Mehrwert durch innovative Technik

Seine dritte Ausgabe widmete die internationale Konferenz Changing the Picture dem Einfluss der Technologie, mit der das Production Value von Film- und Fernsehproduktionen erhöht werden kann. Gerade im Fernsehbereich ist der Druck auf Zeit und Budget besonders hoch, weshalb jedwede technische Innovation, die die Wertigkeit von Produktionen erhöht, gerne gesehen ist.

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Mehrwert durch innovative Technik

An erster Stelle der Veredlung stehen nach wie vor Visual Effects, die bei aufwändigeren TV-Produktionen nicht mehr weg zu denken sind. „VFX ermöglichen Dinge für das Geschichtenerzählen, die es vorher nicht gab“, betont Nigel Stafford-Clark, CEO von Deep Indigo Productions und Produzent der Mini-Serie „Titanic“. Die Serie wäre ohne die 1,2 Millionen Pfund teuren VFX nicht möglich gewesen. Die Produktion hatte allerdings auch das Glück, auf die Visual Effects-Software des Kinofilms zurückgreifen zu können. Doch auch VFX hat seine Begrenzungen. Daher wurde die Szene in James Camerons Film, in der das Schiff senkrecht steht und die Menschen herunter fallen, mit Stuntleuten gedreht. Für die Serie wäre das zu teuer geworden, so dass darauf verzichtet wurde.

Wie Stafford-Clark betonte, sind zwei Dinge bei VFX-lastigen Produktionen nicht zu unterschätzen: der Aufwand an Planung und Unwägbarkeiten, die zwangsläufig dazu führen, dass die Deadline überzogen wird. „Die Schlüsselpositionen müssen von dem Augenblick an miteinander sprechen, in dem das Drehbuch vorliegt. Allerdings weiß man am Anfang nicht wie viel VFX tatsächlich notwendig werden und wie lange die Realisierung dauert, was unweigerlich dazu führt, dass man zum Ende hin anfängt auf dem Boden des Studios zu schlafen.“ Die letzten VFX für „Titanic“ wurden zwei Minuten vor der wirklich letzten, zuvor mehrfach verschobenen Deadline, angeliefert. Auch Action-Kameras ermöglichen Kamerapositionen, die sonst nicht zu realisieren wären. Sei es, weil eine reguläre Kamera zu groß oder zu schwer wäre oder weil günstige Kameras auch kaputt gehen dürfen. „So können wir sie an Orten platzieren, wo es nicht darauf ankommt, ob sie eventuell zerstört werden“, erklärt Michael Klick, Producer der US-Serie „Homeland“, deren fünfte Staffel in Berlin gedreht wurde. Fernsehen, so Michael Klick, von dem ein im Sommer gedrehtes Video-Statement abgespielt wurde, steht immer unter einem immensen Druck: „Der Unterschied zwischen Fernsehen und Kino ist die Zeit. Wir haben acht bis zehn Tage Drehzeit pro Folge und sieben Tage Vorbereitung. Das ist ein großes Ding in diesem Land, weil hier niemand so dreht. Im Grunde springt man dabei von einem Zug auf den anderen. Im Gegensatz dazu hatte die Crew von ‘Captain America: Civil War’ für eine Woche Dreh in Berlin schon Monate vorher mit den Vorbereitungen anfangen können.“

Ob die Kritik am deutschen Drehsystem für Fernsehproduktionen bewusst platziert war, ist unklar, doch damit hatte Michael Klick einen wunden Punkt erwischt. Es fehlt dem europäischen System sowohl an Geld als auch an einer effizienten Drehökonomie, die es erlaubt bereits mit der Ausstrahlung zu beginnen, obwohl die Dreharbeiten noch nicht beendet sind. So wie bei der zwölfteiligen Serie „Homeland“ deren Drehende mit der Ausstrahlung der siebenten Folge zusammen fiel. Die Vorgaben aus den USA setzen die europäischen Sender mehr unter Druck, als sie sich eingestehen möchten. „Die Zuschauer gewöhnen sich an die aus den USA vorgegebenen hohen Standards“, sagt Camilla Hammerich, Executive Producer bei der dänischen DR Fiction und Produzentin der Polit-Serie „Borgen“. „Das ist ein Problem für europäische Serien, weil sie das nicht bezahlen können, obwohl es die Kreativen und Crews durchaus umsetzen können.“

Drehökonomie, gerade bei industriell gefertigten Serien, ist auch für deutsche Produzenten seit geraumer Zeit Thema. „Bei der UFA gibt es eine Zusammenarbeit aller Abteilungen, um effizienter zu sein“, erzählt Jonas Baur, Producer Serial Drama bei der Potsdamer Firma, die bekannt dafür ist Synergien zu nutzen, wo immer es geht. „Das hat uns auf der technischen Seite beim Dreh der Telenovela ‘Mila’ genutzt, indem wir bei Außendrehs Praktiken von den Kollegen aus dem Dokumentar-Bereich übernommen haben.“

Neue Chancen durch Virtual Reality

Auch wenn sich im Serienbereich in Deutschland sehr viel tut, ist der Abstand zur US-Serie noch sehr groß und die Versuche die Lücke zu schließen, müssen eher als Tests betrachtet werden, denn als Strategie die Lücke zu schließen. Und während diese Baustelle noch weit offen und unübersichtlich ist, stehen der Produktionswirtschaft bereits neue Herausforderungen aber auch neue Betätigungsfelder ins Haus: Virtual Reality oder kurz VR.

