Eishockey ist in Finnland der beliebteste Sport – betrachtet man die Zuschauer vor den Fernsehgeräten und in den Stadien. 14 Vereine spielen pro Saison um die Meisterschaft in der ersten Liga. Inklusive der Playoffs ergibt das um die 500 Spiele pro Jahr.
Die Übertragungsrechte von ‚Liiga’ hat sich im Mai 2017 das finnisch-schwedische Telekommunikationsunternehmen Telia ab der Spielzeit 2018/2019 für sechs Jahre gesichert. Mit der TV-Produktion der Spiele wurde das finnische Produktionshaus Streamteam Nordic Oy in Helsinki beauftragt. Streamteam wurde 2006 ursprünglich gegründet, um Produktions-Services für Pferderennen anzubieten. „Für Telia ist das ein wichtiger Schritt, unseren Kundenstamm von rund 90.000 aktiven OTT-Nutzern weiter auszubauen“, erklärt Olli-Pekka Takanen, Head of Hockey bei Telia, und ergänzt: „Exklusive Bewegtbildinhalte zeigen zu können, ist im heutigen Marktumfeld sehr wichtig und setzt uns von der Konkurrenz in der TV- und Medienbranche ab. Wir erwarten uns aber auch durch exzellenten Service im Medienumfeld neue und loyale Kunden für unser Telko-Geschäft. Diese Synergien gilt es zu nutzen.” Die Übertragung auf die unterschiedlichen Endgeräte übernimmt Telia mit seinem eigenen IPTV-Service selbst. Und auch die Übertragung der Signale vom Stadion zum Produktionszentrum basiert auf der Infrastruktur des Telekommunikationsunternehmens.
Zur Planung und Realisierung der nötigen Produktionsinfrastruktur holte sich Produktionsdienstleister Streamteam den deutschen Systemintegrator Broadcast Solutions an Bord. Gemeinsam wollte man eine möglichst zukunftssichere Lösung zur Produktion der ‚Liiga’-Matches realisieren. Das Ergebnis war ein zentralisiertes Produktionsverfahren mit Remote-Steuerung, das die gleichzeitige Verarbeitung von 4K- und HD-Inhalten erlaubt. Bei der Entwicklung profitierte man von den Erfahrungen, die Broadcast Solutions in dem Bereich schon machen konnte. Das Systemhaus aus Bingen war unter anderem bereits an der Realisierung eines zentralen, IP-basierten Produktionszentrums für den Sportsender MySports in der Schweiz beteiligt. „Das Verhalten der Zuschauer ändert sich stark. Die Ära des linearen Fernsehens wird bald enden, stattdessen wächst eine Generation heran, die es gewohnt ist, sich ihre Lieblingsinhalte über eine Vielzahl unterschiedlicher Plattformen anzusehen. Dementsprechend müssen auch wir unsere Geschäftsmodelle anpassen und die Art zu produzieren neu überdenken”, findet Juha Koskela, CEO Streamteam Nordic und fügt an: „Ein Grund für eine zentralisierte Produktionsumgebung ist die Kostenersparnis und der Einsatz von standardisierter IT-Software und Cloud-Services. Remote zu produzieren, senkt bei gleicher Produktionsqualität die Kosten um bis zu 30 Prozent”, erklärt Koskela.
Aber nicht nur die Kostenersparnis war für Streamteam ausschlaggebend. Auch die gewonnene Effizienz stand im Vordergrund. Bei der Entwicklung eines neuen Konzepts war es wichtig, alle Mitarbeiter an einem Standort bündeln und für unterschiedliche Events einsetzen zu können. Den Weg zu den Eishockeyspielen muss ab sofort nur noch ein kleines Team aus Kameramännern antreten.
Was die Qualität der Produktion betrifft, ist man sich bei Broadcast Solutions sicher, dass Streamteam Kunden und Zuschauer beeindrucken kann. „Vor allem in einem Land wie Finnland, in dem das Fiberglas Netzwerk so stark ausgebaut ist, war die Entscheidung für ein Remote-Production-Hub leicht zu treffen”, meint Antti Laurila, Global Sales Director Broadcast Solutions und fügt an: „Neue Technologien lassen es heutzutage zu, die Produktion von einem Event zu entkoppeln ohne Abstriche in der Produktionsqualität zu machen.”
Produktionstechnik
Die neue Technikzentrale in Helsinki umfasst acht Regieräume, eine zentrale Audio-Regie, fünf Off-Tube-Räume sowie einen MCR und ist mit sieben Remote-Sets vor Ort in den Stadien verbunden.
