht und womöglich einen Steinschlag auslöst.

Grundsätzlich gilt am Berg: ist das Gefälle größer als 30 Grad, können bei entsprechenden Bedingungen, in der Regel Regen und Schneeschmelze, Felsen und Steine in Bewegung geraten.

Kommt man aus dem Tiefland in höhere Lagen, muss man sich zuerst akklimatisieren. Ist man es gewohnt mehrere Stockwerke zügig nach oben zu laufen, leidet man auf 2.000 Meter Höhe schon nach zwei Treppen an beängstigender Atemnot. Um sich an die dünne Luft zu gewöhnen, die jede Anstrengung zu einer kaum ausführbaren Tätigkeit macht, braucht man etwa eine Woche. „Die Akklimatisierung darf man keinesfalls unterschätzen“, mahnt Florian Mohn.

Aufnahmen mit Drohnen

Die dünne Luft hat aber auch noch andere Nachteile: Aufnahmen mit Drohnen sind nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Immer wieder stehen sie in der dünnen Luft nicht stabil in der Luft oder können nicht aufsteigen. „Hinzu kommt die Mikro-Meterologie, die starke Auswirkungen auf den Drohnenflug hat“, sagt Paolo Forti, der einen Flugschein besitzt und Produktionen auch Drohnenflüge anbietet. Mit Hilfe spezieller Propeller für dünne Luft konnte Forti jedoch einige Drohnenaufnahmen für „Monte“ machen, die Regisseur Armir Naderi überzeugten und auf die er, Forti, stolz ist. „Das zu bewerkstelligen war aber nicht leicht“, fügt er hinzu.

Die dünne Luft nimmt nicht nur Drohnen die Dichte zum Fliegen und den Menschen den Sauerstoff zum atmen, auch Verbrennungsmotoren können ohne ihn keine volle Leistung bringen. „Ab einer bestimmten Höhe verlieren Verbrennungsaggregate pro 1.000 Meter rund zehn Prozent an Leistung und müssen entsprechend angepasst werden“, erklärt Kuntner.

Thomas Steiger

MB 1/2016