Erst mal richtig ausprobieren

Volker Weicker zählt international zu den Top-Regisseuren in der Live-Sport-Produktion. Um den TV-Zuschauern durch packende Bilder Mehrwert zu bieten, experimentiert er seit Jahren mit dem Einsatz innovativer Technologien. Kein Wunder, dass er auch für die ersten 3D-Tests gebucht wurde. MEDIEN BULLETIN sprach mit ihm über seine ersten Eindrücke und Erfahrungen.

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Erst mal richtig ausprobieren

Was ist für Sie der Unterschied zwischen einer 2D-
und einer 3D-Produktion?
Rein physisch gesehen ist die 3D-Produktion deutlich anstrengender. Das hat einerseits mit der 3D-Brille zu tun, die man bei der Arbeit benutzt, und anderer-seits mit der räumlichen Enge im Ü-Wagen. Man sitzt in der Ü-Wagen-Regie nun mal sehr nah vor den 3D-Bildschirmen. Das ist erst mal sehr gewöhnungsbedürftig.
Ansonsten hat sich der Schnittrythmus beziehungsweise die Schnittgeschwindig-keit etwas ändert, weil man manche Kameraeinstellungen auf Grund der Tiefenschärfe und der Dreidimensionalität deutlich länger halten kann ohne
dabei den Überblick über das Spiel zu verlieren.

Eine echte Bewertung der Unterschiede kann man aber erst dann fällen, wenn die Kamerapositionen den 3D-Anforderungen noch besser angepasst worden sind. Damit der 3D-Effekt etwas besser rüber kommt, müsste die Führungskamera bei Fußball-Produktionen tiefer gesetzt werden, ebenso wie die Kamera 2, die beim Fußball normalerweise oben neben der Kamera 1 steht.

Welche Erfahrungen haben sie bisher mit 3D gemacht und wie haben sie sich auf diese Produktion vorbereitet?
Ich habe 14 Tage vorher schon einmal einen 3D-Test mitgemacht, allerdings mit einer kleineren Anzahl an 3D-Kameras. Das war beim Champions League-Hinspiel Stuttgart-Barcelona. Davor habe ich mich natürlich auch schon mit 3D beschäftigt.
Wenn man bedenkt, wie lange die Einführung 16:9 und HD gedauert hat, bin ich eigentlich davon ausgegangen, dass die 3D-Einführung noch etwas auf sich warten lässt. Da aber die Filmindustrie jetzt ganz massiv angefangen hat 3D-Filme auf den Markt zu bringen, hat das Thema plötzlich eine Dynamik erreicht, die ich so nicht erwartet hätte.

Glauben Sie, dass sich das Thema 3D-Live-Produktion
im Sportbereich auf breiter Front durchsetzen wird oder nur in bestimmten Sportarten?
3D-TV wird sich überall durchsetzen, aber erst wenn man die Endverbraucher auch damit erreichen kann. Das heißt, man muss es erst mal schaffen, das 3D-Bild nach Hause auf die
Displays zu übertragen. Grundvoraussetzung ist, dass der
Konsument sie auch sehen kann. Wann das der Fall sein wird ist sicherlich auch eine Frage der vorhandenen 3D-Empfangsgeräte in den Haushalten. Man hat ja gesehen, wie lange die neuen Formate 16:9 und HD gebraucht haben, bis sie sich durchsetzen konnten. Ob das bei 3D schneller geht ist die Frage. Hilfreich wäre sicherlich die Möglichkeit, 2D- in 3D-Bilder zu konvertieren. Das soll ja angeblich funktionieren.
Künftig wird es wohl so sein, dass man auf dem Endgerät eine Information erhält, das man ein gerade laufendes Programmteil auch in 3D schauen kann. Dann schaltet man entweder dahin um oder bleibt bei der 2D-Betrachtung

