Echte Wahrnehmungserweiterung

360-Grad-Content, Virtual Reality 2.0 und Brillensysteme wie Oculus Rift werden wohl schon bald ganz neue, revolutionäre Rezeptionsmöglichkeiten auch im Bereich von Live-Übertragungen eröffnen. MeBuLive sprach darüber mit Wanja B. Kneib von der Kölner Agentur HeadTrip.

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Echte Wahrnehmungserweiterung

Wie wäre es wohl, wenn man ein Spiel der Fußball-WM live aus der Perspektive eines Stadionbesuchers erleben könnte, ohne dabei wirklich physisch vor Ort anwesend sein zu müssen? Wenn man selbst einmal nachschauen könnte, ob der Ball auch wirklich hinter der Torlinie war oder wenn man aus Lust und Laune direkt neben einem Trainer Platz nehmen könnte, um das Spiel mit ihm aus seiner Perspektive zu erleben? Mit Virtual Reality 2.0 ist das alles heute schon in Live-Produktionen theoretisch möglich. Die Frage ist nur, ob sich diese Technik auch als massenkompatibel erweist oder ob sie nur ein Nischenprodukt für den Gaming-Bereich bleibt. Mit Oculus Rift jedenfalls, dem Head-Mounted-Display (HMD) von Oculus VR, ist ein wahrer Hype um die Möglichkeiten der virtuellen Realität entstanden.

Wanja B. Kneib von der Agentur HeadTrip aus Köln ist davon überzeugt, dass 360-Grad-Content und VR 2.0 bei Live-Sportübertragungen, in TV-Formaten als Second-Screen-Angebot oder bei Produktpräsentationen im Bereich Werbung ein riesiges Potenzial haben. Kneib kommt ursprünglich als Kreativer aus der Film- und TV-Branche und ist einer der Gründer der Agentur HeadTrip. Dort ist Kneib für die Kreation und die Produktion von Virtual Reality und 360-Grad-Inhalten verantwortlich. Weiteres Gründungsmitglied ist IT-Projektleiter und Experte für mobile Anwendungen Robin Meijerink. Außerdem an Board sind auch IT-Projektleiter Jörn Allert und Michael Wolan als Experte für digitale Innovation. HeadTrip versteht sich als Full-Service-Agentur für alle Anwendungsgebiete von 360-Grad-Content und Virtual Reality 2.0.

Virtuelle Realität bedeutet eine Wahrnehmungserweiterung für den Menschen. Die letzte Wahrnehmungserweiterung seit der Erfindung des Films, die High Definition Auflösung, haben wir als Rezipienten eher beiläufig mitbekommen. Der Medientheoretiker Walter Benjamin beschreibt in der Geburtsstunde des Bewegtbildes, in Form des Films, dessen Darstellungen als Wahrnehmungserweiterung des Menschen. Er spricht, Bezug nehmend auf Freud, vom optisch Unbewussten, das der Film zutage förderte. Das Full-HD-Bild (1080p Auflösung weiterhin nur über Blu-ray) bedeutete in puncto Schärfe, Farbenreichtum und beispielsweise Super Slow Motion, Bilder unserer natürlichen Umgebung zu sehen, wie es dem menschlichen Auge bisher nicht möglich war. Bevor wir diese letzte Wahrnehmungserweiterung völlig begreifen können, sind 3D-Smart-TVs längst neuer Standard und die nächste Entwicklungsstufe in Sachen Auflösung finden wir mit 4k (Ultra HD) auch schon in meisten neuen Endgeräten.

Die Entwickler von Oculus VR um den jungen Erfinder Palmer Luckey (21) aus Kalifornien, haben mit ihrem HMD eine Virtual Reality Brille geschaffen, die zweifellos eine echte Wahrnehmungserweiterung bietet. Das Stichwort lautet Immersion: Das Eintauchen in eine virtuelle Realität, die mit dem Oculus Rift zum ersten Mal eine Intensität erreicht hat, welche den Hype um das extrem erfolgreiche Kickstarter Projekt und den milliardenschweren Kauf durch Facebook nachvollziehbar macht. Mit der Immersion durch Oculus Rift bewegen wir uns bereits mit einem großen Schritt auf das Erreichen einer vollständigen Immersion zu, wie sie schon in unzähliger Science-Fiction antizipiert wurde. Berühmtes Beispiel ist das Holodeck (holografischer Umgebungssimulator) aus Gene Roddenberry’s „Star Trek – The Next Generation“.

