Extrem dynamische Bilder

Die Hahnenkamm-Abfahrt auf der Streif in Kitzbühel gilt als das gefährlichste und spektakulärste Ski-Rennen weltweit. Entsprechend groß ist Jahr für Jahr die mediale Aufmerksamkeit. Hoher Aufwand wird dazu bei der TV-Übertragung getrieben. Produktionstechnisch und redaktionell wird sie vom Hostbroadcaster ORF immer weiter optimiert. mebulive sprach vor Ort mit den TV-Machern.

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Extrem dynamische Bilder

Bereits zum 79. Mal organisierte der Kitzbüheler Ski Club (K.S.C.) in diesem Jahr das Hahnenkamm-Rennen und bereits zum 60. Mal, seit 1959, wurde es im Fernsehen übertragen. Im Wettbewerb sind heute die drei alpinen Disziplinen Abfahrt, Super-G und Slalom. Das Highlight dabei ist ganz klar die Abfahrt auf der legendären „Streif“. Sie gilt als gefährlichste Abfahrtsstrecke der Welt. Alle, die hier die gut drei Kilometer in weniger als zwei Minuten herunter rasen, bewegen sich am absoluten Limit. Jeder, der unbeschadet im Ziel ankommt, wo bis zu 35.000 Zuschauer warten, hat eigentlich schon gewonnen. Knüppelharte, eisige Pisten, Hänge mit bis zu 85 Prozent Gefälle, gefahrene Geschwindigkeiten von über 140 Km/h und bis zu 80 Meter weite Sprünge (an der sogenannten „Mausefalle“, gleich acht Sekunden nach dem Start) sorgen für spektakuläre Bilder, die von einem Millionenpublikum weltweit gesehen werden.

Für die Weltbild-Produktion zeichnete als Hostbroadcaster wieder der Österreichische Rundfunk (ORF) mit Chef-Regisseur Michael Kögler und Produktionsleiter Erwin Sochurek verantwortlich. Das ORF-Team vor Ort bestand aus insgesamt 150 Mitarbeitern. Der ORF hatte für die Weltbild-Produktion des Hahnenkamm-Rennens 2019 seinen FÜ22 Ü-Wagen im Einsatz und für die Produktion des nationalen Signals den FÜ32. Für den Transport des benötigten umfangreichen technischen Equipments benötigte der ORF in Kitzbühel zudem drei Rüstwagen und fünf große Container. „Das ist hier sicher eine der größten Produktionen für den ORF in Österreich“, betont Sochurek, der bereits seit 2001 die Produktion des Hahnenkamm-Rennens für den ORF betreut.

Im Weltbild-Ü-Wagen des ORF waren beide Regien besetzt. In der Subregie wurde der Vorschnitt für die Kameras an der oberen Streckenhälfte gemacht. Oben am Berg, in der Nähe der „Mausefalle“, gibt es eine abgesetzte Bildtechnik, die Signale der oberen Einzelkameras über Glasfaser zum Ü-Wagen schickt. „An der Streif ist sehr viel vorverkabelt. Das hilft uns bei der Signalübertragung natürlich sehr“, erklärt Sochurek. Die Vorverkabelung habe man in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit dem K.S.C. realisiert. „Vom Grundsetting her hat sich gegenüber dem Vorjahr nicht viel verändert. Es sind allerdings noch ein paar Effekt- und Remote-Kameras dazu gekommen“, sagt der ORF-Produktionsleiter.

Auf dem Technik-Compound beim Hahnenkamm-Rennen 2019 waren neben dem ORF auch ZDF, SRG und Tele Zürich mit eigenem Gerät vertreten. Das ZDF produzierte mit eigener Mannschaft und Präsentationsplattform ein unilaterales Signal für Deutschland. Das wurde im eigenen SNG vor Ort mit dem Weltbild kombiniert. Über Presenter-Positionen verfügten in Kitzbühel zudem neben ORF, SRF und ZDF auch RSI (italienische Schweiz), YLE (Finnland), NRK (Norwegen) und SVT (Schweden). „Die Sender richten sich ihre Presenter-Positionen selbst ein und bekommen von uns nur den Platz und die Leitung zur Verfügung gestellt“, erklärt Sochurek. Anschlusskästen zur Verkabelung gibt es am Ü-Wagen-Standplatz und im Studiobereich neben dem Zielraum der Streif. Der ORF hatte in Kitzbühel für weitere Sender 37 Reporterkabinen verkabelt und mit Monitoring zum Empfang des internationalen Signals ausgerüstet.

