„In Zukunft komplett über IP“

Während die föderal strukturierte ARD noch an einem Organisationsmodell strickt, um alle ihre regionalen Landessender in ihre künftige Mediathek einzubinden, konnte das ZDF anlässlich der IFA schon einen Relaunch ihrer Mediathek vorstellen, die es bereits seit 2005 gibt. MEDIEN BULLETIN sprach mit dem Leiter der ZDF-Hauptredaktion Neue Medien, Robert Amlung, über den Stellenwert, den die Mediathek inhaltlich, organisatorisch und technisch für die digitalen ZDF-Aktivitäten hat, und über die Probleme, die es vor allem mit den Rechten gibt.

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Ist beim Start der neu aufgestellten ZDFmediathek alles glatt gelaufen, zumal mit den Servern?
Unterm Strich ist alles glatt gelaufen. Die Mediathek ist ein sehr komplexes Gebilde, und so gab es beim Start einige kleine Ruckler, die aber mittlerweile behoben wurden. Die neue Mediathek ist sehr erfolgreich gestartet: Wir haben in der ersten Woche eine Verdoppelung der Nutzerzugriffe erreicht.

Das ZDF will mit der Mediathek Teile seines Programms nicht nur zeitunabhängiger nach dem Motto „Sendung verpasst? Kein Problem. Jetzt auf zdf.de“ anbieten, sondern sie auch als Lockvogel für jüngere Zuschauer nutzen. Beißen die jüngeren Leute dank der Mediathek wirklich wieder beim ZDF an?
Wir hatten die alte Mediathek im Januar und im Februar dieses Jahres im Labor und durch eine Befragung der Nutzer auf der Website getestet. Der Test ergab, dass die Hälfte der Nutzer unter 30 Jahre alt war.

Von welchen bisherigen Erfahrungen und von welchen neuen Zielen haben Sie sich beim Relaunch der Mediathek leiten lassen?
Wir haben gemerkt, dass die Nutzer zunehmend bereit sind, auch bei der Breitbandnutzung längere Videos an einem Stück anzuschauen, zum Beispiel auch eine ganze Folge von einer fiktionalen Serie und nicht nur einen kurzen Beitrag. Darauf hatten wir bereits mit der alten Mediathek reagiert, indem wir immer mehr fiktionale Angebote und Dokumentationen in voller Länge eingestellt haben. Beim Relaunch haben wir die Suchoptionen und die Navigation verbessert. Das war notwendig, weil die alte Navigation, die aus dem Jahr 2005 stammte, darauf eingestellt war, dass man viele kleine Einzelbeiträge findet und nicht ganze Sendungen. Die neue Mediathek berücksichtigt jetzt beides.

Auf der Startseite der neuen Mediathek ploppen jetzt erst einmal „Redaktionstipps“ auf, einzelne Beiträge aus „heute“ wie auch die 100-Sekunden-Ausgabe von „Heute“ für das Handy oder Beiträge aus Magazinsendungen sowie ganze Sendungen wie etwa „Leute“ oder Folgen aus der Telenovela „Wege zum Glück“. Wer sucht diese Redaktionstipps nach welchen Kriterien aus?
Es gibt eine kleine vierköpfige Redaktion, die sich speziell um die Mediathek kümmert und die das in Abstimmung mit den Schwerpunkten, die wir im ZDF-Programm haben, sortiert und passende redaktionelle Schwerpunkte für die Startseite setzt.

Gibt es dabei einen organisierten Kommunikationsfluss zwischen der Mediathek-Redaktion und den verschiedenen Redaktionen des ZDF-Hauptprogramms?
Die Mediathek enthält Programme, die bereits im Fernsehen gesendet wurden. Die Redaktion muss also erstmal wissen, was gesendet wurde, und schauen, welche Rechte zur Verfügung stehen und welche nicht. Dann wird ein Paket geschnürt, das in der Mediathek zu sehen ist.

