Klimawandel ist kein Zeitgeist-Thema

Die Film-, Fernseh- und Werbefilmbranche in Deutschland ist in ökologischer Hinsicht noch ein Entwicklungsland. Während zahlreiche Produzenten in Großbritannien, Frankreich oder den USA bereits auf Nachhaltigkeit und Ressourcen-Management setzen, ist den Deutschen der CO2-Rechner zur Ermittlung des ökologischen Fußabdrucks noch fremd. Mit der Einführung eines Grünen Drehpasses will die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH) das Bewusstsein dafür schärfen. Unterstützung erhalten hat sie dabei von dem Kooperationspartner N.serve Environmental Services, der auf die Entwicklung und das Management von Klimaschutzprojekten spezialisiert ist.

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Klimawandel ist kein Zeitgeist-Thema

„Die Deutschen stehen im Vergleich zu anderen Ländern sehr grün da, wenn es um Autos oder Ernährung geht“, sagt Eva Hubert, Geschäftsführerin der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH), „doch in der Film- und Fernsehbranche ist das nachhaltige Produzieren noch kein Thema.“ Um dies zu ändern, hat die Filmförderung einen Grünen Drehpass entwickelt, der als Auszeichnung für umweltfreundliche Dreharbeiten vergeben wird. „Wir begreifen diese Initiative als Work-in-Progress“, erklärt Christiane Scholz von der Film Commission in Hamburg, „und möchten den Grünen Drehpass durch den intensiven Dialog mit der Branche verbessern und weiter entwickeln.“

In der Hansestadt Hamburg, die 2011 zur europäischen Umwelthauptstadt gekürt worden ist, hat Scholz bereits einige städtische Motivgeber und Dienstleister als Partner für den Grünen Drehpass gewinnen können. Zu ihnen gehört sowohl die Stadtreinigung, die ein Service-Paket zur umweltgerechten Abfallentsorgung anbietet, als auch die Wasserwerke, die leitungsgebundene Trinkwasserspender zur Verfügung stellen.

Die Liste der Maßnahmen, die ergriffen werden können, um umweltschonender zu drehen, ist lang. Die Aufgabenfelder reichen dabei von der Ausstattung, der Reduzierung von Elektromüll und dem Catering über das Produktionsbüro, der Crew, dem Transport und der Technik bis hin zur Erstellung einer Ökobilanz.

Bei der Ausstattung sollten die Production Designer beispielsweise wieder verwendbare Materialien benutzen und auf Recycling setzen. Nachhaltigkeit beim Catering bedeutet hingegen Bio-Produkte und regionale Produkte einzukaufen und auf den Einsatz von Einweggeschirr aus Plastik zu verzichten. Bewusstes Handeln ist ebenso im Produktionsbüro gefragt. Dort kann durch Ökostrom, Energiesparlampen, umweltfreundliches Papier oder eine papierlose Produktion ein Beitrag zur Umwelt geleistet werden. Dazu gehört selbstverständlich auch die Mülltrennung. Die Bereiche, in denen der größte Teil der Energie aufgewendet wird, sind Transport und Technik. Für eine Senkung der Ökobilanz sorgen Elektro- und Hybridfahrzeuge, aber auch Fahrgemeinschaften und Shuttlebusse. Ein wesentlicher Punkt ist, beim Dreh energie-effiziente Lichttechnik einzusetzen.

Die erfolgten Einsparungen sind durch die Erstellung einer Öko-Bilanz sichtbar, die Aufschluss über die bereits bewirkte Veränderung des CO2-Ausstoßes gibt. „Zur Bestimmung des CO2-Fußabdrucks wird der Verbrauch fossiler Energie und die dadurch entstehenden Treibhausgase erfasst“, erklärt Marten von Velsen-Zerweck, Gründer und Geschäftsführer von N.serve Environmental Services. „Über Projekte, die Treibhausgase reduzieren, kann dieser CO2-Fußabdruck kompensiert werden.“

Die Kompensation ist jedoch nur ein erster Schritt. Der zweite wesentliche Schritt sieht vor, eine Strategie zur Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs zu erarbeiten und diese in einem definierten Zeitraum umzusetzen. „Klimawandel ist kein Zeitgeist-Thema“, betont von Velsen-Zerweck. Auch bei einer Film- oder Fernsehproduktion lassen sich die typischen Emissionsquellen analysieren und Strategien dazu entwickeln, um in Zukunft ökologisch nachhaltiger zu produzieren. Die Ergebnisse sollen in die Vergabekriterien des Grünen Drehpasses einfließen. Das Ziel ist, dieses Konzept zu einem Standard für den Grünen Drehpass weiterzuentwickeln.

