Anspruchsvoller Umstieg

Der Berliner Nachrichtensender N24 hat sich nach der Herauslösung aus der ProSiebenSat.1 Gruppe produktions- und distributionstechnisch neu aufstellen müssen. MEDIEN BULLETIN sprach mit Frank Meißner, N24-Geschäftsführer Produktion und Technik, über die bisherigen und noch geplanten Umstellungen.

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Anspruchsvoller Umstieg

N24 hat die Zusammenarbeit mit APS Anfang des Jahres intensiviert. Gab es auch Alternativen?

Wir haben eine Ausschreibung gemacht und hier hat sich APS, aus qualitativer sowie wirtschaftlicher Sicht, gegenüber den anderen Wettbewerbern durchgesetzt.
Als Nachrichtensender benötigen wir sehr viel Flexibilität für die Planung, die Aufbereitung und das Ausspielen unserer Inhalte – bei höchster Sendesicherheit. Deshalb haben wir uns für die APS entschieden. Das Unternehmen verfügt über ein modernes und leistungsfähiges, digitales Media Asset Management-System (MAM), mit dessen Hilfe wir unsere Inhalte schnell und effizient organisieren und für die Ausstrahlung aufbereiten können. Auch die Playout-Lösung ist sehr flexibel und optimal auf unsere speziellen Anforderungen zugeschnitten.
Außerdem haben wir mit Sophie Lersch eine für uns verantwortlichen APS-Key-Account-Managerin an der Seite, die N24 durch ihre frühere Tätigkeit bei ProSiebenSat.1 Produktion (PSP) gut kennt.
Als Nachrichtensender sind wir von der Kleinteiligkeit her mit den meisten Sendern, die APS auf ihrer Plattform abwickelt, nicht vergleichbar. Deshalb war es uns besonders wichtig, mit jemandem arbeiten zu können, der mit unseren Abläufen vertraut ist.

Was ist neu an der Kooperation mit der APS?

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Die APS war bislang schon Account-Service- und Uplink-Dienstleister für die Sender der ProSiebenSat.1 Gruppe und damit auch für N24. Jetzt nach dem Carve-Out von N24 ist als ein Baustein die Sendeabwicklung hinzugekommen. Wir haben sie auf deren System aufgesetzt und nutzen damit auch das Media Asset Management-System. Wir sind jetzt in den Playout-Betrieb von APS integriert und damit auch ein Stück näher an den Entwicklungen dran, die Astra zusammen mit APS im Bereich der Satellitenverbreitung voran treibt. Auch deshalb wird eines der nächsten Themen, mit denen wir uns beschäftigen werden, HbbTV sein.

Wann wird dies passieren?

Ich denke noch im Laufe des Jahres.

Inwiefern ist HbbTV für einen Nachrichtensender interessant?

Wenn ich mir die Menge ansehe, die an Hybridfernsehern verkauft wird, ist das ein Thema für jeden Sender, besonders aber für uns als Nachrichtensender, interessant. Schließlich verfügen wir schon heute über viele zusätzliche Information, die wir dann entsprechend aufbereiten können.

War der Umstieg auf die neue APS-Sendeabwicklung einfach zu bewerkstelligen?

Der Umstieg war technisch eher anspruchsvoll, weil er ja auch nur einer von vielen Bausteinen im so genannten Carve-Out-Paket war. Die technische Abkopplung von der ProSiebenSat.1-Gruppe bedeutete für N24 schließlich das komplette Loslösen vom Konzern. Nur weil wir in Berlin sitzen, heißt das nicht automatisch, dass wir in der Lage waren „stand-alone“ zu arbeiten. N24 war ja seit seiner Gründung innerhalb des Konzerns gewachsen und komplett in die technische Infrastruktur integriert – angefangen von der Telefonanlage, über die gesamte IT-Infrastruktur, bis hin zum Archiv oder der Sendeabwicklung. N24 aus diesen Strukturen herauszulösen war und ist eine sehr komplexe Aufgabe, auch was die Technik angeht. Dazu kommt, dass wir bei N24 alle selbst entwickelten Software-Applikationen der ProSiebenSat.1 Gruppe – von der Sendeplanung bis hin zur Vermarktung – jetzt durch neue Programme ersetzen mussten. Auch deshalb war der APS-Umstieg nicht nur ein Umstieg von einer Sendeabwicklung auf eine andere. Er war vielmehr auch mit der Einführung neuer Software für die Sende- und Programmplanung verbunden. Wir haben uns hier für die Planungssoftware ContentExplorer der Münchner CreateCtrl AG entschieden. Sie wird unter anderem auch von Discovery Channel in Deutschland eingesetzt.