Die Bilder aus den 14 Stadien werden über ein Fiberglas-Netzwerk von Telia in das zentrale Hub übermittelt. Den Signaltransport von den Stadien zum Zentral-Hub übernimmt Nevion mit seiner Virtuoso-Plattform. Das eingesetzte Encoding-Format ist JPEG 2000. Da die Virtuoso-Plattform den SMPTE2022/7 Standard unterstützt, ist durch das Seamless Protection Switching die Redundanz des Streams gewährleistet. Durch ein statisches Unicast-Routing Konzept entfällt das Switchen innerhalb des Netzwerks. „Telia hat uns eine Wellenlänge ihres DWDM-Netzwerks (Dense Wavelength Division Multiplex) zur Verfügung gestellt, das wir dann mit einem 10Gb/s Stream belegt haben. Wir hätten theoretisch auch 100Gb/s unkomprimiertes Video über dieselbe Wellenlänge senden können, nur wäre das sehr teuer geworden. 10Gb/s und eine Encodierung mit JPEG 2000 war für uns der beste Kompromiss mit Blick auf Kosten, Performance und Flexibilität”, meint Laurila.
Den Audio-Transfer übernimmt ein Audinate Dante Audio-over-IP-System über eine 1Gb/s Ethernet-Verbindung. Eine Studer-Vista-V-Audiokonsole mit 42-Fadern und einem redundanten Compact Infinity Core dient als Haupt-Audiokonsole in der Audioregie, inklusive 5.1. Audio, während jede Regie mit einer Soundcraft Performer Konsole ausgestattet ist.
Die Grafiken werden mithilfe der Grafikplattform Prime von ChyronHego zusammen mit einer Live-Assist-Playout-Automatisierungs-Engine erstellt. ChyronHegos Paint dient als Tool zur Spielanalyse und Telestration.
Die Kommunikation innerhalb des Hubs und zwischen Hub und Venues basiert auf Riedel Artist 128- und 64-Mainframes und nutzt Riedel AES67 Intercom-Panels innerhalb des Hubs. 64 MADI-Kanäle liefern Tielines zum Studer-Vista- V-System. Zur drahtlosen Kommunikation in den Venues dienen LaON-Beltpacks.
Obwohl die Signalzulieferung IP-basiert abgewickelt wird, setzt man im Produktionszentrum selbst auf Baseband. „Zum Projektstart vor eineinhalb Jahren konnten wir uns noch nicht in allen Teilen auf eine umfassende IP-Infrastruktur verlassen. Vor allem nicht, weil das Projekt eine klare Deadline hatte, und wir uns keine Verzögerungen leisten konnten”, erklärt Laurila und führt aus: „Würden wir heute ein neues Projekt angehen, sähe das schon wieder ganz anders aus.”
Bei der Wahl der Produktionsplattform setzt man auf die Expertise von Grass Valley (ehemals SAM). Als einziger Hersteller konnte das Unternehmen zum damaligen Zeitpunkt Systeme anbieten, die UHD- und HD-Signale gleichzeitig verarbeiten konnten.
Eingesetzt werden die Momentum-Produktionsplattform, sieben Kahuna-Bildmischer, eine Sirius 850-Videomatrix (456×840). 13 Grass Valley LiveTouch-Server sorgen für die Aufnahme und Wiedergabe jedes Kamerasignals und bieten 90 Ingest- und 16 Replay-Kanäle. FileFlow- und Momentum-Systeme von Grass Valley übernehmen den Datei- und Metadatentransfer zwischen den LiveTouch-Servern und der OTT-Plattform von Telia. Acht softwarebasierte greenMachine Titan Video-/Audio-Processing Einheiten von LYNX Technik managen 32 Videokanäle, einschließlich Frame-Synchronisation, Embedding, De-Embedding und Up-/Down-/Cross-Konvertierung.
Insgesamt können im Hub fünf physische, beziehungsweise acht logische Videomischer genutzt werden. Die Videomischer haben 48 Eingänge, 32 Ausgänge und eine 600×1024 Video-Matrix.
Das VSM (Virtual Studio Manager) System von Lawo dient der übergeordneten Steuerung aller Video- und Audiosignale der Router, Bildmischer, Multiviewer und Tally, für die Studer- und Soundcraft-Audiokonsolen sowie greenMachines des Hubs. Die Möglichkeiten des VSM-Systems, Workflow-Setups für bestimmte Aufgaben und Spiele im Vorfeld zu konfigurieren, ist laut Laurila eine entscheidende Voraussetzung, um die physischen Ressourcen im Hub optimal zu nutzen.
