720p darf nicht fallen

Vor gut vier Jahren haben die öffentlichen-rechtlichen Anstalten sich auf 720p/50 als einheitlichen Produktionsstandard für HDTV geeinigt. Davon ist heute keine Rede mehr. Zumindest innerhalb der ARD ist man inzwischen mehrheitlich auf 1080i/25 umgeschwenkt. Prof. Dietrich Sauter (HFF Potsdam-Babelsberg Konrad Wolf), Organisator des renommierten HD-Symposiums in Bregenz, betrachtet das als großen Fehler. Hier sagt er warum.

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720p darf nicht fallen

Das Format 720p/50 (720 Zeilen mit 1280 Pixeln je Zeile und 50 Vollbilder/Sekunde) wurde nach langen Test von der EBU gemeinsam mit nationalen Forschungsinstituten unter anderem dem Institut für Rundfunktechnik in München (IRT) empfohlen. Die Kommission für Produktion und Technik von ARD und ZDF (PTKO) beschlosss den Einsatz von 720p/50 daraufhin als Produktionsformat. Aber auch damals schon waren einige Vertreter verschiedener ARD-Rundfunkanstalten dagegen. Dabei liegen die Vorteile von 720p/50 auf der Hand: Mit 720 Zeilen existiert hier die höchste Bildfrequenz aller HD-Formate. Die Bilder werden dadurch zeitlich besser aufgelöst.

Nach rein technischen Gesichtspunkten ist die Lösung völlig klar. Auch gibt es eine Regel in der Fernsehtechnik, die der ehemalige IRT-Direktor Prof. Dr. Richard Theile formulierte. Sie lautet: Die Aufnahme hat der Wiedergabe zu folgen. Ist die Wiedergabe progressiv, so hat die Aufnahme demnach auch progressiv zu erfolgen. Die Flachbildschirme auf denen HDTV gezeigt wird, sind in der Bilddarstellung progressiv, das heißt, es werden Vollbilder wiedergegeben. Kommt ein Signal wie 1080i/25 an, muss es in ein progressives Signal gewandelt werden. Das kann nicht gut gehen, da die beiden Teilbilder nicht zum selben Zeitpunkt aufgenommen wurden (0,02-Sekunden Differenz). Bei einem ankommenden 720p/50-Signal wird umgekehrt die Größe (von 720 auf 1080 Zeilen) gewandelt. Das funktioniert allerdings sehr gut. Die EBU hat gemeinsam mit dem IRT in umfangreichen Tests dies ebenfalls nachgewiesen. Das Format 720p/50 für die Übertragung wurde vor allem auch deshalb gewählt, weil die zur Verfügung stehende Übertragungsbandbreite eben genau dieses Format gut übertragen kann.

Alles ist eigentlich perfekt, nur hat der Rest der Welt, sprich Amerika und Japan sehr früh mit HDTV angefangen. Die damals vorhandenen Wiedergabegeräte waren alle Röhrenempfänger, die nur mit dem Zeilensprung arbeiteten. Dass einzelne Rundfunkanstalten in der ARD sich nun von ihren eigenen Beschlüssen verabschieden, liegt an dem unrühmlichen Einfluss der Broadcastfirmen, die die Verkaufserfolge in Japan und Amerika auch in Deutschland haben möchten. Die Amerikaner hatten schon früher das schlechtere Farbfernsehsystem, es gibt also keinen Grund 720p/50 als Aufnahmestandard zu kippen. 1080i/25 kann nur 540 Zeilen im Halb-Bild liefern, 720p50 hingenen 720 Zeilen bei 50 Vollbildern.