Was gibt es sonst noch für neue Technik, die Sie in dem Zusammenhang installieren mussten?

Das Entscheidende für uns war der ContentExplorer. Wir arbeiten ansonsten komplett mit auf dem Markt erhältlichen Standardapplikationen. Um den Wartungsaufwand möglichst gering zu halten, versuchen wir diese so wenig wie möglich unseren Belangen anzupassen.

Welche Bereiche sind vom Softwareeinsatz besonders betroffen?

Es betrifft am meisten den Bereich des Media Asset Management sowie die Sende- und Programmplanung. In der IT selbst setzen wir auf physisch bereits vorhandene Netzwerke. Hier werden wir allerdings die Router ersetzen, bleiben
aber bei Cysco Systems. Im Bereich Standard-IT haben wir im Januar damit begonnen, auf Office 2010 und Windows 7 umzusteigen.

Ist die Zusammenarbeit mit Newsroom-Anbieter Norcom von den Umstellungen betroffen?

Nach wie vor arbeiten wir eng mit Sony und NorCom zusammen. Beide Unternehmen haben uns auch bei den Carve-Out-Aktivitäten unterstützt. Wenn man die IT-Infrastruktur umstellt, hängen daran natürlich auch die Produktionssysteme.

Wurden Sie bei der Umstellung auch durch Consulter unterstützt?

Wir hatten lediglich für das Gesellschaftsrecht einen Berater und für die Carve-Out-Problematik als technischen Projektleiter Thorsten Prohm, ehemals Technischer Direktor von SBS Broadcasting in London. Er hat sich mit seiner Firma Liveware EDV Solutions mit Sitz in Rosenheim selbständig gemacht. Seit
September 2010 ist er in Berlin als Projektleiter für N24 tätig.

Gab es sonst noch technische Dienstleiter?

Ja, ProSiebenSat.1 hatte über die letzten drei Jahre einen Outsourcing Deal mit IBM. Anfang diesen Jahres haben wir IBM durch PingUs Solutions ersetzt, eine kleine Firma aus dem Norden Berlins, die übrigens auch an der Planung der Playout Center der SBS Broadcasting Group in London-Chiswick beteiligt war. PingUs ist nun unser neuer IT-Dienstleister. Die Firma hat bisher hauptsächlich an der Planung und dem Aufbau neuer IT-Infrastrukturen gearbeitet. Für die Aufgaben bei uns hat sie jetzt noch eine Servicetochter gegründet.
Die Kooperation mit einer kleineren IT-Firma passt besser zu einem Sender wie N24. PingUs kann aufgrund seiner Unternehmensstruktur und Flexibilität leichter auf unsere tagesaktuellen Bedürfnisse eingehen.

Übernimmt PingUs den Komplettsupport oder haben Sie noch eine eigene IT-Abteilung?

Nein. PingUs kümmert sich bei uns um alle IT-Fragen.

Wie lange haben Sie für die technische Abkopplung von ProSiebenSat.1 gebraucht?

Im Juli 2010 haben wir mit der Planung der technischen Abkopplung begonnen. Ein halbes Jahr später waren wir bereits komplett getrennt. In Relation zum Umfang der nötigen Arbeiten ging das also relativ schnell.

Über die Jahre sind sehr viele Inhalte im digitalen Archiv von N24 angefallen. Haben Sie da noch überall Zugriff drauf?