Wie wird die Rechteproblematik zum Beispiel auch gegenüber externen Produzenten speziell für die ZDFmediathek gehandelt?
Die Mediathek und das Thema Abruffernsehen wird bereits seit Frühjahr dieses Jahres bei allen Rechteverhandlungen des Hauses mit berücksichtigt, gerade auch, wenn neue Produktionen in Auftrag gegeben werden. Bei manchen Produktionen erzielen wir eine Einigung, bei manchen sagen wir auch, das ist zu teuer, das machen wir nicht. Es ist von Fall zu Fall verschieden.

Offenbar behelfen Sie sich dann bei machen Themen mit Bilderserien, wie zum Beispiel kurz nach dem Tod von Pavarotti und die aktuelle Berichterstattung darüber? Wo kommen diese Bilderserien her, und wer stellt sie zusammen?
Die Mediathek ist ein Gefäß für alle multimedialen Inhalte des ZDF. Video hat den größten Anteil, aber es gibt auch Bilderserien, interaktive Specials, zum Beispiel zur Berliner Museumsinsel oder zu bestimmten fachlichen oder wissenschaftlichen Themen wie etwa dem Klimawandel. Die kommen von den Websites zdf.de und heute.de und werden von den Mediathek-Redakteuren gebündelt zusammengestellt.

Als eine Suchoption in der Benutzerführung bieten Sie in der Mediathek auch „Live“ an. Soll unter diesem Angebot künftig das ZDF-Hauptprogramm laufen – zurzeit scheint da ja, zumindest auf dem PC, noch gar nichts zu laufen…?
„Live“ ist zunächst einmal speziell für die Mediathek am PC vorgesehen und ermöglicht unsere Livestreams abzurufen, die wir aber nicht permanent, sondern nur aktuell anbieten. Das gesamte ZDF-Programm können wir dort nicht ausstrahlen, weil wir die Rechte dazu nicht haben. In der TV-Edition wird dort das normale TV-Programm gezeigt, sofern die Technik passt.

Zumindest bis zur IFA stand die Mediathek im Zentrum von Marketing und Kommunikation über alle digitalen Aktivitäten des ZDF. Steht die Mediathek auch auf der technologischen Ebene im Zentrum der ZDF-Digitalisierungsaktivitäten, zumal man die Mediathek über PC, Mobile-TV und dem klassischen Fernsehbildschirm empfangen kann?
Die Mediathek ist ein sehr wichtiger Baustein für die weitere technische Entwicklung des ZDF in der digitalen Welt. Es ist eine Plattform, die über das Internet-Protokoll funktioniert. Und über den IP-Weg erreichen wir eben das Fernsehgerät, den PC und das mobile Handy. Genau das ist ja auch typisch für die neue digitale Fernsehwelt, die in Zukunft komplett über IP laufen wird. Es ist aber nicht die alleinige digitale Baustelle beim ZDF. Ein anderes Thema ist der Wechsel zum hoch auflösenden Fernsehen im Jahr 2010…

Ist HDTV auch für die Mediathek geplant?
HDTV betrifft in Zukunft nahezu alle digitalen Fernsehübertragungswege, weil es der künftige Standard des Fernsehens ist.

Immer mehr Handy-Typen
Welche technischen Voraussetzungen mussten Sie für die Mediathek berücksichtigen, so dass sie auch über verschiedene Handys zu empfangen ist? Und mit welchen Endgeräten ist es zurzeit möglich?

Im Moment ist es so, dass wir nur eine kleinere Gruppe von Handys unterstützen, namentlich die Nokia-Geräte der Serie 60. Im Laufe des Herbstes bis Weihnachten wird das Angebot Schritt für Schritt auf alle gängigen Handy-Typen ausgedehnt. Voraussetzung für den Empfang ist ein Handy, das einen Internet-Browser hat. Den haben mittlerweile alle neueren Handy-Modelle. Man braucht natürlich einen Provider wie Vodafone oder T-Mobile, bei dem man Kunde ist – und einen möglichst günstigen Datentarif, so dass die Übertragung des Videos nicht zu teuer wird.