Wetterprognose zwingt zum Umbau

Ungünstige Wetterprognosen sorgten in diesem Jahr dafür, dass das gesamte Rennwochenende umgestellt werden musste. Die Hahnenkamm-Abfahrt, die traditionell Samstag über die Bühne geht, wurde auf den Freitag vorverlegt. Am Samstag wurde der Slalom- und am Sonntag der Super-G-Wettbewerb ausgetragen. Für die TV-Produktion bedeutete das kurzfristig zusätzliche Umbauarbeiten bei den Kamerapositionen. Per Hubschrauber musste Equipment von der Streif zum Ganslernhang (Slalom) und dann wieder zurück zur Streif geflogen werden. Für solche Umbauarbeiten gibt es jedoch einen Plan, den der verantwortliche ORF-Kameramann Alexander Stangl im Vorfeld des Rennens erstellt hat. „Gemeinsam mit der Regie ist er für die komplette Kameraplanung zuständig und gewährleistet, dass bei Umbauten die nötigen Kameras auch an der richtigen Stelle stehen“, erklärt Sochurek. Für den Umzug der Kameratechnik mit Helikoptern und das Umrouten der Signale im Ü-Wagen würde man rund zwei bis drei Stunden benötigen.

Regisseur Kögler betrachtet die kurzfristigen Umbauarbeiten ganz entspannt. „Das betrifft hier vorwiegend die Techniker. Bei denen muss ich mich auch bedanken, weil die hier Großartiges leisten und es schaffen, dass wir den Berg zweimal umbauen: einmal von Abfahrt auf Slalom und dann zurück auf den Super G. Das bedarf einer enormen logistischen Leistung“, meint er. „Vom Gefühl her ist der Freitag für mich natürlich ein anderer Tag als der Samstag mit der großen Abfahrt. Aber das ist Kitzbühel. Das ist das bedeutendste Rennen im ganzen Wintersport. Das ist wie Superbowl, Wimbledon oder Augusta Masters in anderen Sportarten. Deswegen ist das immer faszinierend, egal an welchem Tag die Abfahrt auf der Streif über die Bühne geht.“

Kögler ist bereits seit 30 Jahren in Kitzbühel dabei. Angefangen hatte er als Assistent beim legendären ORF-Sport-Regisseur Lucky Schmidtleitner. Dann verantwortete er das nationale ORF-Programm zum Rennen und seit 2015 das Weltsignal.

Kamerapositionen

„Es gibt jedes Jahr neue Kameras und Kamerapositionen. Das ist immer eine längere Tüftelei. Oft ändern wir die Positionen, wenn sich die Linienführung der Rennstrecke nur um wenige Meter verändert oder wenn es neue technische Möglichkeiten gibt. Wir haben heute auf der ganzen Strecke über 40 Kameras im Einsatz, dazu fünf Minikameras und in diesem Jahr, ganz neu beim Steilhang, noch eine zweite Remote-Kamera“, erklärt Kögler. An der Ein- und Ausfahrt des Steilhangs waren bislang zwei Krankameras (GF-Kräne) und ein Remote-Head im Einsatz. „Ich habe in der Verlängerung der Steilhang-Ausfahrt jetzt noch eine weitere Remote eingesetzt, damit man besser die Phase sieht, wo die Rennläufer darum kämpfen, nicht zum Fangnetz hin abzudriften und die richtige Linie zu finden“, sagt Kögler.

Die beiden Remote-Heads am Steilhang sind auf den A-Netz-Pfosten montiert und werden per Joystick ferngesteuert. Oben im Aufwärmhaus der Streif wird die sogenannte Kamera 0 ebenfalls ferngesteuert.

„Dann habe ich an der ‘Mausefalle’ den Kran tiefer gesetzt, um noch mehr die Steilheit heraus zu arbeiten. Am ‚Lerchenschuss’ waren wir immer auf einem Turm. Das sah immer etwas fad aus. Deshalb haben wir dort jetzt mitten rein eine tragbare Kamera gegeben. Da sieht man besser den Speed und einen Schnapper, der für die Fahrer nicht ungefährlich ist. Und dann habe ich noch diverse Minikameras eingebaut“, sagt Kögler.