Auf dem DVB-Weltkongress 2010 in Lissabon wurde konstatiert, dass man so schnell nicht von der teuren Parallelproduktion wegkommen wird, dass man weiterhin eigene 2D- und 3D-Produktionsteams bei Live-Sport-Events haben wird, weil die 3D-Bildästhetik andere Anforderungen an die Produktion stellt. Sehen sie das auch so oder können sie sich vorstellen, dass ein Team aus einem Ü-Wagen heraus 2D und 3D gleichzeitig macht.
Ich bin nicht der Meinung, dass an der Parallel-Produktion kein Weg vorbei geht. Das sind hauptsächlich Techniker, die sich das so vorstellen. Man muss da auch ein paar Dinge auseinander halten. Ob man auch im letzten mµ-Bereich noch Unschärfen erkennt oder nicht spielt keine Rolle sondern vielmehr, was der Endverbraucher zu Hause sieht. Darum geht es am Ende des Tages.
Ich glaube, dass 3D nur dann eine Chance hat sich auf dem Markt zu behaupten – im Sport wie auch in anderen Formaten – wenn man in der Lage ist, aus einer Regie heraus 2D und 3D zu bedienen. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass das geht. Derzeit machen wir es so, dass ich auf der ersten Mischebene des Bildmischers die Kamera 1 liegen habe und auf der zweiten die Kamera 2. Das ist dann praktisch die zweite Kamera 1, die ich brauche um 3D machen zu können. Das bedeutet also: wenn man die Kamerasignale aus den beiden Mischebenen zusammen führt hat man 3D, wenn man nur die Signale aus einer Mischebene nimmt hat man 2D.

Natürlich muss man sich noch überlegen, wie man mit den Slomo- und Slomo-Trick-Aufnahmen umgeht damit das genauso funktioniert.
Ich glaube aber auf lange Sicht ist das der einzig gangbare Weg, weil sonst die Produktion viel zu teuer würde. In der momentanen wirtschaftlichen Situation haben die Sender sicher nicht den Atem längere Zeit, 2D und 3D parallel mit getrennter Technik und getrennten Teams zu produzieren.

Das ändert aber nichts am grundsätzlichen Problem, dass 2D- und 3D-Bilder ganz unterschiedliche Bildästhetiken haben. Da muss es dann wohl eine Kompromiss-Lösung zwischen 2D und 3D geben, wobei dann das herkömmliche 2D-Bild vielleicht an Dynamik verliert. Wie bekommt man das hin?
Diese Frage ist typisch deutsch. Es wird hier zunächst über alles erst mal gesprochen, was nicht geht, was schwierig ist und problematisch. Ich gehe die Sachen prinzipiell ganz anders an und frage erst einmal: Was hat 3D für einen Mehrwert? Was passiert da tatsächlich? Und: Ist es wirklich so, dass das, was ich schneide und für 3D vielleicht das Optimum darstellt, für 2D nicht zu gebrauchen und umgekehrt? Diese Information hat ja noch niemand. Aber es gibt schon viele, die behaupten, sie zu haben. Ich bezweifele das. Es wird von Leuten über Bildästhetiken gesprochen, die haben noch nie 3D-Live-Übertragungen gescheit gesehen. Wie viele Menschen hatten denn bislang die Möglichkeit dazu? Und wie viele diskutieren schon über die Ästhetik, die dazu gehört?

Wir sind gerade erst in einer Test- und Probephase und machen die ersten Versuche. Die Mahner und Warner sind jedoch alle schon in Stellung gegangen. Damit habe ich prinzipiell mein Problem.
Ich versuche, mutig zu experimentieren. Und erst dann sieht man irgendwann, wo die Grenzen von diesem Medium sind. Und momentan stecken wir nun wirklich, speziell was Sport angeht, noch in den ersten Anfängen. Man muss sehen: alles was fiktional ist wird mittlerweile auf 3D geschnitten – ob das jetzt ein Film ist oder ein Computerspiel. Und jetzt kommen wir und bilden mit 3D auch die Wirklichkeit ab. Das ist etwas ganz Neues. Da wird nichts für uns gemacht, sondern wir nehmen nur das ab, was vor uns passiert. Was sich dabei für Bildästhetiken entwickeln wird erst die Zukunft zeigen.