VR-Brillen für den Endkunden werden nach Angaben von Oculus VR bereits im kommenden Jahr (2015) verfügbar sein. Virtual Reality wird dabei aber allem Anschein nach nicht so beiläufig, als eins von vielen neuen Technik-Gimmicks, an uns Rezipienten vorbeigehen. „Das muss man erlebt haben!“ sagt Palmer Luckey und vermarktet geschickt die Oculus-Rift-Experience. Mark Zuckerberg hat die Technik wohl eindeutig überzeugen können und von jedem, der Oculus Rift bereits testen konnte, hört man ebenfalls keinen Widerspruch. Im Gegenteil: „Wir werden einen medialen Quantensprung erleben!“ sagt auch Kneib.

Kneib ist durch einen langjährigen Freund aus der IT-Branche, der viele Jahre im Silicon Valley arbeitete, erstmals auf die Firma Oculus VR aufmerksam geworden. „Er hatte als einer der Ersten in Deutschland das Development Kit 1 in Händen. Das war im Frühjahr 2013 in Hamburg. Dort hatte ich dann die Chance, Oculus Rift im Wohnzimmer des besagten Freundes zu testen. Diese erste Erfahrung mit dem Rift werde ich nie vergessen! Bei mir knallten die kreativen Synapsen durch. Denn man muss so eine Brille erst einmal selber aufgehabt haben und dann nur eins und eins zusammenzählen, um das Potenzial dieser Technologie zu erkennen.“ Nach eben dieser Erfahrung gründete Kneib zusammen mit seinen Partnern die Agentur HeadTrip.

Neben der natürlichen Verbindung von Virtual Reality mit der Gaming-Branche, in der seit Jahren beeindruckende virtuelle Welten erschaffen werden, welche die größtmögliche Immersion des Spielers zum Ziel haben, gibt es noch zahlreiche weitere potenzielle Märkte für VR. Beispielsweise im Bewegtbildmarkt mit Fernsehen und Heimkino. Edutainment und Telemedizin sind weitere Stichworte. Auch die Arbeitswelt könnte von VR profitieren, wenn man als Beispiel an Maschinenbau oder Architektur denkt. Mark Zuckerberg hat noch eine weitere Komponente ins Spiel gebracht: VR für soziale Anwendungen. Das Potenzial ist also immens.

„Es gilt, die Claims für einen gigantischen Milliardenmarkt abzustecken und da heißt es, schnell und gut sein” so Kneib.

HeadTrip als Spezialist für 360-Grad-Content und Virtual Reality 2.0 wurde schon vor dem Facebook-Deal mit Oculus VR gegründet. Nach dem Kauf sehen sich Kneib und Partner in ihrer Einschätzung des Marktpotenzials bestätigt: „Dadurch, dass ein Großmeister des digitalen Business mit so einem Paukenschlag auf den Virtual Reality Zug aufgesprungen ist, kann man noch viel deutlicher machen, dass sich Investitionen in diesem Bereich lohnen.”

Der Deal mit Facebook kann also als klares Signal für Investoren verstanden werden und bestätigt damit, dass VR höchstwahrscheinlich mehr sein wird als Gamingtechnologie. Von diesem Signal ausgehend kommt nun Dynamik in den VR-Markt. Es entstehen neue Produkte und Konkurrenz bei Anbietern von Technik und Dienstleistungen.

