Das Fernsehen wird dreidimensional

In zehn Jahren wird das Fernsehen komplett auf das 3D-Format umgestellt. Nach Überzeugung von Mark Horton, Leiter für strategische Entwicklung bei Quantel, muss sich das Fernsehen im Zuge des multimedialen Wandels künftig als besonderes Event präsentieren, um neben Konkurrenten wie YouTube oder Second Life langfristig bestehen zu können.

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Was gab für Quantel den Ausschlag, für die Postproduktion ein 3D Stereoscopic System zu entwickeln?
Einige unserer Kunden in Los Angeles haben begonnen, sich an 3D-Projekten zu beteiligen. Doch als sie sich ihren Workflow anschauten, realisierten sie, dass die Umsetzung ein großes Problem für sie darstellt, denn bisher erwies sich die 3D Sterescopic-Postproduktion als äußerst kompliziert.

Welche Verbesserung bietet das 3D Stereoscopic System von Quantel?
Bisher wurde zuerst an den Bildern für das linke und dann für das rechte Auge gearbeitet. Diese Ergebnisse wurden kombiniert, auf einen Server geschickt und das Material dort ausgespielt. Jeder dieser Schritte hat viel Zeit gekostet, weil das keine interaktive Arbeitsweise darstellte. Beim 3D Stereoscopic System von Quantel hingegen werden beide Kanäle symchron bearbeitet. So ist jeder Effekt sofort zu sehen, was den gesamten Arbeitsprozess erheblich beschleunigt, die Anzahl der Probleme reduziert und die Kosten senkt. Außerdem ist dies das erste System seiner Art, das komplett in Echtzeit arbeitet.

Welche Komponenten werden dafür konkret benötigt?
Das neue 3D Stereoscopic-Programm ist für alle neuen Standardsysteme von Quantel wie Pablo 4K, iQ4 und Max 4K-Systeme erhältlich. Stereoscopic 3D wird auch als Upgrade für die Postproduktionssysteme Pablo 4K und iQ angeboten, um damit vom Editing über die Effekte und Farbkorrektur bis hin zum Mastering den gesamten Workflow abzubilden. Dank dem kompletten Tool-Set mit Stereoscopic-Fähigkeit ist dieses System auf die Bearbeitung von 3D-Projekten ausgerichtet.

Welche neuen Möglichkeiten eröffnen sich damit bei der Anwendung?
Das Interesse unserer Kunden ist, mit der Postproduktion von 3D Stereoscopic-Projekten Geld zu verdienen. Das bedeutet, schnell zu arbeiten und bei der Qualitätskontrolle keine Kompromisse einzugehen, was eine interaktive Arbeitsweise voraussetzt. Da die entsprechenden Effekte bei der Bearbeitung von 3D-Projekten bisher nicht sofort sichtbar waren, mussten sich der Operator oftmals auf seine Schätzung verlassen, was unter Umständen sehr teuer werden konnte. Die Erfahrungen mit unserem System zeigen, dass sich die Zeit bei der Bearbeitung von 3D Stereocopic-Projekte um das Zwei- bis Dreifache reduziert, was sich auch erheblich im Budget niederschlägt.

Hat die Bearbeitung in 3D bisher primär am Faktor Zeit gekrankt?
In Hollywood gibt es den Spruch, dass Filme eigentlich nie fertig sind, sondern nur aus Geld- oder Zeitmangel keine weitere Bearbeitung mehr erfolgt. Das gilt auch für viele 3D-Filme aus den 50ern, mit denen die Regisseure und Produzent selbst nicht glücklich waren, aber sie hatten keine andere Wahl. Da sich auch das Publikum nicht für diese Filme begeistern konnte, ist das 3D-Kino damals gefloppt. Es gab dafür kein funktionierendes Geschäftsmodell, weil sich die Bearbeitung als zu langwierig und kostspielig erwies. Heute hingegen können 3D-Filme in kurzer Zeit in sehr hoher Qualität produziert und auch Geld damit verdient werden.

