Paradigmenwechsel bei Geschäftsmodellen

Neben Stero-3D war Smart-TV eines der großen Themen auf der IFA 2011. Smart-TV ist der Consumerbegriff für Hybrid-Fernsehen, das es dem Fernsehzuschauer auf Basis des im Juni 2010 verabschiedeten HbbTV-Standards (Hybrid Broadcast Broadband TV) erlaubt, über seinen Fernseher direkt Inhalte aus dem Internet abzurufen. Erweitert wird Smart-TV durch weitreichende Möglichkeiten weitere Geräte zur Ton- und Bildwiedergabe im Haushalt miteinander zu vernetzen.

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Paradigmenwechsel bei Geschäftsmodellen

Wie auch das Stereo-3D-Fernsehen wird Smart-TV ein fester Bestandteil in deutschen Wohnzimmern werden. Schon seit Jahren bestimmt der Zuschauer immer mehr darüber was er wann schauen möchte. Hatte er eine Sendung jedoch nicht aufgezeichnet, war er auf den Computer als Ausweichmedium angewiesen, um eine Sendung aus einer Mediathek abzurufen. Dies ist nun vorbei. Der NDR verwendet die RedButton-Funktion sogar um den Zuschauer direkt zu seiner Mediathek zu leiten. Mit dem roten Knopf auf der Fernbedienung wird man während der laufenden Sendung direkt zu einer vom Sender vorprogrammierten Anwendung geleitet. In der Regel sind das weiterführende Informationen zur Sendung oder zu einem beworbenen Produkt.

In dem Daily für Fachkunden „IFA Consumer Electronics Unlimited“ heißt es: „Die Verschmelzung von Fernsehen und Internet wird 2011 und in den Folgejahren noch massiv an Bedeutung gewinnen. Sie markiert nicht nur einen Technologie-Trend, sondern auch einen latenten Paradigmenwechsel in den Geschäftsmodellen der CE-Branche: Einerseits führt sie zu einer erfolgreichen Verknüpfung von Endgeräte-Ausstattungen mit Inhalte-Angeboten; andererseits fördert sie aber auch branchenübergreifende Kooperationen zwischen Unternehmen der Hardware- und der Content-Industrie – denn diese werden künftig den geschäftlichen Erfolg maßgeblich bestimmen.“

Bei einem Vortrag der Deutschen TV-Plattform im TecWatch-Forum der IFA präsentierte Vorstandsmitglied Jürgen Sewczyk die 3. aktualisierte Auflage der Informations-Broschüre „Hybrid-TV“ für Verbraucher. Vorgestellt wurde auch die gerade fertig gestellte Studie der TU Ilmenau zu Bedienkonzepten von HbbTV-Diensten. Sie wurde von der TV-Plattform in Auftrag gegeben und hat zum Ziel, die Benutzerführung von „Red Button“-Diensten einheitlicher und somit verbraucherfreundlicher zu gestalten. Der dafür entwickelte Styleguide („White Book Hybrid-TV“) listet 18 Richtlinien in sechs Themenfeldern auf, mit denen sich das Potential von Hybrid-TV weiter entfalten kann. Aus Sicht von Sewczyk ist Smart-TV mit seinen verschiedenen Vernetzungsmöglichkeiten – vor allem mit dem Social Web – einer der Wachstumstreiber beim interaktiven Fernsehen.
Im Rahmen eines Pressegesprächs des Zentralverbands Elektrotechnik- und Elektroindustrie während der IFA stellte Jürgen Boyny, Global Business Unit Director Consumer Electronics der GfK Retail and Technology, aktuelle Marktzahlen zu Smart-TV vor, mit denen er belegte, dass Smart-TV eine feste Größe in der Unterhaltungselektronik geworden ist. Im Juli 2011 waren etwa 50 Prozent der verkauften Fernsehgeräte internetfähig. Ihr Umsatzanteil betrug im Juli 66 Prozent. Insgesamt seien in Deutschland seit Markteinführung dieser Geräteklasse zirka vier Millionen Smart-TV-Geräte verkauft worden. Schritt für Schritt durchdringe das Internet weitere Bereiche, so Boyny. Fernseher mit Internet würden zunehmend zum Standard werden.