Um den „Brückenschuss“ nach der Steilhang-Ausfahrt interessanter zu machen wurden zum Beispiel zwei „Come-and-Go“-Minikameras, wie man sie aus der Formel 1 kennt, verbaut. Sie wurden in der Piste eingegraben. Die eine blickt in und die andere gegen die Laufrichtung der Rennfahrer. „Der dabei erzielte Effekt sieht einfach speedig aus“, sagt Kögler. Eine weitere Minikamera befand sich unter anderem am Ende der Traversen vor dem Sprung in den Zielschuss.

Bei den Super-Slomo-Kameras setzte der ORF wieder auf die Unterstützung von LiveMotionConcept (LMC). Der Dienstleister hatte sechs Kameras im Einsatz, eine beim Sprung zur „Mausefalle“, eine im Bereich der „Karussell“-Passage, hier müssen die Fahrer gegen enorme Fliehkräfte ankämpfen, eine auf einem GF8-Kran bei der Einfahrt in den Steilhang, wo die Fahrer über eine kleine Welle springen, eine beim Sprung an der Hausbergkante unter dem Red Bull-Bogen sowie jeweils eine Tragbare bei der Traverse und im Zielraum. Letztere deckt den kompletten Schlusshang ab und zeigt zusätzlich die Emotionen im Ziel. Dazu kamen noch drei eigene Superzeitlupen-Kameras des ORF, die über den ganzen Hang verteilt waren. Der ORF nutzte in Kitzbühel außerdem vier Krankameras und eine Camcat-Seilkamera.

„Wir brauchen hier so viele Kameras, weil Kitzbühl nun mal das größte Skirennen der Welt ist. Nirgendwo sonst hat man auch so viele Promis als Gäste. Das Storytelling, die Geschichte hinter dem Rennen und seinen Protagonisten, ist hier besonders wichtig. Dabei ist es immer eine Gratwanderung zwischen der Show, die hier geboten wird, und dem Sport. Der muss natürlich immer im Vordergrund stehen.“ Das sei nur mit sehr viel Planungsaufwand zu realisieren. Die TV-Übertragung des Rennens habe sich in den letzten Jahren enorm verändert. „Wenn man Bilder vor wenigen Jahren mit denen von heute vergleicht, fallen große Unterschiede auf. Dann glaubt man, das ist ein anderes Rennen. Dabei dachten wir damals, wir hätten schon das Non-plus-Ultra in der TV-Produktion erreicht“, meint Kögler. Und er sieht noch weitere Optimierungsmöglichkeiten.

Für die 80. Ausgabe des Hahnenkamm-Rennens im nächsten Jahr hätte er gerne eine zweite Seilkamera im Einsatz, am Besten vom Start bis zur Ausfahrt Steilhang. Die mögliche Streckenführung ist bereits ausgerechnet und durchgeplant. Problem ist aber die Finanzierung, zumal wegen des großen Höhenunterschieds ein 50 Meter hoher Turm bei der Ausfahrt Steilhang errichtet werden müsste, was in dem steilen Gelände nicht so einfach ist. „Ansonsten brauchen wir immer mehr Superzeitlupen. Im Grunde müsste jede Kamera Superzeitlupe können. Das muss unser Ziel in der Zukunft sein“, erklärt Kögler.

Superzeitlupen

Bei den eingesetzten Superzeitlupen-Kameras von LMC handelte es sich um drei Antelope Mark II und zwei Sony HDC-4300-Kameras (alle mit 86fach Canon-Optik). Dazu kam noch eine Antelope Pico V2 auf Polecam am Red Bull-Tor. „Die Antelope Mark II-Kameras zeichneten 800 bis 1200 Bilder pro Sekunde auf, die Pico 350 und die Sony-Kameras wurden mit sechsfacher Aufnahmegeschwindigkeit genutzt“, berichtet LMC-Geschäftsführer Felix Marggraff. Die MkII-Kameras wurden an den Stellen eingesetzt, an denen höhere Geschwindigkeiten gefahren wurden. Die Sony-Kameras hatte das Kölner Verleihunternehmen Gearhouse Broadcast Germany bereitgestellt.