Bisher haben 3D-Filme bei den Zuschauern oftmals Kopfschmerzen verursacht? Was ist die Ursache dafür?
Das menschliche Gehirn und die Art, wie wir Dinge sehen, sind immer noch nicht komplett erforscht. Die Auseinandersetzung mit 3D gibt jedoch Aufschluss darüber, wie Menschen die Welt wirklich sehen. Dazu gehört, dass unser Gehirn die Dinge der Außenwelt sehr raffiniert verarbeitet, denn es nimmt ein Bild nicht nur auf, sondern analysiert es zugleich auch. Deshalb ist es bei einem 3D-Film sehr wichtig, dass das linke und das rechte Auge nur den natürlichen Unterschied wahrnimmt, der darin besteht, wo das einzelne Auge positioniert und worauf es gerichtet ist. Zwischen den beiden Bildern darf es keinerlei Schärfe- oder Farbunterschiede, Bewegungs- oder auch geometrische Unterschiede geben, weil das Gehirn sonst versucht, diese auszugleichen. Wenn das der Fall ist, muss das Gehirn sehr hart arbeiten und kann sich nicht auf die Geschichte einlassen. Bei den 3D-Filmen in der Vergangenheit gab es viele Bildfehler in Form von Schmutz, unterschiedlicher Farbe oder Position, was zu Kopfschmerzen geführt hat, weil das Gehirn dabei zu angestrengt war.

Wird sich 3D erst durchsetzen, wenn dafür keine Brille mehr erforderlich ist?
Es gibt bereits 3D–Systeme, die ohne Brille funktionieren. In Zukunft wird das vermehrt der Fall sein. Philips bietet bereits ein 3D-TV an, für das keine Brille benötigt wird. Andere Systeme hingegen arbeiten mit dem Pol-Filterverfahren, bei dem die Farben 1:1 dargestellt werden. Die 3D-Filme werden dabei mit zwei Projektoren auf einer speziellen Silberleinwand vorgeführt. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, 3D zu präsentieren. Wir unterstützen alle verschiedenen 3D-Formate.

Wird es einen 3D-Standard geben?
Fest steht nur, dass 3D kommt. Welches Format sich am Ende durchsetzen wird, wissen wir nicht.

Braucht das Fernsehen überhaupt 3D?
Zur Zeit gibt es einen Konkurrenzkampf zwischen der Gamebranche und der Fernsehindustrie, denn die Gamebranche steuert bereits auf 3D Stereoscopic zu. In Zukunft werden die jungen Leute daran gewöhnt sein, bei den Videospielen Spezialbrillen zu tragen. Bei Videospielen wird es leichter akzeptiert, wenn dafür Brillen erforderlich sind.
Das Fernsehen wird durch 3D wieder ein primäres Medium werden. Noch vor fünf Jahren hieß es in der Branche, dass es niemals ein Digital Intermediate geben wird. Auch der Tonfilm, der Farbfilm sowie die Umstellung auf High Definition stießen zunächst auf Ablehnung, weil die menschliche Reaktion auf Veränderungen zunächst darin besteht, diese abzulehnen. Das hat nichts mit der Technologie zu tun, sondern mit Psychologie. Die Menschen mögen keine Veränderungen, aber sie erfolgen trotzdem. Daher ist es gar keine Frage, ob das 3D-Stereoscopic TV kommt, sondern nur, wie schnell es eingeführt wird. Das Fernsehen ist heute durch YouTube, Second Life oder andere interaktive Spiele ähnlich unter Druck wie die Kinos in den 50er Jahren, die damals aufgrund der aufkommenden TV-Konkurrenz ein besonderes Event brauchten.
Die Fernsehveranstalter können entweder ihren traditionellen Kurs fortsetzen oder auf neue Entwicklungen setzen. Natürlich stellt High Definition eine Verbesserung dar, fraglich ist nur, wie lange das ausreicht. Es ist daher nur eine Frage der Zeit bis das Fernsehen auf 3D umgestellt wird.