Seit der IFA sind VR-Brillen das neue große Ding, dem für 2016 der Marktdurchbruch voraus gesagt wird. Die Technik kommt in diesem Jahr auf den Markt, auch Inhalte sind schon für jeden denkbaren Bereich vorhanden, jedoch muss hier dringendst nachgelegt werden. Die Chance also sich mit neuen Erzählformen einen Markteintritt zu verschaffen. Da die Technik einerseits neu und anderseits günstig ist – ein Kranz aus GoPro-Kameras oder die Kodak 360°-Kamera, reichen bereits für den Anfang – ist die Einstiegsschwelle extrem gering.

Noch ist die GoPro aufgrund ihrer Größe die relevanteste Kamera für VR. Das hat die Firma auch erkannt und entwickelt die Kameras entsprechend für den Markt weiter. Allerdings gibt es bereits professionalisierte Lösungen etwa von dem StartUp Jaunt oder von Samsung. VR wird auch schon als Live Stream eingesetzt, funktioniert hier jedoch nur bei großen Bandbreiten.

Virtual Reality zieht den Betrachter in das Geschehen. Dadurch, dass er eine Brille aufhat, die ihn von seiner Umwelt abkapselt, wird er von dem gesteuert, was er sieht. Das beeinflusst den Gleichgewichtssinn genauso wie Emotionen. Man reagiert hier auf Menschen, als ob sie real seien. „VR ist sehr mächtig, weil man damit sehr persönliche Erfahrungen machen kann“, erklärt Henry Stuart, CEO und Mitgründer von Visualise in London. „Es ist echt in den Interaktionen und die Menschen können sich in den Inhalten verlieren. Sie können jemand anderes sein. Das ist unser Ziel als Produzent.“ Zu 3D, das oft mit VR verglichen wird, sagt er: „Man braucht bei 3D Zeit, um sich im Bild zurecht zu finden. Daher hat 3D im Kino nicht funktioniert. Bei VR funktioniert das jedoch sehr gut.“ Alle Medien komprimieren die Handlung beim Erzählen in Zeit und Raum. „Bei VR ist das nicht der Fall“, sagt Thomas Wallner, CEO von Deep aus Toronto. „VR bietet Immersion und überlässt Zuschauern wie es funktioniert. Allerdings ist das ‘Wie’ noch offen, obwohl es bereits Filme in VR gibt.“

Technik als Brücke zum Selbstvertrieb

Sich ausprobieren. Seine eigenen Inhalte produzieren und ins Netz stellen? Dem steht im Grunde nichts im Wege – wenn man weiß wie und wo man sein Publikum erreicht. Abgesehen vom Marketing hat dieser Weg allerdings noch einen anderen Nachteil: geht es um Rechte, Lizenzen und die Verbreitung über andere Kanäle ist man beim Selbstvertrieb rasch am Ende angelangt. Für den Kreativen, der sich einen Namen machen, die kreative Kontrolle sowie die Kontrolle über das Intellectual Property (IP) behalten will, ist eine Plattform wie Vimeo, die nur die technische Infrastruktur zur Verfügung stellt, sicherlich der beste Weg. Die Macher der Serie „High Maintenance“ (s. MB 5/2015, S. 42), die zuletzt exklusiv über Vimeo zu sehen war, machen nun eine Serie für den Kabelsender HBO. „Wir ermöglichen den Kreativen in die Wahrnehmung etwa von HBO zu gelangen und so den Sprung in dieses Ökosystem zu schaffen“, sagt Sam Toles, Vizepräsident Global Content Acquisitions and Business Development bei Vimeo und fügt hinzu: „IP und die kreative Kontrolle sind unverzichtbar.“ Henrik Pabst, Geschäftsführer von Red Arrow International, vertrat bei dem Panel den eher traditionellen Vertrieb. ‘Eher’, weil die Tage des traditionellen Rechtehandels vorbei sind. „Für Produzenten und Vertriebe ist es heute am wichtigsten eigene Rechte zu behalten“, postulierte auch er. Welche das sind, kommt immer auf das Produkt an. Unterm Strich läuft es aber darauf hinaus, dass die Inhalte unkompliziert in den verschiedensten Märkten und kaskadierend auf unterschiedlichen Plattformen vermarktet werden können. Als Beispiele nannte er die Amazon-Serie „Bosch“, an der Red Arrow die Rechte hält und die dänische Reality-Show „Married at First Sight“, die in über 80 Territorien verkauft wurde und von der binnen einem Jahr 20 lokale Versionen lizenziert wurden. Die Urheber der Show sind mit 50 bis 60 Prozent an den Einnahmen beteiligt. „Um so etwas so effizient, schnell und erfolgreich zu leisten, braucht man eine traditionelle Vertriebsfirma“, sagt Henrik Pabst. Doch Red Arrow und Vimeo sehen sich nicht als Gegner, sondern als Ergänzung. „Wenn ich das nächste Mal in New York bin“, sagt Henrik Pabst, „werde ich Vimeo bestimmt etwas verkaufen.“ – „Und ich werde definitiv etwas von Red Arrow kaufen“, erwidert Sam Toles. Und wer weiß mit welchen Talenten Red Arrow in Zukunft zusammen arbeiten wird, die sie auf Vimeo entdecken werden.

Thomas Steiger

MB 1/2016