Grüne Filmpolitik ist gefragt

Um den Grünen Drehpass fest in der Branche zu verankern, muss die Vergabe von Fördergeldern zukünftig an die Einhaltung der Umweltkriterien geknüpft werden. In der Debatte um die Neuregelung des Filmfördergesetzes (FFG), die zum 1. Januar 2014 ansteht, ist dies bisher noch kein Thema. Nachdem Hamburg mit dem Grünen Drehpass den ersten Anstoß geliefert hat, ziehen nun auch andere Filmförderungen nach. Die Filmförderung Baden-Württemberg (MFG) lädt in diesem Herbst zum Jahrestreffen der Cine-Regio-Mitglieder, einem Netzwerk von 38 Förderinstitutionen aus 15 europäischen Ländern, bei dem diesmal die ökologische und nachhaltige Produktionsweise im Filmbereich auf der Tagesordnung steht. Gemeinsam mit Filmschaffenden und Fachleuten für Nachhaltigkeit soll erörtert werden, wie sich Filme Ressourcen schonend und gleichzeitig ökonomisch sinnvoll produzieren lassen. Die FFHSH-Geschäftsführerin Eva Hubert wird dort ihren Kollegen der europäischen Regionalförderungen den Grünen Drehpass präsentieren.

Als Fachreferentin für dieses „Green Production Subgroup Meeting“ wurde Melanie Dicks von Green Shoot (UK) gewonnen, die bereits als Beraterin für die Reduzierung von Umweltbelastungen an 20 Spielfilm-Projekten mitgewirkt hat. Derzeit arbeitet sie mit Cine-Regio an einer Green Screen European Agenda.

Eine essentielle Maßnahme wäre, die Forderung nach grünen Auflagen in der Film- und Fernsehproduktion auch in die Kinomitteilung einzubringen, welche derzeit in Brüssel von der Europäischen Kommission neu aufgelegt wird. Die neue Kinomitteilung, die bereits ab dem 1. Januar 2013 in Kraft treten soll, bildet den rechtlichen Rahmen für die Filmförderung auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene.

In ihrem ersten Entwurf, den die Europäische Kommission im Zuge des öffentlichen Konsultationsverfahrens präsentiert hatte, war ein zentraler Punkt, die regionalen Fördereffekte drastisch zu senken. Bisher verlangen viele regionale Filmförderungen in Deutschland von den Film- und Fernsehproduktionen, dass mit den gewährten Fördermitteln wirtschaftliche Effekte von 150 Prozent in der Region erbracht werden müssen. Die Kommission will diese Quote künftig auf 100 Prozent begrenzen. Die europäischen, nationalen und regionalen Filmförderinstitutionen sind nach der Veröffentlichung der endgültigen Kinomitteilung gefordert, die neuen Regelungen binnen zwölf Monaten in ihre Richtlinien zu implementieren. Eine zusätzliche Auflage, die Vergabe von Fördermitteln an umweltschonende Dreharbeiten zu knüpfen, würde entsprechend schnell Wirkung zeigen.

Die FFHSH-Geschäftsführerin Eva Hubert möchte mit der Filmförderung allerdings nicht in eine Rolle gedrängt werden, die Produktionen hinsichtlich der Einhaltung der Umweltkriterien kontrollieren zu müssen. Doch diese Kontrolle wird gar nicht erforderlich, wenn die Produzenten realisieren, dass sie durch nachhaltiges Drehen zugleich Kosten sparen können.