Bisher hat sich selbst HD noch nicht überall durchgesetzt. Wie schnell wird nach Ihrer Einschätzung die Umstellung auf 3D erfolgen?
Es wird fünf, zehn oder fünfzehn Jahre dauern, bis das Fernsehen auf 3D umgestellt wird. Ein Grund dafür ist, dass die Hersteller der TV-Geräte das möchten. Nachdem sich jeder Konsument ein 16: 9-Gerät gekauft hat, ist der Markt gesättigt. Auf lange Sicht folgt dann HD. In den USA läuft das Geschäft bereits gut, doch auch in Europa möchten die Hersteller gerne mehr HD-Geräte verkaufen. Der Anreiz dafür ist aber nur gegeben, wenn es auch neue Angebote gibt.
In unserer Branche verbringen wir zuviel Zeit damit, miteinander zu sprechen, anstatt zu hören, was die Konsumenten möchten, die letztendlich unsere Gehälter bezahlen. Wir als Industrie müssen einen Weg finden, ihnen das zu geben, was sie möchten. Am Ende werden sie davon profitieren, wir werden davon profitieren und die ganze Industrie erlebt dadurch einen Aufschwung.

Wie gestaltet sich beispielsweise bei einem Sportereignis die 3D-Erfahrung für den Zuschauer?
Das 3D Stereoscopic-Verfahren weist dem Zuschauer eine Position im Raum zu. Bislang besteht das Fernsehen nur aus der x- und der y-Achse, doch in der realen Welt gibt es die x-, y- und z-Achse. Im z-Bereich werden sowohl das anzuschauende Objekt als auch die eigene Position definiert. Bei einem Sportereignis, das in Stereoscopic 3D aufgenommen wird, erhalten die Kameras den besten Blick von der besten Position auf das Spielfeld und schauen dorthin, wo auch die Zuschauer hinblicken. Dadurch wird der Eindruck vermittelt, direkt im Publikum zu sitzen. Verstärkt wird das zudem durch den Soundmix, denn der Ton kommt sowohl aus dem Vorder- als auch aus dem Hintergrund. Die Idee ist, eine Erfahrung zu kreieren, die das Gefühl vermittelt, live bei einem Event dabei zu sein.
Aus diesem Grunde gibt es beim Dreh keine großen Kamerabewegungen, sondern der Zuschauer verfolgt das Spiel und sitzt dabei auf den besten Plätzen, die sich jeweils woanders befinden. Denn da dieses Event aus verschiedenen Positionen aufgenommen wird, hat der Fernsehzuschauer immer die besten Plätze. Eine derart realistische Erfahrung ist nicht auf eine andere Art herzustellen.

Ist das zugleich eine neue Herausforderung für die Kameramänner?
Die Kameramänner werden neu darüber nachdenken müssen, wie sie etwas drehen, denn für 3D Stereoscopic müssen wir eine ganz neue Sprache erlernen. Die Art wie sie in Zukunft etwas filmen wird mehr dem entsprechen, wie wir wirklich die reale Welt sehen. Die Tricks, die in 2D benutzt worden sind, werden dabei nicht mehr gebraucht, denn bei 3D ist das Publikum in eine Szene involviert. Das bedeutet auch, darüber nachzudenken, wie sich das Fernsehen ändern lässt.

Gibt es denn schon Ansätze für ein 3D-Storystelling?
Das wird kommen. Die 3D-Filme in den 50ern waren zunächst erfolgreich, aber sie haben sich zu sehr auf das Format konzentriert und nicht auf die Story. Die Studios glaubten, dass die Zuschauer 3D-Filme sehen wollen, weil ein Löwe sie darin förmlich anspringt, doch das Publikum will gute Geschichten. Das alte 3D war nur etwas für Kinder, jetzt brauchen wir 3D für Erwachsene.

Wer arbeitet bereits mit dem 3D Stereoscopic-System?
Wir haben noch keine Verträge abgeschlossen. Die Firma Pace Camera, die sehr eng mit James Cameron zusammenarbeitet, hat bereits ein System gebucht. Zu unseren Kunden gehören auch Peter Jackson, George Lucas und Robert Rodriguez, die genau wie James Camerons ihre neuen Projekte mit Hilfe unserer Technologie realisieren werden.
Birgit Heidsiek (MB 11/07)