Nach dem erfolgreichen Development Kit 1 (Oculus Rift) wird Oculus VR im Juli 2014 das Development Kit 2, genannt Crystal Cove, an seine zahlreichen Vorbesteller ausliefern. Das DK2 wartet dabei für 350 US-Dollar (ohne Zoll und Porto), mit erheblichen technischen Verbesserungen zum Vorgänger auf wie einem OLED-Display mit 1920 x 1080 Pixeln (DK1: LC-Display mit 1280 x 800 Pixeln). Über die sogenannte Low Persistence und das Positional Tracking wird jede Kopfdrehung und -neigung mit dem HMD noch präziser erfasst und die Position des Nutzers im Raum ermittelt. Vom DK2 erwartet sich Kneib, dass das Thema Motion-Sickness, unter der nach Beobachtungen von HeadTrip zurzeit noch rund 15 bis 25 Prozent der Tester nach längerer Anwendung leiden, dann endgültig keine Rolle mehr spielt. Diese Weiterentwicklung wird dann auch im Hinblick auf das im nächsten Jahr erscheinende Konsumer-Modell, mit Sicherheit die wichtigste Verbesserung sein. Spätestens dann entscheidet sich, ob VR-Brillen zu einem Massenprodukt werden oder nicht.

Auch Technikriese Sony ist auf den VR-Zug aufgesprungen und bringt sich mit dem Projekt Morpheus auf dem HMD-Markt in Stellung. Kneib: „Wir beobachten den gesamten Markt sehr genau – sozusagen in Echtzeit – und sind im Besitz von so ziemlich jedem gängigen HMD oder haben die Beta-Versionen vorbestellt. Hier gilt: Noch ist nicht klar, welches System das Rennen macht. Am Ende zählen wie immer hochwertig produzierte Inhalte und diese können wir in Form von digitalen Daten in jedes Endgerät bringen, ob es nun Oculus, Morpheus, Glyph oder CastAR heißt.” Im Bezug auf Kameratechnik arbeitet HeadTrip zur Zeit mit mehreren Anbietern und unterschiedlichen Verfahrensweisen zur Erstellung von 360-Grad-Inhalten. Eines dieser Systeme beinhaltet ein Live-Stitching der Bilder und ein direktes Streaming auf jedes beliebige digitale Endgerät. Das Beispiel eines 360-Grad-Rigs von GoPro zeigt, dass die Technik auch sehr gut bei Action-Sportarten eingesetzt werden kann. Das Rig ist so konstruiert, dass die sechs Kameras eine komplette 360-Grad-Umgebung abbilden. Allerdings muss hier das Material später in der Post mit einer Stitchingsoftware zu einem 360-Grad-Video zusammengefügt werden. Es gibt auch bereits Anbieter, die an 3D-360-Grad-Kameras arbeiten, die auch 4k-Auflösung leisten. HeadTrip steht in Kontakt zu NEXT3D in den USA, die dort bereits mehrere Systeme im Einsatz haben. „HeadTrip ist sowohl in der Lage in HD-Qualität live ins Internet zu streamen als auch mit einer kostengünstigeren Lösung für kleinere Projekte aufzuschlagen“ so Kneib.

Zurück zur Live-Produktion bei Sportübertragungen am Beispiel von Fußballspielen. Über Kooperationen mit Herstellern von 360-Grad-Kamerasystemen ist HeadTrip schon jetzt in der Lage, jede Form von Live-Event in 360-Grad-Realbild-Perspektive als Livestream (Delay ca. 2-4 Sekunden) oder Broadcast abzubilden. „Die Kameratechnik nimmt nicht sehr viel Platz weg, eine Kamera kann zum Beispiel an der Seitenlinie in der Spielfeldmitte zwischen den beiden Trainerbänken aufgestellt werden, jeweils an eine an den Toren, eine als 360-Grad-Spidercam, eine in der VIP-Lounge und an weiteren Stellen“, erklärt Kneib.