Wurde die Mediathek in ihrer Navigation und gesamten Gestaltung so konzipiert, dass sie auch 1:1 über das Handy funktioniert?
Unser Ziel ist immer, dass sich der Nutzer spontan wieder findet, nach dem Motto, „aha, das ist die ZDFmediathek, die kenne ich schon“. Egal, ob sie via PC, Fernsehen oder Handy empfangen wird.

Und wie muss der Empfänger ausgerüstet sein, so dass er die Mediathek auf dem normalen Fernsehgerät abrufen kann?
Man braucht einen Wohnzimmer-PC…

Was ist ein Wohnzimmer-PC – und von welchen Herstellern gibt es ihn?
Wohnzimmer-PC ist der Gattungsbegriff für die ersten leisen handelsüblichen Geräte, die die Media Center Edition von Microsoft integriert haben. Seine Funktion ist mit der einer Set-Top-Box vergleichbar. Es werden verschiedene Modelle von verschiedenen Herstellern angeboten, die man alle bereits heute im Laden oder beim Versender kaufen kann.

Die PC Edition der Mediathek, so heißt es in einer ZDF-Mitteilung, sei nach dem Relaunch für die gängigsten Betriebssysteme auf Basis des offenen Video-Standards H.264 ausgelegt. Was heißt das genau?
Wir unterstützen nicht nur Windows-Rechner, sondern auch andere Betriebssysteme wie Mac OS oder Linux. Für die verschiedenen Rechner bieten wir unterschiedliche Videoformate, damit die Videos auch überall funktionieren. Und das heißt in der Praxis, dass wir neben dem proprietären WindowsMedia-Format von Microsoft auch den offenen Standard H.264 unterstützen, der auch auf den Macs und den Linux-PCs problemlos läuft. Wir präferieren offene Standards, die jeder benutzen kann und die es auch auf allen Systemen gibt.

Gibt es neben dem offenen Standard H.264 und dem proprietären WindowsMedia-Format von Microsoft noch andere grundsätzliche technische Grundlagen, um gewährleisten zu können, dass die Mediathek über alle denkbaren digitalen Übertragungswege und Endgeräte empfangen werden kann?
Wir versuchen, wo immer es geht, auf das Internet-Protokoll aufzusetzen, denn der offene Internet-Standard funktioniert auf allen möglichen Geräten bis hin zum Handy. Und das hat auch jeder Hersteller in seinem Gerät berücksichtigt.

Das klingt alles sehr fortschrittlich. Meinen Sie, damit bereits eine absolute Zukunftssicherheit erreicht zu haben?
Ich glaube, dass wir jetzt ein gutes Fundament für unsere mittelfristigen Aktivitäten gelegt haben. Aber die technische Entwicklung ist schnell und man muss sich sicherlich ab und zu an neuen Entwicklungen anpassen. Aber wir glauben, dass wir mit der Grundausrichtung auf offene Internet-Standards eine Basis gelegt haben, die uns über die Jahre bringt.
Gemeinsam haben der ARD-Vorsitzende Fritz Raff und ZDF-Intendant Markus Schächter schon mal – wohl mit Blick auf die Gebührenfestlegungen – angekündigt: „Je erfolgreicher die Mediathek wird, um so teurer wird sie auch.“

Was heißt das genau?
Bei Abruffernsehen bekommt jeder Nutzer seine eigene Verbindung, für die auch wir jeweils etwas zahlen müssen. Und deshalb wachsen bei unserem Sender mit jedem weiteren Nutzer der Mediathek auch die Kosten. Das ist der Unterschied zum klassischen Fernsehen, wo es sich bei den Übertragungskosten um eine fixe Größe handelt, gleichgültig, wie viele Empfänger man dafür hat. Man muss dazu aber gleichzeitig feststellen, dass die Kosten, die wir im Internet für die Übertragung haben, im Vergleich zum klassischen Fernsehen sehr gering sind.
Erika Butzek (MB 10/07)