In einer aktuellen Studie der Bitkom und der Beratungsgesellschaft Deloitte mahnen die Autoren die Hersteller eindringlich ihre Geräte mit Connectivity – neudeutsch für Anschluss ans Internet – auszustatten, wenn sie weiterhin mitspielen wollen. Bis Ende kommenden Jahres, so die Studie, sollen insgesamt mehr als zehn Millionen internetfähige TV-Geräte in deutschen Haushalten stehen – das wäre dann jeder vierte Haushalt. Augenblicklich haben zwölf Prozent aller Haushalte einen internetfähigen Fernseher.

Den Ruf haben die Hersteller offenbar schon gehört, bevor er ertönte. Fast Jeder bietet Connectivity an und es sind Nachrüstboxen erhältlich, die auch ältere Fernseher zu Smart-TVs machen. Allerdings spielt nicht nur die Verbindung ins Internet eine Rolle, sondern auch die Vernetzung der Geräte untereinander und zwingen die proprietären Lösungen der Gerätehersteller dazu alle Geräte einer Marke zu kaufen. Da erscheint die Kritik am Startpanel der Smart-TV-Anwendungen als ein sehr kleines Übel, da alle Anbieter dem Kunden auch die Möglichkeit geben, an ihren zahlreichen und teilweise auch nur für die eigene Marke entwickelten Apps vorbei, mit Hilfe eines Browsers direkt Inhalte im Netz anzusteuern und anzusehen. Die Kritik entzündete sich an der voreingestellten Belegung der Panels. Wer auf dem ersten Auswahlpanel erscheint, hat eine höhere Chance vom Zuschauer angeklickt zu werden. Hier stellt sich jedoch die Frage, welche (kommerziellen) Apps – beispielsweise bild.de oder faz.net oder gar das Tagesschau-App – aus welchen Gründen vorne erscheinen und ob sich der Zuschauer seine eigenen Panels, wie bei Tablets und Smartphones gang und gäbe, selber zusammen stellen kann. Eine Problematik, die mit der Konkurrenzsituation von Printprodukten im Zeitschriftenhandel vergleichbar ist, wo bereits Gelder für eine bessere Positionierung – etwa um neben der Kasse auszuliegen – fließen sollen.

Ältere Fernseher lassen sich mit Hilfe einer Box mit updatebarer Software als Smart-TV aufrüsten. Angeboten werden sie etwa von Hama, VideoWeb oder Belkin. Letztere konzentriert sich dabei auf die Einbeziehung des Routers als Schaltzentrale, über den alle Wireless-Geräte zusammen laufen. Hama bringt gleich die bekannten Android-Funktionen auf den Fernseher, so dass man nun auch vom Sofa aus auf dem TV-Bildschirm im Internet surfen, chatten, Dokumente bearbeiten, Musik, Bilder und Videos ansehen und Spiele spielen kann. Die Box wird per HDMI mit dem Fernsehgerät und per WLAN oder LAN mit dem Router verbunden. Vom Handy können Daten zudem noch per Bluetooth übertragen werden. Die Box ist mit einem Zwei-Gigabyte-Flashspeicher ausgestattet. An das Gerät lassen sich SDHC-Karten oder Speicher via USB anschließen. Die Fernbedienung funktioniert über eine Bewegungssteuerung ähnlich wie einige Gaming-Konsolen. Bedient werden Smart TVs nicht nur mit Hilfe einer erweiterten Fernbedienung, sondern auch über eine extra designte, kleine Tastatur aber auch das Smartphone oder ein Tablet-PC können bei vorhandener Kompatibilität und mit der entsprechenden Software zur Steuerung eingesetzt werden.

Panasonic hat während der IFA sein Smart-TV-System Viera Connect mit erheblichen Aufwand gepusht. Zurzeit sind 30 Prozent aller Panasonic-Fernseher mit Viera Connect ausgestattet, doch bis kommendes Jahr soll die Zahl auf rund 70 Prozent gesteigert werden, einschließlich der günstigeren Geräte, so Mamouru Yoshida, Senior Vice President von Panasonic. Dahinter steht die Idee, dass Smart TV nicht nur ein Fernseher ist, der mit dem Internet und damit auch mit allen sozialen Medien verbunden ist, sondern dass der Fernseher zur zentralen visuellen Stelle im Haus wird, über das auch auf den PC zugegriffen werden kann, etwa um von dort die Urlaubsbilder sichtbar zu machen. Diesen Gedanken haben alle großen Anbieter aufgenommen und bieten entsprechende Lösungen. Stellen sie zugleich auch noch Handys und Tablet-PCs her, werden diese zu den Schaltzentralen des Netzwerks, zum Smart Hub, wie Samsung seine Entwicklung passenderweise nennt.