Diese einzelnen 360-Grad Live-Streams werden in einem Webportal zur Verfügung gestellt und können dann von dem User individuell ausgewählt und auf einem Computer, Tablet, Smartphone oder aber eben in Virtual Reality 2.0 mit einem HMD angeschaut werden. Wird die Kamera bewegt, wie zum Beispiel bei der 360-Grad-Spidercam, dann bewegt sich der Zuschauer der Kamerabewegung folgend. Wie bei einer normalen Live-TV-Produktion können diese Bilder auch in einer Bildregie auflaufen oder sie werden direkt von der Video-Servertechnik über einen Breitband-Upstream ins Webportal des Kunden gestreamt.

Es gibt bereits Techniken, die es erlauben, Spielsituationen in 3D-Computergrafik umzuwandeln, um sich in dieser Grafik dann mit einem HMD in VR 2.0 frei bewegen und komplett umschauen zu können. Hier können auch Kontextinformationen über Grafiklayer hinzugefügt werden, um dem User eine interaktive und individuell wahrgenommene Erfahrung zu bieten.

Aber auch für andere TV-Formate ließen sich völlig neue Seh-Erlebnisse für den Second-Screen- und zukünftig auch den HMD-User generieren. „Bei Talkrunden, in denen sich der Zuschauer selber umschauen kann, um die Reaktionen der einzelnen Teilnehmer zu sehen, oder bei Realityshows wie ‚Ich bin ein Star – holt mich hier raus’ oder ‚Promi Big Brother’ ist man als Zuschauer wirklich einmal mittendrin. Den 360-Grad-Content können wir in höchster Qualität generieren und durch digitalen Omnichannel-Einsatz (Livestream oder Video on Demand am Computer, Smartphone, Tablet, Smart-TV, HMD, etc.) zur Erweiterung der Distributionswege nutzen“, schildert Kneib die Möglichkeiten, die sich mit der neuen Technik bieten.

Darüber hinaus offerieren die Kölner auch Konzeption und Produktion von CGI (Computer Generated Imagery)-3D Welten für HMDs an. Auch für Apps auf Mobile Devices bietet HeadTrip individuelle Lösungen für 360-Grad-Content an. Kneib betont dabei, dass bei allem VR 2.0 Content der User die stärkste Erfahrung natürlich in Verbindung mit einer VR-Brille wie dem Oculus Rift macht.

Erste Kundenkontakte gibt es auch schon: „Wir haben bereits etliche Gespräche geführt und haben dabei unterschiedlichste Anwendungsbeispiele mit Oculus Rift gezeigt. Die Ergebnisse sind mehr als vielversprechend. Man muss sich nur einmal bei YouTube Videos anschauen, welche die ersten Reaktionen auf die Virtual Reality Erfahrung mit dem Oculus Rift zeigen – so ähnlich sehen unsere Gespräche mit interessierten Unternehmen und Agenturen aus.“ Jeder aus dem Gründungsteam von HeadTrip bringt ein riesiges Netzwerk an Kontakten mit, sodass für das Kölner Unternehmen kein Mangel an potenziellen Kunden besteht. „Und haben wir diese erst einmal soweit, sich die Brille aufzusetzen, kommt der Rest nicht von alleine, aber das Potenzial wird sehr schnell erkannt“, so Kneib.

Als Full-Service-Agentur für 360-Grad-Content und Virtual Reality 2.0 gehört HeadTrip zu einigen wenigen, die sich allein mit der Ausrichtung auf diesen Zukunftsmarkt gegründet und darauf spezialisiert haben. In Europa gebe es eine noch überschaubare Anzahl von Dienstleistern, die zum Teil auch schon länger am Markt seien, so Kneib. „360-Grad-Produktionen sind ja keine komplette Neuheit, aber es kommt auch auf die kreative Umsetzung und die Kontakte an.”

Für potenzielle Kunden gibt es natürlich die Möglichkeit, Oculus Rift zu testen und damit VR 2.0 Dienstleistungen von HeadTrip live zu erfahren. Kneib: „Wir kommen gerne bei ernsthaft interessierten Unternehmen vorbei und entführen sie auf eine virtuelle Reise mit innovativsten Erlebnissen. So mancher war sehr verwundert, dass er dann doch nur auf seinem Schreibtischstuhl in seinem Büro saß …“

Axel Kersten

MB 4/2014