Zur Kamerasteuerung setzte LMC zwei Fahrzeuge ein, die auf dem Ü-Wagen-Platz geparkt waren. In einem mit Bildtechnik ausgestatteten Mercedes Vario steuerten zwei Operator alle Kameras aus. Außerdem wurden dort auch zwei Kameras getriggert. „Das getriggerte Signal schicken wir zu zwei eigenen EVS XT3-Servern, die in dem anderen LMC-Auto untergebracht sind. Von dort werden diese High Speed-Sequenzen dann auch gesendet. Die Sony-Kameras liegen direkt auf den EVSen auf, ebenso wie die Pico“, sagte Marggraff. „Mit der Pico-Polecam konnte man die Anfahrt zum Red Bull-Tor zeigen und dann hinter dem Rennfahrer her schwenken. Das gab extrem dynamische Bilder. Weil die Polecam so klein und beweglich ist, kann man mit ihr die Geschwindigkeit der Fahrer und die Steilheit der Rennstrecke sehr gut zum Ausdruck bringen.“

Camcat-Seilkamera

Starke Bilder lieferte auch Camcat. Der Seilkamera-Dienstleister war erstmals beim 74. Hahnenkamm-Rennen vor fünf Jahren mit von der Partie. Damals wurde das Camcat-System allerdings nicht zur Live-TV-Übertragung gebucht, sondern zur Produktion eines Films zum 75. Jubiläum des Rennens. „Das war ganz spannend, weil wir da mit einer Antelope High Speed-Kamera gearbeitet haben. Mit dieser Sonderlösung konnten wir auch in Echtzeit Bilder an den Ü-Wagen liefern. Seit damals sind wir nun jedes Jahr auch für den Hostbroadcaster des Hahnenkamm-Rennens im Einsatz“, berichtet Camcat-Geschäftsführer Alexander Brotzek. Für die Filmproduktion 2013 habe Camcat bis zu 24 potentielle Seilkamera-Strecken entlang der gesamten Streif definiert. „Es gibt einige gute Optionen für eine zweite Seilkamera und Strecken, die auch schon von Luftfahrtbehörden, FIS, Rettungsdiensten und Skiverband genehmigt sind. Die Realisierung steht und fällt halt immer auch mit den Budgets. Ich würde es mir natürlich wünschen, wenn wir in Kitzbühel noch mehr machen könnten“, sagt er. Die aktuelle Camcat-Streckenführung reicht über 600 Meter Luftlinie vom Goasweg, seitlich von der Hausbergkante über die Traverse und den Zielsprung bis hinein ins Ziel. Das Camcat-Seil ist dort an der Tribüne befestigt. Die Steuerung der Kamera erfolgt von einer Plattform am Berg, direkt an der Hausbergkante, aus. Eingesetzt wurde mit dem Camcat-System ein GSS Gimbal, eine B512, die jetzt seit einem Jahr unter Cineflex oder Cineflex pro firmiert. Gyro-Stabilized Systems (GSS) aus dem kalifornischen Nevada City, hatte 2017 Cineflex übernommen. Die GSS-Gründer waren ehemalige Cineflex-Mitarbeiter. „Wir arbeiten fast nur noch mit GSS-Systemen. Die sind deutlich leichter als die früheren Cineflex-Systeme und von der Stabilisierungsleistung her super“, berichtet Brotzek.

Auch Riedel Communications und Wige Solutions waren in Kitzbühel im Einsatz. Beide hatten erstmals das 1.300 Menschen fassende VIP-Zelt an der Streif mit Broadcast- und Event-Technik im Auftrag der Sportmarketing WWP (Weirather, Wenzel und Partner) von Harti Weirather, Hanni Wenzel-Weirather und Burghard Hummel ausgestattet. WPP hält die Vermarktungsrechte am Hahnenkamm-Rennen. Die Unternehmen hatten zuvor bereits bei der Drone Champions League (DCL) zusammen gearbeitet und kennen sich auch von der Formel 1. Das VIP-Zelt in Kitzbühel ist ein beliebter Treffpunkt für Sport und Business.

Thomas Weirather, Sales Direktor der DCL, und Sohn der Ski-Granden Hanni und Harti, lobt das neue Riedel/Wige-Engagement im VIP-Zelt. „In diesem Jahr wurde das dortige Technik-Niveau noch einmal deutlich angehoben. Eine Video-Wall oder die Übertragung mehrerer Live-Feeds in das Zelt gab es bislang nicht“, berichtet er.

Die Kitzbühel-Abfahrt gewann zum dritten Mal übrigens Dominik Paris aus Südtirol. Der schnappte sich auch die Super-G-Goldmedaille bei der Ski-WM 2019 im schwedischen Åre.

Eckhard Eckstein

01.04.2019

© Samo Vidic/Red Bull Content Pool