Durch die große Anzahl dedizierter Regieräume und Eishockeyspiele, die gleichzeitig produziert werden müssen, und die Notwendigkeit, Workflows zwischen einzelnen Spieltagen einfach zu ändern, ist die Flexibilität beim Zugriff auf alle Ressourcen der Schlüssel zum Erfolg des Hubs. Diese Flexibilität wird durch eine IHSE Draco tera KVM-Matrix mit 160 Ports erreicht, die Zugriff auf 45 Arbeitsplätze, 55 Server und PCs bietet. „Mit der wichtigste Aspekt bei einem Auftrag, wie dem von Streamteam, ist ein solides Netzwerkdesign und die zugehörige Konfiguration. Unterschiedliche Medien haben immer auch unterschiedliche Charakteristiken und müssen individuell betrachtet werden. Welche Bandbreiten habe ich für mein Video-Signal? Wie verhalten sich meine Audio-Streams? Wie steht es um die Synchronität?,” führt Laurila aus und erklärt weiter: „Gerade beim PTP (Precision Time Protocol) hatten wir zunächst kleinere Probleme. Das ist auch der Grund, warum wir uns letztendlich für Dante und gegen AES67 entschieden haben. Das Handling ist schlichtweg unkomplizierter.“
Panasonic-Kameras
Das neue Produktionszentrum erlaubt die wöchentliche Produktion von sieben parallel laufenden Spielen. Zunächst werden zwei der Spiele in UHD und mit einem erhöhten Aufwand produziert – sechs Broadcast-Kameras und vier PTZ-Kameras von Panasonic, zwei Torkameras, eine POV-Schiedsrichter-Kamera und teils eine Super-Motion-Kamera fangen die Action ein. Die restlichen fünf Spiele werden in HD und mit einem kleineren Setup bestehend aus insgesamt neun Kameras produziert (fünf Broadcast-Kameras, vier PTZ-Kameras).
Je nach Spiel werden Trucks mit fünf bis sieben Kameramännern zu den Stadien entsandt, die vor Ort sowohl den Aufbau der Kameras, als auch den der kabellosen und kabelgebundenen Mikrofone von Sennheiser übernehmen. „Der Aufbau unseres Setups ist innerhalb von etwas mehr als einer Stunde erledigt. Das erlaubt uns, am Tag des Eishockeyspiels sowohl hin, als auch wieder zurückzufahren. Mit einem klassischen Übertragungswagen wäre das nicht möglich”, erklärt Laurila.
Video-Schiedsrichter
Neben der eigentlichen Produktion der Bilder, wurde auch der Video-Schiedsrichter in Helsinki zentralisiert. „Eine der Anforderungen an das neue Produktionszentrum hier in Helsinki war es, das Schiedsrichter-Kontrollsystem auch zentral unterzubringen”, erklärt Laurila.
Aus diesem Grund wurde in einem sogenannten „Situation Room“ Platz für vier Video-Referees geschaffen.
Sieben Simplylive-Server mit jeweils acht Eingängen werden mit den Arbeitsplätzen der Schiedsrichter verbunden und erlauben es, im Falle einer kritischen Szene das Videomaterial abzurufen. Das besondere an dem System ist seine Fähigkeit, dass auch zwei Schiedsrichter gleichzeitig auf einen Server zugreifen können.
Virtuelles Studio
Auch neu ist ein virtuelles Studio, das in fußläufiger Entfernung in Betrieb genommen worden ist. Es wird für Experten-Diskussionen vor, während und nach den Eishockeyspielen eingesetzt. Das virtuelle Studio setzt auf Technik von Zero Density und nutzt zwei Kameraroboter. Beide werden von nur einem Operator bedient. Zusätzlich wird eine weitere Kamera auf einem Cartoni-Stativ eingesetzt, welches mit einem physischen Mosys-Tracking-System ausgestattet ist. Das SDI Signal aus dem virtuellen Studio wird dann über eine Dark Fiber-Leitung in den Produktions-Hub überspielt.
Streamteam hat für das virtuelle Studio drei Rendering Engines von Zero Density lizenziert, die in Zukunft je nach Bedarf erweitert oder abgeschaltet werden können. „Auch die Nutzung von virtuellen Sets wird die Zukunft bestimmen. Sie können je nach Anforderung geändert werden. Der hohe Set-Design Aufwand wird minimiert. Diese Flexibilität ist enorm wichtig”, findet Koskela.
Niklas Eckstein
01.04.2019
© Streamteam