Von einem kreativen Bildgestalter hätte ich diese
Position nicht erwartet…
Es gibt eine Technikerposition und es gibt eine der Macher und Kreativen. Mein Kunde ist nicht in der erster Linie der Sender oder das Produktionsunternehmen sondern der Zuschauer zu Hause. Für den versuche ich, etwas Ansprechendes zu machen.
Natürlich habe ich jetzt schon gemerkt, auch in den Diskussionen, die wir im Ü-Wagen hatten, dass ein Techniker die Dinge ganz anders sieht als ein Kreativer. Ich lasse da mal viel schneller Fünfe gerade sein. Speziell in der Phase in der wir uns jetzt befinden.
Bisher sind jedenfalls die Versuche, die wir gemacht haben, auf großes Interesse gestoßen. Es gab viel positive Resonanz. Ich bin deshalb überzeugt davon: Wenn wir die 3D-Workflows weiter verfeinern, werden wir aus einem Ü-Wagen heraus beides – 2D und 3D – produzieren können.
Dabei schaffen wir auf der einen Seite mit 3D einen Mehrwert und nehmen auf der anderen Seite im 2D-Bereich vielleicht ein paar Einbußen hin. Aber ist das ein Problem?

Alle wollen die „Eier legende Wollmilchsau“ – die beste Technologie, die alles kann und möglichst wenig kostet. Aber das funktioniert halt nie – nicht nur beim Fernsehen. Deswegen ist bei 3D auf lange Sicht nur die Produktionsvariante aus einem Ü-Wagen heraus realisierbar.
Oder ein Sender baut einen dedizierten 3D-Kanal im Pay-TV-Bereich auf um sich so ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen. Die Dienstleistungen dafür werden sie dann natürlich auch extra bezahlen müssen. Aber wir wissen ja auch: Das Pay-TV in Deutschland hat es nicht leicht. Und da ist die Frage, ob ein eigener 3D-Kanal am Markt überhaupt darstellbar ist.
Nachdem ich gesehen habe, wie begeistert Zuschauer, aber auch die Kameraleute, von den bislang produzierten 3D-Bildern waren, glaube ich fest an eine Zukunft für 3DTV. Das ist ein
Entwicklungssprung vergleichbar mit dem Schritt von Schwarz Weiß-Fernsehen zum Farbfernsehen und weniger wie von 1
6:9 SD auf HD. Nur die Techniker sind da vielleicht noch
anderer Meinung.

Ist das technische Set-up mit dem 3DTV derzeit produziert wird ausreichend oder haben sie noch Forderungen?
Man braucht, wie gesagt, wahrscheinlich etwas veränderte Kamerapositionen, außerdem mehr Kameras als wir aktuell zur Verfügung haben. Es wäre schön, wenn die Zoom-Bereiche noch etwas größer würden. Auch ist die Synchronisierung der unterschiedlichen Optiken sicherlich noch ein Problem, das man noch besser lösen muß. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass all diese Dinge schon bald optimiert sind.
Man muss berücksichtigen, dass wir aus dem Stand heraus innerhalb von drei Wochen zwei 3D-Produktionen aus einem normalen Ü-Wagen heraus mit der dort verfügbaren Technik gemacht haben und wie gut das schon war. Das macht mich sehr zuversichtlich.

Gibt es Sportarten die sich für 3D nicht beziehungsweise
besonders eignen?
Ich habe kürzlich im „Spiegel“ gelesen, dass 3D bei Fußball nicht so toll ist, weil da zu oft die Totale ins Spiel kommt. Ich denke, wenn die Totalen-Kamera ein bisschen woanders steht als bis dato, funktioniert das schon ganz gut. Grundsätzlich kann man nicht sagen, dass die eine Sportart mehr oder
weniger 3D-geeignet ist. Man muss das alles erst mal genau ausprobieren. Für mich ist zunächst einmal alles 3D-geeignet.
Man muss sich nur damit beschäftigen und die richtigen Kamerapositionen finden und Geduld haben.