Fakt ist, dass N24 ein eigenes Archiv hat und dass N24 auch das Material gehört, das über die Jahre hinweg entstanden ist. Technisch nutzen wir nach wie vor gemeinsam mit ProSiebenSat.1 MediaArchive (Anm. d. Red.: von Avid Blue Order), allerdings nur noch für einen gewissen Übergangszeitraum, da ProSiebenSat.1 ja ab September/Oktober 2011 ein neues Archivsystem einführt. Deshalb haben wir bei uns kürzlich das Projekt „neues Archiv“ mit einer entsprechenden Ausschreibung in Angriff genommen. Ziel ist es, entweder MediaArchive weiter zu nutzen oder eben auf ein anderes Archivsystem zu wechseln.

Welche Änderungen gibt es sonst noch im Technikbereich?

Wir planen unsere Easylink-Flotte mit ihren vier Fahrzeugen auf HD umzustellen, um sie dann noch besser vermarkten zu können. Schon letztes Jahr hatten wir zahlreiche Anfragen bezüglich der Fremdvermietung der Fahrzeuge. Mit den HD-Easylinks können wir dann selbst als SNG-Dienstleister am Markt auftreten.

Was passiert mit MAZ&More?

Diese Firma haben wir im Zuge des N24-Verkaufs übernommen. Sie produziert nach wie vor für SAT.1 das Frühstücksfernsehen und das SAT.1-Magazin. Auch MAZ&More haben wir von der kompletten IT-Infrastruktur herausgelöst und
umgestellt.

Gibt es im Newsroom-Bereich Veränderungen?

Nein, die gibt es bislang nicht. Die Carve-Out-Problematik war bis jetzt zu dominierend, als dass wir uns noch mit anderen Themen hätten beschäftigen können.Aber wir werden uns mittelfristig natürlich auch wieder mit dem Thema Newsroom beschäftigen. Auch an dieser Stelle werden wir weiter an Innovationen arbeiten. Allerdings hat dies nichts mit der Abkopplung vom ProSiebenSat.1-Konzern zu tun. Es handelt sich um eine normale Entwicklung im Geschäft eines Nachrichtensenders.

Was planen Sie sonst noch im Technikbereich?

Erst steht, wie gesagt, das Thema Archiv an. Dann folgen die nächsten Updates der Produktionssysteme und danach richten wir den Blick nach vorn und schauen uns die weiteren Entwicklungen an. Wir werden dann mit der Zeit entscheiden, ob alte Systeme behalten oder neue angeschafft werden. Das Thema HD-Einführung wird dabei mit Sicherheit eine
wichtige Rolle spielen.

Gibt es im Bereich N24-Korrespondenten Neuigkeiten?

Im Moment nicht. Für Ende des Jahres planen wir den Aufbau eines eigenen VJ-Netzwerks. Wir haben schon einen freien VJ-Pool in Deutschland und neun feste Städte ausgewählt, in denen Journalisten, ausgestattet mit unseren Aufnahme- und Schnitt-Systemen, für uns unterwegs sein werden. Mit ihnen können wir deutlich mehr Inhalte von nationaler Relevanz exklusiv für unseren Sender produzieren.

Wieviele Mitarbeiter hat N24 noch in der Technik?

In der Technik haben wir 14 Mitarbeiter für alle Bereiche einschließlich Planung, Support, mobile Technik und technische Logistik.

Gab es hier Entlassungen?

Während der Restrukturierung im vergangenen Sommer mussten wir uns in vielen Bereichen von Mitarbeitern trennen. Heute hat die N24-Gruppe circa 250 Mitarbeiter. In einigen Bereichen haben wir durch die Eigenständigkeit
und neu hinzugekommene Aufgaben schon wieder Personal aufgebaut.

Bleibt der N24-Standort mitten in Berlin am Potsdamer-Platz erhalten?

Wir werden auf jeden Fall hier bleiben.
Eckhard Eckstein
(MB 05/11)