Wie attraktiv Smart-TV erachtet wird, zeigt vielleicht das Beispiel Toshiba. Der Hersteller bietet eine Nachrüstbox mit dem Namen „STOR.E TV Pro“ an, die den Zugang ins Netz und auf diverse Online-Dienste via dem hauseigenen Portal Toshiba Places bietet, das wie das Panasonic-System die gesamte Unterhaltungselektronik des Hauses vernetzen soll und darüber hinaus personalisiertes Fernsehen ermöglicht. Toshiba unterstützt auch Videotelefonie über Skype bis zur vollen HD-Auflösung. Dabei soll sich eine gewöhnliche Webcam nutzen lassen, obwohl Toshiba ein eigenes Gerät extra für den Wohnzimmergebrauch anbietet. Bei anderen Anbietern hingegen muss für die Videotelefonie das eigene Kameramodell mit gekauft werden. Gleiches gilt für die Tastaturen, die immer dann notwendig werden, wenn man die Vorgaben, die sich über die Tasten der Fernbedienung anwählen lassen, verlassen möchte. Da spürt insbesondere der Geldbeutel die Nachteile von nichtkompatiblen Lösungen. Das kommerzielle Potential von Smart-TV wird mittlerweile von den ersten Firmen in Geschäftsmodelle umgesetzt. ping24/7, ein Spezialist für E-Commerce-Lösungen im Bereich HbbTV/SmartTV, bietet mit „connept“ eine Benutzermanagement- und Paymentlösung, die TV und Internet medienbruchfrei miteinander verbindet. „connept“ wurde für das internetfähige Fernsehen entwickelt und umfasst die Möglichkeit, mit nur zwei Klicks per TV-Fernbedienung oder aber auch über ein Drittgerät wie ein Smart Phone oder ein Tablet PC direkt über den Fernseher einzukaufen.

Die ProSiebenSat.1 Group baut währenddessen ihr hybrides TV-Angebot aus. Anlässlich der IFA haben zahlreiche Gerätehersteller die Zusammenarbeit mit maxdome der Video-on-Demand-Plattform von P7S1 bekannt gegeben. Dadurch ist das maxdome-Angebot bis Ende 2011 auf annähernd allen neuen hybriden Geräten implementiert.
Zur IFA 2011 baut die Sender-Gruppe zudem auch ihr Werbeangebot für HbbTV aus. Als erste Sendergruppe in Deutschland ermöglicht sie auf ihren HbbTV-Angeboten eine Verlängerung von TV-Spots über die Red-Button-Taste auf der Fernbedienung. Gemeinsam mit Fraunhofer FOKUS und Volkswagen hat die ProSiebenSat.1 Group für die IFA 2011 einen Showcase realisiert. Dafür wurde ein Werbespot der Automobilmarke Volkswagen in ein Format von ProSieben eingebettet und mit der Red-Button-Funktion versehen. Drückt der Zuschauer während des Spots auf die Red-Button-Taste gelangt er zu einer HbbTV-Microsite. Auf dieser Seite kann er über einen innovativen Car-Konfigurator sein Wunschauto zusammenstellen, eine Probefahrt vereinbaren oder seine Kontaktdaten für weitere Informationen hinterlassen. Voriges Jahr zur IFA 2010 starteten die Sender ProSieben und SAT.1 in den HbbTV-Livebetrieb. Dieses Jahr zur IFA folgte der HbbTV-Launch bei kabel eins.

Beim zur RTL-Group gehörenden Sender VOX wurde zur IFA das Internetportal „kochbar“ als HbbTV-Angebot Gemeinschaftsprodukt mit RTL interactive gestartet. Damit startet zur IFA 2011 nach dem RTL digitaltext ein weiteres Angebot der Mediengruppe RTL Deutschland auf Basis des HbbTV-Standards. Das VOX-TV-Bild ist durchgängig in das “kochbar”-HbbTV-Angebot integriert, sodass der Zuschauer keine Sendeminute verpassen muss, während er gleichzeitig in den Rezepten stöbert. Wenn Rezepte innerhalb von VOX-Kochformaten wie „Das perfekte Dinner“ oder „Promi Kocharena“ angeboten werden, erhält der Zuschauer der Sendung die Information „Rezept Einblenden“ auf seinem TV-Bildschirm. Durch Drücken des Red Button wird das Rezept dann sofort eingeblendet.
Thomas Steiger
(MB 10/2011)