Im Gegensatz zu früher hat man aber heute beim Fernsehen keine mehr. Heute müssen alle Dinge schneller auf den Punkt gebracht werden, sollen weniger kosten und einen größeren Output liefern. Das macht es schwierig, etwas Vernünftiges zu entwickeln. Wer etwas Neues machen will, sollte sich zumindest die Zeit nehmen, es zu testen.

Da muß man im Stadion überlegen, ob man mit einer Kamera vielleicht besser zwei Meter hoch oder runter geht. Und da muss man mit dem Stadionbetreiber darüber diskutieren, ob der bei den benötigten Positionen vielleicht ein paar Stühle rausnehmen kann. Hier mahlen die Mühlen leider Gottes sehr langsam. Kamerapositionen in Stadien neu zu bekommen, das weiß ich aus eigener leidvoller Erfahrung, ist immer sehr schwierig. Ich würde mir sowieso mehr Entgegenkommen der Sportstätten-Betreiber gegenüber dem Fernsehen wünschen. Wir sind schließlich das größte Transportmedium. Das wird oft übersehen.
Sehr schnelle Sportarten wie Eishockey sind also
auch 3D-geeignet?
Natürlich. Wenn man sich Eishockey im Fernsehen anschaut, dann wird da unheimlich lang die Kamera 1 geschnitten. Das ist mir gerade wieder bei den Olympischen Spielen aufgefallen. Da gab es nur wenige Zwischenschnitte.
Aber dort wie überall muss man erst ausprobieren, was für 3D am besten ist und gegebenenfalls die Kamerapositionen noch mal überdenken.
Derjenige, der jetzt schon Behauptungen aufstellt, was alles nicht klappt, liegt garantiert falsch.

Wann ist ihr nächstes 3D-Projekt?
In Kürze, habe ich gehört, soll wohl wieder ein 3D-Fußballspiel produziert werden. Meine Befürchtung ist aber, dass es mit 3D erst dann richtig weiter geht, wenn sich ein TV-Sender 3D auf seine Fahne schreibt. Wenn das nicht der Fall ist, könnte es schwierig werden für 3DTV, besonders wenn man zu der Erkenntnis gelangen sollte, dass die 3D-Produktion nur Kosten verursacht, die sich nicht schnell amortisieren lassen.
Andererseits: Je mehr 3D-Filme ins Kino kommen, je mehr 3D in den ganzen Spielekonsolen steckt, desto eher werden wir auf ein vor allem sehr junges Klientel treffen, das 3D auch im Fernsehen haben will. Und das ist für uns eine große Chance.
Denn die Sender verlieren gerade die jungen Leute in Richtung PC und Internet.
Wenn man es dann noch schafft 3D ohne Brille hin zu kriegen – es werden ja demnächst auch entsprechende Endgeräte angeboten – dann sind wir schon einen ganzen Schritt weiter. Und ohne Brille ist die Arbeit für uns im Ü-Wagen dann auch nicht mehr so schwer.

Waren im Ü-Wagen eigentlich schon die neuen
3D-Displays von Sony eingebaut?
Nein, ich habe nur das Endbild nach dem Schnitt gesehen. Es gab keine Preview- und keine Kamerabilder in 3D. Die neuen Displays wurden nur zur Präsentation der 3D-Bilder außerhalb des Ü-Wagens eingesetzt

Wie war die Zusammenarbeit mit TopVision?
Das TopVison die 3D-Produktion überhaupt hinbekommen hat war eine sensationelle Leistung. Was da an Kameras
zusammen geschraubt wurde ist schon sehr beachtlich.
Da muß man den Kollegen Achim Jendges (An.d.Red.: Inhaber und Geschäftsführer von TopVision) wirklich loben.
Um neue Technologien einzuführen braucht man nicht eine
entsprechende Business-Lobby, sondern vor allem
Leute wie Jendges, die das auch umsetzen können.
Gerade die kommen aber am Ende des Tages immer zu kurz. Deshalb an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Respekt! Und mein Appell an die Sender lautet: Bleibt mutig!
Es wird sich lohnen.
Eckhard Eckstein
(MB 04/10)