Das bedeutet, mehr Zeilen in jedem dargestellten Bild und eine doppelt so hohe Bildfolge. Nachrechnen tut gut und ist besser als den Marketingleuten zu glauben.
Professor Dr. Ulrich Messerschmid, 1976-1998 Direktor des Instituts für Rundfunktechnik und 1992-1998 Präsident der Technischen Kommission der EBU, schrieb 2006 in seinem Beitrag über Störeffekte beim Zeilensprung: „Eine Unterabtastung mit dem groben Halbbildraster ruft so genannte Fremdkomponenten (alias components) hervor, die sich als Kantenflackern, Treppeneffekte und Moirée-Strukturen bemerkbar machen. Besonders störend wirkt die niedere Flimmerfrequenz von
25 Hz beziehungsweise 30 Hz dieser Halbbild-Alias-Effekte.“

Abschied vom Zeilensprung

Warum nun aber bei HDTV der Abschied vom Zeilensprung? Wenn Fernsehen mit progressiver Abtastung in der CCD-Kamera anfängt und im LCD- oder PDP-Empfänger progressiv endet, so ist es nur logisch, auch progressiv zu übertragen. Der zweite wichtige Grund für den Abschied vom Zeilensprung liegt in den gewaltigen Fortschritten bei der digitalen Datenreduktion in den letzten Jahren. Der Zeilensprung als nicht adaptives Reduktionsverfahren ist da einfach nicht mehr konkurrenzfähig. Für eine gegebene Bitrate lässt sich mit progressiver Technik und adaptiver Reduktion eine deutlich bessere Bildqualität erreichen als bei digitaler Reduktion eines Zeilensprung-Signals.

Ein dritter Grund: Bei Zeitlupen-Wiedergabe liefert die progressive Abtastung und Übertragung deutlich bessere Bilder ohne Aufspaltung in zwei Bewegungsphasen. Für Sport im Fernsehen ist das ein wichtiges Argument. Trotz dieser Vorteile für die progressive Technik ist die heiße und kontroverse Debatte über das beste HDTV-System in den USA noch immer nicht zu Ende: CBS, NBC und US DTH benutzen 1080i/30, während ABC, FOX und ESPN mit 720p/60 arbeiten. Dies ist vor dem Hintergrund zu beurteilen, dass die Empfänger für digital terrestrisches HDTV in den USA laut Executive-HDTV-Report April 2010 (www.coax.tv) mit 18 (achtzehn!) verschiedenen Signalformaten zu Recht kommen müssen.
Vergessen wir aber nicht die Unterschiede zwischen HDTV und SDTV bei diesen Vergleichen. Moderne Empfänger mit flachem Bildschirm brauchen progressive Signale für die Bildwiedergabe. Bei HDTV haben wir die Chance, die Normwandlung nach progressiv auf der Sendeseite optimal auszuführen. Bei SDTV müssen wir sie im Empfänger vornehmen. Gelingt dies aber mit guter Qualität, so gewinnen wir damit im Empfänger eine deutlich bessere Vertikalauflösung.

ARD und ZDF hatten sich im Frühjahr zur Petition „1080i bei ARD+ZDF jetzt!“ geäußert, in dem die Sender aufgefordert wurden, vom Format 720p/50 auf 1080i/25 zu wechseln. Dabei betonten sie, dass bei 720p/50 Bewegungen besser aufgelöst würden, weshalb der Schärfeeindruck bewegter Bilder besser sei. Sie erklärten damals: „Für das Bewegtbild liefert das von ZDF und ARD bevorzugte Format 720p/50 immer eine bessere Bildqualität ab.”
Martin Emele, Geschäftsführers Technologie der ProSiebenSat.1-Senderfamilie erklärte hingegen. „Für die Übertragung von Spielfilmen und den meisten Serien ist 1080i/25 schon deshalb besser geeignet, weil sich das Quellmaterial im Format 1080p/25 nach einem Interlacing problemlos als 1080i/25 übertragen lässt. Die zeitlich nicht auseinander liegenden Halbbilder können ohne Qualitätsverluste wieder zu einem Vollbild zusammengesetzt werden.“
Diese Aussage konterkariert alles, da die Aufnahmen mit Film alle ausnahmslos als Vollbilder vorliegen. Das bedeutet man wandelt grundlos nach dem Format „Interlaced“, damit dann im Empfänger wieder ein progressives Signal erzeugt wird. Die privaten HD-Sender setzen dennoch auf das Format 1080i/25 mit 1920×1080 Bildpunkten und 25 Vollbildern. Eher „historisch bedingt” ist das Format 1920 Pixel x 1080 Zeilen, das mit 50 bzw. 60 Halbbildern pro Sekunde aus jeweils 540 Zeilen zu Hause ankommt. Für ruhige Aufnahmen (Standbilder) mit hohem Detailanteil ist diese 1080i/25 genannte Technik gerade noch richtig.