Grüner Drehpass für ZDF-Serie „Der Landarzt“

Beim Thema Transport ist es offenkundig, dass es günstiger ist, die Schauspieler in einem Sammel-Transporter vom Hotel zum Set zu bringen, als sie in einzelnen Wagen dorthin zu chauffieren. Erfahrungen damit gesammelt hat Jürgen Seidler, Producer bei der Novafilm Fernsehproduktion, bei der Vorabendserie „Der Landarzt“, die seit 1987 in Kappeln für das ZDF produziert wird. Dieses erfolgreiche Langlaufformat ist als erste klimaneutrale TV-Serie Europas von der Hamburger Film Commission mit dem Grünen Drehpass ausgezeichnet worden. „Die Urkunde hängt in unserem Produktionsbüro in Kappeln“, bestätigt Seidler, der die Initiative zum ökologisch nachhaltigen Dreh ergriffen hat. „Es war mir wichtig, nicht nur im privaten Bereich darauf zu achten, Energie zu sparen, Öko-Strom zu verwenden oder Nahrungsmittel aus der Region zu kaufen. Viele dieser Maßgaben lassen sich bei der Produktion genauso umsetzen.“ Dazu gehören auch kleine Beiträge wie beispielsweise keine Plastikbecher mehr am Set zu verwenden. Die größten Emissions-Schleudern sind jedoch auch beim „Landarzt“ im Bereich Transport und Technik zu finden. „Wir haben deshalb Fahrgemeinschaften gegründet, um die Schauspieler von Kiel nach Kappeln zu bringen.“

Aber auch beim Equipment gibt es Einsparpotentiale. „Beim Dreh mit der digitalen Alexa-Kamera ist weniger Licht erforderlich“, berichtet Seidler. Ökologisch belastend seien hingegen die Kurierfahrten, um die Filmdaten nach Berlin zu transportieren. „Es wäre wesentlich besser, die Muster digital zu übertragen, doch die Kapazitäten der Leitungen reichen dafür bisher noch nicht aus.“

Grüne Checkliste für die Werbefilmproduktion

Auch in der Werbefilmbranche findet ein Umdenken statt. Mark Weiland hat für seine Berliner Produktionsfirma Weilandfilm, mit der er sich auf Werbe- und Imagefilme spezialisiert hat, eine Checkliste für die Nachhaltigkeit in der Filmherstellung entwickelt. „Wir verstehen uns als Pioniere und Gedankenanstoßer in Sachen Nachhaltigkeit in der Filmindustrie“, erklärt Weiland. „Was bei den Major Studios in den USA schon seit vielen Jahren zum Selbstverständnis gehört, wird in Deutschland kaum beachtet.“ Neben Öko-Strom, Abfallreduzierung, Bio-Catering und Recycling-Papier gehört bei Weilandfilm auch dazu, Naturkosmetik in der Maske zu verwenden. „Wenn wir für unsere Kunden Werbespots für eine bessere Welt produzieren, müssen wir auch selbst nachhaltig produzieren.“ Die Idee zu diesem Konzept hat er bereits vor mehr als drei Jahren entwickelt. Inzwischen wird die grüne Checkliste so weit wie möglich umgesetzt und die Ökobilanz der Produktion im Filmabspann präsentiert. Nicht nur bei den Kunden kommt das gut an, sondern auch die Konsumenten legen zunehmend größeren Wert auf ökologische Nachhaltigkeit. Während in der Film- und Fernsehbranche sinkende Kosten und Image-Gewinn als schlagkräftige Argumente für eine ökologisch nachhaltige Produktion angeführt werden können, ist die Werbefilmbranche wesentlich stärker von den Konsumenten getrieben. „In Großbritannien steht mittlerweile auf jeder Tüte, welchen CO2-Fußabdruck das entsprechende Produkt verursacht hat.“

EBU gründet Green Broadcasting Group

Auch die Sender nehmen sich inzwischen aktiv dieser Thematik an. Innerhalb der European Broadcasting Union (EBU) ist eine Green Brodcasting-Gruppe gegründet worden, der unter anderem die BBC und TF1 angehören. „Als öffentlich-rechtliche Sender haben wir die Verantwortung dafür zu sorgen, dass im Fernsehbereich größere Beiträge zum Umweltschutz geleistet werden und stärker auf Nachhaltigkeit geachtet wird“, erklärt die Green Broadcasting Group auf ihrer Website: http://tech.ebu.ch/green.

Für die konkrete Umsetzung der Ziele sollen Richtlinien erstellt, Case Studies präsentiert und Workshops dazu veranstaltet werden. Zudem sollen die Sender CO2-Rechner erhalten, um den ökologischen Fußabdruck ihrer Produktionen zu errechnen. Der EBU Green Broadcasting Group zufolge resultieren zwei Prozent aller weltweit getätigten CO2-Emissionen aus dem Bereich der Informations- und Kommunikations-Technologie, was jährlich mit 800 Mt CO2 zu Buche schlägt.
Birgit Heidsiek
(MB 11/12)