Der Empfänger-Industrie freilich ist es egal, wie gesendet wird. „Unsere HDTV-Geräte können sowohl 1080i/25 als auch 720p/50 wiedergeben – und auch 1080p/60 von Blu-ray und HD DVD”, erklärte beispielsweise Dr. Roland Raithel von
Loewe. Die Geräte werden international vermarktet.

Der Bericht „Auflösungserscheinungen“ der c’t im Heft 16-2010 zeigt die volle Konfusion zu den Formaten. Dabei werden falsche Information aus der FKT zitiert, denen längst widersprochen wurde. Die Testaufnahmen, die für die Tests verwendet wurden, werden da von Personen in Frage gestellt, die gar nicht dran beteiligt waren. Der Verfasser des Artikels kritisiert ein „schlechtes“ 720p/50-Bild der Sendung „Wetten dass“ und die dort eingesetzte übertriebene Schärfe. Mag sein, dass hier etwas falsch gemacht und mit „detail on“ gearbeitet wurde. Das ZDF jedenfalls hat schon viele HDTV-Programme in deutlich besserer Qualität gesendet. Bemängelt wurde auch das höhere Rauschen bei Aufnahmen mit HD-Kameras. Das ist nichts Neues. Die Qualität der Fernsehsignale wird aber nicht nur durch das Aufnahmeformat bestimmt, die zu starke Kompression ist auch eines der Übel der schlechten Bildqualität. Für jeden Abschnitt einer Produktionskette wird die Qualitätsreserve (Datenrate) soweit wie möglich eingeschränkt. Schon in der SD-Zeit wurde übereifrig Geld (Datenrate) gespart und damit technisch schlechte Programme produziert.

Die HDTV-Technik wird heute durch immer „bessere“ Kodier-Algorithmen befördert und von der Industrie lautstark angekündigt und von den Anwendern oft vorschnell eingeführt. Die Aufnahmequalität von HD wird aber auch durch schlechte Objektive gemindert. Kameras werden nach dem Preis und sehr oft nicht nach der Qualität ausgesucht. Dabei spielt der Preis im Gesamtaufwand eine sehr geringe Rolle. Produktionen sind dann acht bis zehn Prozent billiger als Aufnahmen mit 16mm Film, was entsprechende Tests von Studio Hamburg Anfang 2009 ergaben. Der Gesamtworkflow, der auch die Qualität beeinflusst und der viel Raum für die Kunst lassen sollte, wird ständig neu definiert, aber dadurch nicht optimiert.

„Fix it in the post“ ist deshalb der Hilfeschrei eines schlecht vorbereiteten Drehablaufs. Diese schlechte Vorbereitung wird oft auf ein Nichtverstehen der Technik zurückgeführt. Aber auch der ständige Wechsel in der Produktfolge darf nicht übersehen werden. Die Beteiligten haben keine Zeit für die Einarbeitung und für Experimente.
Die Entscheidung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten für 720p/50 ist in der Sache richtig. Nur die Beschränkung auf mindesten 50 Mbit/sec (Long-GOP) und nicht mehr als 100 Mbit/sec und die Festlegung auf 8 bit Auflösung ist zwar für Mainstream-Produktionen vertretbar, aber für die Qualitätsanforderungen in der szenischen Produktion sehr abträglich. Die Filmindustrie, bekannt für hohe Qualität, wirbt für Datenraten höher als 200 Mbit/sec (z.B. Digital Cinema) und mindesten 10 bit Auflösung. Dort ist bekannt, dass jede Manipulation auch im digitalen Bereich Auflösung und Dynamik kostet.

Für die Weiterverwendung in der Zukunft ist eine gute bis sehr gute Qualität gefordert, sonst sehen HDTV-Bilder in fünf Jahren genauso schlecht aus, wie die heutigen SD-Einblendungen. Die Argumentation mancher Techniker ist dennoch die gleiche wie zu SD-Zeiten: Sie rechtfertigen schlechte Qualität mit angeblich fehlendem Geld in den Kassen.
Dietrich Sauter
(MB 09/10)